Aufbau von norditalienischen Republiken

Mithridates

Aktives Mitglied
Mich würde es eigentlich brennend interessieren wie die norditalienischen Republiken (Genua, Venedig, Pisa usw.) eigentlich aufgebaut waren? Sie waren keine Republiken in dem Sinne was wir heute verstehen, also keine wirkliche "Republik des Volkes", sondern des Kapitals bzw. Kaufleute und Adligen.
Nun weiß ich eigentlich nur dunkel, dass in Venedig mehrere Stände existierten also die Cittadini (Kaufleute) und die Populani (arbeitende Volk), doch wer ernannte in Venedig eigentlich den Dogen? Es kann ja nicht wie in einer Monarchie gewesen sein, bestimmt wurde ein Doge ja gewählt, sonst wäre es ja keine Republik, zudem gab es eigentlich ein Kontrollgremium für einen Dogen in Venedig oder in Genua, Pisa etc.?
Gab es ein Parlament oder einen Rat?
Wie stand es eigentlich mit einer Verfassung oder etwas wie ein bürgerliches Recht?

Danke schon einmal für Antworten :D
 
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Doge von Venedig – Wikipedia

Republik Venedig – Wikipedia

Venedig – Wikipedia

Aus dem Artikel zum Dogen:

Wahlverfahren

Das Verfahren der Dogenwahl wurde im Laufe der Zeit immer komplizierter. Genügten 1172 bei der Wahl des 39. Dogen, Sebastiano Ziani, noch zwölf Wahlmänner, so brauchte man bei der Wahl seines Nachfolgers schon ein vierzigköpfiges Wahlkollegium. Die Sorge der Familien, es könnte einer unter ihnen die Herrschaft an sich reißen und nach dem Muster anderer italienischer Städte eine Familiendynastie durchsetzen, führte zu einem komplizierten Verfahren, mit dem man Wahlmanipulationen ausschließen wollte. Das Wahlsystem selbst war eine Mischung aus Zufallsentscheidung durch das Los und einer öffentlichen, freien und sorgfältig durchgearbeiteten Beratung und Beschlussfassung.

Wählbar waren Mitglieder des Großen Rates, von denen jeder eine Loskugel in einer Urne deponierte. Auf dem Markusplatz wurde ein etwa zehnjähriger Knabe (Ballottino) ausgesucht, der aus der Urne 30 Loskugeln zog.

30 Kugeln wurden durch Los auf 9 reduziert. Diese 9 wählten 40.
40 wurden durch Los auf 12 reduziert. Diese 12 wählten 25.
25 wurden durch Los auf 9 reduziert. Diese 9 wählten 45.
45 wurden durch Los auf 11 reduziert. Diese 11 wählten 41.
Die 41 nominierten den Dogen zur Billigung durch die Versammlung (nach Frederic C. Lane).
Das Quorum für die Wahl des Dogen war 25 Stimmen. Der Ballottino gehörte nach der Wahl zum Gefolge des Dogen.

Der Doge konnte von der Signoria abgesetzt werden, es war ihm aber verboten zurückzutreten. Die Amtszeit galt unbegrenzt bis zum Tod des Dogen.
 
Ich greife dieses Thema noch einmal auf, weil ich begonnen habe, mich ebenfalls für diese Republiken zu interessieren. Mit dem venezianischen System habe ich mich schon intensiver beschäftigt; im Internet lassen sich ja zahlreiche Informationen zu den einzelnen Gremien und Räten finden. Über die genauen politischen Systeme der anderen Republiken (Genua, Pisa) konnte ich allerdings nur sehr allgemeine Informationen finden. So weiß ich, dass Genua ebenfalls einen Dogen hatte, aber welche Gremien es genau gab und welche konkreten Kompetenzen diese hatten, konnte ich nicht herausfinden. Es wäre daher schön, wenn jemand zu den politischen Systemen von Genua und Pisa nähere Angaben machen könnte.

Viele Grüße

Moctezuma II. :winke:
 
Während sich in Venedig ein festes Staatsgefüge entwickelt hatte, welches sich bewährt hatte und über Jahrhunderte unangetastet blieb, befand sich Genua in ständigen Veränderungen, die ,letztendlich zu einer Schwächung der Republik führten.
Im Mittelalter wurde Genua vom großen Rat, der aus den reichsten Adelsfamilien gebildet wurde regiert. An der Staatsspitze stand zunächst ein Konsul, ab dem 12. Jh. Podesta genannt. Erst im Jahr 1339 wurde das Amt des Dogen ins Leben gerufen, der bedeutend weniger Machtbefugnisse als , zuvor der Podesta innehatte. Mit dem Wandel zur Dogenrepublik erhielt das Volk das Recht einige Ämter zu wählen. 1353 wurde dem Volk das volle Wahlrecht , über sämtliche Ämter übergeben.
Ab dem Ende des 14. Jh. geriet Genua zunehmend unter den Einfluss Frankreichs. Ein großer Machtfaktor in der Stadt und den Kolonien war die San- Giorgio-Bank.
Genuas Flotte betrieb die Seeräuberei und die genuesischen Kaufleute war stark im Sklavenhandel tätig.
Andrea Doria, der sich faktisch zum Diktator auf Lebenszeit und Fürst gemacht hatte, gab dem Staat eine neue Verfassung ,die die Regierungszeit des Dogen auf zwei Jahre beschränkte. Er unterstellte Genua der Oberhoheit des Heiligen Römischen Kaiserreiches, was den Einfluss Spaniens enorm erhöhte.

Pisa, noch kriegerischer veranlagt, als Genua und hatte auch ständig wechselnde Regierungsformen. Aber auch hier gab es den großen Rat, der aus den reichsten Adelsfamilien bestand, an der Spitze zuerst Konsuln später einen Podesta.
Anfang des 13. Jh. zerstörten die Pisaner ihre Konkurrenzstadt Amalfi und vernichteten deren Handelsmacht.
 
Hallo Galeotto,

wenn du schreibst, dass das Volk konnte einige bzw. später alle Ämter in Genua wählen, sind damit allgemeine Wahlen gemeint, bei denen alle Bürger und nicht nur der Adel abstimmen konnten? Wieso kam es zu dieser Entwicklung, in Venedig hielt die Adelsherrschaft ja über sehr lange Zeit an?

Kann man zufällig irgendwo nachlesen, welche Ämter es in Genua genau gab und welches Amt mit welchen Kompetenzen verknüpft war? In Venedig war das System ja sehr komplex (mit Großem Rat, Kleinem Rat, Rat der Vierzig, Rat der Zehn, etc.).

Viele Grüße

Moctezuma II. :winke:
 
Hallo Montezuma, hierin könntest Du sicher was finden. PITTIONI, Manfred
Genua - die versteckte Weltmacht.
Ab dem 12. Jh. wählte das Volk die Heerführer, Magistrate und Beamten. Die Stimmen des Adels zählten aber mehr, sodass das Volk praktisch von der Macht ausgeschlossen war. Mir ist nur der eine große Rat bekannt. Ich weiß aber nicht, aus wievielen Männern dieser bestand. Der Podesta besaß eine viel größere Macht als, später, nach der Einführung dieses Amtes, der Doge.
Bei den Wahlberechtigten, in der Dogenzeit handelte es sich um die gesamte männliche Bevölkerung der Stadt.
Im 16. Jh., zur Zeit Andrea Dorias gab es auf alle Fälle, einen großen und einen kleinen Rat. Ob es diese beiden Institutionen auch schon im Mittelalter gab ist mir nicht bekannt.

Wenn Du mit altdeutscher Schrift zurecht kommst, findest Du hier auch noch etwas .Historisch-kritische Nachrichten von Italien: Welche eine genaue ... - Johann Jacob Volkmann - Google Books
 
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Doge wurde im Deutschen mit Herzog übersetzt. In Pilgerberichten aus dem 15. Jh. ist häufig vom Herzog von Venedig die Rede.
 
Ich weiß nicht, ob ich damit nicht falsch liege, aber:
Auch in vielen deutschen Städten des Mittelalters (reichsunmittelbar oder nicht) gab es einen "Kampf" zwischen Stadtadel/Patriziern/Großkaufleuten und (zünftigen) Handwerkern, der oft in einer Mitbeteilung der Zünfte an der Stadtregierung mündete.
Ich denke analog (zeitlich wahrscheinlich etwas früher, weil in Italien im MA immer alles etwas früher war:pfeif:) kann man sich auch die zeitweise Beteiligung des "einfachen Volkes" in den norditalienischen Republiken vorstellen.

Die Frage "Adelsrepublik" oder "Volksrepublik" hat sich doch auch beispielsweise in der Römischen Republik gestellt....

OT: Dies bitte nicht tagesaktuell oder politisch/gesinnungsmäßig auslegen (besonders nicht in Polen, wo es zwei Republiken gab, die man ebenfalls so nennen könnte) - die beiden Republiken stehen bewusst in " ".
 
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Die Frage "Adelsrepublik" oder "Volksrepublik" hat sich doch auch beispielsweise in Rom gestellt....
Im Prinzip, kann man die italienischen Stadtstaaten mit der römischen Republik vergleichen. Der Aufbau des Staates war dem, der Römer durchaus ähnlich.

In Genua waren die adligen Familien, anders als in Venedig aber entschieden reicher und mächtiger als der Staat.
 
OT: Dies bitte nicht tagesaktuell oder politisch/gesinnungsmäßig auslegen (besonders nicht in Polen, wo es zwei Republiken gab, die man ebenfalls so nennen könnte) - die beiden Republiken stehen bewusst in " ".
Ich glaube, bisher steht das Wort Volksrepublik noch nicht auf der Forumsliste der ganz bösen Worte.:devil:
 
1380 erlitt Genua die entscheidende Niederlage gegen Venedig bei Chioggia.

In Genua waren die adligen Familien, anders als in Venedig aber entschieden reicher und mächtiger als der Staat.
Interessant bei Genua ist die Verflechtung zwischen Staats- und Privatinteressen am Beispiel der Banco di San Giorgio ? Wikipedia

Täuscht es mich, oder hat Venedig versucht dies etwas besser zu trennen?
Wenn ja, war Venedig vielleicht auch deshalb dauerhafter eine politische Macht? :grübel:

Nach und während der Kreuzzüge standen doch beide als gleichberechtigte Konkurrenten mit Kolonien/Handelsniederlassungen im gesamten Mittelmeerraum da (Genua auch am Schwarzen Meer).
Fragen über Fragen....:winke:
 
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Täuscht es mich, oder hat Venedig versucht dies etwas besser zu trennen?
Wenn ja, war Venedig vielleicht deshalb dauerhafter eine politische Macht? :grübel:

Nach und während der Kreuzzüge standen doch beide als gleichberechtigte Konkurrenten mit Kolonien/Handelsniederlassungen im gesamten Mittelmeerraum da (Genua auch am Schwarzen Meer).
Fragen über Fragen....:winke:

Hier hatten wir schon mal was über den Unterschied der Beiden: http://www.geschichtsforum.de/f39/venezianischer-pragmatismus-48585/

Im Mittelalter verglich (ich weiß nicht genau wer das war, muss mal nach dem Namen suchen) ein Zeitgenosse die Genuesen mit Esel und die Venezianer mit Schweinen.
Die Esel würden, wenn man sie schlägt alle auseinanderlaufen
Schweine würden sich dagegen eng zusammenrotten und den Schlagenden über den Haufen zu rennen.
 
Interessant bei Genua ist die Verflechtung zwischen Staats- und Privatinteressen am Beispiel der Banco di San Giorgio ? Wikipedia

Täuscht es mich, oder hat Venedig versucht dies etwas besser zu trennen?
Wenn ja, war Venedig vielleicht auch deshalb dauerhafter eine politische Macht? :grübel:

Nach und während der Kreuzzüge standen doch beide als gleichberechtigte Konkurrenten mit Kolonien/Handelsniederlassungen im gesamten Mittelmeerraum da (Genua auch am Schwarzen Meer).
Fragen über Fragen....:winke:

Diese Frage hat mich auch oft beschäftigt. Warum stieg Venedig zu einer europäischen Großmacht auf, während Genua seit dem späten Mittelalter zum Spielball Frankreichs und Mailands wurde und nur noch als Regionalmacht Bedeutung hatte?

Ich könnte mir denken, dass zunächst die geografische Lage eine Rolle spielte. Venedig lag als Inselrepublik strategisch günstig und ist während seiner gesamten Existenz niemals erobert worden. Erst Napoleon setzte dem ein Ende. Somit konnte Venedig weniger von großen Landmächten wie Frankreich oder Spanien erpresst werden, ganz im Gegensatz zu Genua, das zuweilen französische Besatzung oder Eingriffe der Mailänder Visconti erdulden musste.

Ein genialer Schachzug Venedigs war schließlich der Vierte Kreuzzug, der mit Hilfe einer venezianischen Flotte und unter maßgeblicher Mitwirkung des venezianischen Dogen Enrico Dandolo zur Eroberung Konstantinopels führte. Venedig eignete sich durch diesen Beutezug nicht nur Kreta an, sondern besetzte zahlreiche Inselgruppen in der Ägäis. 1489 erwarb Venedig auf raffinierte Art und Weise Zypern Caterina Cornaro ? Wikipedia, das zusammen mit Kreta wie ein Flugzeugträger im östlichen Mittelmeer lag. Somit beherrschte Venedig nahezu monopolartig den gesamten Handel im östlichen Mittelmeer.

Diese Machtstellung brach erst allmählich beim Vordringen der Türken zusammen und wurde ab dem 16./17. Jh. durch Verlagerung der Handelswege im Zuge der Kolonialisierung Amerikas nachhaltig geschwächt. Genua spielte in diesem Mächtepoker längst keine Rolle mehr, während zur frühen Neuzeit auch Venedig allmählich zu einer Regionalmacht absank. Es bewahrte allerdings bis zuletzt seinen glanzvollen Ruf als große Kulturstadt, die den europäischen Adel und führende Persönlichkeiten in ihren Bann zog.
 
@Dieter, all das, was Du angeführt hast ist sicher richtig. Ich vermute aber auch, dass der unbedingte Zusammenhalt, der immer das Interesse des Staates, über die Privatinteressen stellte, die Bestrafungen auch angesehenster Männer, die der Serenissima Schaden zugefügt hatten, machte Venedig zu einem homogeneren Gebilde als Genua, in dem Privatinteressen, über denen der Allgemeinheit standen. Venedig war vollkommen auf das Meer angewiesen, was auch der Name "Stato da mar" wiederspiegelte.
 
@Dieter, all das, was Du angeführt hast ist sicher richtig. Ich vermute aber auch, dass der unbedingte Zusammenhalt, der immer das Interesse des Staates, über die Privatinteressen stellte, die Bestrafungen auch angesehenster Männer, die der Serenissima Schaden zugefügt hatten, machte Venedig zu einem homogeneren Gebilde als Genua, in dem Privatinteressen, über denen der Allgemeinheit standen. Venedig war vollkommen auf das Meer angewiesen, was auch der Name "Stato da mar" wiederspiegelte.

Dieser Aspekt spielt mit Sicherheit eine große Rolle. Das politische System der Serenissima war so fein und klug austariert, dass Umstürze oder Verschwörungen keine Chance hatten und auch adelige Interessengruppen nicht die Macht übernehmen konnten. Wurde derartiges ruchbar, reagierte der Staat mit ganzer Schärfe, was nahezu stets mit Todesurteilen endete. Besonders in der Frühzeuit Venedigs versuchten einige Dogen, eine absolute Herrschaft durch einen Staatsstreich zu errichten, was immer die Hinrichtung nach sich zog.

Im übrigen scheint die venezianische Elite besonders patriotisch gewesen zu sein, was den Zusammenhalt der Staatsmacht förderlich war.
 
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