Aufgeklärtes Mittelalter - reaktionäre Neuzeit

Gegenkaiser

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Heute führen wir den alten Mythos zum Schafott, das das christliche Mittelalter eine Zeit der humanistischen Rückständigkeit und sittlichen Verrohung war. Dieser Titel gebührt doch eher der Frühneuzeit, einer Zeit kolossaler Menschenverachtung, geistiger Entartung und grenzenlosem Zynismus.

Eine kurze Gegenüberstellung:

Galeerensklaven und - strafe: Im Mittelalter unbekannt. Um 1450 auf frz. Galeeren eingeführt, breitete die Praxis sich nach dem Zeugnis des eminenten Schiffahrtshistoriker Lionel Casson in den darauffolgenden Jahrzehnten im Mittelmeer "wie die Pest aus" bis selbst Venedig auf die perverse Praktik zurückgriff.

Sklaverei: Im Mittelalter in der wortprägenden Bedeutung unbekannt, wurden die ersten Sklavenmärkte von den Portugiesen im Zuge ihrer afrikanischen Entdeckungsfahrten in Häfen an der Algarve ebenfalls um 1450 eingerichtet. Über den folgenden verbrecherischen Atlantiksklavenhandel mit Millionen von Toten und Verschleppten ist ja bereits genug gesagt worden.

Leibeigenschaft: Im Mittelalter unbekannt, wurde in der Frühneuzeit die bis dato freie Bauernschaft von den aufstrebenden Landesfürsten in die Knechtschaft gedrückt. Einen Vorgang, den übrigens der erzreaktionäre und anti-jüdische Martin Luther ausdrücklich begrüßte.

Inquisition: Zwar eine Institution mit durchaus mittelalterlichen Wurzeln, die aber dort selten zum Tode der Verurteilten führte, da auf "Läuterung" mehr Wert gelegt wurde. Als perfide und blutrünstige Justizmordmaschinerie ist die Inquisition erst eine frühneuzeitliche Erfindung und wurde besonders von den Katholischen Königen Spaniens so gehandhabt.

Als weitere Entartungsformen in der Frühneuzeit wären noch zu nennen der Vernichtungsgedanke im Krieg (im Gegensatz zum ritterlichen Duellgedanken) und der absolutistische Gedanke der königlichen Allgewalt (im Gegensatz zur Gebundenheit des mittelalterlichen Herrschers an das göttliche Gebot).

Außerdem führte die aufkommende proto-nationale Idee zum Kampf aller (europäischen) Nationen gegen alle, wohingegen die mittelalterliche Idee des bellum iustum effektiv auf eine Beschränkung des Kampfes christlicher Kombatanten untereinander hinwirkte, also deeskalierend war.

Fazit: Brutale Neuzeit, fortschrittliches Mittelalter!
 
Widersprechen sich brutal und fortschrittlich wirklich?
Bzw: Wenn das Mittelalter so fortschrittlich war und wir gleichzeitig die Neuzeit als Reaktionär (also rückwärts gerichtet) bezeichnen, auf welche Vergangenheit ist die Neuzeit dann bezogen, dass sie so schlecht ist?

Erscheint mir alles sehr plakativ und polemisch.
 
Ich glaube, Du begehst einen Denkfehler: in der (relativ frühen) Neuzeit hat man durch technischen Fortschritt vieles, was am Mittelalter schlecht war, perfektioniert, was zu einer zusätzlichen Verrohung geführt hat. Aber die Ideologie (z.B. die Inquisition) stammt aus dem Mittelalter. Fortschrittlich war das Mittelalter sicher nicht, mit all seinen Tyrannen und den Religionskriegen.
 
Wie soll das Mittelalter aufgeklärter gewesen sein als die Neuzeit ohne Aufklärung?:pfeif:

Gerade bei den Galeeren habe ich so meine Schwierigkeiten. Aufgeklärter wäre das Mittelalter gewesen, wenn man in diesem grobe Ungerechtigkeiten, Bedrückungen etc. abgeschafft hätte.

Bestimmte Punkte folgten einem gewissen Fortschritt. Fortschritt, da würde ich mich Themistokles anschließen, muss ja nicht nur positive Auswirkungen haben.
 
Fortschritt [...] muss ja nicht nur positive Auswirkungen haben.
Ohne wieder gleich auf jene unseligen zwölf Jahre ablenken zu wollen, genau das ist eine der Thesen Adornos, die Dialektik der Aufklärung, dass der Fortschritt zu Auschwitz geführt habe:
Erziehung nach Auschwitz
In Dialektik der Aufklärung schreiben Adorno/Horkheimer: "Wir zeigen, dass die Ursache des Rückfalls von Aufklärung in Mythologie nicht so sehr bei den eigens zum Zweck des Rückfalls ersonnenen nationalistischen, heidnischen und sonstigen modernen Mythologien zu suchen ist, sondern bei der in Furcht vor der Wahrheit erstarrenden Aufklärung selbst."
 
Was ich nicht verstehe: Warum neigen die Menschen immer wieder dazu, alles mit Begriffen belegen wollen und mit Gewalt ganzen Epochen Eigenschaften auzuzwängen, die vielleicht für exemplarisch ausgewählte Aspekte durchaus zutreffen, aber dem Gesamtbild nicht gerecht werden?
 
Was ich nicht verstehe: Warum neigen die Menschen immer wieder dazu, alles mit Begriffen belegen wollen und mit Gewalt ganzen Epochen Eigenschaften auzuzwängen, die vielleicht für exemplarisch ausgewählte Aspekte durchaus zutreffen, aber dem Gesamtbild nicht gerecht werden?

Dem darf ich mich hier ausdrücklich anschließen :fs:



Trotzdem habe ich noch einige Anmerkungen...

... in der (relativ frühen) Neuzeit hat man durch technischen Fortschritt vieles, was am Mittelalter schlecht war, perfektioniert, was zu einer zusätzlichen Verrohung geführt hat.

Woran hast Du dabei gedacht?
Ohne konkrete Beispiele läßt sich unzureichend darüber diskutieren...

Aber die Ideologie (z.B. die Inquisition) stammt aus dem Mittelalter.

Als Ideologie wofür?
Ohne konkrete Beispiele läßt sich unzureichend darüber diskutieren...

Fortschrittlich war das Mittelalter sicher nicht, mit all seinen Tyrannen und den Religionskriegen.

1. Tyrann - der Begriff stammt aus der griechischen Antike und wurde auch dort (und das zunächst noch nicht unbedingt negativ; die negative Belastung erfuhr er erst später) zur Charakterisierung von Herrschern verwendet. Die spätere Kennzeichnung eines willkürlichen Gewaltherrschers/brutalen Alleinherrschers entstand mW mit dem Blick auf absolutistische Herrscher der Neuzeit.
Es ist also ganz nicht unproblematisch, den Begriff auf mittelalterliche Herrscher zu übertragen. Und wenn man es tut, kommt man zudem zum Schluß, daß man dann Herrscher anderer Epochen ebenso als Tyrannen bezeichnen kann.

2. Mir erschließt sich nicht, in welche Beziehung Religionskriege und Fortschritt/Stillstand/Rückschritt zu setzen wären. Auch würde mich interessieren, welches Beispiel bzw. welche Beispiele hierbei als Religionskrieg herhalten sollen, denn so einfach ist es - gerade auch im Mittelalter - nicht: Die Gewalt gegenüber Andersgläubigen resultierte nämlich aus sehr spezifischen historischen und lokalen Rahmenbedingungen. Versteht man zudem unter Religionskrieg, daß der Krieg um die Durchsetzung und Verbreitung einer bestimmten Religion geführt wurde, so fallen bspw. im europäischen Hochmittelalter die Orientkreuzzüge nicht darunter, denn dort ging es im religiösen Hintergrund darum, wem das Heilige Land, die Heiligen Stätten und die Heilige Stadt gehörten, und nicht darum, Andersgläubigen die eigene Religion aufzupressen (in den lateinischen Staaten des Orients lebten lateinische und orientalische Christen, aber eben auch Juden und Muslime).
 
Woran hast Du dabei gedacht?
Ohne konkrete Beispiele läßt sich unzureichend darüber diskutieren...

Beispielsweise die Guillotine. Oder die Hexenverfolgung war in der Neuzeit grösser (systematischer) als im Mittelalter.

Als Ideologie wofür?
Ohne konkrete Beispiele läßt sich unzureichend darüber diskutieren...

Die Inquisition als Ideologie, dass Ketzerei / Gotteslästerung unglaublich grausam verfolgt wurden (das war in christlicher Optik schlimmer als die Ketzerei / Gotteslästerung). Anbei gibt es ja noch ein Gebot "Du sollst nicht töten". Nebenbei: Jesus Christus hat sich ja sogar für die Prostituierte gewehrt, als sie gesteinigt werden sollte.

1. Tyrann - der Begriff stammt aus der griechischen Antike und wurde auch dort (und das zunächst noch nicht unbedingt negativ; die negative Belastung erfuhr er erst später) zur Charakterisierung von Herrschern verwendet. Die spätere Kennzeichnung eines willkürlichen Gewaltherrschers/brutalen Alleinherrschers entstand mW mit dem Blick auf absolutistische Herrscher der Neuzeit.
Es ist also ganz nicht unproblematisch, den Begriff auf mittelalterliche Herrscher zu übertragen. Und wenn man es tut, kommt man zudem zum Schluß, daß man dann Herrscher anderer Epochen ebenso als Tyrannen bezeichnen kann.

2. Mir erschließt sich nicht, in welche Beziehung Religionskriege und Fortschritt/Stillstand/Rückschritt zu setzen wären. Auch würde mich interessieren, welches Beispiel bzw. welche Beispiele hierbei als Religionskrieg herhalten sollen, denn so einfach ist es - gerade auch im Mittelalter - nicht: Die Gewalt gegenüber Andersgläubigen resultierte nämlich aus sehr spezifischen historischen und lokalen Rahmenbedingungen. Versteht man zudem unter Religionskrieg, daß der Krieg um die Durchsetzung und Verbreitung einer bestimmten Religion geführt wurde, so fallen bspw. im europäischen Hochmittelalter die Orientkreuzzüge nicht darunter, denn dort ging es im religiösen Hintergrund darum, wem das Heilige Land, die Heiligen Stätten und die Heilige Stadt gehörten, und nicht darum, Andersgläubigen die eigene Religion aufzupressen (in den lateinischen Staaten des Orients lebten lateinische und orientalische Christen, aber eben auch Juden und Muslime).

Religionskriege sind nichts anderes als ein Zeichen der fehlenden Toleranz. So Sachen wie Toleranz wurden in erster Linie durch die Aufklärung in die Denkweise der Menschen eingefügt (auch wenn es am Anfang sicher harzig war und es schwere Rückfälle gab).

So wurden beispielsweise im Mittelalter bei den alten Eidgenossen Kriegsgefangene restlos hingerichtet. Erst mit der Reformation begann man sich zu überlegen, dass ein solches Vorgehen in christlicher Denkweise vielleicht doch nicht so lupenrein ist.

Natürlich ist das Wort Tyrann griechischen Ursprungs. Dies ändert aber nichts am Umstand, dass die meisten Herrscher tyrannisch geherrscht haben und ihren Willen auch auf grausame Art und Weise durchgesetzt haben (ich erinnere da an Karl den Grossen).
Werte wie Demokratie (was es im Alten Griechenland sowie in der Römischen Republik in guten Ansätzen gab), hatten im Mittelalter nichts verloren. Wenn man die mittelalterlichen Verliesse anschaut (natürlich ungeheizt), Wasser und Brot - das ist doch nicht inspirierend. Mittelalter und Menschenrechte? Tja...
 
Leibeigenschaft: Im Mittelalter unbekannt, wurde in der Frühneuzeit die bis dato freie Bauernschaft von den aufstrebenden Landesfürsten in die Knechtschaft gedrückt. Einen Vorgang, den übrigens der erzreaktionäre und anti-jüdische Martin Luther ausdrücklich begrüßte.


Ich folge dir soweit, dass populärwissenschaftlich die frühe Neuzeit oft als fortschrittliche Epoche gesehen wird im Vergleich zum 14./15. Jahrhundert und dabei ein viel zu positives Bild entsteht. Tatsächlich wurden in ganz Europa Kriege in bis dahin beispielloser Anzahl geführt.

Dennoch teile ich die Ansicht, dass dein erster Post sehr plakativ gehalten ist. Ich greife mir mal den Punkt mit der Leibeigenschaft heraus. Die gab es sehr wohl schon vor 1500 in beträchtlichem Umfang; ich habe selbst schon Urkunden aus dem Hoch- und Spätmittelalter übersetzt, in denen Einzelpersonen und Familien ausdrücklich als Besitz definiert und z.B. von einem Herren an den anderen geschenkt werden.
Ebenso wird man Luther nicht ganz gerecht, wenn man ihn schlicht als "erzreaktionär" ansieht - was er trotz seiner Verweigerung, den Bauernkrieg zu unterstützen, auch im politischen Sinne nicht war.
 
Beispielsweise die Guillotine. Oder die Hexenverfolgung war in der Neuzeit grösser (systematischer) als im Mittelalter.
Du meinst, dass die Guillotine die Verrohung begünstigte? Diejenigen, welche die Septembermorde begingen hatten das sicherlich nicht nötig und einen großen Unterschied zum Begaffen bei Strafen wie Vierteilen etc. sehe ich auch nicht. Der "Vorteil" lag sicherlich an der Beschleunigung des Tötungsvorganges vor allem.
 
Beispielsweise die Guillotine.

Richtig; die Guillotine hatte Vorläufer:
1. Das Halifax Gibbet wird zwar oft um 1300 datiert; die erste Hinrichtung mit dieser Köpfmaschine ist jedoch erst für den 2. Juni 1581 belegt.
2. Die Scottish Maiden gehört ins 16./17. Jh. (1564 bis 1708).
3. Die Mannaia, mit der Konradin 1268 enthauptet wurde, taugt nur bedingt als Beleg, denn das italienische Wort mannaia ist diesbezüglich nicht eindeutig: es bezeichnet ursprünglich nahezu jedes Beil und erfährt erst später eine Erweiterung zum Fallbeil (erstmals im 16. Jh.).

Es gab Vorläufer vor dem 16. Jh. i.d.S.; doch diese waren noch keine Fallbeile, sondern scharfe Eisen, welche mittels Hammer durch den Hals des Delinquenten getrieben wurden.

Aber wenn es um die Hinrichtung durch Enthaupten geht, so reicht diese noch weiter zurück als ins Mittelalter, denn diese Hinrichtungsart war bereits in der Antike bekannt und auch verbreitet (und war übrigens Todesstrafe für Freie bzw. Privilegierte, da sie nicht als ehrenrührig galt): Kriminalgeschichte der Antike - Google Bcher

Was die Sache der "Perfektionierung" angeht, verstehe ich das nur bedingt: das mag am ehesten vielleicht noch hinsichtlich Beschleunigung des Vorgangs und der damit erhöhten Quantität druchführbarer Hinrichtungen erklärbar werden. Was jedoch dabei "zu einer zusätzlichen Verrohung geführt hat", ist mir offen gestanden nicht ganz klar...



Oder die Hexenverfolgung war in der Neuzeit grösser (systematischer) als im Mittelalter.

Die Hexenverfolgung gehört überhaupt in die (Frühe) Neuzeit:
Hexenforschung schrieb:
...
Erste Fehlsicht: "Die Hexenverfolgungen fanden im ‚finsteren' Mittelalter statt".

Tatsächlich reichen die geistigen Wurzeln des Hexenglaubens in die "mittelalterliche" Zeit zurück. Doch beruhen die Nachrichten über frühe "Hexenverfolgungen" in Toulouse und Carcassone - jüngst noch einmal brav in einem SPIEGEL-Artikel wiederholt (44, 2005, S. 172) - auf einer puren Fälschung, ausgeheckt im Jahr 1829 von dem französischen Berufsschriftsteller Etienne-Léon de Lamothe-Langon....
Erste Verfolgungen der als neu gedachten "Hexenketzersekte" sind nach 1430 vor allem in den Landstrichen um den Genfer See (Herzogtum Savoyen, Piemont, Dauphiné, die Schweizer Kantone Wallis, Waadtland und Bern) festzustellen...
Von den ersten Hexenverfolgungen ›infiziert‹ wurden bald auch die Gebiete am Bodensee und Oberrhein. Hier fanden schon vor 1500 Hunderte von Menschen den Tod. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts finden sich Verfolgungen in Oberitalien, im Baskenland und in Katalonien, aber auch in Lothringen, Luxemburg und im Deutschen Reich. Nach 1520/1530, möglicherweise wegen der wirkmächtigen Konflikte im Umfeld der Reformation und der Revolution des Gemeinen Mannes (‚Bauernkrieg'), fanden die Hexenjagden in Zentraleuropa zunächst ein vorübergehendes Ende. Erst um 1560 (erneut in Koinzidenz mit schweren Krisenphänomenen) setzten jene massenhaften Hexenverfolgungen ein, die mit großen regionalen Unterschieden und zeitlichen Verschiebungen bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts reichen sollten. Einen absoluten Höhepunkt fanden die Hexenjagden in der Periode zwischen 1580 und 1650.

Einsicht: Die Hexenverfolgungen sind demnach eindeutig ein Phänomen der Frühen Neuzeit und beruhen auf einem, in den Köpfen von Theologen erfundenen und von der Gerichtspraxis scheinbar bestätigten Konstrukt.
...
Vgl. dazu HEXENFORSCHUNG archives -- February 2006 (#7) bzw. http://fowid.de/fileadmin/textarchiv/Hexenverfolgungen__Rita_Voltmer___TA-2006-12.pdf



Die Inquisition als Ideologie, dass Ketzerei / Gotteslästerung unglaublich grausam verfolgt wurden (das war in christlicher Optik schlimmer als die Ketzerei / Gotteslästerung). Anbei gibt es ja noch ein Gebot "Du sollst nicht töten". Nebenbei: Jesus Christus hat sich ja sogar für die Prostituierte gewehrt, als sie gesteinigt werden sollte.

Rhetorische Gegenfrage: Wie wäre es, bei einer historischen Betrachtung nicht die moderne Sichtweise anzulegen, sondern zeitliche Entwicklungen, die ihrerseits eben unter bestimmten historischen Bedingungen abliefen, zu beachten?



Religionskriege sind nichts anderes als ein Zeichen der fehlenden Toleranz. So Sachen wie Toleranz wurden in erster Linie durch die Aufklärung in die Denkweise der Menschen eingefügt (auch wenn es am Anfang sicher harzig war und es schwere Rückfälle gab).

Darf ich Gegenbeispiele gerade aus dem Hochmittelalter nennen?
Sizilien unter Normannen und Staufern, die lateinischen Staaten der Orientkreuzzüge (!!!), die Königreiche und Fürstentümer im Norden Spaniens im 12. und 13. Jahrhundert (Reconquista; sic!)...
Und apropos Orientkreuzzüge: https://www.uni-rostock.de/andere/GRK1242/Seiten/Projekt/Holze_Begegnung.htm



So wurden beispielsweise im Mittelalter bei den alten Eidgenossen Kriegsgefangene restlos hingerichtet. Erst mit der Reformation begann man sich zu überlegen, dass ein solches Vorgehen in christlicher Denkweise vielleicht doch nicht so lupenrein ist.

Das hatte nichts mit christlicher Denkweise zu tun und war auch nicht der Reformation geschuldet: erstens richtete man auch im Mittelalter - wenn man denn schon 1000 Jahre Menschheitsgeschichte so allgemein abhandeln will - nicht "restlos" Kriegsgefangene allgemein hin, sondern verfuhr durchaus sehr unterschiedlich mit ihnen (schon aus dem Grund, da bspw. ein gefangengenommener Adliger gemeinhin ein gutes Lösegeld versprach), zweitens stellten in der Übergangszeit zwischen Mittelalter und Neuzeit die Schweizer wie auch die Landsknechte diesbezüglich eine unrühmliche Ausnahme dar (da dies bei anderen vorherigen und zeitgleichen Kombattanten eher unüblich war - auch da stellen bspw. Saladin oder Richard I. Ausnahmen dar, als sie das in jeweils einem Fall [Hattin 1187 der Eine, Akkon 1191 der Andere] so praktizierten) und drittens änderten sich bspw. die Schweizer nicht durch die Reformation, sondern stellten ihre Kriegszüge nach der verlorenen Schlacht von Marignano ein (und diese war 1515; erst danach setzte übrigens die Reformation ein).

Vgl. dazu auch bspw. Krieg im Mittelalter - Google Bcher oder Gewalt im Mittelalter: Realitten ... - Google Bcher

Zum Thema "Krieg und christliche Denkweise" siehe den obigen Verweis bzgl. zeitlicher Entwicklungen und historischer Umstände, welche zu diesen geführt haben...



Natürlich ist das Wort Tyrann griechischen Ursprungs. Dies ändert aber nichts am Umstand, dass die meisten Herrscher tyrannisch geherrscht haben und ihren Willen auch auf grausame Art und Weise durchgesetzt haben (ich erinnere da an Karl den Grossen).

Wie ich bereits schrieb: Das gilt dann aber eben auch für antike und neuzeitliche Herrscher nicht minder bzw. noch viel stärker (gerade auch ab dem aufgeklärten Zeitalter; ich erinnere da an Napoleon, Stalin, Hitler, Mao, ...); und zudem - abgesehen davon, daß mich das "Tyrannische" an Karl d. Gr. näher interessieren würde - braucht es mehr als ein Beispiel, um konstatieren zu können, daß "die meisten Herrscher tyrannisch geherrscht haben und ihren Willen auch auf grausame Art und Weise durchgesetzt haben" - wobei "grausam" auch wieder so eine Sicht ist, daß wir heute bestimmte Dinge als grausam bezeichnen. Und unabhängig davon ist "ihren Willen auch auf grausame Art und Weise durchgesetzt haben" noch nicht zwangsläufig äquivalent zum tyrannischen Herrscher - ein Beispiel: HEINRICH-4-Deutscher König + 1106 ist in der Wahl seiner Mittel (wie viele Herrscher in der Geschichte) sicherlich alles andere als zimperlich gewesen, konnte aber zweifellos weder mit Adel und Reichsfürsten noch mit dem Papst noch mit seinem eigenen Sohn derart umspringen, wie es ein Herrscher tun würde, dem man das Prädikat "Tyrann" bzw. "tyrannisch" verpassen könnte.



Werte wie Demokratie (was es im Alten Griechenland sowie in der Römischen Republik in guten Ansätzen gab), hatten im Mittelalter nichts verloren. Wenn man die mittelalterlichen Verliesse anschaut (natürlich ungeheizt), Wasser und Brot - das ist doch nicht inspirierend. Mittelalter und Menschenrechte? Tja...

Demokratie, Menschenrechte, ... - Du legst doch erneut moderne Werte (denn die Demokratie, wie sie die antiken Griechen z.T. - denn da kam es auf den jeweiligen Staat an - und die republikanischen Römer kannten, entspricht nur rudimentär unseren demokratischen Vorstellungen; und andererseits entstammt bspw. unser Bürgerrecht den mittelalterlichen Reichsstädten) an.
Und was die Verliese betrifft: Schau Dir doch einmal an, wie es damit noch bis in die Neuzeit aussah - genauer gesagt: vor dem 18. Jh. (und je nach Region auch darüberhinaus) -; abgesehen davon, daß es sich bei Gefangenschaft bis ins 18. Jh. noch nicht um Strafvollzug handelte, sondern um temporäre Haft: Übergangszeit bis zur Urteilsvollstreckung, Freiheitsentzug wegen Lösegeld u.ä. (wobei solch wertvolle Gefangene dann auch nicht in die genannten Verlieslöcher gesteckt wurden), Kriegsgefangenschaft (auch dies ist wiederum differenziert zu betrachten, da hierbei ebenfalls der Punkt a la Lösegeld o. dgl. greifen konnte).



PS: Diese Einwände meinerseits ändern aber übrigens nichts daran, daß auch ich die Threaderöffnung ebenso plakativ empfinde wie diesbezüglich gegensätzliche Aussagen...
 
Was die Sache der "Perfektionierung" angeht, verstehe ich das nur bedingt: das mag am ehesten vielleicht noch hinsichtlich Beschleunigung des Vorgangs und der damit erhöhten Quantität druchführbarer Hinrichtungen erklärbar werden. Was jedoch dabei "zu einer zusätzlichen Verrohung geführt hat", ist mir offen gestanden nicht ganz klar...

Die Guillotine hat dazu geführt, dass man quasi "industriell" die Leute ihres Hauptes entledigen konnte... Der Erfinder der Guillotine musste selber miterleben, wie man Freunde enthauptete.

Rhetorische Gegenfrage: Wie wäre es, bei einer historischen Betrachtung nicht die moderne Sichtweise anzulegen, sondern zeitliche Entwicklungen, die ihrerseits eben unter bestimmten historischen Bedingungen abliefen, zu beachten?

Richtig, es gibt keine klare Trennung zwischen Mittelalter und Neuzeit. Diese Trennung ist künstlich. Die Aufklärung änderte letztlich schon vieles, aber alles brauchte seine Zeit.

Das hatte nichts mit christlicher Denkweise zu tun und war auch nicht der Reformation geschuldet:

Im Falle der Eidgenossen schon.

btw: Die Reformation hat dem Christentum einen gewaltigen Schritt gebracht, selbst die katholische Kirche musste da Anpassungen vornehmen.
Du darfst nicht vergessen, dass die Erfindung des Buchdrucks (Stichwort Gutenberg) die Menschheit einen gewaltigen Schritt vorwärts gebracht hat.
Aber Du hast insofern recht, dass mit der Reformation die Todesstrafe nicht abgeschafft wurde und dass auch unter Zwingli Täufer getötet wurden.

Wie ich bereits schrieb: Das gilt dann aber eben auch für antike und neuzeitliche Herrscher nicht minder bzw. noch viel stärker (gerade auch ab dem aufgeklärten Zeitalter; ich erinnere da an Napoleon, Stalin, Hitler, Mao, ...); und zudem - abgesehen davon, daß mich das "Tyrannische" an Karl d. Gr. näher interessieren würde - braucht es mehr als ein Beispiel, um konstatieren zu können, daß "die meisten Herrscher tyrannisch geherrscht haben und ihren Willen auch auf grausame Art und Weise durchgesetzt haben" - wobei "grausam" auch wieder so eine Sicht ist, daß wir heute bestimmte Dinge als grausam bezeichnen. Und unabhängig davon ist "ihren Willen auch auf grausame Art und Weise durchgesetzt haben" noch nicht zwangsläufig äquivalent zum tyrannischen Herrscher - ein Beispiel: HEINRICH-4-Deutscher König + 1106 ist in der Wahl seiner Mittel (wie viele Herrscher in der Geschichte) sicherlich alles andere als zimperlich gewesen, konnte aber zweifellos weder mit Adel und Reichsfürsten noch mit dem Papst noch mit seinem eigenen Sohn derart umspringen, wie es ein Herrscher tun würde, dem man das Prädikat "Tyrann" bzw. "tyrannisch" verpassen könnte.

Ich gebe Dir insofern recht, dass die grössten Gräueltaten in der Neuzeit (oder noch genauer im 20. Jahrhundert) stattgefunden haben. Grund dazu ist der Fortschritt der Kriegstechnik: so, wie Deutschland und Italien ein Land nach dem anderen erobert haben, wäre ohne modernste Kriegstechnik früher nicht möglich gewesen in so kurzer Zeit. Es gab zwar div. Eroberungen in der Antike, die waren zwar teilweise auch beträchtlich, aber benötigten mehr Zeit.


Demokratie, Menschenrechte, ... - Du legst doch erneut moderne Werte (denn die Demokratie, wie sie die antiken Griechen z.T. - denn da kam es auf den jeweiligen Staat an - und die republikanischen Römer kannten, entspricht nur rudimentär unseren demokratischen Vorstellungen; und andererseits entstammt bspw. unser Bürgerrecht den mittelalterlichen Reichsstädten) an.
Und was die Verliese betrifft: Schau Dir doch einmal an, wie es damit noch bis in die Neuzeit aussah - genauer gesagt: vor dem 18. Jh. (und je nach Region auch darüberhinaus) -; abgesehen davon, daß es sich bei Gefangenschaft bis ins 18. Jh. noch nicht um Strafvollzug handelte, sondern um temporäre Haft: Übergangszeit bis zur Urteilsvollstreckung, Freiheitsentzug wegen Lösegeld u.ä. (wobei solch wertvolle Gefangene dann auch nicht in die genannten Verlieslöcher gesteckt wurden), Kriegsgefangenschaft (auch dies ist wiederum differenziert zu betrachten, da hierbei ebenfalls der Punkt a la Lösegeld o. dgl. greifen konnte).

Die Wörter Demokratie (demos + kratia = Volksherrschaft) sowie Republik (res publica = öffentliche Sache) gehen auch die Alten Griechen resp. auf die alten Römer zurück. Für die damalige Zeit waren diese Staatsformen revolutionär - im Mittelalter mehr imaginär als real.

Ein Lösegeld hat nichts mit Christlicher Logik zu tun, das ist knallhartes Kalkül. Wurde da Lösegeld nicht bezahlt, dann *krrk*
 
So revolutionär war die Idee einer breiten Bürgerbeteiligung in der Antike auch nicht. Selbst Sparta hatte eine Volksversammlung, bloß waren deren Kompetenzen nicht so umfassend wie in Athen und der Bürgeranteil an der Gesamtbevölkerung noch geringer.
Für Karthago ist mW auch eine Mischverfassung von Aristoteles überliefert.
 
PS: Diese Einwände meinerseits ändern aber übrigens nichts daran, daß auch ich die Threaderöffnung ebenso plakativ empfinde ...

Ich nenne es exemplarisch, denn es ist jawohl klar, dass hier keine Detailanalyse von weit mehr als tausend Jahren Geschichte gegeben werden kann.

Ich füge also in das Schwarzbuch der Frühneuzeit hinzu:
- Hexenverbrennungen
- Religionskriege

Wobei natürlich die mittelalterlichen Kreuzzüge in gewisser Weise die Vorläufer der Konfessionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts waren.
 
Die Guillotine hat dazu geführt, dass man quasi "industriell" die Leute ihres Hauptes entledigen konnte... Der Erfinder der Guillotine musste selber miterleben, wie man Freunde enthauptete.

Joseph-Ignace Guillotin hat das Fallbeil nicht erfunden, sondern "lediglich" die entsprechenden Vorgänger - Fallbeile des des 16./17. Jh. (s. mein voriger Beitrag) - weiterentwickelt, aber darüber wollte ich an der Stelle eigentlich nicht streiten.

Worum es dabei ursprünglich ging: Ich bin mir da eben nicht sicher, ob das Faktum der höheren Quantität bzw. der Beschleunigung der Hinrichtung zu einer zusätzlichen Verrohung geführt hat. Wie Brissotin bereits anmerkte, ist der Unterschied zu den vorherigen ( ja durchaus ebenso öffentlich durchgeführten) Hinrichtungen - sofern es ihn gibt - marginal; und es erscheint mir sehr morbid, darüber weiter zu sinnieren.



Richtig, es gibt keine klare Trennung zwischen Mittelalter und Neuzeit. Diese Trennung ist künstlich. Die Aufklärung änderte letztlich schon vieles, aber alles brauchte seine Zeit.

Die Trennung ist keineswegs künstlich, denn der Unterschied zwischen aufgeklärtem Zeitalter und den Epochen davor ist durchaus gegeben. Genau deswegen ist ja auch der erhobene moralische Zeigefinger gegenüber früheren Zeiten insbesondere vor der Auklärung alles andere als opportun: Den Menschen des Mittelalters - und übrigens sogar noch der Frühen Neuzeit - können wir eben nicht vorwerfen, daß sie bspw. Andersgläubige (Und im Falle der Frühen Neuzeit bedeutete das mitunter sogar Angehörige einer anderen christlichen Konfession!) als Gefahr für die göttlichen Weltordnung ansahen, während die Menschen der Moderne im Gegensatz dazu auf ein durch Humanismus und Aufklärung angesammeltes Repertoire hinsichtlich konkurrierender Weltanschauung incl. deren Gleichwertigkeit und gegenseitiger Toleranz zurückgreifen konnten, aber dennoch bspw. immer wieder in der Geschichte nach 1800 Erscheinungen zu verzeichnen ist, da sich Menschen derart aufführten, daß wir, würden wir sie "barbarisch" nennen, denjenigen Unrecht tun würden, welche in der Antike von Griechen und Römern als "Barbaren" bezeichnet wurden.

Als Beispiel, inwiefern übrigens durchaus in der Frühen Neuzeit eine neue zweifelhafte Qualität erreicht wurde, mag der Dreißigjährige Krieg dienen: Der dort angewandte Grundsatz "Der Krieg ernährt den Krieg" war bis dahin - und gerade auch während des hinsichtlich Kriegsführung sicherlich nicht gerade milden Mittelalters - noch ein Tabu gewesen.



Die Reformation hat dem Christentum einen gewaltigen Schritt gebracht, selbst die katholische Kirche musste da Anpassungen vornehmen.
Du darfst nicht vergessen, dass die Erfindung des Buchdrucks (Stichwort Gutenberg) die Menschheit einen gewaltigen Schritt vorwärts gebracht hat.

Auch hier zunächst wieder der Hinweis analog zur Guillotine: Gutenberg hat den Buchdruck nicht erfunden (denn Bücher druckte man schon vor ihm), sondern war "lediglich" zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um den Buchdruck zu modernisieren und v.a. entsprechend ökonomisch zu gestalten, mithin also durchaus zu revolutionieren - doch auch hier: sei's drum...

Die Bedeutung der Reformation, welche auch zu einer Reformation von der traditionellen mittelalterlichen Universalkirche zur römisch-katholischen (Konfessions-)Kirche führte, ist mir durchaus bewußt, und ebensowenig wird hier irgendwo die Bedeutung für die Kirchengeschichte bestritten.
Anm.: Dennoch liegen die Anfänge der Reformation (Luther ab 1517, Zwingli ab 1518/19, Calvin ab 1536) nach den Kriegen, welche die Eidgenossen fochten (diese enden - wie schon ausgeführt - mit der Niederlage in der Schlacht von Marignano, und die war 1515).



Aber Du hast insofern recht, dass mit der Reformation die Todesstrafe nicht abgeschafft wurde und dass auch unter Zwingli Täufer getötet wurden.

Es gibt noch weitaus signifikantere historische Kontexte: Das Zeitalter der Glaubensspaltung (1517 bis 1648) verlief ja nun zweifellos nicht gerade friedlich, und sowohl Katholiken wie auch Protestanten gingen dabei äußerst brutal und gewalttätig - um diese Formulierungen nochmals zu bemühen - miteinander um. Als Beispiel führe ich dabei die französischen Hugenottenkriege an, wo sowohl die katholischen Guise als auch die protestantischen (calvinistischen) Conde keinesfalls als zartbesaitete Pazifisten - um es zwecks Verdeutlichung zu überspitzen - anzusehen sind.



Ich gebe Dir insofern recht, dass die grössten Gräueltaten in der Neuzeit (oder noch genauer im 20. Jahrhundert) stattgefunden haben. Grund dazu ist der Fortschritt der Kriegstechnik: so, wie Deutschland und Italien ein Land nach dem anderen erobert haben, wäre ohne modernste Kriegstechnik früher nicht möglich gewesen in so kurzer Zeit. Es gab zwar div. Eroberungen in der Antike, die waren zwar teilweise auch beträchtlich, aber benötigten mehr Zeit.

Die Kriege früherer Zeiten waren mit Sicherheit auch keine Vernichtungskriege :fs:

Und das, obwohl man - ich zitiere meine Formulierung von weiter oben - "auf ein durch Humanismus und Aufklärung angesammeltes Repertoire hinsichtlich konkurrierender Weltanschauung incl. deren Gleichwertigkeit und gegenseitiger Toleranz zurückgreifen konnte".
Bemerkst Du etwas? :fs:



Die Wörter Demokratie (demos + kratia = Volksherrschaft) sowie Republik (res publica = öffentliche Sache) gehen auch die Alten Griechen resp. auf die alten Römer zurück. Für die damalige Zeit waren diese Staatsformen revolutionär - im Mittelalter mehr imaginär als real.

Nun ja; die antike Demokratie galt nur für freie Männer - Frauen, Sklaven und Auswärtige (also jene, die nicht Bürger der Polis waren) waren ausgeschlossen -, und zudem war es wohl (ich mag mich irren, was an der Stelle dann unbeabsichtigt war) bspw. auch möglich, ungeliebte Mitbürger via Scherbengericht aus der Stadt zu verbannen. Ob und inwieweit die Volksversammlungen von Demagogen beeinflußbar waren bzw. auch beeinflußt wurden, vermag ich dabei nicht zu beurteilen (das überlasse ich unseren Antike-Spezialisten).
Und sicherlich muß konstatiert werden, daß im Mittelalter demokratische Ideen fast vollständig verschwanden, aber eben nur fast; und imaginär waren diese Erscheinungen keinesfalls, sondern durchaus real: das Bürgerrecht der Reichsstädte hatte ich bereits genannt und füge an dieser Stelle noch das isländische Althing hinzu.

Ein Lösegeld hat nichts mit Christlicher Logik zu tun, das ist knallhartes Kalkül.

Es hatte auch niemand das Gegenteil behauptet :fs:

Wurde da Lösegeld nicht bezahlt, dann *krrk*

Das kenne ich eher andersherum: Um sicher zu sein, daß das Lösegeld bezahlt wurde - bei Königen wie Richard I. ging man gewöhnlich auf entsprechend verfügbare Mittel wie auch handfeste Interessen der Familie an seinem Wohl aus -, war die Geiselpraxis üblich. Dabei stellte der eigentliche (zumeist adlige) Gefangene eine Geisel - gewöhnlich seinen Sohn oder einen anderen Blutsverwandten, an dessen Überleben er höchstselbst interessiert war - und trieb das entsprechende Lösegeld selbst ein.
Es konnte dabei natürlich dennoch alles anders laufen als geplant - wie u.a. folgendes Beispiel zeigt:
Chronik von Harsefeld schrieb:
...
994 Juni 23
Von den Harsefelder Brüdern Heinrich, Udo und Siegfried fällt Udo in einer Seeschlacht gegen die Wikinger; Heinrich und Siegfried werden gefangen genommen. Graf Heinrich stellt als Geisel für das Lösegeld seinen Sohn Siegfried. Da Graf Siegfried keine Söhne hat, bittet er seine Schwester Kunigunde, Frau des Grafen von Walbeck, einen ihrer Söhne zu schicken. Ihr Sohn Thietmar, später Bischof von Merseburg und berühmter Geschichtsschreiber, soll den Wikingern als Geisel für seinen Onkel dienen. Er besucht die Domschule in Magdeburg. Bevor er eintrifft, kann Graf Siegfried von einem Wikingerboot mit einem Fischerkahn fliehen. Am Ufer der Elbe stehen Pferde für ihn bereit, mit denen er zu seiner Burg Harsefeld (civitatam suam Hersevel) flieht. Dort halten sich sein Bruder Heinrich und seine Frau Adela auf. Graf Heinrichs Sohn Siegfried wird mit den anderen Geiseln schwer verstümmelt in die Elbe geworfen...
...
Nach riemer_dieter_harsefeld
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich nenne es exemplarisch, denn es ist jawohl klar, dass hier keine Detailanalyse von weit mehr als tausend Jahren Geschichte gegeben werden kann.

Einwand akzeptiert :fs:



Wobei natürlich die mittelalterlichen Kreuzzüge in gewisser Weise die Vorläufer der Konfessionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts waren.

Dem möchte ich widersprechen: Die Orientkreuzzüge stehen im Kontext des christlichen Pilgerwesens - die Zeitgenossen sprachen ja auch von der "Wallfahrt in Waffen" und erst die Menschen späterer Zeiten vom "Kreuzzug" -; bei den konfessionell motivierten Kriegen - die nun wirklich nichts mit Pilgerstätten u.ä. Dingen zu tun hatten- spielen dagegen von Anbeginn viele politische Gegensätze in die verfeindeten Blöcke und Koalitionen hinein bzw. überlagern diese signifikant (z.B. während des Dreißigjährigen Krieges das protestantische (lutherische) Kursachsen wie schon im Schmalkaldischen Krieg auf Seiten des katholischen Kaisers, das katholische Frankreich auf Seiten der protestantischen Mächte gegen die Habsburger im HRR und in Spanien).
 
Ok, ok, ich habe die Kreuzzüge mit den Religionskriegen leichtfertig über ein Knie gebrochen, was fahrlässig war. Aber hinsichtlich der Effekte, verwüstete Landschaften und Äcker in Blut getränkt, alles im Namen der richtigen Religion, waren sie sich ähnlich genug.
 
Vielleicht sollten wir wirklich versuchen, uns von den pathetischen Sprachbildern zu lösen und das Ganze so nüchtern wie möglich zu betrachten - bitte nicht übelnehmen; das soll ein Vorschlag sein...



Ok, ok, ich habe die Kreuzzüge mit den Religionskriegen leichtfertig über ein Knie gebrochen, was fahrlässig war. Aber hinsichtlich der Effekte, verwüstete Landschaften und Äcker in Blut getränkt, alles im Namen der richtigen Religion, waren sie sich ähnlich genug.

Zwiespältig, denn einige Ähnlichkeiten gelten schon einmal allgemein für Kriege im Vergleich (Denn welcher Krieg war bzw. ist unblutig und ohne Verwüstungen?).

Bezüglich der Effekte sehe ich ansonsten jedoch durchaus einige nicht ganz zu vernachlässigende Unterschiede...
Orientkreuzzüge
- Christen erobern das Heilige Land, die Heiligen Stätten, die Heilige Stadt (Jerusalem, wobei irdisches gleich himmlisches Jerusalem - das ist außerordentlich wichtig) und verteidigen die Eroberung gegen den Unglauben (d.h., gegen die Ungläubigen) bzw. versuchen dies
- ein Versuch, den Islam zu besiegen o. dgl., wurde (abgesehen von der Unmöglichkeit eines Unterfangens, einen Bereich von Spanien/Marokko bis nach Indien und vom Aralsee bis etwa zur Sahelzone Nordostafrikas auch nur annähernd erobern zu können) nicht gemacht; und das nicht einmal ansatzweise
- in den lateinischen Staaten des Orients lebten die Angehörigen verschiedener Religionen nebeneinander, und die jeweilige religiöse Praxis wurde gestattet und toleriert; und auch mit den islamischen Nachbarstaaten wurde grundsätzlich (selbst wenn man sich noch Monate zuvor bekämpft hatte) stets eine Art friedlicher Koexistenz angestrebt (wenn auch zugegebenermaßen durch beidseitige Verfehlungen wiederholt zunichte gemacht)
Konfessionskriege 16./17. Jh.
(Eingeengt auf die religiösen/konfessionellen Gründe; und ich lasse hierbei einmal die - wie bereits angedeutet - wichtigen zusätzlichen Faktoren außen vor)
- Katholiken und Protestanten streiten um Reichskonfession, konfessionelle Rechte in Ländern und Territorien etc. pp.
- Versuche, die andere Konfession zu besiegen o. dgl., wurden dabei durchaus gemacht (sie mußten letztlich u.a. auch daran scheitern, daß eben die gegensätzlichen Machtblöcke konfessionell nicht homogen waren und zudem sowieso die jeweiligen Bündnispartner zusätzlich eigene Interessen verfolgten)
- cuius regio, eius religio als Grundsatz, welcher erst durch den Westfälischen Frieden 1648 für das HRR (Ausnahme: Bayern und habsburgische Erblande) abgeschafft wurde: bis dahin bestimmte der jeweilige (aktuelle - was bei Eroberung fremdkonfessionellen Gebietes u.ä. zum Wechsel führte; deswegen 1648 auch die Festschreibung der Normaljahre 1618 (Pfalz) bzw. 1624) Landesherr die allein gültige Konfession des Landes bzw. der Untertanen
 
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