Aufgeklärter Absolutismus und tatsächliche Herrschaftsverhältnisse

Scorpio

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Ich bin durch einige benachbarte Threads auf das Thema gekommen, bei denen aber nicht so ganz klar wurde, um was es dem Ersteller konkret geht.

Herrscher, die sich zu den Werten der Aufklärung bekannten gab es im 18. Jahrhundert einige, darunter sicher durchaus beeindruckende Persönlichkeiten, und kulturell und politisch hat das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung ein bedeutendes Kulturerbe hinterlassen. Zu Vertretern des aufgeklärten Absolutismus zählen "große" Herrscher wie Friedrich II. von Preußen, Joseph II., Leopold II. Katherina II. von Russland. Auch unter den Fürsten des Reiches verstanden sich etliche als Fürsten der Aufklärung, zu erwähnen wären Karl August von Weimar, Franz Ludwig von Erthal, der Fürstbischof von Bamberg und Würzburg, Franz von Schönborn, Karl I. von Braunschweig, Friedrich II. von Hessen-Kassel.

Von Bewunderern von Herrschern wie Friedrich II. von Preußen wird gerne erwähnt, dass das friderizianische Preußen in gewisser Weise ein Rechtsstaat gewesen sei und dass der aufgeklärte Absolutismus die Notwendigkeit einer Revolution überflüssig gemacht habe.

Am Ende des Zeitalters des Absolutismus standen trotzdem drei Revolutionen, die das Ende des Ancien Regimes begründeten: Die Amerikanische Revolution, die Französische Revolution und die Industrielle Revolution.

Insgesamt blieben die Reformen relativ spärlich, sei es in Preußen, sei es in Österreich und erst recht im Reich der großen Zarin.

Bin momentan etwas schreibfaul, aber wie denkt ihr darüber?
 
Von Bewunderern von Herrschern wie Friedrich II. von Preußen wird gerne erwähnt, dass das friderizianische Preußen in gewisser Weise ein Rechtsstaat gewesen sei

Es gibt ein relativ bekanntes Gegenbeispiel zu der These, dass Preußen unter Friedrich II. tatsächlich ein Rechtsstaat war: Der Müller-Arnold-Fall.
Friedrich hob dabei Gerichtsurteile auf, sprach einem Müller Schadenersatz zu und sorgte dafür, dass drei Richter 9 Monate Haft in der Festung Spandau verbüßten. Rein subjektiv wird dem Müller wahrscheinlich per Gericht eine Ungerechtigkeit widerfahren sein. Friedrichs Eingreifen war aber gegen seine eigenen Gesetze, gegen seine Rechtsordnung und somit im Widerspruch zu dem, was einen Rechtsstaat ausmacht. Es war ein königlicher "Ukas".
 
Insgesamt blieben die Reformen relativ spärlich, sei es in Preußen, sei es in Österreich und erst recht im Reich der großen Zarin.
Eben.

Egal wie man es betrachtet: Einem "gerechten" Potentaten können ungerechte folgen – und das Ganze ist beim Teufel. Augustus, der erste Kaiser Roms, und Hogwu, der erste Kaiser der Ming-Dynastie, waren „weise, gute und vielleicht sogar gerecht“, was dazu führte, dass man ihnen immer mehr Macht übertrug. Aber das war nur solange erfolgreich, bis sich auch die folgenden Kaiser an deren Maximen hielten – siehe dazu auch den Thread Warum prosperierenden Staaten doch untergehen.

Aus diesem Grund ist jede Machtkonzentration auf eine Person oder auf ein erbliches oder nicht zeitlich begrenztes Amt abzulehnen, weil letztlich zum Scheitern verurteilt.
 
Die Frage nach der Bedeutung des "aufgeklärten Absolutismus", Scorpio hatte es bereits angedeutet, hat eine starke persönliche Komponenten und auf der anderen Seite die offizielle Seite der Form der Staatsführung.

Es gab eine Reihe von "aufgeklärten Monarchen" in Europa, die Teile des Gedankenguts der Aufklärung positiv aufgenommen haben. Allerdings ist der Grad der Umsetzung der reformerischen Ideen nicht unbedingt ein Abbild ihres "aufgeklärten Weltbilds".

Enlightened absolutism - Wikipedia

In diesem Sinne formuliert Baumgart: "Alle diese Maßnahmen auf dem Sektor des Justizwesens dienten letztlich der Errichtung des Rechtsstaates sowie der Gewaltenteilung im Geiste Montesquieus. Und dies wiederum geschah mit Billigung und Förderung durch einen Monarchen, der für sich in Anspruch nahm, ein absoluter Herrscher zu sein.

Friedrich der Große hat in der Theorie diesen Grundsatz nie aufgegeben, sondern ihn lediglich durch eine naturrechtliche Theorie vom Staatsvertrag rational zu begründen versucht. Er verzichtete als Repräsentant eines "aufgeklärten Absolutismus" bewußt auf das ältere Gottesgnadentum der Könige und gab das christlich-protestantische Selbstverständnis des Vaters als "Gottes Amtmann" völlig preis.

Er trennte die Person und die Dynastie vom Staat und machte den Souverän zum Vollstrecker der auf Sicherheit, Rechtswahrung, aufgeklärte Wohlfahrtspolitik zielende Staatszwecke; er konnte ihn daher als "ersten Diener" ....des Volkes bezeichnen." (S. 103)

Baumgart, Peter (1981): Wie absolut war der preußische Absolutismus. In: Gottfried Korff (Hg.): Preußen - Versuch einer Bilanz. Preußen. Beiträge zu einer politischen Kultur. 5 Bände. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (Preußen - Versuch einer Bilanz, 2), S. 89–106.
 
Von Bewunderern von Herrschern wie Friedrich II. von Preußen wird gerne erwähnt, dass das friderizianische Preußen in gewisser Weise ein Rechtsstaat gewesen sei und dass der aufgeklärte Absolutismus die Notwendigkeit einer Revolution überflüssig gemacht habe.
Ein nicht zu unterschätzender Erfolg des aufgeklärten Absolutismus waren immerhin die im 18. Jhdt. in die Gänge gekommenen Rechtskodifikationen.

Das Zusammentreffen von einheimischem, römischem und kanonischem Recht war der Rechtssicherheit nicht gerade dienlich, darüber hinaus hatten die Richter für gewöhnlich bei ihren Entscheidungen viel Spielraum. Diese Vorgangsweise wurde von den Aufklärern und Naturrechtlern entschieden abgelehnt. Im 18. Jh. entstand eine neue Gesetzgebungslehre: Der Rechtsstoff sollte systematisch geordnet sein, die Tatbestände zwar ausreichend bestimmt, aber abstrahiert und nicht kasuistisch. Die Gesetzbücher sollten in verständlicher Sprache abgefasst werden. Insbesondere bei den Strafgesetzen legte man auf die Bestimmtheit großen Wert, darüber hinaus sollten sie vollständig und verständlich sein.

Die Macht des Monarchen sollte zweckgebunden sein. Christian August Beck etwa, der Rechtslehrer Josephs II., meinte: Der Monarch soll seine Rechte zur Erhaltung der inneren Ruhe und äußeren Sicherheit seines Staates nutzen. Um diese Ziele erreichen zu können, muss er Gesetze erlassen, an denen die Bürger ihr Verhalten orientieren können.

Das Gesetz sollte also Ausdruck des rechtsetzenden Willens des Monarchen sein. Wenn der Herrscher aber wollte, dass sein gesetzgeberischer Wille in der Praxis auch umgesetzt würde, müssten die Gesetze vereinheitlicht und vereinfacht werden, um Streitigkeiten über die Auslegung oder gar Geltung zu vermeiden. Der richterliche Freiraum bei der Rechtsfindung früherer Jahrhunderte wurde abgelehnt. Das Motiv dafür war allerdings weniger die Vorhersehbarkeit des Rechts für den einzelnen, sondern dass der Wille des Gesetzgebers in jedem einzelnen Fall vollständig und unverfälscht durchgesetzt werde. Durch eine vollständige Kodifikation sollte jeglicher willküranfällige Spielraum der Rechtsanwender überflüssig werden. Manche verlangten sogar eine absolut buchstabengetreue Auslegung der Gesetzestexte. (Dagegen wandte sich jedoch der Leipziger Karl Ferdinand Hommel, der für die Beibehaltung eines richterlichen Freiraums war, mit folgendem Beispiel: Bei einer so exakten und unflexiblen Auslegung müsste ein der Bigamie, also wörtlich "Doppelehe", Angeklagter freigesprochen werden, wenn er gleich drei Frauen hat.)
 
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