Augusterlebnis - Der Mythos der allgemeinen Kriegsbegeisterung - Unterrichtsbesuch

deggit

Mitglied
Hallo liebe Forumsgemeinde,

ich bin zurzeit im Referendariat und bin gerade mit der Planung für meinen nächsten Unterrichtsbesuch beschäftigt. Thematisch wird es um das Augusterlebnis, genauer gesagt um die Allgemeingültigkeit der Kriegsbegeisterung in den versch. Bevölkerungsschichten gehen.

Ich würde gerne eure Meinung zu meiner Planung erfragen.

Meine Hauptziele in der Stunde:
Die SuS können anhand von multiperspektivischer Quellen den Mythos der universellen, aller Bevölkerungsschichten gleichermaßen erfassenden, Kriegsbegeisterung (Augusterlebnis) dekonstruieren und auf seine Allgemeingültigkeit hinterfragen.

Die SuS wissen, dass der Mythos der Kriegsbegeisterung gezielt aufgebaut wurde und durch die Jahre hindurch tradiert und zum Teil verstärkt wurde.

Einstieg:
Bildanalyse eines der klassischen „Propaganda“ Bilder zum Augusterlebnis
z.B: https://de.wikipedia.org/wiki/Augusterlebnis
 Vom Einstieg erhoffe ich mir, dass die SuS feststellen, dass man auf eine allgemeine Kriegsbegeisterung schließen kann. An dieser Stelle will ich noch nicht auf die Propaganda dahinter eingehen, dies soll erst zum Ende der Stunde durch die SuS selbst geschehen.
Hier habe ich aber schon ein Problem: Pauschal kann ich ja nicht sagen, dass alle Bilder gestellt waren, es gab bestimmt auch genug Bilder, die nicht gestellt waren. Aber ich könnte schon sagen, dass die meisten Bilder in den damaligen Zeitungen, Propaganda waren, oder? Gab es zu der Zeit schon ein Ministerium für Propaganda? Wer sagte den Zeitungen, was sie veröffentlichen dürfen und was nicht? Wisst ihr da mehr? Ich habe da zurzeit leider nur ein sehr gefährliches Halbwissen. Ich denke mir, dass die Marschrichtung durch den Kaiser, das Militär und den Adel vorgegeben wurde. Wem gehörten die meisten Zeitungen? Wurde die Aufschrift auf den Güterwagen gestellt, oder waren das tatsächliche Aufschriften? Standen die Wagen für die Fotos? Es sieht ja immer so aus, als ob die fahren würden. Aber die Fototechnik war damals noch nicht soweit, dass man ein Foto von einem sich bewegenden Objekt machen konnte und es dann scharf war.
Wenn ihr ein Foto habt, mit ähnlichen Erläuterungen, dann her damit ;-)

Erarbeitung:
Meine Gedanken hierzu sind, dass ich zwei Quellen, ein pro Kriegsbegeisterung und eine contra Kriegsbegeisterung ausgebe. Zwei Schüler bilden dabei immer ein Team, jeder bekommt eine Quelle und am Ende der Bearbeitung tauschen sich beide aus.

Meine Aufgabenstellung dazu grob Formuliert
- Quelle analysieren in EA, in Hinblick auf das Verhalten der Bevölkerung
- Erkläre anhand dieses Verhaltens die Stimmung in der Bevölkerung
- Austausch mit dem Nachbarn (Der hat die jeweils andere Variante)
- Erörtert warum das Verhalten/die Stimmung der Bevölkerung unterschiedlich war

Quelle Pro Kriegsbegeisterung:
Eileitung zur Quelle
Zeitungen waren 1914 das wichtigste Massenkommunikationsmittel. Radio und Fernsehen gab es noch nicht. Gunther Mai, Professor für Zeitgeschichte an der PH Erfurt, berichtet anhand von Zeitungsartikeln, aus der „Frankfurter Zeitung“ und der „Täglichen Rundschau“ von 1914 über das Verhalten der Bevölkerung zu Beginn des Ersten Weltkriegs.

„In einer Spannung“, so beschreibt die liberale „Frankfurter Zeitung“ die Stimmung, „die sich immer weiterer Kreise des Volkes bemächtigt und unter der auch gute Nerven leiden, warte man jetzt noch auf die Entscheidung, die unmöglich mehr lange ausbleiben kann.“ Am 31. Juli, wird es kurz nach 14 Uhr offiziell: Extrablätter, aus fahrenden Autos verteilt, verkünden den „Zustand drohender Kriegsgefahr“. Die vollziehende Gewalt ist auf das Militär übergegangen.
In kürzester Zeit sind die Straßen Berlins voller Menschen, denen bewußt wird, daß die Regierung sich auf das Äußerste vorbereitet. Am Kranzler-Eck sammelt sich die Menge, Hochrufe erschallen: „Überall macht sich die Entspannung in einer freudigen Stimmung über die endlich gefallene Entscheidung kund“, obwohl dies die eigentliche Entscheidung nicht ist: Noch ist die Mobilmachung nicht befohlen, noch ist der Krieg nicht erklärt.
Die Menge drängt spontan zum kaiserlichen Schloß, skandiert dort Hochrufe und beginnt mit dem Absingen vaterländischer Lieder: ,Heil dir im Siegerkranz‘, ‚Die Wacht am Rhein‘, ‚Es braust ein Ruf wie Donnerhall‘ und immer wieder: ‚Deutschland, Deutschland über alles‘. […]
Wie in Berlin, so war es in allen Großstädten, erst recht in den Residenzstädten zu ähnlichen „Volkskundgebungen“ gekommen. Bis spät in die Nacht dauerten die Umzüge, die Debatten in den Wirtshäusern. Am nächsten Tag, am 1. August, wird jedoch wieder normal gearbeitet. Die Welle der Begeisterung ist vorübergehend abgeebbt, aber die Spannung ist geblieben. In den Morgenausgaben melden die Zeitungen: „Noch immer keine Mobilmachung, noch immer keine Entscheidung, noch immer warten.“ Als mittags die Schloßwache in Berlin mit klingendem Spiel aufzieht, springt der Funke plötzlich wieder über. Eine Masse von „ungezählten Tausenden“ folgt der Wache zum Schloß. Dort hindert sie die Kapelle am Abmarsch, verlangt von ihr die ‚Wacht am Rhein‘, das ‚Deutschland-Lied‘. „Die Begeisterung der Massen kannte keine Grenzen und als zum Schluß sich der einheitlich geschlossene Wille der Massen den ‚Pariser Einzugsmarsch‘ erzwang, erreichte die Begeisterung ihren Höhepunkt.“ Endlich darf die Kapelle in Richtung ihrer Kaserne abziehen. Doch als sie, an der französischen Botschaft vorbeimarschierend, eher zufällig die ‚Wacht am Rhein‘ spielt, fällt die begleitende Menge in einer spontanen Demonstration tausendstimmig ein.
Nach diesem Intermezzo beginnt erneut das Warten. […] Punkt 17 Uhr wird die Entscheidung bekanntgegeben. Generalstabsoffiziere fahren in offenen Autos über die Prachtstraßen, winken mit ihren Taschentüchern; vor dem Schloß verkündet ein Gendarm auf Befehl des Kaisers: „Mobilmachung!“ Im Handumdrehen sind die Straßen Berlins wieder dicht gefüllt, immer neue Massen strömen herbei: „Die große Mehrheit reißt der Schwung des Augenblicks unwiderstehlich mit.“ Mobilmachung, das weiß jeder, bedeutet Krieg, auch wenn der noch nicht erklärt ist. Wieder strömt die Menge zum kaiserlichen Schloß […]. Als nun die Glocken des Doms erklingen, stimmt die Menge spontan den Choral an: ‚Nun danket alle Gott‘.

Quelle: Nach Berichten der "Frankfurter Zeitung" und der "Täglichen Rundschau".
Aus: Gunther Mai, Das Ende des Kaiserreichs. Politik und Kriegführung im Ersten Weltkrieg, München, 1987, S. 10-12.

Quelle Contra Kriegsbegeisterung
Einleitung zur Qulle
Zeitungen waren 1914 das wichtigste Massenkommunikationsmittel. Radio und Fernsehen gab es noch nicht. In der „Siegener Zeitung“ (Siegen ist eine Stadt in Südwestfalen) wird über das Verhalten der Bevölkerung am Beginn des Ersten Weltkriegs berichtet.

Zeitungsausschnitt | Siegener Zeitung, 1. August 1914
Aus Stadt und Land.
Eine ernste Mahnung an die Käufer!
Infolge der drohenden Kriegsgefahr ist ein Sturm auf die Nahrungsmittelgeschäfte erfolgt, der außerordentlich bedenklich ist. An dieser Stelle soll deshalb ein ernstes Mahnwort an alle Hausfrauen und alle Käufer gerichtet werden, das sie in ihrem eigensten Interesse beherzigen mögen. Eines der ersten Geschäfte der Nahrungsmittelbranche teilt mit: Die Käufer scheinen in der ernsten Stunde vollständig den Kopf verloren zu haben. Nicht nur, daß sie in die Geschäfte in Masse stürmen, auch in der Art und Weise, wie sie einkaufen, zeigen sie, dass sie ohne jede Einsicht handeln, dass sie geradezu in unsinniger Weise vorgehen. So kommt es vor, dass Hausfrauen ½ Zentner [=25 kg] Tee und Kaffee verlangen, der ihnen für ein ganzes Jahr reichen würde und der ihnen eventuell noch verderben kann. Was wollen die Leute mit diesen Mengen überhaupt? Jeder sorge in vernünftiger Weise dafür, dass er für die ersten sechs Wochen mit Nahrungsmitteln versehen ist. […] Ein Veteran von 1870/71 schreibt uns: Man sollte doch meinen, dass das sehr erfreuliche, begeisterte Verhalten der Bevölkerung in diesen ernsten Tagen auch rechte Früchte tragen würde. Aber leider stürmen die Leute die Läden für Lebensmittel, jeder denkt nur an sich, um möglichst viel aufzuhäufen. Alles Gottvertrauen scheint fast verloren zu sein.

Zeitungsausschnitt | Siegener Zeitung, 4. August 1914
Ernste Zeit haben wir, wie wohl Jeder empfindet. Und doch muss es nicht überall so sein. Das konnte man am Sonntag Nachmittag hier im Ort beobachten. In der Kirche war Gottesdienst mit Abendmahl gehalten und in einigen Gastwirtschaften war Tanzmusik. Hat man denn kein Empfinden für die Sorge vieler Familienväter, die ihre Lieben zu Hause lassen und sich dem Vaterland opfern müssen, und die sich vorher gestärkt hatten im christlichen Glauben? Wo bleibt das sittliche Gefühl?

Zeitungsausschnitt | Siegener Zeitung, 6. August 1914 | über Auslieferungsprobleme der Zeitung
Für eine Reihe von Orten haben wir versucht, durch Autos die Zeitung zu expedieren [ausliefern]. Aber auch hierbei erwachsen viele Schwierigkeiten. Bekanntlich unterliegen Autos einer scharfen Kontrolle, anderseits bringt aber auch der Unverstand vieler Ortsbewohner unnötige Schwierigkeiten. In manchen Orten sieht man in jedem Automobilfahrer mindestens einen Spion und bedroht und beschimpft ihn. In Salchendorf z.B. hatte man gestern sogar ein Drahtseil über die Straße gespannt, in das unser Auto geriet. Glücklicherweise wurde niemand verletzt, aber dennoch war die Folge eine Stunde Aufenthalt wegen Reparatur. […] niemand hat das Recht, ihn von vornherein als Verbrecher zu betrachten und ihn demnach zu behandeln. Es ist deshalb notwendig, dass auch hier Ruhe und Besonnenheit der jetzigen Aufregung Platz machen.

Meine erwarteten Ergebnisse
Contra Kriegsbegeisterung:
Analyse:
Hamsterkäufe, die Bev. hat den Kopf verloren -> Angst vor dem Krieg, um das Überleben, riesige Mengen werden gekauft -> kein schnelles Kriegsende (entgegen dem Einstiegsbild: Mittags in Paris usw.), jeder denkt an sich -> kein Gemeinschaftssinn wie im anderen Text (Begeisterung der Menge die zusammen jubeln, singen)

Stimmung:
gedämpft, Angst, Erwartung eines langen Krieges

Pro Kriegsbegeisterung:
Analyse:
Die Bev. ist angespannt, aber im positiven Sinn, man fiebert der Mobilmachung/dem Kriegseintritt entgegen, Die Luft ist aufgeladen mit Nationalstolz (Deutschlandlied, usw.), Das Volk singt, jubelt und ist begeistert

Stimmung:
Ausgelassen, in freudiger Erwartung, Hoffnungsvoll, eine Gruppendynamik geht durch das Volk -> Gruppenzwang, man dankt Gott, dass der Krieg anfängt, usw.

Erörterung warum die Stimmung unterschiedlich war:
Ein großer Unterschied Land/Stadt / Arm/Reiche ,Gebildet
Stadt: Begeisterung/Gruppenzwang, Nationalgedanke/-stolz, Feindbild/Frankreich, Es gab schon lange keinen Krieg mehr und die letzten wurden gewonnen (Dänemark, Frankreich, Ö-U) Übermut, Imperialismus/Expansionsgedanke, Industrialisierung/der Stadbev. geht es gegenüber dem Land besser

Land: Erfahrung mit Entbehrungen, das Bewusstsein für den Krieg ist ausgeprägter, Arbeitskräfte müssen entbehrt werden, weniger Leute -> weniger Gruppenzwang, wenn man wenig hat, gerade dann hat man Angst auch noch dieses Wenige zu verlieren

Ein Problem welches sich mir jetzt stellt! Es sind Zeitungsberichte, die die SuS als Quellen haben. In wie weit kann ich den Zeitungsartikel glauben, Thema „Propaganda“? Habt ihr vielleicht noch andere Quellen, die ich verwenden könnte und die zielführend wären?

Wie bekomme ich die SuS jetzt darauf, dass es die Kriegsbegeisterung zwar gab, aber nur in gewissen Schichten und in einer verschieden starken Ausprägung? Ich meine, wenn ich jetzt anfange, können wir der Zeitung überhaupt trauen, dann denken die hinterher, es gab gar keine eigene Kriegsbegeisterung, sondern nur die, die durch die Propaganda gefördert wurde.

Außerdem würde ich den SuS noch gerne begreiflich machen, dass es über die Jahre zu einem Aufbau zu eben dieses Augusterlebnisses kam. Aber wie mache ich das, wenn ich es den SuS nicht vorsagen sollte? Ich könnte höchstens erwähnen, dass diese Bilder, die ich eingangs gezeigt habe, Teilweise immer noch in Schulbüchern oder den Medien unkommentiert verwendet werden.

Ich weiß es ist jetzt etwas viel geworden, ich wäre aber sehr dankbar für eure Meinung.

Viele liebe Grüße,
Deggit
 
Hilfreich ist J Verhey der Geist von 1914 und die Erfindung der Volksgemeinschaft.

Umfassender ist E.Pieper Nacht über Europa.

Interessant als Quelle / Sicht ist die Darstellung bei P. Scheidemann Der Zusammenbruch des Kaiserreichs (Kindle Version bietet kostenlos die relevante Textstelle). Wichtig ist die Darstellung als “Verteidigungskrieg“.

Sehr kritisch dagegen Mehring am 30. Juli, der von einem patriotischen Mob spricht (Mehring Gesammelte Werke).

Interessant sind sicherlich auch Verweise auf Frankreich und der Ermorung von Jaures.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben