Bei all dem (1939/40 wie 1944/45) spielte aber offenbar die Kriegsursache keine Rolle, oder siehst Du das bzgl. einer Diskussion über Polen anders?
Auch die NS-Propaganda schlachtete offenbar den Topos des angeblich durch Polen "erzwungenen Krieges" zum keinem Zeitpunkt aus.
Die Frage der Kriegsursache, also dem "aufgezwungenen Krieg" spielte für einen kurzen Zeitpunkt im September 1939 eine Rolle. Ihre kurzfristige Bedeutung gewann sie vermutlich daraus, dass sie für einzelne Gruppen aus unterschiedlichen Gründen, dennoch relevant war.
1. Für Hitler, um sich eine Legitimation gegenüber seinen Generalen zu verschaffen, da diese es als unvorteilhaft angesehen haben, einen Zweifrontenkrieg zu beginnen. Insofern war der "erzwungene Krieg" durch die Polen, ermuntert durch das "arglistige Albion" (GB) ein Ausweg für Hitler aus der Erklärungsnot gegenüber den Militärs.
2. Für die Generalität war dieser Umstand wichtig, da man nicht erneut von Anfang an als Verursacher, wie im Falle der Brechung der Neutralität Belgiens 1914, angesehen werden wollte. Auch wesentlich, um vermeintlich GB keinen Vorwand zu liefern für eine Intervention und so einen Zweifrontenkrieg zu vermeiden.
3. Und schließlich für die Bevölkerung die Hoffnung, dass ihr "Friedenskanzler" und "friedfertige Führer", und diese Rolle hat er aktiv bis 1937 in der medialen Öffentlichkeit gespielt, Deutschland nicht erneut in das Chaos eines Krieges stürzt. In diesem Sinne konnte und wollten sich vermutlich viele nicht eingestehen, dass die Zeichen durch die Dramaturgie / Demagogie von Hitler in Richtung Krieg nach 1937 gesetzt worden sind.
Der Versuch der Schuldzuweisung in Richtung Polen verlor bereits durch den erfolgreichen Polenfeldzug und engdültig nach der erfolgreichen Westfeldzug an realpolitischer Bedeutung für alle drei Gruppen. Man "erfreute" sich an der "aphrodisierenden" Wirkung der Erfolge der "deutschen Waffen". Und schließlich und endlich waren ja doch eine Reihe von "offenen Rechnungen" vorhanden, die in der auf Revision trachtenden "Volksseele" zu begleichen waren.
In diesem Sinne spielte beim Feldzug in Polen in allen deutschen Gesellschaftsschichten vermutlich auch eine "selbstgerechte" Haltung eine Rolle, dass die Polen es verdient hätten, dass "Deutschland sich verteidigt" und "erlittenes Unrecht" (Danzig etc.) "gerächt" wird.
Als Beschleuniger für das Vergessen der ambivalenten Haltung im September 1939 diente dabei zusätzlich die Vorstellung, dass der Zweck die Mittel heiligen würde, und immerhin betätigte man sich in "heilsbringerischer Weise" und "beglückte" Europa mit den "Segnungen" der Ideen des Nationalsozialismus. Zusätzlich wurde teilweise auch explizit auf das "Recht des Stärkeren" Bezug genommen (soweit ich mich an einzelne Aussagen erinnere ohne leider die Quellen nennen zu könne) und führte implizit als Rechtfertigung die historische Erfahrung "vae victis" an.
Vor diesem Hintergrund ist es vermutlich verständlich, und auch weil in schneller Abfolge weitere Ereignisse folgten, dass der vermeintlich Angriff der Polen als Auslöser der WW2 durch die NS-Propaganda nicht beständig nach 1939 dramatisiert wurde.
Und interessanterweise auch keine Rolle als Rechtfertigung spielte, dass man keinen Angriffskrieg geführt hätte, bei den angeklagten Personen im Rahmen der Nürnberger Prozesse, soweit ich weiss.
[Die etwas "merkwürde" Begriffswahl, die einzelne Termini der NS-Ideologie aufgreift, soll dem Thema angemessen sein, deswegen bitte ich sie zu entschuldigen]