Aufzeichnungen/Berichte zum Thema Einsamkeit/Alleinsein

N

Nils

Gast
Hallo!

Ich bin gerade auf der Suche nach subjektiven Berichten die das Thema Einsamkeit behandeln.
Aktuell hätte ich z.B. die Briefe von Antonio Lobo Antunes, der seiner Frau zu Zeiten des Kolonialkrieges aus Angola schreibt. Oder Rosa Luxemburg, Briefe aus dem Gefängnis.
Beide Beispiele behandeln eher die unfreiwillige Einsamkeit, aber ich versuche auch Berichte zu finden, die sich mit der freiwilligen sozialen Isolation beschäftigen (Einsiedler, Mönche/Nonnen).

Ich versuche letztendlich durch subjektive Beschreibungen zu erfahren, wie sich Einsamkeit ausdrückt und anfühlt - was vermisst wird. Zugleich aber auch, was bei einer freiwilligen Isolation nicht vermisst wird, oder was man gerade in dieser isolierten Situation zu schätzen weiß. Vielleicht auch das Unverständnis, welches mit dem Wunsch alleine und für sich zu leben einher geht.

Wäre euch über Hinweise jeglicher Art sehr dankbar,

mit besten Grüßen
Nils
 
Ich weiß nicht, ob das wirklich in Dein Suchmuster passt, da es um keine Einsamkeit im Sinne von echter Isolation geht, sondern um Einsamkeit im Sinne eines Aufenthalts in einem unfreiwilligen Exil, abgeschnitten von den bisherigen sozialen und kulturellen Bindungen, aber vielleicht ist es trotzdem interessant:
Ovid schrieb in seiner Verbannung in Tomis am Schwarzen Meer die "Tristia" und "Epistulae ex Ponto", in denen er darüber klagte, wie öde das Leben dort in einer barbarischen Umgebung weitab von den kulturellen und sozialen Zentren des Römischen Reichs sei.
Cicero unterstützte im Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius zunächst Pompeius, gab aber bald nach der Schlacht von Pharsalos auf und begab sich nach Brundisium in Italien, wo er auf seine Begnadigung (also die Möglichkeit, nach Rom zurückzukehren) durch Caesar wartete. In dieser Zeit schrieb er etliche Briefe, in denen er darüber jammerte, wie furchtbar sein Schicksal in diesem "Exil" sei.

Von Interesse könnte das angelsächsische Gedicht "Wanderer" (aus dem Exeter Book) sein, das in der Ich-Form von einem gealterten Krieger handelt, der nach dem Verlust seines Herrn (zu dessen Gefolge er gehörte) und seiner Kameraden einsam und heimatlos durch die Lande zieht und sein Schicksal beklagt. Allerdings handelt es sich dabei wohl nur um eine literarische Fiktion, der (unbekannte) Dichter schrieb wohl nicht tatsächlich über sich.
Ähnlich auch die angelsächsische "Klage der Frau" einer Frau, die, in die Fremde verheiratet, nach dem Verlust ihres Mannes jetzt den Schikanen seiner Verwandtschaft ausgesetzt ist.
 
Zu dem Aspekt was subjektiv in freiwilliger Isolation geschätzt werden kann wäre das auch in deutscher Übersetzung vorliegende Buch eine Option:
Henry David Thoreau: Walden, or Life in the Woods (Boston 1854).
 
Als wahrscheinliche Vorlage für Daniel Defoes “Robinson Crusoe“ wäre die Robinsonade von Alexander Selkirk – Wikipedia vor der chilenischen Küste im frühen 18. Jh. ein Beispiel für eine halbfreiwillige völlige Isolation über einen Zeitraum von mehr als 4 Jahren. (Publikationen s. Wiki-Artikel)

Interessant könnte vielleicht auch die Vita des Onoda Hirō – Wikipedia sein, eines japanischen Holdout, der den 2. Weltkrieg für sich erst 1974 beendete, und später ein Buch über diese Zeit auf der philippinischen Insel Lubang verfasste.
 
Keine Ahnung, ob Einsamkeit darin thematisiert wird, aber ich muss sofort an diesen japanischen Soldaten denken, der den 2. Wk. alleine im Dschungel bis in die 70er fort führte. Der Name ist Onoda Hiro, eine Autobiographie gibt es (auf jeden Fall in englischer, vielleicht auch in deutscher Übersetzung).
 
Vielen lieben Dank für euer Input! Ich werde mich die kommenden Tage mal mit jedem einzelnen Vorschlag genauer auseinandersetzen. Ein paar hab ich schon mal überflogen - wird mir auf jeden Fall weiterhelfen!

Vielen Dank!
Nils
 
Noch ein paar systematische Aspekte.

Dieses Thema hat viele Facetten, u.a. soziale und individuelle, aber auch religiöse und philosophische

1. Zunächst betrifft es die "Geisteshaltung", die auf Kontemplation etc. hinausläuft. Im Zazen, als ein Beispiel wird es gezielt angestrebt. Individuell oder auch individuell in einer Gruppe.

https://de.wikipedia.org/wiki/Zazen

2. Die individuelle Entsagung von der sozialen Welt betrifft die freiwillige Entscheidung von Eremiten in vielen Kulturkreisen. Eine relativ bekannte - und auch drastisch Form - demonstrierte Simeon, der sich "einmauern" ließ in der "Porta Nigra".

https://de.wikipedia.org/wiki/Simeon_von_Trier

3. Auf die unfreiwilligen Formen eines Eremitendasein wurde mit Onoda Hiro von Lukullus bereits hingewiesen.

4. Ein Aspekt wurde allerdings komplett übersehen, der zunehmend im 20 Jahrhundert für die Sozialgeschichte relevant wird. Die erzwungene Individualisierung, die als Isolierung auftritt, und als kollektives Schicksal große Teile der Gesellschaft betrifft (vgl. beispielsweise Beck et al. )

In unterschiedlichen Varianten wird die Isolation durch individuelle und kollektive Stigmatisierung erzwungen oder durch Mechanismen einer Gesellschaft, wie beispeilsweise das Kastenwesen, der Effekt der Isolation ebenfalls hervorgerufen werden kann, trotz kollektiver Einbindung.

In einem besonders starken Maße jedoch zunehmend in den westlichen Indstriegesellschaften, auch aufgrund der Zerstörung der generatonsübergreifenden Strukturen von "Großfamilien" in - häufig - Städten. Bereist für die zwanziger Jahre in Berlin vo Kracauer in die "Angestellten" beschrieben.

https://www.spiegel.de/politik/ausl...in-ministerium-fuer-einsamkeit-a-1188423.html

Beck, Ulrich; Beck-Gernsheim, Elisabeth (2001): Individualization. Institutionalised Individualism and its Social and Political Consequences. 1. Aufl. London: SAGE Publications Ltd.

Ergo: Um das Thema überhautp sinnvoll bearbeiten zu können benötigt man einen theoretischen Rahmen für entsprechende Hypothensbildung. Ansonsten verirrt man sich im Gestrüpp vielfältiger verbundener und unverbundener einzelne Quellen etc.

Zu Quellen: In Emmendingen gibt es das "Tagebucharchiv". In Tagebüchern wird am systematischten die vielen unterschiedlichen Formen von Einsamkeit thematisiert. Das könnte ein quellengestützter Zugang zu dem Thema sein.

https://tagebucharchiv.de/
 
Beide Beispiele behandeln eher die unfreiwillige Einsamkeit, aber ich versuche auch Berichte zu finden, die sich mit der freiwilligen sozialen Isolation beschäftigen (Einsiedler, Mönche/Nonnen).

Im Artikel »Eremit«, dt. Wikipedia, gibt’s eine Liste bekannter Einsiedler, die hin und wieder auch mal was gesagt und geschrieben haben. Erwähnt wird auch der »Schmuckeremit«; eine romantische Idee, den Einsamen quasi auszustellen, um ihn vorgeblich zu bewundern und andererseits sich besser zu fühlen. Da gibt es bestimmt auch viel Subjektives zu lesen.
 
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