Authentizität des Armenier-Zitats

Sergey Romanov

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Gibt es mittlerweile einen geschichtswissenschaftlichen Konsens über die Echtheit des berühmten, angeblich aus der Obersalzberger Rede stammenden Zitats Hitlers über den Völkermord an den Armeniern ("Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier")?

Ich las die deutsche und die englische Wikis (ja, ja, ich weiß...) sowie die entsprechenden Talk Pages durch, wurde jedoch daraus nicht klug, ob ein Konsens besteht.

https://de.wikipedia.org/wiki/Ansprache_Hitlers_vor_den_Oberbefehlshabern_am_22._August_1939
https://de.wikipedia.org/wiki/Disku..._vor_den_Oberbefehlshabern_am_22._August_1939
https://en.wikipedia.org/wiki/Hitler's_Obersalzberg_Speech
https://en.wikipedia.org/wiki/Talk:Hitler's_Obersalzberg_Speech

http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1968_2_2_baumgart.pdf
http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1971_3_4_baumgart.pdf

Die deutsche Wiki besteht darauf, das L-3 sei eine Fälschung.
Die englische stellt verschiedene Meinungen vor, neigt eher zur Authentizität.

Gibt es wirklich keine Studie, die die Angelegenheit gründlich aus quellenkritischer und historischer Sicht "abschlösse"?
 
Gibt es mittlerweile einen geschichtswissenschaftlichen Konsens über die Echtheit des berühmten, angeblich aus der Obersalzberger Rede stammenden Zitats Hitlers über den Völkermord an den Armeniern ("Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?"]

[…]

Gibt es wirklich keine Studie, die die Angelegenheit gründlich aus quellenkritischer und historischer Sicht "abschlösse"?
Richard Albrecht hat dazu 2007 eine Arbeit vorgelegt, worin er die Probleme skizziert: dass eben nur in einer Überlieferungsvariante dieses Zitat überhaupt vorkommt und dass dies an einen amerikanischen Journalisten - Louis P. Lochner - via einen SPD-Mann - Johannes Maaß - mit Wehrmachtskontakten zugespielt wurde. Alle Quellen Lochners waren spätestens 1944 aufgrund direkter oder indirekter Verquickung mit dem 20. Juli tot, insofern ist die Authentizität nicht überprüfbar. Albrecht führt Argumente in beide Richtungen auf:
http://docserver.ingentaconnect.com...530&checksum=77FD439B965DDB7650373B961EBEB663
 
Wobei die Frage, ob oder ob nicht gesagt,

1. für den vermittelten Inhalt der Obersalzberger Rede unbedeutend ist
2. das Armenier-Beispiel bei Hitler inhaltlich ähnlich nachgewiesen ist. Im größeren Zitat:


"So war es aber fast immer gewesen. Wie hat man nicht in Deutschland mit Begeisterung die Unabhängigkeitskämpfe der Griechen verfolgt. Eine unglaubliche Schwärmerei hatte unser Volk ergriffen. Freiwillige stellten sich zur Verfügung, und doch hatte unser Volk nicht den geringsten Anlaß, sich für das moderne Griechenzeug mehr zu erwärmen als für die Türken selbst. Später wieder wendete sich die deutsche Sympathie, oder sagen wir besser die Sympathie der gemachten öffentlichen Meinung, den Armeniern zu. Immer wieder wurden breit und lang die "Armeniergreuel" ausgemalt und abermals Stimmung gegen die Türkei gemacht. Ein ebenso großes Lieblingskind unserer Sympathien war Polen. In den Zeitungen, in Broschüren und in Büchern wurden die polnischen Insurgenten verherrlicht, für die polnische Unabhängigkeit und polnische Freiheit geredet, die polnischen Führer als Helden hingestellt, und dabei das alles in einer Zeit, in der das Deutschtum aber wirklich nicht die geringste Veranlassung besaß, sich so gänzlich unpolitischen wie unpraktischen Stimmungen hinzugeben. Immer hat unser Volk früher oder später für diese phantastische Art der Stellungnahme zu außenpolitischen Vorgängen die entsprechende Quittung erhalten."

Die Schilderung steht in einer ganze Serie Von Beispielen Hitlers zum geschichtlichen Oberthema "erst interessiert - dann vergessen" - jedenfalls so wie es Hitler verstanden haben wollte. Hier im Zitat noch bemerkenswert: als weitere Parallele zu 1930 die Überleitung zu den Polen.

Ein vergleichbares Armenier-Zitat taucht also schriftlich bereits früher bei Hitler auf.
Die "Armenier" erscheinen darüber hinaus 1925/33 bei Hitler ein paar Mal als "Händlervolk" und "rassisch unterwandert", weswegen sie völkisch "absinken".

Dazu noch in Fußnoten-Kommentar zu 1930:
"Hitler dürfte durch den ehemaligen deutschen Vizekonsul in Erzurum, Max Erwin Scheubner-Richter, der beim Hitler-Putsch am 9.11.1923 erschossen wurde, gut über die Vorgänge in Armenien unterrichtet gewesen sein. Vgl. Yves Ternon, Tabu Am1enien. Geschichte eines Völkermords, Frankfurt a. M. 1981, S. 11, 215.


Zitat und Armenier-Hinweis in der kommentierenden Fussnote:

24. Mai 1930 "Politik der Woche" - Artikel aus dem Illustrierter Beobachter vom 24.5.1930.
Hitler, Reden Schriften Anordnungen Februar 1925-Januar 1933, Band III, S. 202ff., Dokument 49.
 
Ein vergleichbares Armenier-Zitat taucht also schriftlich bereits früher
Dazu noch in Fußnoten-Kommentar zu 1930:
"Hitler dürfte durch den ehemaligen deutschen Vizekonsul in Erzurum, Max Erwin Scheubner-Richter, der beim Hitler-Putsch am 9.11.1923 erschossen wurde, gut über die Vorgänge in Armenien unterrichtet gewesen sein. Vgl. Yves Ternon, Tabu Am1enien. Geschichte eines Völkermords, Frankfurt a. M. 1981, S. 11, 215.
Gerade zu diesem Sachverhalt äußert sich Albrecht kritischer. Ich würde bei ihm die Tendenz verorten, dass er das Zitat an sich eher für authentisch ansieht, als für unauthentisch, aber gerade bei Scheubner-Richter betont er zwar, dass dieser bei dem Marsch auf die Feldherrn-Halle neben Hitler gelauf sei und es gelegentliche Treffen von beiden gegeben habe, aber er schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich über den Armenier-Genozid unterhalten haben - wenn ich nicht völlig falsch gelesen habe - als eher gering ein.
 
Ich würde die Frage, woher Hitler dies hatte (ob nun von 1923 oder bei sonst einer Gelegenheit gelesen) von der Frage trennen, ob ein solches Zitat für Hitler plausibel, weil mit ähnlichem Motiv nachgewiesen ist.

Das ist es, schriftlich. Siehe 1930.
 
Ich glaube das Interesse am Zitat selbst, ob seiner Authentizität, ist die Frage nach der Plausibilität. Die Plausibilität ist nachgewiesen, da ist es am Ende fast egal, ob es tatsächlich auch im August '39 gefallen ist, oder nicht. Am Inhalt der Besprechungen vom Obersalzberg ändert das ja letztlich nichts.
 
Richard Albrecht hat dazu 2007 eine Arbeit vorgelegt, worin er die Probleme skizziert: dass eben nur in einer Überlieferungsvariante dieses Zitat überhaupt vorkommt und dass dies an einen amerikanischen Journalisten - Louis P. Lochner - via einen SPD-Mann - Johannes Maaß - mit Wehrmachtskontakten zugespielt wurde. Alle Quellen Lochners waren spätestens 1944 aufgrund direkter oder indirekter Verquickung mit dem 20. Juli tot, insofern ist die Authentizität nicht überprüfbar. Albrecht führt Argumente in beide Richtungen auf:
http://docserver.ingentaconnect.com...530&checksum=77FD439B965DDB7650373B961EBEB663
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