Anleihen/Zinssätze/Wechselkurse und der Weltkrieg

silesia

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Teammitglied
Ich habe mal Folgendes übernommen, weil es den Finanzierungsaspekt des Krieges und die Kapitalmärkte und eine interessante Sichtweise betrifft:

Die Siegeschancen Deutschlands werden m.E. sehr mit der Nachkriegsbrille (und unter Zuhilfenahme der Nachkriegsliteratur) gesehen.

Ich halte sehr viel von Finanzmärkten, weil sich Meinungen diverser Marktteilnehmer unmittelbar am eigenen Gewinn und Verlust orientieren.Staatsanleihen notierten am 17.07.1914 und 28.07.1914 (danach gab es keine ordnungsgemäßen Notierungen mehr) wie folgt (Quelle: Helfferich, Weltkrieg, S. 149):

Reichsanleihe 76,50 - 73,75 d.h. Rückgang von 2,75
franz. Rente 82,62 - 77,25 d.h. Rückgang von 5,37
engl. Konsols 75,81 - 71,75 d.h. Rückgang von 4,06
Die Pariser Börse verbot am 25.07.1914 Notierungen unter 78 (die Angebote lagen bei 74).


Ich halte davon gar nichts. Es geht hier um Anleihen:
Spekulation - Zinssätze - Inflationsangst - kriegsbedingter Geldbedarf - staatliche Preissetzungen - schlechte Geschäfte bis auf Kriegsmaterial - Liquiditätsfalle -Irrationalität - Informationslage - Propaganda - Dummheit

Interessanter wäre ein Blick auf die Geldhaltung. Wenn wir weiter raten wollen, wäre auch ein Blick auf die Wechselkurse nicht schlecht.

Die zu den Anleihen geäußerte Auffassung ist falsch.

Zwar ist der Kurs einer Anleihe in normalen Zeiten vom Zins (Zinsänderungsrisikio) bestimmt. Weltkriege sind - zum Glück - keine normalen Zeiten.
In Krisenzeiten (wie heute in der Finanzkrise oder allen früheren Krisen) ist allerdings das Emittentenrisiko das Entscheidende (also die Einschätzung, ob der Emittent – derjenige, der die Anleihe begibt und damit die Rückzahlung des aufgenommenen Geldes verspricht - den Nennbetrag zurückzahlen kann), Dieses sogenannte Ausfallrisiko (das Risiko alles zu verlieren) hat in Krisenzeiten eine andere Qualität wie die Frage, ob der Zins von 3% auf 3,25% steigt (und der Kurs um 0,25% bezogen auf die Restlaufzeit zurückgeht). Bei Kriegen ist Emittentenrisiko von Staaten entscheidend (der Verlierer wird nicht zahlen können).

Vor Ausbruch des 1. Weltkriegs mussten sich die Investoren Gedanken machen, ob der jeweilige Emittent (der jeweilige Staat) den Anleihebetrag (und nicht nur die Zinsen) überhaupt zurückzahlen kann. Das Zinsänderungsrisikio hat – als in Europa die Lichter ausgingen (Grey) – keinen Menschen interessiert (wer denkt bei drohenden Totalausfall an 0,x % Kursrückgang?). Der Anleihemarkt ist – damals wie heute – der größte Anlagemarkt der Welt. Die Kursbewegungen sind nichts anders als die Meinungen aller Wirtschaftsteilnehmer. Es handelt sich um konkrete Käufe und Verkäufe auf der Basis der Einschätzung der Zahlungsfähigkeit von Staaten. Mit Raten ist das nichts zu tun.


Weiteres folgt. Ich muß noch rechnen :grübel:
 
Zur Kursentwicklung der Reichsanleihen im Juli 1914



Die Einteilung in Risikoarten hast Du richtig vorgenommen, so würde man das heute beschreiben. Es gibt zwar weitere Risikoarten, die hier jedoch keine Rolle spielten.

Zu kurz gesprungen ist dann die Schlußfolgerung: es geht hier nicht um die Risikoarten, sondern um die Risikobewertungen der Marktteilnehmer in den Risikoarten - ich habe sie/die möglichen Bewertungseinflüsse oben kursorisch dargestellt. Die Frage ist also, welche Risikobewertungen/zugleich Quantifizierungen des Zinsänderungsrisikos bzw. zusätzlich auch des Ausfallrisikos tatsächlich messbar sind.

Bereits oberflächlich betrachtet fällt es schwer, eine Kursbewegung bei den von Dir als Beispiel gewählten Anleihenverzinsungen als Ausdruck des Ausfallrisikos zu bewerten: Die Ausschläge für das Ausfallrisiko müßten - wenn für den Gesamtmarkt signifikant - viel höher sein, sagen wir mal 30%+ des Anleihebetrages. Die Leute waren nicht dumm, siehe entprechende Abstrafungen an den Börsen in Krisenzeiten mit entsprechenden Ausschlägen.

Nun könnte es aber sein, dass es ja nur eine geringe Zahl von Pessimisten waren, die zwar die Anleihen mit spitzen Fingern bewerten, aber im Gesamtmarkt (NUR!) für Kursverluste von 5-10% bei den Anleihen gesorgt haben. Die Patrioten müßten hier also gewissermaßen die Oberhand behalten haben.

Aufschluß für diese Frage bringt eine Bewertung des eingepreisten Zinsänderungsrisikos, nun im Folgenden an dem von Dir zitierten Beispiel der Reichsanleihe gerechnet.

Zunächst einmal Daten, um die Beurteilungsgrundlage zu finden:

Die von Dir angegebenen Kurse (76,5 - 73,75) beziehen sich ausschließlich auf die 3-%er Reichsanleihen, eine wichtige Einschränkung. Diese schwankten tatsächlich im Verlauf Januar-Juli 1914 zwischen 72,00 (=30. Juli 1914) und 78,90 (31.1.1914) bezogen auf Ausgabebeträge von 100 RM. Zur Vollständigkeit: die 4-%er schwankten zwischen 99,80 und 97,40 per Hundert, die 3,5-%er zwischen 87,90 und 84,00.


Der (kapitalmarktbezogene) Grund für die Bewegung lag im Anziehen des allgemeinen Zinsniveaus, so stieg der Bankdiskont von 4 auf kurzfristig 6%, um dann auf 5% zu sinken (dann konstant bis 1918). Am Rande, hier ohne Bedeutung: der kurzfristige (freie!) Privatdiskont sank sogar von Januar auf Juli 1914 von 3,11% auf 2,49% in Erwartung steigender Zinsen - was dann auch eintrat.

Nun ist zunächst der unterstellte Marktzins zu berechnen: Ausgangspunkt sind die im Juli 1914 ausgegebenen 4%er-Anleihen! Diese wiesen bereits Kurse von etwas unter 100 (für 100 Reichsmark Anleihe) aus, was darauf hindeutet, das in 1914 ein Steigen des Marktzinsniveaus über 4% erwartet wurde (deswegen der Kursabschlag). Das kann man genau berechnen:

I. Bei 3%-Anleihen ergibt sich ein Kurs von 76,5 (genauer 76,448) bei einer erwarteten mittelfristigen Rendite von 6,05% als Opportunitätsanlage, gerechnet auf eine durchschnittliche Laufzeit von 10 Jahren. Der Kursabschlag ergibt sich aus dem Barwertdifferenz zwischen den 3-%er Zinszahlungen und dem Barwert der Zinszahlungen aus dem erwarteten Zinsniveau (hier 6%).

II. Die Absenkung des Kurses der 3%-er Anleihe von 76,5 auf 72 (genauer 72,008) ergibt sich durch Anstieg des Zinses der Opportunität auf 6,625%, also einem Anstieg des Zinsniveaus um 0,575%.

Soweit die theoretische Bewertung. Nun fällt aber die Differenz zu den 4%ern ins Auge. Diese wurden mit 99,8 notiert (18.7.1914). Das erlaubt folgende Schlüsse:

(1) zum einen müssen bereits die 3%er Kurse im Januar 1914 (78,90)einen höheren Risikoabschlag im Vergleich zu den 4%ern (97,40) aufgewiesen haben. Der Abschlag zwischen 97,40 und 78,90 ist bei damals vernünftigen Laufzeiten bis 10 Jahre nicht durch eine Zinssatzdifferenz von 1% zwischen den 3%-Anleihen und einer Opportunität von ca. 4% erklärbar, in der Regel waren die Laufzeiten sogar kürzer (was das Problem verschlimmert). Die restliche Zinssatzdifferenz von 2 % zu den rechenbaren 6%+ ist somit nur durch einen 2%-igen Risikoaufschlag erklärbar, der bereits im Januar 1914 vorhanden gewesen sein muss.

(2) Das von Helfferich gewählte Kursniveau der 3%er ist grundsätzlich ungeeignet für den von Dir angeführten Vergleich.

(3) Wenn überhaupt, ist der Anstieg des Risikoaufschlages von 0,575% (6,05 - 6,625%) für die Betrachtung relevant.

(4) Der Veränderung des Risikoaufschlages in diesem Umfang berücksichtigt die Veränderung der Risikoerwartungen der Anleger, allerdings in einem eher bescheidenem Ausmaß, sofern man das ausschließlich auf ein signifikantes und zu bewertendes verändertes Ausfallrisiko zurückführen würde.


Kurzum: die Einflüsse des Ausfallrisikos sind gering, bestanden überwiegend schon im Januar 1914, oder man müßte die damaligen Kurse der Reichsanleihen (und Reichsschatzanweisungen, hier nicht betrachtet) zT auf irrationale Kursdifferenzen untersuchen. Zwar kalkulierten schon die Buddenbrocks mit Optionsgeschäften ("Kauf nie die Ernte auf dem Halm", wogegen dann verstoßen wurde), dies aber wohl eher gefühlsmäßig und nicht mit heutigen Kalkülen. Die Einpreisung des Risikos stieg nämlich risikoavers mit dem Abstand des realisierten Zinsniveaus zum erwarteten Marktzinsniveau. Das würde dann auf Gefühlslagen hindeuten, die sich schon aufgrund des großen Kursabstandes im Januar 1914 zwischen 4 und 3%-ern einer Bewertung entziehen. unterschiedliche

Weitere Schlußfolgerung: die von Helfferich angestellten Betrachtungen sind unhaltbar, nach heutigen recht unfairen (!) Betrachtungen wegen besserer Erkenntnisse Vulgärökonomie, nach Erkenntnisstand der 30er nur apologetische Ausführungen, nach Stand der 20er vermutlich lediglich eine Glaubensfrage.

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Unterschiedliche Wiederanlageprämissen wegen der vermutlich im Juli 1914 (aus Sicht Januar 1914) eingetretenen unerwarteten Zinsänderungen zwischen den 3 und 4%ern habe ich jetzt nicht berücksichtigt. Wenn Du Spaß daran hast, würde ich auf eine dann sinnvolle Durationsanalyse verweisen (die aber erst aus den 30ern stammt):
Duration ? Wikipedia

Ebenso außer Acht gelassen habe ich ein sonstiges bilaterales Gefälle der Zinsstrukturkurve 1914. Es wäre nämlich noch die Frage, wieweit die Anleihen, somit auch die Veränderungen in der Risikobewertung vergleichbar sind oder strukturelle bedingte/nachhaltige Differenzen bestanden.
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Datenquelle: Statistische Jahrbücher 1912/1916/1920
 
Die Rechnung geht an der Sache vorbei.

Die Notierungen wurden ausgesetzt (d.h. die Börsen wurden geschlossen), weil die Kurse im freien Fall waren (10% Rückgang bei einer Staatsanleihe - noch dazu eines so wichtigen Landes wie Frankreich - innerhalb von 10 Kalendertagen ist ein Super-Gau! - siehe hierzu # 31 im thread Japan). Da gibt es nichts mehr zu rechnen. Die Kapitalmärkte hatten Frankreich ein Vertrauen mehr und haben das deutlich ausgedrückt.

Mit dem Anziehen des Zinsniveaus hat das nichts zu tun. Es werden auch keine Börsen geschlossen, weil der Zins von 4% auf 6% steigt, um dann auf 5% zu sinken. Warum auch? Dann bräuchte man keine Börsen.

Die Kapitalmärkte hatten auch recht. Erst der damals keineswegs voraussehbare Kriegseintritt der USA (nach vielen internen Fehlern Deutschlands) hat zum Gewinn des Krieges durch die Alliierten geführt.
 
Die Rechnung geht an der Sache vorbei.
An welcher Sache denn? Sicherlich widerlegt sie Deine Theorie vollständig:

Die Notierungen wurden ausgesetzt (d.h. die Börsen wurden geschlossen), weil die Kurse im freien Fall waren (10% Rückgang bei einer Staatsanleihe - noch dazu eines so wichtigen Landes wie Frankreich - innerhalb von 10 Kalendertagen ist ein Super-Gau! - siehe hierzu # 31 im thread Japan). Da gibt es nichts mehr zu rechnen. Die Kapitalmärkte hatten Frankreich ein Vertrauen mehr und haben das deutlich ausgedrückt.
Interessant ist der Plural "Kapitalmärkte". Sodann der singuläre Bezug auf Frankreich. Dann übersiehst Du zB die USA und alle anderen wichtigen europäischen Länder, deren Börsen ebenfalls monatelang geschlossen wurden:
New York Stock Exchange - Wikipedia, the free encyclopedia
Was war mit dem deutschen Kapitalmarkt los? Die Frage für Berlin kannst du sicher beantworten: Schließung. Gleiches galt für die Münchener Börse usw.
Brse Dsseldorf - Die Geschichte der Börse Düsseldorf
Du begreifst nicht, dass eine 8%-Kursänderung auf einer 1%-Zinssatzänderung rechenbar ist - die Nervosität der Kapitalmärkte außerhalb rechenbarer Kursschwankungen in Kriegserwartung plus ihrer Kausalität für die Schließung betraf dagegen viele Länder. Daraus mit Helfferich Kriegsgewinnwahrscheinlichkeiten abzuleiten, ist absurd. Richtig ist, dass die Nervositäten die Kriegsangst der Wirtschaft global perzipieren (allerdings eben nicht rechenbar).


Mit dem Anziehen des Zinsniveaus hat das nichts zu tun. Es werden auch keine Börsen geschlossen, weil der Zins von 4% auf 6% steigt, um dann auf 5% zu sinken. Warum auch? Dann bräuchte man keine Börsen.
Hast Du die Rechnung verstanden?


Die Kapitalmärkte hatten auch recht.
Natürlich, selbstverständlich. Sie ermitteln stets punktuell/temporär faire Preise.=) Deshalb wundern sich manche über dynamische Verläufe. Wir könnten ein weiteres Thema auslagern: Haben die Kapitalmärkte immer recht? - und mit dem Hype von 1928 und Sommer 1929 anfangen Übrigens behielten sie auch nach Schließung recht: die Wiedereröffnung wurde (s.o. Deinen "Super-Gau" von 10%-Verlust in 10 Tagen) mit 24 % Kursverlust an einem Tag quittiert. Krieg ist eben schlecht für die Wirtschaft (bis auf einige, die verdienen).

Erst der damals keineswegs voraussehbare Kriegseintritt der USA (nach vielen internen Fehlern Deutschlands) hat zum Gewinn des Krieges durch die Alliierten geführt.
Deshalb wurde dann wohl auch die Börse der USA geschlossen.


Vielleicht öffnet das ja einige neue Blickwinkel außerhalb der letzten gemessen Kursschwankungen vom Juli 1914.
 
Die Notierungen wurden ausgesetzt (d.h. die Börsen wurden geschlossen), weil die Kurse im freien Fall waren (10% Rückgang bei einer Staatsanleihe - noch dazu eines so wichtigen Landes wie Frankreich - innerhalb von 10 Kalendertagen ist ein Super-Gau! - siehe hierzu # 31 im thread Japan). Da gibt es nichts mehr zu rechnen. Die Kapitalmärkte hatten Frankreich ein Vertrauen mehr und haben das deutlich ausgedrückt.
Das ist eine völlige Überinterpretation.

Zur Berechnung hat Silesia schon alles Nötige richtig dargestellt.

Jetzt nochmal zum Grundsätzlichen:
Die Grundannahme ist ja, daß bei einem Krieg die Staatsanleihen des Verlierers wertlos werden. Die des Siegers dagegen werden bedient und bleiben 100% werthaltig (Zinsänderungen mal außen vor gelassen).

Und angenommen wird, daß bei Kriegsausbruch der Markt abschätzt, wer wohl gewinnen wird, und der Marktpreis für Staatsanleihen die Wahrscheinlichkeit des Gewinns ausdrückt (als Verhältnis von Optimisten zu Pessimisten).

Das hieße, wenn die Kontrahenten allgemein als gleichstark eingeschätzt würden, daß die Chancen 50:50 stehen und die Staatsanleihen beider Staaten im Wert auf die Hälfte fallen würden.

Und wenn allgemein erwartet wird, daß ein Kontrahent deutlich stärker ist, wäre das Verhältnis vielleicht 10% Wertverlust beim stärkeren Staat und 90% beim schwächeren.

Mit anderen Worten: Wenn tatsächlich der Markt "nur" 10% Verlust für französische Staatsanleihen gesehen hätte, wäre das eigentlich ein Vertrauensbeweis - die Chance des französischen Sieges wäre als sehr hoch eingeschätzt worden.

Da aber die Märkte allseits geschlossen wurden, gab es in Folge keine Bewertungen mehr für die Anleihen beider Seiten - es ist also überhaupt keine Spekulation über die Marktbeurteilung der Siegchancen möglich.
 
Ich kann hier nichts Neues vorbringen.

Ich bitte die Diskussionsteilnehmer die Kurse von Bundesanleihen - Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH Startseite (oder US-treasuries) zu studieren. Kursänderungen in gewissem Ausmaß brauchen Jahre, Grund sind Zinsänderungen (täglich über Zinstender). Bei einem 5%er mit Restlaufzeit von 3 Jahren 4 Monaten beträgt der Kursaufschlag 10% (weil die Zinsen heute niedriger sind).

Kursänderungen von 10% innerhalb von 10 Tagen bei Bundesanleihen hat es – zum Glück – nie gegeben. Im vorigen Spätjahr gab es innerhalb eines Monats einen Kursanstieg bei Bundeanleihen von etwa 7% (weil man davon ausging, dass das Bankensystem nach dem Lehman-Konkurs zusammenbricht).

Eine Kursänderung von 10% innerhalb von 10 Tagen bei Bundesanleihen könnte ich mir bei einer Währungsreform oder eben Krieg vorstellen, nie bei einer Zinsänderung. Bei solchen Kursänderungen geht es um Ausfallrisiken.

Einige Einzelpunkte: Alle Börsen wurden geschlossen (und zwar wegen des drohenden Krieges, nicht wegen einer Zinsänderung), von Eingriffen in die Preisfeststellung vor Schließung wird nur bei der Pariser Börse berichtet.

Repo macht eine Momentaufnahme (hat an der Börse keine Bedeutung außer dass in dieser Minute die Kurse eine Notierung von X hatten). Die Börsen (d.h. die Mehrzahl der Marktteilnehmer) mögen bei der Wahl Mitterands (aufgrund seiner sozialistischen Grundtendenz) negatives für die Wirtschaft befürchtet haben. Wenn viele verkaufen, fallen die Preise. Guter Einstiegszeitpunkt für Marktteilnehmer mit einer anderen Einschätzung. Wie lange fielen denn die Kurse? Ist die Pariser Börse in den achtziger Jahren zugrunde gegangen?

R.A. verstehe ich nicht. Einer Zinsänderung bei einem Ereignis, das man auch die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ nennt, entscheidenden Einfluss bei der Kursfindung von Staatsanleihen beizumessen, finde ich schon erstaunlich. Dann sagt R.A. das gleiche wie Helfferich, es kommt auf die Markteinschätzung der Finanzinvestoren an und die haben Frankreich schwächer eingeschätzt als Deutschland. Ein 10%iger Wertverlust kann unmöglich ein Vertrauensbeweis sein, wenn der Konkurrent deutlich weniger verliert. Zudem hätten nach Einschätzung der französischen Regierung offensichtlich die französischen Papiere deutlich mehr verloren, sonst hätte man die Kurse nicht eingefroren.

Zinsänderungen gib es täglich, man kann die Kursänderungen problemlos sehen. Extremereignisse gibt es leider auch genug ( Russlandkrise, Argentinienkrise, zur Zeit drohender Staatsbankrott von Ungarn, Spanien, Island), da kann man Kursbewegungen bei möglichem Ausfall des Emittenten studieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Repo macht eine Momentaufnahme (hat an der Börse keine Bedeutung außer dass in dieser Minute die Kurse eine Notierung von X hatten). Die Börsen (d.h. die Mehrzahl der Marktteilnehmer) mögen bei der Wahl Mitterands (aufgrund seiner sozialistischen Grundtendenz) negatives für die Wirtschaft befürchtet haben. Wenn viele verkaufen, fallen die Preise. Guter Einstiegszeitpunkt für Marktteilnehmer mit einer anderen Einschätzung. Wie lange fielen denn die Kurse? Ist die Pariser Börse in den achtziger Jahren zugrunde gegangen?

Tja, eine Momentaufnahme.
Die aber eine klare Aussage macht.
An jenem Montag sahen die Pariser Börsianer die Zukunft düsterer, als am letzten Tag vor der Besetzung von Paris 1940.
Womit ich silesias Statement:
Natürlich, selbstverständlich. Sie ermitteln stets punktuell/temporär faire Preise.=) Deshalb wundern sich manche über dynamische Verläufe.
unterstreichen wollte.
 
Niall Ferguson ("Der falsche Krieg") schreibt dazu:

Zwischen dem 18. Juli und 1. August (dem letzten Tag, für den Notierungen veröffentlicht wurden) fielen die Staatspapiere aller großen Mächte sehr stark, aber einige tiefer als andere. Russische Vier-Prozenter fielen um 8,7 Prozent, dreiprozentige französische Anleihen um 7,8 Prozent - doch deutsche dreiprozentige Anleihen fielen nur um vier Prozent. Solange der Eintritt Großbritanniens in den Krieg nicht feststand, setzte die City ihr Geld, so wie sie es 1870 getan hatte, auf Moltke.

Die Notierungen in dem Zitat im ersten Posting sind vom 28.07.1914, also eine Woche bevor der Kriegseintritt GB feststand, nämlich am 4. August. Der Kriegseintritt GBs ist also in der Einschätzung noch nicht enthalten.
 
Niall Ferguson ("Der falsche Krieg") schreibt dazu:Zwischen dem 18. Juli und 1. August (dem letzten Tag, für den Notierungen veröffentlicht wurden) fielen die Staatspapiere aller großen Mächte sehr stark, aber einige tiefer als andere. Russische Vier-Prozenter fielen um 8,7 Prozent, dreiprozentige französische Anleihen um 7,8 Prozent - doch deutsche dreiprozentige Anleihen fielen nur um vier Prozent. Solange der Eintritt Großbritanniens in den Krieg nicht feststand, setzte die City ihr Geld, so wie sie es 1870 getan hatte, auf Moltke.

Zeigt, dass ein "Wirtschaftshistoriker" zB mit Schriften über Stadt- und Familiengeschichten eben nicht unbedingt ökonomischen Sachverstand aufweisen muß. Wirtschaft kann halt jeder, und jeder Laie hat dazu eine Meinung.


Die Schlußfolgerungen von Ferguson (der nicht einmal als Ausgangsbasis jeder Beurteilung die internationalen Zinsdifferenzen, die nationalen Anleihebedingungen, Zinssatzdifferenzierungen, Besicherungen und Laufzeiten analysiert) sind imho kurz gesagt ebenso Vulgärökonomie wie diejenigen von Helfferich. Bei letzterem würde ich so ein Urteil aufgrund des damaligen Erkenntnisstandes und der nur rudimentär gegebenen ökonometrischen Forschung als zu hart ansehen. Man kann eben nur die Warnung und Einforderung von Skepsis bei behaupteten wirtschaftsgeschichtlichen Zusammenhängen wiederholen: was offensichtlich ist, ist nicht bewiesen. [hier nicht mal akzeptabel recherchiert]
 
Die Argumente werden immer wilder.

Niall Ferguseon ist nicht nur Geschichtsprofessor, er arbeitet bei GLG Partners, einem der weltgrößten und angesehensten Vermögensverwalter. Er hat also in seiner Arbeit täglich mit praktischen Finanzfragen zu tun - Niall Ferguson - Wikipedia, the free encyclopedia.

Karl Hellferch war habilitierter Volkswirt, Experte für Währungsfragen im Reichskolonialamt, Direktor der Bagdadbahn, Vorstand der Deutschen Bank, Staatssekretär im Reichsschatzamt, Kandidat für die Position des Reichsbankpräsidenten - Karl Helfferich ? Wikipedia.
 
Die Argumente werden immer wilder.

Wild wäre höchstens die naive Herangehensweise an eine bestimmte Literatur. Zu den oben dargestellten Argumenten, der oben dargestellten inhaltlichen Kritik (nämlich Analyseschwächen) kommt ja wieder wie üblich nichts außer einer Wiki-Personenbeschreibung.

zu Ferguson:
Offensichtlich ist Dir nicht bekannt, dass international agierende Vermögensverwaltungen, speziell in amerikanischer Tradition (mit historischem Bezug: 1929), eine payroll für Persönlichkeiten besitzen: so auch große Hedgefonds wie GLG Partners, besonders beliebt im Vorfeld von IPOs. Eine solche Verlinkung steht realiter erstmal nur für einen Geldfluß, nicht aber für einen Image-, schon gar nicht für einen Kompentenztransfer.

Gemessen an seinen Aussagen ist nunmal die dargestellte Oberflächlichkeit Fergusons ein Fakt; daran würde auch eine Anstellung beim chinesischen Staatsfonds nichts ändern.

zu Helfferich:
hier solltest Du Dich etwas zum Erkenntnisfortschritt der VWL und ihres späteren Ablegers BWL seit 1924 und somit in 85 Jahren beschäftigen. Eine Hinweis zu den Kapitalwertmodellen: die stammen aus den 30ern. Als Helfferich 4 Jahre tot war, kam in Deutschland die Bauersche Bewegungsbilanz auf, der Urgroßvater heutiger Kapitalflußrechnungen, von Finanzmarktmodellen mal ganz zu schweigen. Sein beeindruckende Vita schützt weiterhin nicht vor zielgebogenen Interpretationen, die leider zeittypisch waren und der zu verdrängenden Niederlage von 1918 dienlich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ferguson arbeitet in einem Bereich, den GLG in der jetzigen Krise mit Recht für sehr wichtig hält (ich kenne beruflich GLG seit etwa 10 Jahren sehr gut). Übrigens: Der IPO Markt ist seit einiger Zeit tot, da tut sich gar nicht.

Die Ausführungen über Helfferich verstehe ich nicht, es soll wohl ausgedrückt werden, es ist ein wirtschaftlicher Laie. Ein substantiierte Kritik kann ich nicht erkennen.

Geschichte ist ein Hobby von mir und ich bin an Austausch von Informationen bzw. an Sachverhalten interessiert, die andere besser wissen. Dieses thread ist Zeitvergeudung, ich möchte mich daher hier verabschieden.
 
Übrigens: Der IPO Markt ist seit einiger Zeit tot, da tut sich gar nicht.
Bekannt. Es ging auch nach Deinem link um 2007 und um das IPO von GLG, nicht um irgendwann und irgendwelche IPOs.

ansonsten zur Kritik:
Sammelrez: Literaturbericht: 'Erster Weltkrieg' - H-Soz-u-Kult / Rezensionen / Bücher
und Niall Ferguson ? Wikipedia zu den Hinweisen


Die Ausführungen über Helfferich verstehe ich nicht, es soll wohl ausgedrückt werden, es ist ein wirtschaftlicher Laie. Ein substantiierte Kritik kann ich nicht erkennen.
Falsch (betr. "es soll wohl ausgedrückt werden").
Es geht darum, Helfferich mit seinen Darstellungen in den Kontext seiner Zeit und den begrenzten damaligen Erkenntnisstand zu stellen. Die substantiierte Kritik findest Du oben zu den Risikobewertungen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zitat aus der verlinkten Rezension: "Ganz anders verhält es sich dagegen, wenn [Ferguson] das Spekulieren lässt und seine in der Tat bewunderungswürdigen ökonomischen Kenntnisse ausbreitet." ;)


 
Sicher, so sieht Ackermann das in pro und contra. Meine Meinung ist - glaube ich - oben auch klar geworden.

Schließen wir das Zitat der "ökonomischen Kenntnisse" noch ab:
"Man lernt viel über die Finanzierung des Rüstungswettlaufs und über die Steuersysteme verschiedener europäischer Staaten; man liest makaber anmutende, detaillierte Bilanzen über die Kosten für die Tötung eines Soldaten. Auch hier schneidet Deutschland bzw. schneiden die Mittelmächte besser ab als die Entente: Sie töteten mindestens 35 Prozent mehr Soldaten, als sie verloren; auch konnten sie 25 bis 28 Prozent mehr Gefangene machen als die Gegenseite; selbst die Niederlage hatte mehr mit Fehlern der deutschen Strategie zu tun als mit Fortschritten auf alliierter Seite.

Der nahe liegenden Frage, warum trotz aller angeblichen Überlegenheit Deutschland den Krieg schließlich dennoch verlor, weicht Ferguson nicht aus. Er konstatiert eine „Krise der Kampfmoral“ auf deutscher Seite und eine in den letzten drei Kriegsmonaten zunehmende Kapitulationsbereitschaft vieler deutscher Soldaten; daher habe der Krieg nicht länger fortgesetzt werden können."

-> "man lernt viel und bewunderungswürdig" ist eben relativ. :winke: Zu dem britischen, deutschen und französischen Finanzierungsverhalten bis 1918 gibt es bessere Publikationen.
 
Ein Zitat im Nachtrag, weil es ganz interessant im Hinblick auf die oben postulierten "Siegeseinschätzungen" ist:

Ende Juli 1914 gingen dem Bankensystem rd. 15-20 % der gesamten Einlagen verloren. Den Sparkassen wurden Ende Juli 1914 bis zum 1.8.1914 von ihren ca. 2 Mio. Kunden "in kopfloser Torheit" Einlagen von 200-300 Mio. entzogen. Ein Einzelfall: die Sparkasse Halle hatte einen Einlagensaldo von +212 T-RM im Juni 1918, und verlor folgende Beträge: 27.7.: -161 T-RM, 28.7. -70 T-RM, 29.7. -97 T-RM, 30.7. -168 T-RM, 31.7. - 71 T-RM, 1.8. - 121 T-RM. [Reusch, Die deutschen Sparkassen während des Krieges, NachrBl. Deutsche Bank 1918, S. 4]

Und dazu passend:
Die private Hortung von Gold führte vom 23.7. bis 31.7.1914, also innerhalb von 8 Tagen, zu einem beachtlichen Abschmelzen des Metallschatzes der Reichsbank (von 1357 Mio. RM auf 1253 Mio. RM). Die Reichsbank reagierte darauf mit einer Anhebung des Diskontsatzes von 4 auf 5 % am 31.7.1914/1.8.1914. Das blieb erfolglos, die Goldauslösung der Reichsbanknoten wurde daraufhin eingestellt. Am 2.8.1914 wurde der Diskontsatz von 5 auf 8% angehoben.

Danach ergibt sich ein etwas anderes Bild.
 
Eine weitere Arbeit zum Thema (Weltkrieg und Finnzen):

Sperandei, Maria:
The Influence of Financial Crisis on National Security Politics
Dissertation Cornell University 2013
Online Ressource:
eCommons@Cornell: The Influence Of Financial Crises On National Security Policies


"What influence do financial crises exert on states' security policies, specifically crisisstricken states' military spending, threat assessment, and war prospects? This dissertation finds that, after the start of financial crises, the national security policies of crisis-stricken governments shift towards greater assertiveness or greater caution. Whether greater assertiveness or towards greater caution is realized depends on government exposure to high finance, that is the extent to which crisis-stricken governments rely on the largest transnational financial and business interests to solve the financial crisis. Specifically, the national security policies of a crisis-stricken government will move towards greater assertiveness if the government's exposure to high finance is low, and towards greater caution if the government's exposure to high finance is high. As a result, the national security policies of a crisis-stricken government having low affinity with high finance, namely a low predisposition to include the financial and economic preferences of high finance in its policy agenda, will be inflated when the government has a low exposure to high finance and curbed when the same government has a high exposure to high finance. Differently, the national security policies of a crisis-stricken government having high affinity with high finance, namely a high predisposition to include the preferences of high finance in its policy agenda, will become extra cautious when the government has a high exposure to high finance. The theoretical foundations underlying the argument of this dissertation do not allow determining the character of the national security policies of a crisis-stricken government having a high affinity with high finance and a low exposure to high finance. Relying on archival research, process tracing, text analysis, numerical data analysis and counterfactual analysis, I demonstrate these relationships over a total of 14 instances of financial crises affecting the security policies of a total of six states- Japan, Italy, the United States, Austria-Hungary, Germany and Great Britain-in the period between 1880 and 1940."
 
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