Anrede zwischen Adel und Bürgern - Renaissance/Barock

Theoderich

Mitglied
Hallo, ich dachte mir, ich stelle die Fragen hier, weil es sich nur um wissenslücken handelt.

Also, es geht um die korrekte bzw gebräuchliche Anrede zwischen Adligen oder Vornehmen, aber auch bessergestellten Bürgern im 16./ 17. Jahrhundert.
Ich habe zum Beispiel mal die Anrede euer Liebden gehört, nehme aber an, das das mehr für wirklich wichtige Personen galt. Wurde beim Anreden immer der Titel vorangestellt, soweit vorhanden, hatte einfach jeder einen Titel, haben sich gleichgestellte mit vornahmen angeredet, wie war denn das bei sagen wir zwei gutbetuchten Pfeffersäcken in Antwerpen, nur so als Beispiel.
Und hat sich selbiges im Laufe dieser zwei Jahrhunderte verändert?

Mit der Bitte um Erleuchtung verbleibe ich ....:winke:

Gruß Theoderich
 
Niedrigergestellte wurden mit "Du" angesprochen: "Geh mir aus dem Weg, Bauer!"
Gleichgestellte wurden ebenfalls mit einem "Du" angesprochen (die Form "Ihr" würde eine unhöfliche Distanz und Beleidigung ausdrücken): "Was sind deine nächsten Pläne? Willst du in Frankreich einfallen?"
Höhergestellte sprach man immer mit "Ihr" an: "Was meint Ihr dazu, Euer hochfürstliche Gnaden?"

Später, im ausgehenden Barock und beginnendem Rokoko, wurden dann auf einmal alle gesiezt. "Weshalb sollte ich kommen, Herr Papá?" - "Frau Mamá meinte, sie bräuchte meine Hilfe."
Niedrigergestellte wurden mit "Er" tituliert: "Er möge mir aus dem Weg gehen, will er denn nicht umgebracht werden."
Gleichgestellte wurden auch mit "Ihr" angeredet: "Was meint Ihr, Herr Kollege?"
 
Später, im ausgehenden Barock und beginnendem Rokoko, wurden dann auf einmal alle gesiezt. "Weshalb sollte ich kommen, Herr Papá?" - "Frau Mamá meinte, sie bräuchte meine Hilfe."
Niedrigergestellte wurden mit "Er" tituliert: "Er möge mir aus dem Weg gehen, will er denn nicht umgebracht werden."
Gleichgestellte wurden auch mit "Ihr" angeredet: "Was meint Ihr, Herr Kollege?"
Kommt wohl auf die Gegend an. Ein Volkskundler sagte mir mal, dass in seiner Gegend das Ihrzen noch bis ins Empire üblich blieb.

Mein Eindruck ist, dass allerdings im 18.Jh. üblich war:
Das "Wir" von Majestätspersonen, Durchlaucht, Respektspersonen (auch Bürgermeister an Untertanen) nach Unten.
Siezen - unter Gleichrangigen.
Ihrzen - althöflich, wenn man französisch spricht ja sowieso, manchmal auch von oben nach unten, wenn der Untere nicht unbedeutend war, z.B. der höchstrangige Bediente.
Duzen - nur im Vertrauen, in der Oberschicht untereinander unüblich, auch die Gattin wird gesiezt.
Erzen - von oben nach unten, wenn man dem anderen damit eine Ehre antun wollte - z.B.: "Herr Wirt, bring er mir das Bier!".

Dabei gab es bestimmte Geflogenheiten schon früh, manche altmodischen Anreden wurden aber auch länger regional beibehalten.

Mich würde interessieren, woher ihr die Beispiele für das 17.Jh. habt. Gibt es Quellen, worin die Anreden an die verschiedenen Stände allesamt drin vorkommen?
 
Kommt wohl auf die Gegend an. Ein Volkskundler sagte mir mal, dass in seiner Gegend das Ihrzen noch bis ins Empire üblich blieb.


Vom 16. Jahrhundert weiß ich nichts.

Jedoch war das "Ihrzen" in den Dörfern Oberschwabens, wo heute alle Einheimischen "per Du" sind, älteren Personen gegenüber noch in meiner Jugend üblich.
 
Mich würde interessieren, woher ihr die Beispiele für das 17.Jh. habt. Gibt es Quellen, worin die Anreden an die verschiedenen Stände allesamt drin vorkommen?
Das würde mich aber auch interessieren, zumal sich mitnichten alle, bzw. später alle Gleichrangigen geduzt haben.
Geduzt hat man sich nur, um entweder die mindestellung des anderen auszudrücken, oder aber auch äusserlich, in der Gesellschaft eine tiefe verbundeheit/Freundschaft auszudrücken.
Es konnt doch nicht jeder Adlige jeden anderen Adligen einfach duzen. Zumal gerade auch die Anrede einer Frau zum Manne und umgekehrt ohnehin brisant war. Es mussten doch die Sitten des Anstand, jedenfalls formal gewahrt bleiben.

*Nachtrag*
Zu "Euer Liebden" findet sich folgender interessanter Eintrag

Liebden, ein Abstractum, mit welchem sich nur noch fürstliche so wohl vermählte, als verwandte und nicht verwandte Personen, mit den Fürwörtern Euer oder im Schreiben Ew. Deine, Ihre, anzureden pflegen. Fürstliche Personen gleiches Standes pflegen sich mit Ew. Liebden anzureden, und königliche und kaiserliche Personen geben bloß fürstlichen entweder diesen Titel gleichfalls, oder, wie besonders von dem Kaiser in einigen Fällen geschiehet, nur Deine Liebden. Es bedeutet so viel als geliebt, und ist unser heutiges Liebe, mit welchem noch auf den Kanzeln die Prediger ihre Gemeine anzureden pflegen. Eure Liebe oder eure christliche Liebe wolle u.s.f. Im Theuerdanke wird die Königinn nur Euer Lieb angeredet. Im Ober- und Niederdeutschen sind mehrere Abstracta mit der Endung de üblich, welche im Hochdeutschen nur ein e haben; und im Nieders. ist so wohl Leeste als Leve für Liebe üblich. In den mittlern Zeiten wurde Agape auf ähnliche Art gebraucht. Aichinger und einige andere Sprachlehrer halten Liebden für den Plural; allein das n scheint vielmehr ein bloßer müßiger Oberdeutscher Anhang zu seyn.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 2057.
 
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Vom 16. Jahrhundert weiß ich nichts.

Jedoch war das "Ihrzen" in den Dörfern Oberschwabens, wo heute alle Einheimischen "per Du" sind, älteren Personen gegenüber noch in meiner Jugend üblich.

Ich kenn's aus Dörfern in Elsaß-Lothringen und aus meinem Heimatdörflichen Dialekt, wo es heute noch in erster Linie gegenüber Fremden angewendet wird. Ich ertappe ich mich auch hin und wieder dabei eine fremde Einzelperson mit "ihr/euch" anzusprechen, wobei ich mutmaße, daß Fremden damit direkt klar gemacht werden soll, daß sie nicht "von hier" sind und zu einer anderen Gruppe sonstwo gehören, also "wir" gegen "euch". Ansonsten ist man im Dorf auch per du.

Nachtrag: Etwas OT, da es nicht aus dem deutschen Raum kommt, aber die Idee, daß auf Englisch jeder per du sei, stimmt strikt genommen nicht. "You" ist eigentlich die Pluralform, die dem "Ihr" entspricht, während "thou" und "thee" eigentlich "du" sind. Im 17. Jahrhundert haben die Quäker sich damit unbeliebt gemacht jeden per du anzusprechen, welches schon langsam anderweitig nicht mehr benutzt wurde. Heutzutage sind "thou" und "thee" extrem altmodisch, und "you" gilt als "du".
 
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Nachtrag: Etwas OT, da es nicht aus dem deutschen Raum kommt, aber die Idee, daß auf Englisch jeder per du sei, stimmt strikt genommen nicht. "You" ist eigentlich die Pluralform, die dem "Ihr" entspricht, während "thou" und "thee" eigentlich "du" sind. Im 17. Jahrhundert haben die Quäker sich damit unbeliebt gemacht jeden per du anzusprechen, welches schon langsam anderweitig nicht mehr benutzt wurde. Heutzutage sind "thou" und "thee" extrem altmodisch, und "you" gilt als "du".
Zumal noch eine Besonderheit dazukam: Selbst wenn man befreundet war, duzte man sich genaugenommen nicht, zumindest nicht in Verbindung mit dem Vornamen, sondern man sprach sich dann mit dem Nachnamen an.
Nur sehr selten , bzw. intim wurde das du mit dem Vornamen genannt.
Einen Charles Bingley nannten Nachbarn und Freunde (vor allem Weibliche) in erster Linie Bingley, nicht Charles, was zu vertraut, ja intim gewirkt hätte.
 
Zumal noch eine Besonderheit dazukam: Selbst wenn man befreundet war, duzte man sich genaugenommen nicht, zumindest nicht in Verbindung mit dem Vornamen, sondern man sprach sich dann mit dem Nachnamen an.
Nur sehr selten , bzw. intim wurde das du mit dem Vornamen genannt.
Einen Charles Bingley nannten Nachbarn und Freunde (vor allem Weibliche) in erster Linie Bingley, nicht Charles, was zu vertraut, ja intim gewirkt hätte.

So wird das teilweise noch immer gehandhabt. :) Und es erinnert mich gerade an einen Brief, glaube ich, aus dem späten 17. Jahrhundert in dem sich jemand über die "Unsitte" bei jungen Leuten die frisch verheiratet sind und sich zu intim mit dem Vornamen ansprechen, aufregt. Hmm, muß mal schauen wo ich das her habe... :grübel:
 
Ich kenn's aus Dörfern in Elsaß-Lothringen und aus meinem Heimatdörflichen Dialekt, wo es heute noch in erster Linie gegenüber Fremden angewendet wird. Ich ertappe ich mich auch hin und wieder dabei eine fremde Einzelperson mit "ihr/euch" anzusprechen, wobei ich mutmaße, daß Fremden damit direkt klar gemacht werden soll, daß sie nicht "von hier" sind und zu einer anderen Gruppe sonstwo gehören, also "wir" gegen "euch". Ansonsten ist man im Dorf auch per du.

Nachtrag: Etwas OT, da es nicht aus dem deutschen Raum kommt, aber die Idee, daß auf Englisch jeder per du sei, stimmt strikt genommen nicht. "You" ist eigentlich die Pluralform, die dem "Ihr" entspricht, während "thou" und "thee" eigentlich "du" sind. Im 17. Jahrhundert haben die Quäker sich damit unbeliebt gemacht jeden per du anzusprechen, welches schon langsam anderweitig nicht mehr benutzt wurde. Heutzutage sind "thou" und "thee" extrem altmodisch, und "you" gilt als "du".



Das ist interessant Danke.

Das "thee" ist mir zu Pennälerzeiten mal in einem Kirchenlied begegnet.
Zu meinem großen Erstaunen.
Dass Sprache lebt und sich ständig ändert war mir damals eine völlig neue Erfahrung.
 
Eine andere Fragen: gibt es irgendwelche Hinweise, ab wann siezen überhaupt üblich war?

Einerseits habe ich vor einigen Monaten eine Schreibwerkstatt besucht, wo der Referent "predigte", dass siezen erst im 18. Jahrhundert üblich war und daher in historischen Romanen vor dieser Zeit auf keinem Fall vorkommen darf, wenn diese authentisch wirken sollen.

Andererseits aber ist zum Beispiel aufgefallen, dass sich einem Roman wie z. B "Wölfe" (Hilary Mantle, Übersetzung aus dem Englischen, spielt zurzeit von Henry VIII.) ein Thomas Cromwell Figuren, die in etwa gleichgestellt sind, durchaus siezt.
 
Im Plattdeutschen hat sich das Siezen ja nie durchgesetzt. Aus Paderborn gibt es Berichte aus dem 18.Jh. , dass der Fürstbischof es sich gefallen lies auf der Straße vom geringsten Tagelöhner mit "Du, Herr Bischof" angeredet zu werden. Genauer gesagt, gab es wohl Bischöfe, die es sich gefallen ließen, andere, die es sich gefallen lassen mussten, und wieder andere, die das Hochstift Paderborn erst gar nicht betraten.
 
Eine andere Fragen: gibt es irgendwelche Hinweise, ab wann siezen überhaupt üblich war?

Einerseits habe ich vor einigen Monaten eine Schreibwerkstatt besucht, wo der Referent "predigte", dass siezen erst im 18. Jahrhundert üblich war und daher in historischen Romanen vor dieser Zeit auf keinem Fall vorkommen darf, wenn diese authentisch wirken sollen.

Andererseits aber ist zum Beispiel aufgefallen, dass sich einem Roman wie z. B "Wölfe" (Hilary Mantle, Übersetzung aus dem Englischen, spielt zurzeit von Henry VIII.) ein Thomas Cromwell Figuren, die in etwa gleichgestellt sind, durchaus siezt.

Wenn du Übersetzungen aus dem Englischen heranziehen willst, solltest du dich wohl besser an ältere halten. Baudissin verwendet in seiner ca. 200 Jahre alten Übersetzung des Lear, Euch und Euer.
 
Kann mir vielleicht jemand ein gutes wissenschaftliches Fachbuch zu dem Thema empfehlen, wobei es nicht schlecht wäre, wenn in dem Buch auch schon die frühe Neuzeit und vielleicht auch das spätere Mittelalter berücksichtigt sind?
 
In früheren Zeiten hat man zumindest im englischen auch zwischen "thou" und "you" unterschieden.

Ich werd mich gelegentlich auf meine Fachliteratur stürzen, um zu schauen, wann welches Wort verwendet wurde.

:winke:
 
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