Analphabetismus in der Weimarer Republik

Alexx

Neues Mitglied
Wir haben im Deutschunterricht gerade ein Buch gelesen, indem es unter anderem um eine Analphabetin geht, die während der Weimarer Republik zur Schule gegangen ist. Um ihre Situation besser nachvollziehen zu können, würde mich jetzt interessieren wie hoch die Analphabetenrate in Deutschland zur Zeit der Weimarer Republik war und wie die Gesellschaft und auch die Analphabeten selbst mit dem Analphabetismus umgingen.
Wäre schön, wenn wir einer von euch weiterhelfen könnte!
Vielen Dank schon mal!
Alexx
 
Seit 1912 wurden in Deutschland keine statistischen Daten mehr zu Schreib- und Lesekompetenz der Bevölkerung erhoben, da es faktisch so gut wie keine Analphabeten mehr gab. Wenn auch die Definition dessen, was illiterat ist, schwankend ist, müssen wir heute davon ausgehen, dass der Analphabetismus wieder ein zahlenmäßig relevantes Problem in unserer Gesellschaft darstellt.
http://www.schule-bw.de/unterricht/paedagogik/lesefoerderung/diagnostik/funktionaler_analphabetismus

Mit Zahlen ist es also nicht weit her.
Aber eine Schulklasse hat das Problem sehr schön dargestellt:

Thema Analphabetismus
Bernhard Schlink, Der Vorleser

http://www.scheffel.og.bw.schule.de/faecher/deutsch/vorleser/analphabetismus.htm
 
Tja, stimmt wo zieht man die Grenze? Von allen meinen Großeltern (Jahrgänge 1917-1922) also Zeitzeugen, ging niemand länger als 4 Jahre zur Schule. Ob es an der Wirtschaftkrise lag oder damals normal war weiß ich nicht, aber so ab 12- 13 Jahren wurde Arbeiten gegangen. Das nötigste lesen und schreiben konnten sie, aber das wars auch schon.
 
askan schrieb:
Von allen meinen Großeltern (Jahrgänge 1917-1922) also Zeitzeugen, ging niemand länger als 4 Jahre zur Schule. Ob es an der Wirtschaftkrise lag oder damals normal war weiß ich nicht, aber so ab 12- 13 Jahren wurde Arbeiten gegangen. Das nötigste lesen und schreiben konnten sie, aber das wars auch schon.
Kam man damals später in die Schule als heute?
Also kann man sagen, dass das Lesen und Schreiben zu dieser Zeit keine besonders große Rolle gespielt hat (zumindest in der Arbeiterschicht) und dass es relativ viele gab, die höchstens einigermaßen Lesen und Schreiben konnten? Ich soll begründen, warum die Frau ihren Analphabetismus die ganze Zeit verheimlicht hat. Klar: Weil sie sich deswegen schämt. Aber warum? Ich mein sie kann ja nichts dafür und offentsichtlich erging es ja vielen anderen zu der Zeit genauso.

@Mercy: Danke für die Links. Letzteren kannte ich schon und es handelt sich auch um das Buch "Der Vorleser". Aber irgendwie beantwortet mir diese Seite auch nicht das, was ich eigentlich wissen möchte, da der Analphabetismus nicht auf die damalige Zeit bezogen dagestellt wird.

Was mich noch interessieren würde, wäre, wie die Lehrer damals darauf reagiert haben (nachdem was ich weiß, kann man denke ich davon ausgehen, dass die Frau höchstens ihren Namen schreiben konnte). Was denkt ihr? Haben sie diejenigne, die nicht in der Lage waren zu lesen und zu schreiben eventuell mit Schlägen dafür bestraft (bzw. nicht direkt dafür, aber dafür, dass sie z.B. ihre Aufgaben etc. nicht erledigt hatten)?
 
askan schrieb:
Tja, stimmt wo zieht man die Grenze? Von allen meinen Großeltern (Jahrgänge 1917-1922) also Zeitzeugen, ging niemand länger als 4 Jahre zur Schule. Ob es an der Wirtschaftkrise lag oder damals normal war weiß ich nicht, aber so ab 12- 13 Jahren wurde Arbeiten gegangen. Das nötigste lesen und schreiben konnten sie, aber das wars auch schon.

War das in Deutschland?
Das kann ich nur nach Vorlage entsprechender Belege glauben.

Grüße Repo
 
Kam man damals später in die Schule als heute?
Nein, aber man hat früher angefangen zu arbeiten. Abgesehen davon dauerten die Bildungsgänge an den höheren Schülen und Universitäten noch nicht so lange wie heute (wo der Durchschnitts-Uni-Absolvent 28 Jahre alt ist).

Also kann man sagen, dass das Lesen und Schreiben zu dieser Zeit keine besonders große Rolle gespielt hat (zumindest in der Arbeiterschicht) und dass es relativ viele gab, die höchstens einigermaßen Lesen und Schreiben konnten?
Für die Weimarer Republik würde ich das so nicht mehr sagen - immerhin die Zeit, in der in Deutschland die höchste Zeitungsdichte herrschte (mit viel mehr verschiedenen Titeln als heute). Vor allem auch die SPD hat sich seit Ende des 19. Jhdts. sehr bemüht, dass Bildung auch die Arbeiter erreichte - dies geschah unter anderem über die sog. "Arbeiterbildungsvereine"

http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.a/a646723.htm

Also ich würde ganz grob und oberflächlich sagen, dass die Analphabetenrate während der Weimarer Republik noch nicht so niedrig war wie in Nachkriegsdeutschland, aber deutlich niedriger als zurzeit des Kaiserreichs.
 
In der Weimarer Republik galt die Schulpflicht für alle mit 8 Jahren Schulpflicht. Darauf folgte dann noch die "Fortbildungsschule" (die heutige Berufsschule)
Es kam natürlich vor, dass jemand nach 8 Jahren die Schule mit der 4. Klasse verließ.
Das hat allerdings nichts mit dem Analphabetismus in der WR zu tun.
 
Weimarer Verfassung Art. 145.
Es besteht allgemeine Schulpflicht. Ihrer Erfüllung dient grundsätzlich die Volksschule mitmindestens acht Schuljahren und die anschließende Fortbildungsschule bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahre. Der Unterricht und die Lernmittel in den Volksschulen und Fortbildungsschulen sind unentgeltlich.
 
Repo schrieb:
War das in Deutschland?
Das kann ich nur nach Vorlage entsprechender Belege glauben.

Grüße Repo

Das finde ich auch seltsam, denn ich denke nicht, dass sich die Verhältnisse in Deutschland und in der Schweiz gross unterschieden. Nach Aussagen eines Verwandten (Jhrg. 1923) waren sieben Jahre Schule Pflicht. Diese Pflicht galt für alle. Doch es gab auch einige, die nach dieser Zeit noch nicht lesen konnten. Ein Bekannter (um Jhrg. 1911) besuchte zwar auch sieben Jahre die Schule, doch hatte bis zum letzten Tag immer nur den Lernstoff der ersten Klasse. Auch nach der Schule konnte er keinen einzigen Buchstaben lesen. Es mag also Ausnahmen gegeben haben, doch allgemein war die Alphabetisierungsrate, so denke ich, recht hoch.
 
Alexx schrieb:
Ich soll begründen, warum die Frau ihren Analphabetismus die ganze Zeit verheimlicht hat. Klar: Weil sie sich deswegen schämt. Aber warum? Ich mein sie kann ja nichts dafür und offentsichtlich erging es ja vielen anderen zu der Zeit genauso.

Ich verstehe nicht, warum du hier nur von " Frau" sprichst.
Ich kenne heute noch Männer, die gerade mal so ihren Namen schreiben können.
 
War das in Deutschland?
Das kann ich nur nach Vorlage entsprechender Belege glauben.
Im damaligen Schlesien und im heutigem Sachsen-Anhalt (Harz und Magd.Börde), auch von alten Niedersachsen (Bauern) kenne ich die Lebensgeschichten, ab 12,13,14 gingen Dorfkinder kaum noch zur Schule, sondern wohnten oft weit vom Elternhaus und gingen der Landarbeit nach.

wie sollen denn diese Belege aussehen?
 
Zum Teil aus der Dokumentationstelle meiner Fh in der nach sozialen Schichten geordnet Biographien hunderter Menschen meiner Region gelagert sind. Zum anderen aus Interviews (also systematisches Hörensagen) mit Anwohnern meiner Region (ich sammel gerade Infos aus der Nachkriegszeit, vielleicht wird mal ein Buch draus) und von natürlich aus der Familie, da habe ich das einzige schriftliche in form eines Rentenstempelbuches meines Grossvaters, die Stempel begannen als er 13 jahre alt war.
 
Mercy schrieb:
Welche?

hildesheim, das ding ist aber noch im Aufbau, ich habe da mal als Hiwi geholfen ordnung ins system zu bringen.

Viel Erfolg, Du wirst uns das Erscheinen sicher nicht verheimlichen.
.

wenn ich meine schreiberische trägheit überwinden kann....
 
Obwalden schrieb:
Ein Bekannter (um Jhrg. 1911) besuchte zwar auch sieben Jahre die Schule, doch hatte bis zum letzten Tag immer nur den Lernstoff der ersten Klasse. Auch nach der Schule konnte er keinen einzigen Buchstaben lesen.
Könntest du den vielleicht mal fragen, wie das für ihn in der Schule (und auch dannach) war, nicht lesen und schreiben zu können? Ob er ausgelacht wurde und von den Lehrern dafür bestraft wurde etc.?
Wäre echt nett von dir (und von ihm)!
 
ich kenne einige Leute in heutiger Zeit, die es geschafft haben ihre Schulpflicht abzuleisten und trotzdem Analphabeten zu bleiben.
Die werden mal ein grosses problem sein, denn dumm waren die meisten nicht!
 
askan schrieb:
Die werden mal ein grosses problem sein, denn dumm waren die meisten nicht!

Das ist doch nichts Neues, hier ging es um die Zeit der Weimarer Republik.

Heute:
Fachleute schätzen, dass es in Deutschland bei einer Einwohnerzahl von 80 Millionen etwa 4 Millionen (sekundäre und/oder funktionale) Analphabeten gibt. Etwa 13% aller Hauptschüler, die heute die Schule verlassen, können offensichtlich nicht ausreichend lesen und schreiben. (FAZ 17.7.1999, S.10, "Der Mythos vom Alphabet"). Auch die Tatsache, dass 22,7% der Fünfzehnjährigen in Deutschland bei PISA 2000 nur das Kompetenzniveau I und darunter erreicht haben, weist auf gravierende Defizite hin.

http://www.schule-bw.de/unterricht/paedagogik/lesefoerderung/diagnostik/funktionaler_analphabetismus
 
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