Sicher! Aber zwischen Großbritannien und Frankreich gab es durchaus militärische Absprachen. Darüber hinaus gab es Gespräche zwischen den Generalstäben. Und Russland und Frankreich waren durch die Militärkonvention von 1892/94 miteinander verbunden. Zwischen Russland und England fanden Gespräche mit der Zielsetzung einer Marinekonvention, nach der Liman Krise, statt. Und Großbritannien stand wegen Persien und Indien unter russischen Druck. Insgesamt wurde die Triple Entente als Block wahrgenommen und so sah auch die Frontstellung aus. Wobei Russland und Frankreich sich stets bemühten London ins Boot zu holen.
Wir müssen beide nicht in Kenntnis der Literatur um den heißen Brei herumreden. Weder in der deutschen geschichtswissenschaftlichen Literatur, noch erst recht nicht in der internationalen, wird die Entente als Bündnisvertrag für den kontinentalen Kriegsfall qualifiziert.
1. Die militärischen Gespräche zwischen Generalstäben GB/FRA, direkte Folge der deutschen Eskalation der Marokko-Krisen, führten zu keiner Zeit zu einem militärischen "continental commitment" seitens Großbritannien. Kausal zur Agadir-Krise wurden die Überlegungen ausschließlich für den Fall geführt, dass Frankreich durch Deutschland vernichtend angegriffen wird. Folglich gab es auch kein "Bündnis".
2. Die politischen Positionierungen Großbritanniens gegenüber der Entente ließen zu jedem Zeitpunkt, selbst bis Ende Juli 1914, den Beistand
ausdrücklich offen. Exakt das wurde Frankreich immer wieder schriftlich 1912/14 gegeben. * Folglich gab es auch kein "Bündnis".
3. Liman und Marinekonvention 1914 hat nichts mit Haldane 1912 zu tun.
4. Die frz./russ.
Bündnisverpflichtung hat nichts mit der Frage hier zu tun, ob es eine frz.-brit. Bündnisverpflichtung oder einen kolonialen Interessenausgleich gab.
5. Der russ.-brit. Konflikt über die persische Frage hat nichts mit der Frage hier eines frz.-brit. Bündnisses zu tun. Sie steht nicht einmal als direkter Anlass der Haldane-Mission zur Verfügung, siehe speziell zu dieser Frage:
Neilsson, Britain and the Last Tzar
6. Ob das deutscherseits (nur) als Block
wahrgenommen wurde, hat nichts damit zu tun, ob es realiter ein Block war. Selbst die Wahrnehmung ist umstritten, da Dir Bethmanns unterschiedliche Abschätzungen dazu bekannt sind. Insbesondere war es seine Abschätzung, dass GB keinen automatischen Beistand für einen französisch provozierten Krieg leisten würde. Die deutsche Wahrnehmung, dass Großbritannien einen deutschen Überfall auf Frankreich zum Beistandsfall machen werde, ist aufgrund der eindeutigen britischen Haltung dazu 1911, 1912 eine fast triviale Erkenntnis und selbstredend richtig. Diese "Frontstellung" gegen eine deutsche Aggression wird auch in der Literatur nirgends in Frage gestellt.
7. Dass sich FRA/RUS bemühten, GB "ins Boot zu holen", belegt höchstens, dass es - Forschungsstand - eben "
nicht im Boot war". Wieso diese "Bemühungen", die bis zum deutschen Angriff auf Frankreich im August 1914 erfolglos waren, nun als Beleg für ein "Bündnis" dienen sollen, erschließt sich mir wegen der gerade gegenteiligen Folge nicht.
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* Das muss man begreifen, wenn man Greys politische Optionen in der Julikrise verstehen will:
- er gibt Frankreich ein commitment: das hätte eine Verschärfung der französischen Haltung und damit eine weitere Eskalation bewirken können.
- er gibt Deutschland ein commitment: das hätte ebenfalls eine Verschärfung bedeutet, zumal man zutreffenderweise das Deutsche Reich als eigentlichen Antreiber der Krisenverschärfung durch das ÖU-Ultimatum vermutete.
- er verunsichert beide durch beidseitige
Verweigerung des commitments: das sollte - so jedenfalls aus britischer Sicht eine plausible Überlegung -
beide bremsen.
Grey entschied sich für Option 3. Soweit man den Forschungsstand übersehen kann, wird er gerade dafür kritisiert, nicht Option 1 - im Sinne der "Abschreckung" gewählt zu haben.
Aus all dem kann man munter spekulieren: hätten GB/FRA das von Dir unzutreffend behauptete Bündnis "ohne-wenn-und-aber" gehabt, wäre es vermutlich a) weder zum deutschen "kalkulierten Risiko" in der Julikrise noch b) zur Verschärfung im Ultimatum gekommen, weil beides glasklar keinem "calculated risk" mehr, sondern einem politisch-militärischem Selbstmord gleichgekommen wäre.