Besonderheiten des Ostkrieges (Sowjetunion)

honey_bunny6

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Hallo,
kann mir jemand vielleicht sagen, was die Besonderheiten des Krieges gegen die Sowjetunion waren? (Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion)
Waren das die verbrecherischen Befehle????

Wäre echt toll, wenn mir jmd helfen könnte....
Grüße
 
Mal zum googeln: Einsatzgruppen, Kommissarbefehl (hieß der so?), Umgang mit Polen.
Wikipedia hat eine Kategorie nur zu Verbrechen der Wehrmacht. Da findest du ebenfalls einiges. Wenn du dir noch das Thema "Überfall auf NL - Polen. Wo sind die Unterschiede???" durchliest, sollte das ein solider Grundstock für die Beantwortung sein.
 
Hallo und schonmal danke für die Antwort.
Das Überthema ist: Die Wehrmacht und der Genozid
Die Besonderheiten im Ostkrieg diesbezglich sind dann doch die verbrecherischen Befehle (Komissarbefehl, Kriegsgerichtsbarkeitserlass, Sonderaufgaben im Auftrag des Führers usw) , oder liege ich da falsch??
Danke schonmal
 
Die Kriegsführung gegen die Sowjetunion war eine andere als die im Westen (oder gegen Polen)! In diesem unsäglichen Krieg gegen die SU ("Barbarossa") ging es für beide Seiten von Anfang an um alles oder nichts. Beide Seiten kämpften quasi vom ersten Tag an mit allen Mitteln, mit aller Härte, mit aller Konsequenz. Denn Ziel des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion war nicht allein die Unterwerfung des Gegners, sondern deren Vernichtung.

Die besonders rücksichtslose, harte und brutale Kriegsführung der Wehrmacht und Waffen SS gegen die Sowjetunion war möglich, da, erstens, die ideologische Indoktrination seit 1933 das Denken und Handeln der Soldaten mehr geprägt und beeinflusst hatte, als manch einer glauben möchte. Zum zweiten spielte die Pervertierung von Moral und Disziplin eine wesentliche Rolle: auf der einen Seite versuchte man zu unterbinden (Willkür und Gleichgültigkeit), was man auf der anderen legitimierte ("Barbarossa"-Erlass, Kommissarbefehl).

Unter anderem trug genau das zu einer allgemeinen und zunehmenden Verrohung der Truppe bei, die den Soldaten unempfänglich für die Leiden der Zivilisten und der gegnerischen Soldaten machte, wie diverse Befehlshaber bereits in den ersten Tagen und Wochen von "Barbarossa" besorgt nach oben meldeten!

So zeigte sich bereits in den ersten drei Tagen des Überfalls auf die Sowjetunion bei den Panzerverbänden der Heeresgruppe Mitte eine unmittelbare und durchschlagende Wirkungen der offiziellen Politik des "Barbarossa"-Erlasses auf die Soldaten: Es kam zu willkürlichen Erschießungen, so dass sich der Kommandeur des 47. Panzerkorps, General Lemelsen, am 25. Juni 1941 genötigt sah, folgenden Befehl zu erteilen:


"Ich habe festgestellt, daß in sinnloser Form Erschießungen stattgefunden haben, sowohl von Gefangenen wie von Zivilisten. Der russische Soldat, der in Uniform gefangengenommen wird und tapfer gekämpft hat, hat Anspruch auf ehrenvolle Behandlung.
Diese Anordnung ändert nichts an dem Befehl des Führers über rücksichtsloses Vorgehen gegen Freischärler und bolschewistische Kommissare."
(Quelle: Dokument BA-MA, RH27-18/24, 25.6.41.)


Fünf Tage später musste General Lemelsen erneut an seine Soldaten appellieren, da sie offenbar seinen ersten Befehl völlig ignoriert hatten (es wurde dennoch niemand zur Rechenschaft gezogen):


"Trotz meiner Verfügung vom 25.6.41 ... werden immer wieder Erschießungen von Gefangenen, Überläufern und Deserteuren festgestellt, die in unverantwortlicher, sinnloser und verbrecherischer Weise stattfinden. Das ist Mord!
[...]
Der Erlaß des Führers befiehlt ein rücksichtsloses Vorgehen gegen den Bolschewismus (politische Kommissare) und jedes Freischärlertum! Einwandfrei als hierzu gehörig festgestellte Leute sind abseits zu führen und ausschließlich auf Befehl eines Offiziers zu erschießen."
(Quelle: Dokument BA-MA, RH27-18/175, 30.6.41.)


Dieses Beispiel ist in zweierlei Hinsicht interessant: Zum einen zeigt es, dass schon während der ersten Tage des Überfalls auf die SU willkürlich Gefangene und Zivilisten massakriert wurden, zum anderen zeigt es, dass der Kommissarbefehl bestand hatte. Denn viele Befehlshaber hatten nach dem Krieg zu Protokoll gegeben, dass der Kommissarbefehl in ihrer Truppe nicht ausgeführt worden war, was sich oft später als nicht richtig erwies - so auch in diesem Fall: Denn das 47. Panzerkorps gehörte zur Panzergruppe 2, die von Heinz Guderian befehligt wurde. Guderian behauptete aber in seinem Buch "Erinnerungen eines Soldaten", dass die Panzergruppe 2 den Kommissarbefehl nie erhalten habe. Das entspricht offensichtlich aber nicht den Tatsachen!

In all dem liegt eine grundlegende und wesentliche Basis, warum sich der deutsche Soldat im Russlandkrieg von vorn herein anders verhielt, als im Westen oder auch im Polenfeldzug!


Grundlagenliteratur zum Thema:
Bartov, Omer: Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges. 1995.
Hrsg. Buchheim, Hans: Anatomie des SS-Staates. 1999.
Hrsg. Borsdorf/Jamin: Über Leben im Krieg. 1989.
Überschär, Gerd R.: Hitlers Krieg im Osten 1941-1945. 2000.
Überschär, Gerd R.: "Unternehmen Barbarossa". Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941 : Berichte, Analysen, Dokumente.
Hrsg. Dierwege, W.: Deutsche Soldaten sehen die Sowjetunion. Feldpostbriefe 1941.
Messerschmidt, Manfred: Kommandobefehl und NS-Völkerrechtsdenken, in "RDP" 11 (1972).
Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 4.



Saludos!
 
Vielen Dank!
Das hilft mir weiter!

Dann lag ich mit dem was ich vermutetedoch richtig. (Vor den Kampfhandlung wurde die Liquidierungeiner bestimmten Gruppe befohlen, Vernichtung des "jüdischen Bolschewismus", verbrecherischen Befehle)

Danke :)
 
Die Kriegsführung gegen die Sowjetunion war eine andere als die im Westen (oder gegen Polen)! In diesem unsäglichen Krieg gegen die SU ("Barbarossa") ging es für beide Seiten von Anfang an um alles oder nichts. Beide Seiten kämpften quasi vom ersten Tag an mit allen Mitteln, mit aller Härte, mit aller Konsequenz. Denn Ziel des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion war nicht allein die Unterwerfung des Gegners, sondern deren Vernichtung.

(...)

In all dem liegt eine grundlegende und wesentliche Basis, warum sich der deutsche Soldat im Russlandkrieg von vorn herein anders verhielt, als im Westen oder auch im Polenfeldzug!
Deiner These, dass der Russlandfeldzug von vorneherein als rassistisch motivierter Raub- und Vernichtungskrieg geplant war und so auch durchgeführt wurde, stimme ich uneingeschränkt zu.

Soweit Du behauptest, dass auch die SU in diesem Krieg "vom ersten Tag an mit allen Mitteln, mit aller Härte, mit aller Konsequenz" "kämpfte", möchte ich klarstellend darauf hinweisen, dass die SU keinen derartigen Vernichtungskrieg gegen Deutschland plante oder führte. Die Übergriffe der Roten Armee gegenüber deutschen Zivilisten ereigneten sich erst nach der Kriegswende mit dem Vorrücken der Roten Armee gegen Westen und waren eine Folge der von den deutschen Verbrechen in Osteuropa ausgehenden Verrohung der Kriegsführung.

Kritisieren möchte ich jedoch Deine These, dass die Deutschen den Krieg in Polen ritterlicher führten als den gegen die SU. Nachdem sich Polen Anfang 1939 weigerte, Hitler als Vasall im künftigen Krieg gegen die SU zu unterstützen, verfolgte dieser mit dem Polenfeldzug auch das Ziel der Vernichtung des Polentums. In den zuvor als bündnistauglich eingeschätzten Polen wurde nun "Untermenschen" gesehen. Polen wurde so zum praktischen Exerzierfeld für die Lebensraumpolitik.

Bei Beate Kosmala, "Polen", in: Wolfgang Benz u.a., "Enzyklopädie des Nationalsozialismus", 1997, S. 641, 643, findet man hierzu folgende Darstellung:

"Militärischer Feldzug und rasseideologischer Vernichtungskrieg verliefen parallel und bildeten den Auftakt zum Unternehmen Barbarossa zwei Jahre später (Ostfeldzug). Ziel der Besatzungspolitik in den eingegliederten Ostgebieten war die schnelle Germanisierung im Rahmen des demographischen und herrschaftlichen Umbauprogramms Europas, das mit unmittelbarem Terror umgesetzt wurde. Die Kommandos der Einsatzgruppen des Sicherheitsdienstes der SS, die den in Polen einmarschierenden Truppen der Wehrmacht folgten, ermordeten nach vorbereitenden Fahndungslisten Tausende von einflußreichen polnischen Bürgern, darunter Intellektuelle, Geistliche, Arbeiter und Gewerkschafter."

Der Polenfeldzug war die Generalprobe für den Vernichtungskrieg gegen die SU. Dies wirkte sich auch auf die Kriegsführung aus. Ich denke da vor allem auf die Übergriffe der Wehrmacht gegenüber der polnischen Zivilbevölkerung, insb. den polnischen Frauen.
 
Soweit Du behauptest, dass auch die SU in diesem Krieg "vom ersten Tag an mit allen Mitteln, mit aller Härte, mit aller Konsequenz" "kämpfte", möchte ich klarstellend darauf hinweisen, dass die SU keinen derartigen Vernichtungskrieg gegen Deutschland plante oder führte. Die Übergriffe der Roten Armee gegenüber deutschen Zivilisten ereigneten sich erst nach der Kriegswende mit dem Vorrücken der Roten Armee gegen Westen und waren eine Folge der von den deutschen Verbrechen in Osteuropa ausgehenden Verrohung der Kriegsführung.
Ohne vergleichen zu wollen, unterschlägst Du hier die Ermordungen und Verstümmelungen Kriegsgefangener durch die Rote Armee von Beginn an. (Was ähnlich dem deutschen "Freischärlerwahn" in Polen, siehe unten, auf die Impfung der Rotarmisten zurückzuführen sein mag, dass auch die Wehrmacht keine Gefangene mache)

Die späteren Kriegsverbrechen der Roten Armee würde ich nicht nur (aber auch) als Folge der deutschen Kriegführung sehen.


Kritisieren möchte ich jedoch Deine These, dass die Deutschen den Krieg in Polen ritterlicher führten als den gegen die SU. ...
Der Polenfeldzug war die Generalprobe für den Vernichtungskrieg gegen die SU. Dies wirkte sich auch auf die Kriegsführung aus. Ich denke da vor allem auf die Übergriffe der Wehrmacht gegenüber der polnischen Zivilbevölkerung, insb. den polnischen Frauen.

Wer sind "die" Deutschen? nachgefragt: Hitler - Partei-Konsorten - Wehrmachtsführung - TRuppenführung - Soldaten - Einsatzgruppen?

Die "Generalprobe" scheidet schon deshalb aus, weil es innerhalb der Wehrmachtsführung keine SU-Planungen gab, wenn man es mal auf die WM-Führung bezieht. Wenn überhaupt, spielte sich das in Hitlers (und seiner Konsorten) Vorstellungen ab, mag sein, dass er die Brutalisierung in Polen als Auftakt angesehen hat.

Nimmt man Böhler, oder etwas älter Broszat, etc. ergeben sich u.a. folgende Feststellungen:

1. Die Aufpeitschung einfacher Soldaten durch die monatelang laufende Hetzpresse im Dritten Reich, die zu Eskalationen führten (nicht planmäßig, vielleicht beabsichtigt, mindestens gebilligt von der NS-Führung)

2. Der um sich greifende "Freischärlerwahn" der Truppe, hervorgerufen durch massive Sensibiliserung durch die Führung in der Kriegsvorbereitung, Vorurteilen gegen die polnische Kriegführung, Unerfahrenheit der Führung und Truppe vor Ort. Hier liegt die Masse der (überwiegend nicht geahndeten) Übergriffe, soweit es Verbrechen der Wehrmacht betrifft.

3. Die Führung ist in Polen in der Regel sowohl gegen die Freischärlerübergriffe, als auch gegen spontane Gewaltakte eingeschritten, ohne sie unterb inden zu können, was natürlich in ihre Verantwortung fällt. Ebenso eingeschritten ist die Wehrmachtsjustiz, selbst z. B. gegen Personen der SS-Verfügungstruppe im Rahmen der Panzerdivision Kempf. Die Verurteilungen wurden später durch Hitler aufgehoben. Der Wehrmachtsführung wurde die Befehlsgebung in Polen Mitte Oktober u.a. deswegen entzogen, weil sich die Beschwerden nach oben über die mordenden Einsatzgruppen, Disziplinlosigkeiten etc. häuften. Bereits vorher wurden die Beschwerden der Wehrmacht von Hitler etc. mißbilligt.

4. Umstritten in ihrer Reichweite auf die Wehrmachtsführung ist die Forderung zur "Vernichtung der lebendigen Kraft Polens", in der Hitler-Ansprache vom 22.8.1939. Zu den Interpretationen und der Diskussion z.B. VfZ 1968 und 1971. Es kommt hier nicht darauf an, wie der Wortlaut war, sondern wie das von den Adressanten aufgefaßt worden ist.

Insoweit sehe ich den Versuch z.B. von Böhler als nicht überzeugend an, den in seiner Dimension einzigartigen "Vernichtungskrieg" gegen die SU quasi als Generalprobe nach Polen vorzuziehen.
 
Die Kriegsführung gegen die Sowjetunion war eine andere als die im Westen (oder gegen Polen)!
Unterschiede zum Westen sehe ich ein, keine Frage. Aber mit Polen... Klar, Polen hat sich nicht so verbissen gewährt wie die SU (wie auch), daher war es von den eigentlichen Kampfhandlungen her bestimmt anders, aber der Umgang der deutschen Militärs mit der Zivilbevölkerung nahm sich nicht sonderlich viel, oder? Die Pläne aus Polen ein ungebildetes Arbeitsvolk zu machen, stehen der Meinung über "bolschewistische Untermenschen" imho in nichts an Menschenverachtung nach.
 
silesia schrieb:
Ohne vergleichen zu wollen, unterschlägst Du hier die Ermordungen und Verstümmelungen Kriegsgefangener durch die Rote Armee von Beginn an. (Was ähnlich dem deutschen "Freischärlerwahn" in Polen, siehe unten, auf die Impfung der Rotarmisten zurückzuführen sein mag, dass auch die Wehrmacht keine Gefangene mache)
Schade finde ich, dass Du sofort auf die Vorwurfebene umschaltest („unterschlagen"). Ich hätte mir da lieber gewünscht, dass Du eine Quelle nennst für die von Dir ins Spiel gebrachten Ermordungen und Verstümmelungen.
Zudem bleibt der Sinn und Zweck Deines Einwandes unklar. Was möchtest Du aus den angeblichen Ermordungen und Verstümmelungen schließen? Bist du - wegen diesen Vorkommnissen - der Auffassung, dass die SU gegen Deutschland von Anfang an einen Vernichtungskrieg führte, so wie Deutschland von Anfang an einen Vernichtungskrieg gegen die SU führte? Einen solchen Schluss würde ich für völlig überzogen halten.
silesia schrieb:
Die späteren Kriegsverbrechen der Roten Armee würde ich nicht nur (aber auch) als Folge der deutschen Kriegführung sehen.
Hier nennst Du leider nicht die anderen Momente, die Deiner Einschätzung nach, zu den sowjetischen Kriegsverbrechen führten, und die keine Folge der deutschen Kriegsführung darstellen. Um welche handelte es sich hierbei?
silesia schrieb:
Wer sind "die" Deutschen? nachgefragt: Hitler - Partei-Konsorten - Wehrmachtsführung - TRuppenführung - Soldaten - Einsatzgruppen?
Die "Generalprobe" scheidet schon deshalb aus, weil es innerhalb der Wehrmachtsführung keine SU-Planungen gab, wenn man es mal auf die WM-Führung bezieht. Wenn überhaupt, spielte sich das in Hitlers (und seiner Konsorten) Vorstellungen ab, mag sein, dass er die Brutalisierung in Polen als Auftakt angesehen hat.
Ich will mich mit Dir nicht über Begrifflichkeiten streiten. Es geht - meiner Meinung nach - weniger um den zutreffenden Begriff als um die zutreffende Einordnung eines Sachverhalts:
Im Polenfeldzug ermordeten Einheiten der Wehrmacht Tausende von Polen und Juden, Zivilisten und Kriegsgefangene. Ist das nun eher mit dem a) Verhalten der Wehrmacht in den Westfeldzügen vergleichbar oder b) eher mit dem Verhalten in der SU? Meine Antwort: b) eher mit dem in der SU.
Meinetwegen kannst Du den Polenfeldzug auch als Auftakt zum Vernichtungskrieg bezeichnen oder als Ouvertüre. Mir ist kommt es lediglich darauf an, seine Nähe zum Vernichtungskrieg hervorzuheben.
silesia schrieb:
Nimmt man Böhler, oder etwas älter Broszat, etc. ergeben sich u.a. folgende Feststellungen:
(...)
Insoweit sehe ich den Versuch z.B. von Böhler als nicht überzeugend an, den in seiner Dimension einzigartigen "Vernichtungskrieg" gegen die SU quasi als Generalprobe nach Polen vorzuziehen.
Ich nehme mal an, dass Du Jochen Böhler gar nicht gelesen hast. Der kommt nämlich zu ganz anderen Ergebnissen. Auch schreibt er nicht von der „Generalprobe zum Vernichtungskrieg" sondern (sogar) vom „Auftakt zum Vernichtungskrieg": Jochen Böhler, „Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939", 2006.
silesia schrieb:
1. Die Aufpeitschung einfacher Soldaten durch die monatelang laufende Hetzpresse im Dritten Reich, die zu Eskalationen führten (nicht planmäßig, vielleicht beabsichtigt, mindestens gebilligt von der NS-Führung)
2. Der um sich greifende "Freischärlerwahn" der Truppe, hervorgerufen durch massive Sensibiliserung durch die Führung in der Kriegsvorbereitung, Vorurteilen gegen die polnische Kriegführung, Unerfahrenheit der Führung und Truppe vor Ort. Hier liegt die Masse der (überwiegend nicht geahndeten) Übergriffe, soweit es Verbrechen der Wehrmacht betrifft.
Zum einem lässt Du außer Acht, dass der Sinn und Zweck der Goebbelsschen Hetzpropaganda gerade darin bestand, die Militärs näher an die völkischen Pläne des NS-Regimes heranrücken zu lassen. Wie das funktionierte konnte er an Belgien 1914 studieren. Schon damals wurde die deutsche Truppe vom Freischärlerwahn ergriffen. Die Mär von der kämpfenden polnischen Bevölkerung beflügelte die Sorge der Militärs um die Sicherung der eroberten Gebiete. Zusammen mit traditioneller Slawenfeindlichkeit und rassistischen Vorstellungen gab es dann auch viel Sympathie für ein hartes Durchgreifen gegen angebliche Frankiteure und deren Umfeld, zu dem die Juden gerechnet wurden, sei es durch die Truppe oder die Einsatzkommandos der SS oder der Polizei. Hierin kann man durchaus einen Auftakt sehen in der Zusammenarbeit von Wehrmacht, SS und Polizei die Bevölkerung eines im Osten eroberten Gebiets auszuschalten.
Zum anderen lässt Du außer Acht, dass es in Polen 1939 auch zur Misshandlung und Tötung von Kriegsgefangenen (für Dich im Fall SU ein Beleg für einen Vernichtungskrieg?), Plünderungen, Vergewaltigungen und antisemitisch motivierten Ausschreitungen („Blitz-Pogromen", Morden, Plünderungen, etc.) kam. Der Freischärlermythos diente häufig als Rechtfertigung dieser Kriegsverbrechen.
silesia schrieb:
3. Die Führung ist in Polen in der Regel sowohl gegen die Freischärlerübergriffe, als auch gegen spontane Gewaltakte eingeschritten, ohne sie unterb inden zu können, was natürlich in ihre Verantwortung fällt. Ebenso eingeschritten ist die Wehrmachtsjustiz, selbst z. B. gegen Personen der SS-Verfügungstruppe im Rahmen der Panzerdivision Kempf. Die Verurteilungen wurden später durch Hitler aufgehoben. Der Wehrmachtsführung wurde die Befehlsgebung in Polen Mitte Oktober u.a. deswegen entzogen, weil sich die Beschwerden nach oben über die mordenden Einsatzgruppen, Disziplinlosigkeiten etc. häuften. Bereits vorher wurden die Beschwerden der Wehrmacht von Hitler etc. mißbilligt.
Du schließt von dem missbilligenden Verhalten einiger weniger Wehrmachtsoffiziere auf eine 1939 allgemein verbreitete ablehnende Haltung der Wehrmachtsführung gegenüber der „Volkstumspolitik" in Polen. Die Versäumnisse der Wehrmachtsführung, den Anfängen zu wehren und die Vielzahl unverblümter Äußerungen des Verständnisses für das Vorgehen gegenüber den Juden und dem Polentum lässt Du dabei freilich außer Acht.
Dass in aller Regel gegen Übergriffe eingeschritten wurde, ist unzutreffend. Es gab keinen polnische Erhebung gegen die Wehrmacht, aber 16.000 exekutierte Zivilisten (durch Wehrmacht, SS und Polizei).
Freilich konnte auch die Wehrmacht nicht alles durchgehen lassen. Immerhin drang so manches nach Außen. Um das Ansehen im Ausland war man damals noch - ein Stück weit - besorgt. Auch hatte man darauf zu achten, dass wieder Disziplin in die Truppe einkehrte. Die wurde noch für weitere Feldzüge gebracht und sollte sich nicht zu früh an ihr neues Leben als Herrenmenschen im Osten gewöhnen. Aber Du hast es ja schon geschrieben: bestraft wurde letztlich niemand!!!
silesia schrieb:
4. Umstritten in ihrer Reichweite auf die Wehrmachtsführung ist die Forderung zur "Vernichtung der lebendigen Kraft Polens", in der Hitler-Ansprache vom 22.8.1939. Zu den Interpretationen und der Diskussion z.B. VfZ 1968 und 1971. Es kommt hier nicht darauf an, wie der Wortlaut war, sondern wie das von den Adressanten aufgefaßt worden ist.
Um beurteilen zu können, wie Hitlers Rede auf die Wehrmachtsführung wirkte, kommt es natürlich auch auf den Wortlaut an. Der wiederum war ziemlich eindeutig: „Vernichtung Polens im Vordergrund. Ziel ist Beseitigung der lebendigen Kräfte, nicht die Erreichung einer bestimmten Linie" (Zweite Ansprache von Hitler am 22.8.1939 in: ADAP, Serie D (Bd. 5), S. 172).

Hitler soll bei seiner Rede vor den Wehrmachtsführern sogar die Verwendung paramilitärischer Mordkommandos offen angekündigt haben: „So habe ich, einstweilen nur im Osten, meine Totenkopfverbände bereitgestellt mit dem Befehl, unbarmherzig und mitleidslos Mann, Wein und Kind polnischer Abstammung und Sprache in den Tod zu schicken. Nur so gewinnen wir den Lebensraum den wir brauchen" (Ansprache von Hitler am 22.8.1939, Dok. L-3, in: ADAP, Serie D (Bd. 5), S. 171, Anm. 1). Ob Hitler das wirklich gesagt hat, ist umstritten. Bemerkenswert ist jedoch, dass z.B. der Chef der militärischen Abwehr Canaris drei Tage nach Hitlers Rede (!) gegenüber Generalstabschef Halder seine „Besorgnis wegen [der] Rolle der Totenkopfverbände" (!) zum Ausdruck brachte (vgl. Jochen Böhler, „Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939", 2006, S. 203 m.w.N.). Alles nur Zufall - "nicht planmäßig, vielleicht beabsichtigt, mindestens gebilligt" (silesia)?
 
Lieber Gandolf,

wir wollen mal die Kirche im Dorf lassen. Da wir hier nicht im Gerichtssaal sind, ist mit "unterschlagen" auch nur die zeitliche Klammer bzw. das Auslassen zwischen Vernichtungskrieg der Wehrmacht und Kriegsverbrechen der Roten Armee in Deutschland gemeint gewesen, und dieses nicht vorwurfsvoll. Du kannst es gerne durch "überschlagen" ersetzen wenn Dir "unterschlagen" zu nahe am StGB liegt. Wenn Du Zweifel hast, ob etwas negativ gemeint sein soll, würde ich vorschlagen, Du fragst per PN nach, bevor du das unterstellst. Würde ich jedenfalls so machen.

Die "Generalprobe" hatte ich von Dir begrifflich übernommen, wir brauchen darüber aber nicht zu diskutieren: Wir können gerne bei "Auftakt" bleiben:
Der Polenfeldzug war die Generalprobe für den Vernichtungskrieg gegen die SU. Dies wirkte sich auch auf die Kriegsführung aus.


Nachgefragte Quellen: statt vieler beeideter Bericht der Kriegspfarrer Sindersberger und Klinger, in Kopie abgedruckt in: Kippar, Das Kampfgeschehen der 161. ID von der Aufstellung 1939 bis zum Ende, S. 139, über Kriegsverbrechen an Gefangenen/Verwundeten durch Übergießen mit Benzin und Anzünden,
Bericht unterschrieben auf dem Divisionsgefechtsstand am 8.7.1941 über die Ereignisse bei Porcczece (Gefangennahem eines Teiles des Divsionstroßes und eines Krankenlagers).

Vergleich der Kriegsverbrechen: Ich hatte ausdrücklich keinen angestellt, insbesondere nicht bezüglich "Vernichtungskrieg", wie meinem Zitat zu entnehmen ist. Warum Du nun einen vorbringst und mich danach fragst, kann ich nicht nachvollziehen. Ich würde mich Deinem Urteil anschließen, dass die Dimensionen nicht vergleichbar sind und dass Dein rhetorisch vorgebrachter Schluss - wie du richtig schreibst - völlig überzogen ist.

Ursachen/andere Momente bei den Soldaten für Kriegsverbrechen 1944/45: weit verbreiteter Alkoholmißbrauch, psychische Extremsituationen: gepreßte Soldaten, mangelnde Disziplin in der Truppe, Entgleiten der Führung, Angst, Mißhandlungen in der Truppe, Massenopferung in Angriffen, völkerrechtswidrige Befehle einzelner Offiziere usw.

Ich nehme mal an, dass Du Jochen Böhler gar nicht gelesen hast.
Da liegst Du falsch. Was ich zitiere, habe ich gelesen.

Der kommt nämlich zu ganz anderen Ergebnissen.
Kein Wunder: das hatte ich bereits so geschrieben. Zitat: "Ich sehe den Versuch als nicht überzeugend an". Tote wegen des Freischärlerwahns (der durch die Führung, die Vorbereitung und die Umstände/Abläufe des Feldzuges verursacht sind, nicht aufgrund gezielter Mordbefehle) lassen sich mE bei Böhler nicht einwandfrei von sonstigen Morden und den Morden der Einsatzgruppen trennen, auch nicht durch selektives Zitieren der KTBs und Feldpostbriefe.

Das verstehe ich nicht:
Auch schreibt er nicht von der „Generalprobe zum Vernichtungskrieg" sondern (sogar) vom „Auftakt zum Vernichtungskrieg"
Wo habe ich geschrieben, Böhler "schreibt"? Ich hatte ausdrücklich vermerkt: "quasi" (gewissermaßen, gleichsam, als ob). Das war auf den Vergleich von "kleinem" zum "großen" Vernichtungskrieg gemünzt. Den halte ich nämlich für falsch.

Die folgenden Ziffern 1. bis 4 waren eine freie Zusammenfassung der Ausführungen Böhlers (soweit mir das wesentlich erschien), insofern verstehe ich die folgenden "Vorwürfe" in der 2. Person nicht, was Du damit aber anmerkst, stimmt mit Böhler im wesentlichen überein (WK I etc.)
Zum einem lässt Du außer Acht, dass der Sinn und Zweck der Goebbelsschen Hetzpropaganda ...
Zum anderen lässt Du außer Acht, dass ...
(für Dich im Fall SU ein Beleg für einen Vernichtungskrieg?),
... Der Freischärlermythos diente häufig als Rechtfertigung dieser Kriegsverbrechen. ...
Du schließt von dem missbilligenden Verhalten ...
... lässt Du dabei freilich außer Acht.
Wo diente der Freischärlermythos als Rechtfertigung für Kriegsverbrechen? Ein Mythos kann wohl kaum einer Rechtfertigung dienen. Bei Böhler finden sich Fälle, wo Ermordungen offiziell in der Berichterstattung mit Freischärlern begründet wurde (was ich nach den Fällen teilweise für glaubhaft ansehe). Den "Mythos" führt Böhler nur ins Spiel, weil es kaum Freischärler gab.

Du schließt von dem missbilligenden Verhalten einiger weniger Wehrmachtsoffiziere auf eine 1939 allgemein verbreitete ablehnende Haltung der Wehrmachtsführung gegenüber der „Volkstumspolitik" in Polen.
So ist das, und in den Eingaben der Führung, Kriegsverbrecherprozessen, etc. nachzulesen. Wie kommst Du auf einige wenige Eingriffe? Hier halte ich Böhler für unvollständig und einseitig in der Interpretation.


Die Rede Hitlers ist im Wortlaut nicht erhalten, es gibt mehr oder weniger vollständige Mitschriften einer mehrstündigen Veranstaltung bzw. Gedächtnisprotokolle. Dass die Rede im Wortlaut umstritten ist, hatte ich bereits geschrieben. Die "schärfste" Fassung ist vermutlich auf die Urfassung von Canaris zurückzuführen, und von Oster frisiert/verschärft nach London geleitet worden, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen. Hierzu verweise ich auf die Diskussion in VfZ 1968/1971, da wird das mE besser verständlich. Die 5 Fassungen dieser Ansprache werden dort erläutert. Dem würde ich nichts hinzufügen wollen.


"Totenkopfverbände und Hitler-Rede"
Welche Minen hier liegen, dazu folgendes:

Der Schluß ist nicht zwingend, die "Totenkopfverbände" können vielerlei bedeuten, da SS-Truppen in die Wehrmacht eingeschoben wurden, z.B. bei der Panzerdivision Kempf. Da verlasse ich mich nach wie vor auf die Anmerkung von Jacobsen, die ich für plausibel halte: "Es handelt sich bei der Eintragung am 25.8.1939 offenbar um die Frage, ob die Totenkopfverbände im Protektorat Böhmen und Mähren den Bahnschutz für den Transport der 10. Panzerdivision übernehmen können." Dies erfolgt mit Verweis auf den Eintrag Halders am 16.8.1939 in seinem KTB, wo es um diesen Bahnschutz der 10. PD geht. Hier am 25.8.1939 wurden nunmehr innere Unruhen im Protektorat vermutet, die Besprechung fand im Polizeipräsidium statt, es wurde auch der Einsatz der Luftwaffe gegen mögliche Aufständische und Unruhen erwogen.

Herzliche Grüße
und hoffentlich hat das einiges geklärt

Thomas
 
Zuletzt bearbeitet:
silesia schrieb:
wir wollen mal die Kirche im Dorf lassen. Da wir hier nicht im Gerichtssaal sind, ist mit "unterschlagen" auch nur die zeitliche Klammer bzw. das Auslassen zwischen Vernichtungskrieg der Wehrmacht und Kriegsverbrechen der Roten Armee in Deutschland gemeint gewesen, und dieses nicht vorwurfsvoll. Du kannst es gerne durch "überschlagen" ersetzen wenn Dir "unterschlagen" zu nahe am StGB liegt. Wenn Du Zweifel hast, ob etwas negativ gemeint sein soll, würde ich vorschlagen, Du fragst per PN nach, bevor du das unterstellst. Würde ich jedenfalls so machen.
Schon dem allgemeinen Sprachgebrauch zufolge ist der von Dir verwendete Begriff „unterschlagen" negativ besetzt. Deine Klarstellung, dass Du diesen Begriff so nicht verstanden wissen wolltest, freut mich. Diese Freude wird allerdings dadurch getrübt, dass Du mir nun vorwirfst, Dir etwas unterstellt zu haben.
silesia schrieb:
Vergleich der Kriegsverbrechen: Ich hatte ausdrücklich keinen angestellt, insbesondere nicht bezüglich "Vernichtungskrieg", wie meinem Zitat zu entnehmen ist. Warum Du nun einen vorbringst und mich danach fragst, kann ich nicht nachvollziehen. Ich würde mich Deinem Urteil anschließen, dass die Dimensionen nicht vergleichbar sind und dass Dein rhetorisch vorgebrachter Schluss - wie du richtig schreibst - völlig überzogen ist.
Ich habe nachgefragt, weil mir unklar war, wie Deine Formulierung, „ohne vergleichen zu wollen, unterschlägst Du..." (# 7), zu verstehen ist. Diese ist nämlich mehrdeutig. Sie kann auch als Vorhalt verstanden werden im Sinne von: „Du [Gandolf] willst nicht vergleichen, unterschlägst aber (...)".

Dankenswerterweise hast Du klargestellt, dass sich das „ohne vergleichen zu wollen" (entgegen den Regeln eines geordneten Satzbaus) auf Dich bezieht. Auch Du möchtest also die Kriegsverbrechen der SU nicht mit denen Deutschlands gleichsetzen. Insoweit sind wir uns einig.
silesia schrieb:
Nachgefragte Quellen: statt vieler beeideter Bericht der Kriegspfarrer Sindersberger und Klinger, in Kopie abgedruckt in: Kippar, Das Kampfgeschehen der 161. ID von der Aufstellung 1939 bis zum Ende, S. 139, über Kriegsverbrechen an Gefangenen/Verwundeten durch Übergießen mit Benzin und Anzünden, Bericht unterschrieben auf dem Divisionsgefechtsstand am 8.7.1941 über die Ereignisse bei Porcczece (Gefangennahem eines Teiles des Divsionstroßes und eines Krankenlagers).
Das von Dir angegebene Buch von Kippar wurde im Selbstverlag aufgelegt, dh. der Autor hat dafür bezahlt, dass sein Buch gedruckt wurde, und kein Verlag hat das Buch auf seine Qualität inhaltlich überprüft. Zudem erschien es nur in geringer Auflage, so dass es selbst in großen Bibliotheken nicht einsehbar ist.

Fazit: in der Frage der Gleichsetzung der Kriegsverbrechen soll ich also etwas „unterschlagen" haben, was für die Beantwortung dieser Frage - auch Deiner Auffassung nach - irrelevant ist und aus einem Buch stammt, das man weder kennen kann noch kennen muss. Mein Rat an Dich lautet: Bitte lass die Kirche im Dorf!:D
silesia schrieb:
Die "Generalprobe" hatte ich von Dir begrifflich übernommen, wir brauchen darüber aber nicht zu diskutieren: Wir können gerne bei "Auftakt" bleiben: (...)
Wo habe ich geschrieben, Böhler "schreibt"? Ich hatte ausdrücklich vermerkt: "quasi" (gewissermaßen, gleichsam, als ob). Das war auf den Vergleich von "kleinem" zum "großen" Vernichtungskrieg gemünzt. Den halte ich nämlich für falsch.
Nun hatte ich ja bereits geschrieben, dass es mir in dieser Diskussion mehr um die Einordnung der Sachverhalte geht (=> Entspricht der Charakter des Polenfeldzugs eher dem der Westfeldzüge oder eher dem eines Vernichtungskrieges?) als um den Streit über den richtigen Begriff.

Wenn Dir aber die Begrifflichkeiten so wichtig sind, möchte ich Dich auf folgendes aufmerksam machen: Die „Generalprobe" zum Vernichtungskrieg (meine Formulierung) liegt zeitlich vor dem Vernichtungskrieg und gehört diesem noch nicht an; der „Auftakt zum Vernichtungskrieg" (Böhlers Formulierung) gehört bereits zum Vernichtungskrieg so wie die Ouvertüre einer Oper zu dieser gehört. Der Begriff der „Generalprobe" ist also zurückhaltender als der Begriff des „Auftakts".;)
silesia schrieb:
gandolf schrieb:
Ich nehme mal an, dass Du Jochen Böhler gar nicht gelesen hast.
Da liegst Du falsch. Was ich zitiere, habe ich gelesen.
Dann hast Du Böhlers Buch „Auftakt zum Vernichtungskrieg" nicht gelesen. Aus diesem Buch hast Du bislang ja auch nicht „zitiert" (= wörtlich wieder gegeben, lt. Wörterbuch). Wo denn?
silesia schrieb:
Wo diente der Freischärlermythos als Rechtfertigung für Kriegsverbrechen? Ein Mythos kann wohl kaum einer Rechtfertigung dienen.
Nicht? Wie das funktionierte, hat Böhler in seinem Buch doch ganz ausführlich beschrieben. Friedliche Juden und Polen bekamen z.B. das Schild „Ich habe auf deutsche Soldaten geschossen" umgehängt und wurden exekutiert.

Ich weiß, dass sich in Deinem letzten Beitrag auch Formulierungen finden, mit denen diese Umstände eingeräumt werden. Aber warum stellst Du dann die oben von mir zitierte Frage???
silesia schrieb:
Kein Wunder: das hatte ich bereits so geschrieben. Zitat: "Ich sehe den Versuch als nicht überzeugend an". Tote wegen des Freischärlerwahns (der durch die Führung, die Vorbereitung und die Umstände/Abläufe des Feldzuges verursacht sind, nicht aufgrund gezielter Mordbefehle) lassen sich mE bei Böhler nicht einwandfrei von sonstigen Morden und den Morden der Einsatzgruppen trennen, auch nicht durch selektives Zitieren der KTBs und Feldpostbriefe.
Der eigentliche Trick beim Schüren des Freischärlerwahns bestand darin, dass gezielte Mordbefehle gar nicht mehr erteilt werden mussten. Die Wehrmachtsführung, die Offiziere in den Verbänden und die Soldaten waren psychologisch auf die Freischärlerbekämpfung eingestellt. „Guten Gewissens" waren die Soldaten vor Ort zur Freischärler-Bekämpfung und zur Kooperation mit den Einsatzgruppen bereit.

Nun mussten nur noch „Freischärler" "gefunden" werden. Die vielen „Freischärler-Meldungen" verstärkten den Eindruck des einzelnen Soldaten, mit Freischärlern rechnen und gegen diese entschieden vorgehen zu müssen. Die Polen galten ohnehin als deutschfeindlich; die Juden sowieso. Ergebnis: die Wehrmacht erschoss 1939 im großen Stil Zivilisten und kooperierte im Rahmen der „Befriedung" der eroberten Gebiete mit den Einsatzgruppen der SS und der Polizei.
silesia schrieb:
... auch nicht durch selektives Zitieren der KTBs und Feldpostbriefe.
Böhler zitiert auch aus wehrmachtsinternen Vorträgen, Berichten oder amtlichen Publikationen.

Aus dem Vortrag des Kdr. der II./AR 31 für den Dienstunterricht vom 12.10.1939, BA-MA, RH41/1177 (Böhler, S. 7): „Und wir haben die traurigen Bilder gesehen und miterlebt, dass deutsche Soldaten sengen, brennen, morden, plündern, ohne sich etwas dabei zu denken, Erwachsene Menschen, die sich nicht einmal dessen bewusst sind, was sie tun, die - ohne sich ein Gewissen daraus zu machen - gegen gegebene Gesetze und Vorschriften und gegen die Ehre des deutschen Soldaten verstoßen".

Aus offiziellen Wehrmachtspublikationen wie zum Beispiel „Hinter der Hecke ... Krieg oder Mord?" in: OKW (Hg.), „Die Wehrmacht. Der Freiheitskampf des großdeutschen Volkes", Berlin, 1940, S. 40: „Es gibt kaum einen deutschen Verband im Polenfeldzug, der (...) von der Tätigkeit der „Heckenschützen" nichts gespürt hat. Noch lange nach dem Abschluss des Polenfeldzugs trieben diese Frankiteure in Polen ihr Unwesen und sie wurden mit den Mitteln bekämpft, die das Völkerrecht für solche Fälle zulässt".

Aus dem „Merkblatt [des ObdH] für das Verhalten der deutschen Soldaten im besetzten Gebiet im Polen" vom 19.9.1939, BA-MA, RS4/1118: „Das Verhalten gegenüber den Juden bedarf für den Soldaten des Nationalsozialistischen Reiches keine[r] besondere[n] Erwähnung". Die vage Formulierung schien sich im Polenfeldzug bewährt zu haben. Sie wurde im Sommer 1942 wörtlich in das „Merkblatt für das Verhalten des deutschen Soldaten in den besetzten Ostgebieten" übernommen.

Keine Generalprobe/Auftakt zum Vernichtungskrieg?

Literatur: Jochen Böhler, „Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939", 2006.
 
Ich hoffe doch nicht.

Darüber, dass die sowjetischen mit den deutschen Kriegsverbrechen nicht gleichzusetzen sind, sind sich silesia und ich ja einig.

Hinsichtlich der von sowjetischen Soldaten zu Lasten deutscher Soldaten gleich zu Beginn des Rußlandkrieges (1941) begangenen Kriegsverbrechen, wäre ich immer noch an einer akzeptablen Sekundärquelle interessiert (Bitte kein Buch aus einem Selbstverlag).

Hinsichtlich der Frage, ob der Charakter des Polenfeldzugs eher mit dem der Westfeldzüge oder eher mit dem eines Vernichtungskrieges vergleichbar ist, werden silesia und ich wohl keine Einigung erzielen. Wenn diese Frage weiter interessiert, kommt an dem Buch von Böhler nicht vorbei.
 
Artet das jetzt in einem Kleinkrieg aus?
Nun kommt mal beide wieder etwas runter.

Hallo Florian,

danke für den Hinweis, keine Sorge.

Im übrigen werde ich mir Böhler nochmal sorgfältig durchlesen, ob ich meinen Eindruck aufrecht erhalten kann.

Vorab: Zu der zitierten Quelle 161. ID war vermerkt "statt vieler". Was der Privatdruck und der Hinweis auf Bezahlung bewirken soll, verstehe ich nicht, muss ich aber auch wohl nicht. Ansonsten hatte ich auf die abgedruckte Kopie des beeideten Berichts hingewiesen, weshalb ich ihn ausgewählt habe. Ähnliche Berichte dazu gibt es Dutzende.

Grüße
Thomas
 
Das von Dir angegebene Buch von Kippar wurde im Selbstverlag aufgelegt, dh. der Autor hat dafür bezahlt, dass sein Buch gedruckt wurde, und kein Verlag hat das Buch auf seine Qualität inhaltlich überprüft. Zudem erschien es nur in geringer Auflage, so dass es selbst in großen Bibliotheken nicht einsehbar ist.
1939", 2006.

Da gibt es aber etliche Quellen dazu. Fällt mir ein, "Gefangenschaft und Heimkehr" von Lehmann.

Zum Freischärlerwahn, dafür ist anscheinend so manche kämpfende Truppe anfällig, ich erinnere hier mal an die "Reutlinger Geiselerschießung" des April 1945 ausgehend von der Wehrwolfpropaganda.
 
Da gibt es aber etliche Quellen dazu. Fällt mir ein, "Gefangenschaft und Heimkehr" von Lehmann.
Dankeschön. Das Buch werde ich mir anschauen.:)

Um Missverständnisse zu vermeiden: ich suche nach Hinweise auf Kriegsverbrechen, die von sowjetischer Seite bereits zu Beginn des Krieges 1941 begangen wurden und nicht auf Verbrechen, die erst in späteren Phasen des Krieges in der Gefangenschaft begangen wurden.;)
repo schrieb:
Zum Freischärlerwahn, dafür ist anscheinend so manche kämpfende Truppe anfällig, ich erinnere hier mal an die "Reutlinger Geiselerschießung" des April 1945 ausgehend von der Wehrwolfpropaganda.
Den Unterschied zu Polen 1939 sehe ich darin, dass die Werwolfpropaganda von den Deutschen selbst betrieben wurde; währenddessen die Freischärlerpropaganda 1939 nicht von den Polen sondern von den das Land besetzenden Deutschen gehegt und gepflegt wurde.
Vorab: Zu der zitierten Quelle 161. ID war vermerkt "statt vieler".
Von dem Vermerk habe ich leider nichts, wenn Du mir nicht mitteilst, welche Quellen du meinst und wo ich diese finde.
silesia schrieb:
Was der Privatdruck und der Hinweis auf Bezahlung bewirken soll, verstehe ich nicht, muss ich aber auch wohl nicht.
Dabei ist das doch gar nicht so schwer zu verstehen.;)
silesia schrieb:
Ansonsten hatte ich auf die abgedruckte Kopie des beeideten Berichts hingewiesen, weshalb ich ihn ausgewählt habe. Ähnliche Berichte dazu gibt es Dutzende.
Dann hau rein in die Tasten und lass mich nicht dumm sterben.:rolleyes:
 
Dankeschön. Das Buch werde ich mir anschauen.:)
Um Missverständnisse zu vermeiden: ich suche nach Hinweise auf Kriegsverbrechen, die von sowjetischer Seite bereits zu Beginn des Krieges 1941 begangen wurden und nicht auf Verbrechen, die erst in späteren Phasen des Krieges in der Gefangenschaft begangen wurden.;)
Exakt die findest du dort.
Den Unterschied zu Polen 1939 sehe ich darin, dass die Werwolfpropaganda von den Deutschen selbst betrieben wurde; währenddessen die Freischärlerpropaganda 1939 nicht von den Polen sondern von den das Land besetzenden Deutschen gehegt und gepflegt wurde.

Na ja, vielleicht lassen sich auch polnische Quellen finden, mit derartigen Aussagen. Idiotie ist eine weltweite Krankheit.
Abgesehen davon stellt sich die Frage ob das wirklich eine Rolle spielt.
 
Noch einige Zahlen zur Frage der deutschen Kriegsgefangenen:

Unter den deutschen Gefangenen der RA nur aus den Jahren 1941/42 (vor Stalingrad) bestand eine Sterblichkeitsquote von 90-95% bei rd. 90.000 Gesamtzahl (Gefangene insgesamt mit Verbündeten ca. 175.000).
Die deutsche Seite verzeichnete ca. 72.000 Vermißte von Juni41 - Aug.42.
Die Überlebenswahrscheinlichkeit stieg im Verlaufe des Krieges an, diejenige der 45er war demnach am höchsten.

Quelle: Die deutschen Kriegsgefangenen, Band VII (Sowjetunion). Hrsg. von Maschke, Kommission für deutsche Kriegsgefangenengeschichte

Aufgefundene russische Befehle sahen mW auf dem Rückzug die Tötung vor, ggf. nach vorherigem Verhör. Die Quelle suche ich noch. Beispiel zum Apell Stalins: BA-MA RW 4/v. 330, 15.3.1942. Der Oberbefehlshaber der Westfront, Schukow, sah sich am 14.12.1941 zu dem Befehl gezwungen, das Töten von Gefangenen ausdrücklich zu verbieten. BA-MA WO1-6/578

Das OKW sah sich im Juli 1941 bereits zur Befehlsausgabe veranlaßt, Vergeltungsmaßnahmen wegen der aufgefundenen Opfer zu verbieten, BA-MA RH 24/3, 134 vom 16.7.1941.

Btw: (Nur) Zur Plausibilität der Berichte über Gefangene kann man sicherlich auch auf Katyn hinweisen, ohne hier nun vergleichen zu wollen. Wieso sollte die stalinistische Kriegführung ab Juni41 gemäßigt sein? In der Tat reden wir aber hier nicht 1941 über dieselben Dimensionen von Kriegsverbrechen wie auf der deutschen seite, schon anhand der Zahlen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier ein paar Zahlen zu den sowjetischen Kriegsgefangenen.

Die Zahl der sowjetischen Kriegsgefangenen bewegt sich zwischen5,35 und 5,75 Millionen. Zum Zeitpunkt des Kriegsendes befanden sich noch rund 900.000 sowjetische Soldaten in deutscher Gefangenschaft.
Aus deutschen Unterlagen geht hervor, dass 2 Millionen Rotarmisten in der Gefangenschaft „verstorben“ sind. Etwas 2,5 Millionen wurden als Hilfskräfte in Deutschland oder auch in der Sowjetunion eingesetzt. Etwa 1,8 Millionen sowjetischer Kriegsgefangene sind in die UDSSR repatriiert worden.

Quelle hierfür: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg Band 9/2, München, 2005
 
Hallo Honey,

irgendwie kommen mir bei diesen vielen Antworten die "Sondereinsätze" noch zu kurz. "Sondereinsatz", das bedeutete, dass die gesamte jüdische Bevölkerung der neu eroberten Orte zusammengetrieben und erschossen wurde.

Wenn man sich das überlegt, bekommt diese Aussage, der "jüdische Bolschewismus" müsse vernichtet werden, plötzlich einen ganz anderen Stellenwert. Schafft man es nämlich, den Soldaten einzureden, die Juden seien für den Boschewismus verantworlich, dann hat man aus diesen wehrlosen Opfern plötzlich die Täter gemacht, denen man mit geschickter Propaganda nun sogar die Schuld an diesem Krieg geben konnte.

Die Sondereinsätze waren der Anfang des Massenmordes. Hier führte man tatsächlich durch, was man bisher nur geplant hatte. Man sah bald, dass man hier auf logistische Probleme stieß, und dass ein Befehl, sich an so einem Sondereinsatz zu beteiligen, eine enorme Belastung für die beteiligten Soldaten bedeutete. Daher suchte man nach einer effektiveren Möglichkeit, die Juden zu töten. So entstand die Idee mit den Gaskammern. Nachzulesen ist das z.B. in "Auschwitz in den Augen der SS". In diesem Buch schildert Rudolf Höß, der Kommandant von Auschwitz, in allen Details, wie man die fabrikmäßige Tötung schließlich möglich machte.

Ich weiß nicht, ob es das Buch im Buchhandel gibt. (Ich habe es mir aus Polen mitgebracht.) Auf eBay dürfte man aber fündig werden.

Ich bin mir nicht sicher, warum du diese Frage stellst, und ob ein Referat oder ähnliches daraus wird. Aber ohne den Sondereinsätzen ein Kapitel zu widmen, halte ich es nicht für komplett.

Schöne Grüße

Petra
 
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