Bewohner einer Polis

Hi.max

Mitglied
Hallo!
Kann mir bitte wer von euch folgende Frage beantworten:
Gab es für die Bewohner einer Polis ein Kennzeichen? Wenn nicht, wie wurde das Votum bei der Volksversammlung überprüft - es durften ja nur männlicvhe Vollbürger wählen?
Woher wussten die Bewohner, dass eine andere Person aus dieser Polis stammt oder in dieser wohnt?
Ich hoffe, dass ich die Frage verständlich formuliert habe.

Vielen Dank für eure Hilfe!!
 
Du beziehst Dich auf Athen, oder?
Es gab in den Demen (Gemeinden und Stadtviertel Athens) entsprechende Listen in die Bürger mit 18 aufgenommen wurden. Auch Metöken mussten sich in einem Demos schriftlich eintragen lassen, bei dieser Gelegenheit könnte auch die Herkunftspoleis vermerkt worden sein.
Wenn sich ein Bürger für ein Amt bewarb, wurde dies vielleicht mit solchen Listen abgeglichen, aber bei der Vollversammlung dürfte dies zu aufwändig gewesen sein.
Interessante Frage.
 
Metoiken waren ja meist Händler, die waren einem größeren Personenkreis bekannt. Dürfte schwierig gewesen sein, sich einzuschleichen.
 
Ich las (vermutlich bei Bleicken) von ca 10.000 Metoiken in klassischer Zeit. Das waren bestimmt nicht alles stadtbekannte Händler, sondern auch kleine Handwerker.
Andererseits stand man bei der Volksversammlung doch nach Demen sortiert, oder? Dann könnte es doch funktionieren, dass die Bürger selbst die Anwesenden auf deren Teilnahmeberechtigung überprüften.
 
Michael Stahl (seiner Monographie Aristokraten und Tyrannen im archaischen Athen) führt bei den Errungenschaften der Tyrannis die Durchsetzung des Bürgerrechts auf. Er legt recht plausibel dar, dass erst mit der großen Machtfülle der Tyrannis eine Kontrolle und Einhaltung der Bestimmungen zum Bürgerrecht gegeben war. Im Rückschluß läßt sich daraus erkennen, dass es wohl Bestimmungen gab, wer ein Anrecht auf Bürgerschaft hatte und wer nicht, jedoch die Einhaltung nicht gegeben war. So kann man sich sicher vorstellen, dass ein wohlhabender Metoike seine Interessen durchzusetzen versuchte oder sich einfach als "Athener" ausgab, ohne jedoch das Bürgerrecht zu besitzen.

Ich denke das viel über alltägliche Identifikation wie Sprache,Dialekt, Bekanntheit identifiziert wurde. Ich würde vermuten, dass man eher sein Bürgerrecht beweisen musste (wenn man nicht als Bürger angesehen wurde).
 
Erstmals vielen Dank für eure Antworten!
Als Zweifler könnte man dann ja sagen, dass wer wählen wollte sich auch irgendwie die Möglichkeit dazu verschaffen konnte - egal welche Schicht oder Bewohner welcher Polis!

Wie wurde das wirklich kontrolliert oder gab es die Möglichkeit oder vielmehr den Wunsch danach überhaupt nicht?
 
Ich hätte die Frage anders gedeutet. Die Bewohner einer Polis zeichneten sich durch ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Dieses wurde durch den Glauben an eine Polisgottheit gesteigert, die die Stadt stärker verehrte, als dies andere Städte taten und durch Mauern, welche nicht nur schützten, sondern die Stadt auch symbolisch von Nachbarpoleis abgrenzte. (Dies galt auch für die Bauern einer Polis - sie fühlten nicht sich, sondern die Nachbarstädte ausgegrenzt)

Der Stadtgottheit (z.B. der Athene in Athen) wurden mehrere Heiligtümer (Tempel, Statuen, Hl. Bezirke, etc.) gewidmet.

Identitätsstiftend wirkte auch die agora, auf welcher sich das Leben abspielte.
 
Ebenfalls danke -
aber wie wussten die Bewohner, wer tatsächlich ein "Einheimischer" war bzw. wie wurde das kontrolliert.

Bis jetzt klingt das alles so nach "Freiwilligenbasis" und "ein Mann - eine Stimme"!?!
 
Die Bedeutung von Landbesitz für Bürger und daraus sich ergebende Probleme

Ergänzend zum Komplex der Identitätsfrage durch Historyfan (Bei allen Unterschieden zwischen den verschiedenen griechischen Städten):
Die ganze antike Stadtkultur war voller Rituale und Verhaltensweisen um die Gemeinschaft zu betonen. Die Familien - oder besser Sippen - der Bewohner brachten auch eine "ethnische Komponente" mit ins Spiel. Die Stadtgründung wurde einem Heroen zugeschrieben und auf ihn berief sich die Gemeinschaft oft als einen mythischen Ahnherrn zur "Konstruktion" einer gemeinsamen Abstammung. Dazu kamen noch eher religiöse und beispielhafte Bindungen zur Mutterstadt, die sich aber nicht politisch auswirken mussten.

"Ein Mann - Eine Stimme": Dieser Passus galt niemals! Vollbürgerschaft war an Grundbesitz gebunden und an ein gewisses Vermögen. Der Boden/ das Territorium einer Polis war ebenfalls Identitätsstiftend. Man dachte wohl kritisch über einen "Habenichts" im Krisenfall, denn er hatte ja sozusagen „nichts zu verlieren“. Dieser Punkt bindet auch die „Bauern“ an die Polis, denn sie sind es denen das Territorium gehört. Bauern nicht im Sinne unserer Tage, denn ein Vollbürger war indirekt immer ein (Groß-)Bauer. Mochte er in der Stadt leben, seine Erträge stammten von dem ihm gehörigen Land. Dies war ein wesentliches Element für (die Masse?) der Vollbürger, zumindest in der Anfangszeit einer Polis.

Es wirkte sich auch später aus! Die Begrenztheit des zur Verfügung stehenden Grund & Bodens wirkte auch lange als eine Obergrenze für die Population einer Stadt selbst. Die (zwar wohlhabende, aber) in ihrem Territorialbesitz nicht die jeweiligen Mindestnormen erfüllende Population einer Stadt war oft gezwungen Auszuwandern, um in der neuen Stadt jene Anforderungen zu erfüllen. Dieser Druck ist einer der Gründe für die klassische, griechische Siedlungsbewegung gewesen, die in der Regel von der Mutterstadt ausging.

Zurück zum Thema beweisen diese Zusammenhänge von voller Stimmberechtigung in Abhängigkeit zu Landbesitz, dass sich Vollbürger anhand von Landbesitz ausweisen konnten. Entsprechende „Landkataster“ gab es in jeder Stadt. Sein Eigentümer ließ sich nach verfolgen. Zu Problemen mit dem Bürgerrecht kam es wohl erst, als sich die Stadt zunehmend differenzierte, indem reiche Bewohner ihren Besitz nicht mehr (zumindest wesentlich) über Landbesitz erwirtschafteten. Erfolgreiche Händler, Reeder und auch Handwerker ließen sich nicht dauerhaft von der Regierung einer Stadt komplett fern halten. Brachten sie doch Wohlstand in die Stadt und hatten ein Interesse an deren Politik. Trotzdem galt in der ganzen Antike einzig der Erwerb von Wohlstand über Landbesitz als wirklich Ehrenwert, während Handel und Handwerk weniger angesehen waren. In einem weiteren zeitlichen und kulturellen Bogen verweise ich auf die Praxis im Römischen Reich, dass Senatoren einen Mindestanteil ihres Vermögens in Ländereien Italiens anlegen mussten: Späte Nachwehen einer alten Praxis!

Die griechischen Polis waren übrigens gewöhnlich bei weitem konservativer und restriktiver bei der Vergabe von Bürgerrechten, als später das Römische Reich. Sie hielten an dieser Praxis i.d.R. noch unter römischer Herrschaft fest. „Imperial“ agierende Städte waren gezwungen möglichst weiten Personenkreisen einen Zugang zu gewissen Bürgerrechten zu gewähren, um weiteres Potential ihrer Bevölkerung für dazu nötige Aktionen einbinden zu können. Erst Rom fand später einen Weg zwischen „Bürger einer Polis/Civitas“ und „Bürger eines Reiches“ einen Konsens zu finden. Ein „römischer Bürger“ des Imperiums hatte Rom noch als ideellen Mittelpunkt in „staatsrechtlicher Hinsicht“ und war gleichzeitig Bürger seiner Wohngemeinde mit den dortigen Rechten und Pflichten. Dies ist im Kontext zum Beitrag von Sheik weiter Oben zu sehen.
In den ältesten Tagen war auch nur der Vollbürger würdig, als Hoplit im Krieg – als Bauer im Frieden das Territorium einer Stadt zu nutzen und zu verteidigen und hatte im Gegenzug das Recht über die Belange seiner Polis zu entscheiden.

Ich hoffe, mein weiter, zeitlicher Bogen und seine Kopplung an den wichtigen Aspekt des Grundbesitzes macht meinen Beitrag nicht unverständlich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Schöner Beitrag, bloß eine Anmerkung
In den ältesten Tagen war auch nur der Vollbürger würdig, als Hoplit im Krieg – als Bauer im Frieden das Territorium einer Stadt zu nutzen und zu verteidigen und hatte im Gegenzug das Recht über die Belange seiner Polis zu entscheiden.
Hier ließe sich über die Reihenfolge streiten. Erwarb man als Bürger die Pflicht als Hoplit zu dienen oder qualifizierte man sich durch den Militärdienst als Vollbürger.
In Sparta gewannen Heloten so vereinzelt politische Rechte während in Athen eine solche Leistung Metöken keine politischen Vorteile einbrachte.
 
Danke vielmals!

Das war ein sehr interessanter und informativer Bericht! Er beantwortet aber meine eigentliche Frage nach Modalitäten der Kontrolle der Bürgerschaft bzw. Poliszugehörigkeit noch nicht.

Wie konnte man wissen, wer "zu recht" in einer Polis an der Volksversammlung teilnehmen durfte und wer nur Gast war, aber vielleicht reicher Bürger einer anderen Polis war und somit durch sein Auftreten auch die "Möglichkeit" zur Stimmabgabe hatte!? - Es konnte ja nicht jeder jeden kennen bzw. sich die Bekanntenkreise dermaßen überschneiden, dass man einen flächendeckenden und genauen Überblick über die stimmberechtigte Bürgerschaft hatte.
 
Minder berechtigte Bürger einer Polis

Hier ließe sich über die Reihenfolge streiten. Erwarb man als Bürger die Pflicht als Hoplit zu dienen oder qualifizierte man sich durch den Militärdienst als Vollbürger.
In Sparta gewannen Heloten so vereinzelt politische Rechte während in Athen eine solche Leistung Metöken keine politischen Vorteile einbrachte.

Da könnte man sicherlich streiten, ohne Frage :winke:

Ich würde es in der Regel so formulieren:
Grundbesitz bewirkte politische Rechte.
Politische Rechte bewirkten die Pflicht des Militärdienstes als Hoplit.

Man konnte auch einen Ersatzkämpfer stellen. Das war jedoch von Stadt zu Stadt unterschiedlich geregelt. Durch Militärdienst zum Bürger zu werden war in der Regel doch die Auswirkung einer Notsituation. Die Verfassung Spartas ist ja nicht gerade besonders wegweisend für die Entwicklung anderer Städte gewesen.
Militärdienstpflichtig konnte jeder Einwohner einer Stadt sein/werden, auch wenn er nicht zu den Vollbürgern gehörte. Das volle Bürgerrecht erwarb er allein mit Militärdienst eher nicht. Er tat dann in Athen etwa Dienst als Leichtbewaffneter oder später Ruderer in der Flotte. Durch militärische Veränderungen oder Bedarf konnten diese Theten auch oft eine größere Rolle in ihrer Polis spielen. Besonders die Tyrannen hatten meist ein Interesse an einem gewissen Gegengewicht zu den besitzenden Vollbürgern. Eingeteilt waren die Einwohner einer Stadt gewöhnlich nach Besitzstand, was den Besitzenden ein größeres politisches Gewicht und Rechte sicherten. Durch „imperiale“ Politik wuchs der Druck auf die Regierungsform auch weniger Besitzenden mehr Rechte zu gewähren um sich ihre Leistungskraft und Loyalität im Wettbewerb mit anderen Mächten zu sichern.

Im militärischen Bereich sind die Überlieferungen nun mal besonders dicht, daher komme ich auf die Leistungen der weniger Besitzenden in den Flotten der Antike zu sprechen. Neben Galeerensträflingen und Galeerenhäftlingen gab es auch freie Ruderer – besonders bei den Griechen bildeten sie die Regel. Solche, eher besitzlosen Bürger einer Stadt hatten dieser wenig mehr zu bieten als ihre pure Muskelkraft! Zu Zeiten der athenischen Vormachtstellung in Griechenland waren diese Ruderer sehr wichtig für die Großmachtpolitik der Stadt und konnten damit ihren Einfluss in der Stadt erhöhen. Die Verachtung für solche Habenichtse, wenn man sie denn nicht brauchte, findet man m.E. am deutlichsten in den Kaiserbiographien Suetons (Schon wieder ein Zeitsprung…)

Sueton schrieb:
Kaiserbiographien Tiberius, Kap 2:
„…eine Frau [Anm: Der Oberschicht]…vor Gericht gestellt wurde, weil sie, als ihr Wagen einmal bei einem großen Volksgedränge nur langsam vorwärts kam, laut gewünscht hatte, es möge doch ihr Bruder Pulcher wieder lebendig werden und aufs neue eine Flotte verlieren, damit das Gesindel in Rom weniger würde.“

Kurz: Besitz verpflichtete zu einer besonders angesehenen Form des Militärdienstes. Doch alle freien Einwohner einer Polis waren zum Militärdienst verpflichtet.

Hier komme ich auf dein Beispiel Sparta zurück: Da die Heloten unfreie Einwohner dieser Polis waren, musste man sie aus diesem Stande herausnehmen und wenigstens zu freien Einwohnern machen, damit sie Militärdienst leisten durften. Gleiches findet sich auch in Rom, wo man in Notsituationen (Hannibal vor den Toren) etwa Sklaven freigab, um sie in das Militär einzureihen. Bewaffnete Unfreie, wie sehr viel später etwa bei den Osmanen (Janitscharen als Mündel des Sultans), war aus antiker, griechisch/römischer Tradition damals nicht denkbar.
 
Gegenseitige Kontrolle

Wie konnte man wissen, wer "zu recht" in einer Polis an der Volksversammlung teilnehmen durfte und wer nur Gast war, aber vielleicht reicher Bürger einer anderen Polis war und somit durch sein Auftreten auch die "Möglichkeit" zur Stimmabgabe hatte!?

Wie dies genau gehandhabt wurde weis ich leider auch nicht. Je geringer die politischen Rechte der Einwohner waren, desto weniger konnte man sie direkt kontrollieren. Allerdings gibt es dreierlei zu beachten:

1. Wurde gewöhnlich nach Stimmbezirken abgestimmt. Damit war die Kopfzahl der Leute überschaubar. ("direkte Nachbarschaft")

2. Die Anmaßung von Bürgerrechten kam vor, war aber ein Verbrechen das sehr streng bestraft wurde!

3. Gewöhnlich gab es keine offene Diskussion zu Abstimmungen. Die zur Abstimmung stehenden Punkte waren i.d.R. vorformuliert. Dies, wie das Rederecht wurde von einer übersichtlichen, kleinen Gruppe von Vollbürgern kontrolliert. Diese Leute hatten in der Regel ihren eigenen Anhang, den sie für wichtige Abstimmungen energisch mobilisierten. In Rom gab es dazu das bekannte "Klientelwesen". Entsprechend eifrig sorgten diese "Parteien" dafür, dass die Gegenseite keine unredlichen Stimmen für sich beanspruchen konnte. Es ist also davon auszugehen, dass man sich gegenseitig kontrollierte und dabei auch vor Gewalt nicht zurückschreckte!
 
Kurz: Besitz verpflichtete zu einer besonders angesehenen Form des Militärdienstes. Doch alle freien Einwohner einer Polis waren zum Militärdienst verpflichtet.
Bei den Theten sieht man aber auch gut wie höhere Bedeutung im Militär mit wachsender Bedeutung im politischen einhergeht. Als Leichbewaffnete waren sie kaum geachtet. Als Ruderer konnten sie mehr Ansprüche erheben und die Zeit der radikalen Demokratie in Athen brach an.
Persönliche Freiheit war eine notwendige Bedingung für politische Aktivität. Ermöglichte einem der Besitz (oder die neuen Umstände) eine wichtige militärische Rolle gelang auch die Verwirklich von Mitspracherechten.
 
Ich will wieder einmal einen Beitrag aus Chronologie-kritischer Sicht leisten und den Sachverhalt hoffentlich einigermaßen richtig wiedergeben:

G. Heinsohn hat bei Untersuchungen der Polis hinsichtlich ihrer ökonomischen Basis Anfang der 80er Jahre das "Eigentum" (an Grund u. Boden) identifiziert. Anders als die etablierte Geschichtsschreibung geht Heinsohn nicht von "dunklen Jahrhunderten" zwischen Mykene als Feudalgesellschaft und den "demokratischen" Polis aus, sondern läßt Mykene direkt von den Polis historisch agieren. Nach einer Sozialrevolution innerhalb Mykenes bzw. deren Stadtstaaten werden die politischen (feudalen) Verhältnisse in soweit geändert, daß die "Sozialrevolutionäre" den Grund u. Boden unter sich aufteilen und die Polis gründen. Im Unterschied zu feudalem Besitz sieht Heinsohn im Eigentum die wirtschaftliche Grundlage, aus dem Zins und Geld unmittelbar hervor gehen, wenn mit Eigentum gewirtschaftet wird. Diese Situaton existierte aber nicht überall bei den Griechen. Es verblieben weitere feudale Strukturen, wo die Revolution entweder scheiterte oder nicht stattfand. (G. Heinsohn/Otto Steiger Eigentum, Zins und Geld - ungelöste Rätsel der Wirtschaftswissenschaft)

Die Verfügungsgewalt über Eigentum im Heinsohnschen Sinn (nicht mit Besitz verwechseln) dürfte die Rechtsstellung der Bürger in den Polis begründet haben.
Stammesgesellschaften, Feudalstrukturen und sozialistische Gesellschaften kennen im Heinsohnschen Sinn kein Eigentum, sondern nur Besitz.
 
Hallo Themistokles,

nun ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler. Da Du dankenswerter Weise meinen früheren Beitrag v. August 08 in die Diskussion gebracht hast, weise ich darauf hin, daß G. Heinsohn den Eigentums-Begriff aufgrund seiner historischen Analyse bei der Entstehung der Polis bzw. Frühstufen in Mesopotamien des Eigentums gefunden hat. Umfassendes bitte bei Heinsohn u. Steiger selbst nachlesen, insbesondere seine Unterscheidung von Eigentum u. Besitz. In meinem früheren Beitrag habe ich dazu ja schon einiges gesagt.
Ich zitiere hier eine kurze Passage v.Heinsohn/Steiger 2006 S. 116:

"Rein archäologisch liegen die Schichten der eigentumsgeprägten polis, die keineswegs schon beim mythischen ersten Olympiadendatum von 776 v.u.Z., sondern erst gegen 600 v.u.Z. empirisch faßbar wird, direkt und ohne Lücke auf den Ruinen der mykenischen Despotie. Ganz entsprechend wußten "die alten Griechen nichts von einem dunklen Zeitalter....Daher beschreibt Aristoteles eine direkte Entwicklung von den >heroischen<, also mykenischwen Monarchien zur...archaischen polis ." (P.J. Rhodes, The Greek City States; 1986 S.14). Herodot hatte mithin keineswegs haltlos gesponnen, als er den Polisgründer Theseus die schöne Helena aus der mykenischen Feudalgesellschaft Spartas rauben lies, also zwei Figuren zusammenbrachte, die nach heutigem Glauben ein halbes Jahrtausend zwischen sich hatten." Herodot, Historien,IX: 73.

Mykenischer Feudalismus und griechische polis nach stratigrafischer Evidenz und antiker Historiagraphie:

Schicht der Polis ab -600
mit Eigentum
(direkter Übergang als Revolution gegen mykenischen Feudalismus

Mykenische Schicht bis -600

Dieser Sichtweise steht gegenüber:

Mykenischer Feudalismus und griechische Polis nach ägyptologischer Chronologie:

Schicht der Polis ab -776
(rätselhafte Herkunft der Polis)

Dunkle Jahrhunderte, obwohl -776
keine intermitierende Wehschicht bis
-1200 (-950)

Mykenische Schicht (pseudo-
astronomisch datiert, Sothis) bis -1200 (-950)

Mit Theseus hätten wir also einen Sozialrevolutioär namentlich dingfest gemacht.
 
Vielleicht doch noch eine Definitionsklärung:

Heinsohn/Steiger S.90:
"Wenn wir in Verweisen auf moderne Autoren zuweilen den Terminus >Privateigentum< begegnen, so drückt sich lediglich darin eine sprachliche Konvention aus. In der Sache reicht der Begriff >Eigentum< aus. Der Verzicht auf die Vorsilbe >Privat< schützt zugleich vor dem Mißverständnis, das Privateigentum automatisch als Gegensatz zum Staatseigentum aufzufassen. Dann am Eigentum ist nicht entscheidend, ob es Individuen oder Kollektiven zuzuordnen ist, sondern daß es vielmehr eine Gegenposition zum Besitz ausdrückt. Besitz bedeutet immer Rechte zur Verfügung über und damit die physische Nutzung von bestimmten Gütern oder Ressourcen und ist unabhängig davon, ob Eigentum existiert oder nicht.
Der Besitz kann wie das Eigentum individuell oder kollektiv zugeordnet sein. Im Unterschied zum Eigentum gab es Besitz in der Tat bereits unter Neandertalern, die eifersüchtig über die Nutzung ihrer Faustkeile wachen mochten. In den Stammesgesellschaften wird die spezifische Beherrschung der Ressourcen über die Sitte geregelt. In Feudalgesellschaften einschließlich Sozialismus wird die Beherrschung der Ressourcen durch Befehl einer besitzlichen Nutzung zugewiesen.
Da die Verwechslung oder Nichtunterscheidung von Eigentum und Besitz die Kernschwäche der ökonomischen Schulen markiert, haben insbesondere Juristen immer wieder nach Begriffen gesucht, die mehr Eindeutigkeit nahelegen. So steht etwa die Wörterkombination Freies Eigentum für einen solchen Klärungsversuch. Wir übernehmen ihn hier nicht, meinen bei Eigentum jedoch immer die volle Dispositionsfreiheit, die im Belasten, Verpfänden und Verkaufen ihre wichtigsten Elemente hat.
Auch in der Eigentumsgesellschaft geht die sich aus dem Besitztitel ergebende Nutzung von Ressourcen nicht verloren. Da nun hier aber jeder Besitz zugleich mit einem Eigentumstitel verbunden ist, das heißt ein Besitzer nicht unabhängig von einem Eigentümer handeln kann, muß die bloße Herrschaft über Ressourcen ihrer Bewirtschaftung weichen, um den ökonomishen Erfordernissen des Eigentums gerecht zu werden, das heißt um seiner immateriellen Prämie bzw. seiner herrschaftsfreien Kontrahierbarkeit durch Belastung und Verpfändung zu entsprechen.
Freie Belastbarkeit und freie Verpfändbarkeit sind Prämien des Eigentums, die einen Schuldner zu Ökonomisierung von Ressourcen zwingen. Er muß nämlich - wie noch zu zeigen - den Zins für den Verzicht des Gläubergers auf dessen Egentumsprämie erwirtschaften und zugleich den Tilgungsbetrag, um seine Eigentumsprämie wieder zugewinnen, die er durch Verpfändung aufgegeben hat. Das Besondere an dieser Operation besteht nun darin, daß der Status des Besitzes an Ressourcen, deren Eigentumseite ihnen überhaupt erst die ökonomische Grundlage liefert, nicht verändert wird. Gegen das Credo der Neoklassik, die im Kredit physische Nutzungsrechte an Gütern von Gläubigern auf Schuldner übertragen sieht, sind es gerde diese Nutzungsrechte, die nicht übertragen werden.
Anders als die universelle und ewige Größe des Besitzes liefern mithin die Besonderheiten des Eigentums den entscheidenden Bruch zur Organisation der materiellen Reproduktion in Stammes- und Befehlsgesellschaft. Vor allem bei der wirtschaftlichen Verteidigung des Eigentums, bei seiner Mehrung und bei der Vollstreckung gegen es, entstehen alle entscheidenden ökonomischen Operationen. das stammesgriechische und das feudalmykenische Haus (= oikos), das lediglich genutzt wurde, wird -wie zu zeigen - in der polis als >Eigentum< einem Netz von Vertragsrechten (= nomoi) unterworfen, das nun jene Wirtschaft herbeizwingt, die der Öko-Nomie ihr Thema stellt...
 
Zuletzt bearbeitet:
Heinsohn hat - soweit ich das sehen kann - keine beachtenswerte Reaktion unter den Wirtschaftswissenschaftlern resp. Wirtschaftshistorikern gefunden, begründeterweise. Den oben dargestellten Eigentumsbegriff in Abgrenzung zu Besitz würde ich eher als konstruiert erscheinende Deutung des ordinären Zusammenhangs von gesellschaftlich/sozialer - rechtlicher - ökonomischer Entwicklung ansehen.

Nun wird aber behauptet:
...daß G. Heinsohn den Eigentums-Begriff aufgrund seiner historischen Analyse bei der Entstehung der Polis bzw. Frühstufen in Mesopotamien des Eigentums gefunden hat.

Dass der wirtschaftlichen Entwicklung eine feine Ausdifferenzierung des Rechts folgt, als Rahmenbedingung des wirtschaftlichen Handelns - zugleich als Grundlage der weiteren Entwicklung -, ist wohl plausibel. Vielleicht lohnt hier ein Blick auf die römische Rechtsentwicklung, die parallel die Differenzierung von Eigentum und Besitz herausgebildet hat. Kleine Übersicht:
Römisches Recht ? Wikipedia

Es ist eine Frage der Ausbildung/des Entwicklungsgrades der Wirtschaft, zu welchem Zeitpunkt der Bedarf für eine solch feinsinnige, ökonomisch orientierte Unterscheidung besteht und eine einfache Betrachtung der Sachherrschaft nicht mehr ausreicht. Die Trennung von Eigentum und Besitz erlaubt eine Teilung der Fruchtziehung, was auch die Römer durchaus erkannt hatten (wie man zB aus den rudimentären Regelungen zum Schadenersatz schließen kann). Nun kann man spekulieren, was der ökonomische Hintergedanke gewesen sein mag: Risikostreuung, Arbeitseinsatz, etc.

So etwas von Heinsohn würde ich dagegen als Vulgärokonomie ansehen:
Da die Verwechslung oder Nichtunterscheidung von Eigentum und Besitz die Kernschwäche der ökonomischen Schulen markiert, haben insbesondere Juristen immer wieder nach Begriffen gesucht, die mehr Eindeutigkeit nahelegen.
Den historischen Bezug der "ökonomischen Schulen" vermag ich nicht zu erkennen. In welchem Zusammenhang soll das überhaupt einen relevanten Mangel darstellen?

Anderes ist wohl eher sinnleer:
Auch in der Eigentumsgesellschaft geht die sich aus dem Besitztitel ergebende Nutzung von Ressourcen nicht verloren. Da nun hier aber jeder Besitz zugleich mit einem Eigentumstitel verbunden ist, das heißt ein Besitzer nicht unabhängig von einem Eigentümer handeln kann, muß die bloße Herrschaft über Ressourcen ihrer Bewirtschaftung weichen, um den ökonomishen Erfordernissen des Eigentums gerecht zu werden, das heißt um seiner immateriellen Prämie bzw. seiner herrschaftsfreien Kontrahierbarkeit durch Belastung und Verpfändung zu entsprechen.
 
Deine Zitate, Brahmenauer, haben mich in meiner Auffassung eher bestärkt, dass Besitz Eigentum voraussetzt. Wenn Besitz im wesentlichen Nutzungsrecht meint, dann muss ich es doch von irgendjemand erhalten. Üblicherweise vom Eigentümer.
Eigentum ist der stärkere Begriff: mir gehört etwas ganz und gar. Besitz entsteht, wenn ich zwar die Verfügungsgewalt behalte, aber die Nutzungsrechte zeitweilig vergebe (ich merke es mir immer mit ausgeliehenen Bibliothektsbüchern, die ich besitze ohne, dass sie mein Eigentum sind). Wenn etwas nur Besitz wäre, würden viele Aspekte fehlen (wer kann z.B. den Faustkeil den ich besitze verschenken?), die zum Eigentum gehören.
 
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