Scorpio
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Eine Persönlichkeit, die stark polarisierte! In jungen Jahren galt Josef Ratzinger durchaus als Hoffnungsträger, von dem man sich eine gewisse Liberalisierung erhoffte. Er war Studien-Kommilitone der Theologin Uta Ranke Heinemann, die als erste Frau einen Lehrstuhl für katholische Theologie erhielt, diesen aber unter Johannes Paul II. wegen Kritik an der Jungfräulichkeit Marias und überaus kritischer Äußerungen gegen die Sexualethik und Moral verlor.
Als Chef der Glaubenskongregation setzte Josef Ratzinger knallhart die Linie seines Vorgängers durch, und als Papst galt Benedikt, nicht zuletzt wegen seines schon fortgeschrittenen Alters als Übergangskandidat. Als Papst, der der Linie seines Vorgängers treu bleiben würde, und das war wohl auch einer der Gründe seiner Wahl.
Benedikt XVI. hatte nach dem sehr langen Pontifikat des "Papstes der Herzen" Johannes Paul II. durchaus einen schweren Stand. Bei aller (berechtigten) Kritik war Johannes Paul II. doch ein charismatischer Papst gewesen. Gleichzeitig hatte sich unter Johannes Paul II. ein großer Reformstau in der Kirche angesammelt.
Die römisch katholische Kirche ins 21. Jahrhundert zu führen, war durchaus eine Herausforderung.
Zu Beginn von Benedikts Pontifikat war überall die Rede von einer Renaissance des Glaubens, einer Wiederbelebung von Spiritualität. Da wurde fast schon um die Wette gepilgert, Arnulf Baring und andere nahmen eine Auszeit im Kloster, bedauerten, dass Spiritualität bei den Protestanten eher zu kurz kommt.
Dann kam Benedikt nach Deutschland, und wo auch immer sich Kameras befanden, tauchten sogleich sehr jugendliche Vertreter einer Generation Benedikt auf, die erklärten, was doch der Sechzehnte für ein brillanter Vordenker, Theologe und netter Onkel ist und die Aussagen zu Familie, Sexualität und Glauben machten, die unglaublich reaktionär anmuteten.
Benedikt XVI. hielt dann viele kluge Reden. Sein Dialog mit Vertretern des Judentums und des Islams wirkte zumindest ernst gemeint, und auch sein Engagement für den Weltfrieden nahm man Benedikt ab, Sein Engagement wirkte zumindest authentisch. Im Großen und Ganzen war die Botschaft dieses Papstes und dieses Pontifikats: Es bleibt alles beim Alten- und das ist auch gut so! Die Katholische Kirche muss sich nicht ändern. Es gibt eine Sehnsucht nach Glauben und Spiritualität, es schien einige Zeit so, als sei es gerade die Stärke der Kirche, sich nicht zu verändern, an überkommenen Prinzipien festzuhalten-klare Regeln zu setzen, auch wenn diese bei vielen aneckten.
Dann aber kamen die seit 10 Jahren nicht endenden Missbrauchsskandale, und es taten sich wahre Abgründe auf!
Man hatte irgendwie geahnt, dass es eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit gab, auch dass es Kleriker gab/gibt, die mit der von oben verordneten Keuschheit ihre Schwierigkeiten haben. Für Priester, die mit dem Zölibat Schwierigkeiten haben, hätte man Verständnis aufbringen können. Das Gleiche gilt für Kleriker, die nun einmal homosexuell sind. Man könnte selbst für Kleriker, die sich mal einen Seitensprung, einen Bordellbesuch oder auch ein paar Joints gönnen Verständnis aufbringen-nicht aber für homosexuelle Pädophile, die den ihnen gewährten Vertrauensbonus missbrauchen, um sich an Kindern zu vergehen.
Dieses Ausmaß, diesen Dreck hätten wohl selbst Leute, die der Kirche feindlich gesinnt sind, nicht für möglich gehalten.
Johannes Paul II. hatte als junger Priester miterlebt, wie (häufig erfundene) Missbrauchsfälle von den Nazis instrumentalisiert wurden, um Priester und nicht zuletzt auch die Kirche selbst zu diskreditieren. Johannes Paul II. war daher sehr stark geneigt, solche Vorwürfe für instrumentalisiert zu halten, selbst wenn sie berechtigt waren. Viele Betroffene beschrieben, dass ihnen nicht geglaubt wurde, dass man sich so etwas nicht vorstellen konnte und wollte.
Benedikt XVI. hat wohl durchaus eine Reihe von Geistlichen vom Dienst suspendiert, war aber letztlich nicht wirklich in der Lage, die Skandale aufzuarbeiten. Es wurde der Vorwurf laut, dass Benedikt XVI. als Erzbischof von München und Freising eine Reihe von Fällen auf dem Schreibtisch hatte und dass auch er Anteil an der Vertuschung hatte. Es war offensichtlich, dass Missbrauchsfälle systemisch bedingt waren, dass zumindest die Hierarchie dazu beigetragen hat, dass Pädophile über Jahre hinweg, ihre Neigungen ausleben konnten, dass man Priester, die nicht nur schwerste Sünden, sondern widerliche Verbrechen begingen immer wieder versetzt hat.
Ein Bekenntnis und eine Stellungnahme dazu hat man von Benedikt XVI. nicht dazu gehört. Statt dessen wurden Sündenböcke vorgeschoben, und obwohl es Missbrauchsfälle schon in den 1950ern gab, behauptete Benedikt, dass die 68er Bewegung, die Sexualisierung von Kindern und die Gottesferne des modernen Menschen verantwortlich für diese monströsen Missbrauchsskandale seien-
Das alles ist dem Papst und der katholischen Kirche gewaltig auf die Füße gefallen, ist für die Kirche zu einem riesigen Glaubwürdigkeitsproblem geworden.
Es ist heute kaum noch die Rede davon, dass es eine Wiederbelebung und Renaissance des Glaubens und ein Sehnen nach Spiritualität gibt.
Ein Papst wie Franziskus, der statt mit dem Papamobil mit dem Bus oder einem alten Fiat vorfährt, der sich über das Protokoll hinwegsetzt, der Obdachlose bewirtet und öffentlich sagt: "Wer bin ich, um über Homosexuelle zu urteilen"- ein solcher Papst wäre 2005 eine Sensation gewesen. Einem solchen Papst wären Sympathien zugeflogen, und er wäre ohne großen Aufwand ein Medienstar geworden.
Nun, im x-ten Jahr der Missbrauchsskandale genügt das nicht (mehr), um das angeschlagene Ansehen der Kirche wiederherzustellen.