Bis wann glaubten die Deutschen, daß Polen den II. Weltkrieg angefangen hat?

PlusUltra

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Bis wann glaubten die Deutschen eigentlich, daß Polen das Deutsche Reich angegriffen hat und nicht umgekehrt? Wurde das später von NS-Seite überhaupt richtig gestellt oder glaubten das einige bis 1945?

Diese Frage stelle ich mir schon öfter. Ich bin in Zeitgeschichte kein Experte, daher konnte ich sie bislang nicht lösen.

LG
 
Hast du eine Quelle/Beleg dafür, das die Deutschen tatsächlich mehrheitlich glaubten, das Polen den Zweiten Weltkrieg begonnen hat?
 
Nein, habe ich nicht, aber hieß es in den offiziellen Nachrichten nicht, daß Polen zuerst geschossen hat und "seit 5 Uhr 45 jetzt zurückgeschossen" wird? Das impliziert doch, daß die Nazi-Führung einen polnischen Angriff behauptete.
 
Nein, habe ich nicht, aber hieß es in den offiziellen Nachrichten nicht, daß Polen zuerst geschossen hat und "seit 5 Uhr 45 jetzt zurückgeschossen" wird? Das impliziert doch, daß die Nazi-Führung einen polnischen Angriff behauptete.


Die Propaganda von Goebbels ist doch kein Gradmesser dafür, was die deutsche Bevölkerung in ihrer Mehrheit geglaubt hat oder nicht.
 
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Nein, habe ich nicht, aber hieß es in den offiziellen Nachrichten nicht, daß Polen zuerst geschossen hat und "seit 5 Uhr 45 jetzt zurückgeschossen" wird? Das impliziert doch, daß die Nazi-Führung einen polnischen Angriff behauptete.
Das impliziert allerdings nicht, dass die Behauptung auch mehrheitlich geglaubt wurde.
Wobei ich tatsächlich jemanden kannte, der die noch in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts glaubte. Der Mann war nach eigenem Bekunden kein Nazi, er ärgerte sich bis zum seinem Tod darüber, dass sein katholischer Jugendbund von den Nazis aufgelöst worden war und ganz dumm war er eigentlich auch nicht. Hatte aber im WK II als junger Soldat kämpfen müssen (ich glaube auch schon beim "Polenfeldzug").
 
Bis wann glaubten die Deutschen eigentlich, daß Polen das Deutsche Reich angegriffen hat und nicht umgekehrt?

Wenn man "die Deutschen" zugrunde legt, wird das schwierig.

Fangen wir mal einfach an: die Generalität der Wehrmacht sah hinter die Kulissen, nämlich den angeordneten Angriffskrieg. Dafür langten schon die Aufmarschanweisungen.

Im Land dürfte die Propaganda durchaus gewirkte haben, weniger in der Richtung eines abgewehrten Angriffs, als vielmehr einer "aufgezwungenen" militärischen Aktion gegen Polen. Nach 4 Wochen interessierte diese Frage vermutlich niemanden mehr, und das dürfte bis Kriegsende angehalten haben. Allerdings trommelte die Propaganda nun vom aufgezwungenen Krieg der Westmächte, und auch Hitlers angebliche "Friedens"-Angebote standen im Raum. 1941 ist die Frage des Kriegsursprungs vom 1. bzw. 3.9.1939 nach dem Angriff auf die Sowjetunion nicht mehr im öffentlichen Interesse nachweisbar, jedenfalls habe ich solches nicht gelesen. Auch die Propaganda hat das nicht interessiert, eher das einzupeitschende Durchhalten im Krieg gegen die Alliierten, die diesen aufgezwungen hätten.

Ich kann mir vorstellen, dass die SD-Lageberichte hier einiges ergeben und mglw. auch Passagen enthalten, die sich mit der frühen Einstellung der Bevölkerung zum Kriegsausbruch Ende 1939 befassen.
 
Im "Bund der Vertriebenen" gibt es Menschen mit einem deutschen Pass, die heute noch daran glauben.

Ansonsten hat silesia auf die Lageberichte des SD als Quelle hingewiesen. Vielleicht ergibt sich ja in den Goebbels-Tagebüchern ebenfalls ein Hinweis.
 
Kershaw ("Das Ende") hat übrigens aus den SD-Lageberichten Anfang 1945 zitiert. Demnach gab es die verbreitete Auffassung in der Bevölkerung, dass Urheber des Krieges Hitler gewesen sei. Interessanterweise wurde bereits auf seine Ausführungen in "Mein Kampf" bezogen.

Diese "Einsichten" waren verknüpft mit den Erwartungen für die inzwischen absehbare Niederlage, dass das Deutsche Reich dafür bezahlen werde. Nach weiteren Aufzeichnungen kursieren Meinungen in der Bevölkerung, Hitler wäre 1933 nicht "gewählt" worden, wenn man den von ihm beschrittenen Weg in den Krieg bereits hätte sehen können.

... Kein Wort übrigens und keine Debatte zu Polen, um auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen.
 
Im "Bund der Vertriebenen" gibt es Menschen mit einem deutschen Pass, die heute noch daran glauben.

Ansonsten hat silesia auf die Lageberichte des SD als Quelle hingewiesen. Vielleicht ergibt sich ja in den Goebbels-Tagebüchern ebenfalls ein Hinweis.

@cliomara

silesia hat da eine sehr ruhige moderative Art.

Du hast recht, das ist ein Ärgernis, damit müssen wir aber leben, daß "Inhaber deutscher Pässe" solch ein Schwachsinn glauben. Dabei liegt die Betonung auf "glauben".

In solchen Diskussionen sollte man, so meine ich und das ist ganz unmaßgeblich, keine Energie verschwenden. Meine Erfahrung, bringt nichts.

O.k. das ist ein Stück weit resignativ. Überspitze es einfach, morgen greift das Fstm. Liechtenstein Deutschland an, welches SEK wäre dann zuständig?

M. :winke:
 
Im "Bund der Vertriebenen" gibt es Menschen mit einem deutschen Pass, die heute noch daran glauben.
Nicht nur bei denen gibt das noch. Ich hatte mal eine aufschlussreiche Unterhaltung mit einem über Siebzigjährigen in Siegen, der jede von Goebbels und Hitler verbreitete Lüge für pure Wahrheit hält. Auch der Überfall auf den Sender Gleiwitz ,durch die Polen ist für ihn ohne jeden Zweifel so und nicht anders abgelaufen. Und natürlich sind für ihn auch die Juden am Weltkrieg schuld. Leider gibt er seine Weisheiten gern an Kinder und Jugendliche weiter. Er gehört aber nicht zu den Vertriebenen sondern lebt schon immer im Siegerland. Der war noch nicht mal selbst Soldat da er da noch zu jung war.
Manche haben leider seit ihrer Kindheit kein Stückchen dazugelernt.
 
Nicht nur bei denen gibt das noch. Ich hatte mal eine aufschlussreiche Unterhaltung mit einem über Siebzigjährigen in Siegen, der jede von Goebbels und Hitler verbreitete Lüge für pure Wahrheit hält.
OT: Das Muster der rechtsextremen, revisionistischen "Mythopoeten" (ich fand das Wort für diese Leute einfach genial;) und zähle vor allem Scheil und co dazu) bedient sich sehr weitgehend der bereits im WW2 entwickelten Mythen und Legenden.

Durch die Wiederholung dieser Mythen und Legenden wird noch heute ein beeindruckender Lernerfolg bzw. Indoktrination erzielt, wie man an den Verkaufzahlen einschlägiger Indoktrinationsmedien (Suworow etc.) nachvollziehen kann. Und das vermutlich relativ weit bis in konservative, antikommunistische Gesellschaftskreise.

Dennoch: Nicht die Mythen und Legenden verführen, sondern die betroffenen Personen laden sie ein, sie zu verführen.

In diesem Sinne war der Glaube an den Angriff durch die Polen nicht an eine unwiderlegbare Evidenz gebunden, sondern man glaubte es, weil man es glauben wollte.

Anderfalls hätte man sich Gedanken über die Konsistenz seines Weltbildes über das 3. Reich machen müssen und das hätte lebensbedrohlich werden können.

Kognitive Dissonanz ? Wikipedia

Mit der Wahl des "Heilsbringers" 1933 ist zumindest ein Teil des Volkes und ein Teil der konservativen Eliten einen faustischen Pakt mit Hilelr eingegangen. Aus dem sich Halder (1938) mit der Pistole in der Tasche nur sehr halbherzig rausschleichen wollte.

Und man (der deutsche Michel-Normal-Wähler/in) nur zu gerne glauben wollte, dass nicht Hitler, sondern die Polen, den als verhängnisvoll angesehen Krieg 1939 angefangen hat. Wie die geringe euphorische Stimmung September 39 im Volke (anders als 1914) es nahelegt.
 
Zuletzt bearbeitet:
...Anderfalls hätte man sich Gedanken über die Konsistenz seines Weltbildes über das 3. Reich machen müssen und das hätte lebensbedrohlich werden können. ...

Interessant ist daran der (krasse) Gegensatz, nach dem in den Monaten der katastrophalen Niederlage, des Chaos, der Desintegration des Regimes, offenbar landläufig eine andere Einsicht herrschte, von den 150%igen Nazis mal abgesehen. Der Lageberichte des SD hätte das kaum gebracht, wenn das nicht ein breites Phänomen gewesen wäre.

So interpretiere ich Kershaws Hinweise auf die SD-Berichte im Untergang. Der "Glaube" scheint demnach mehrfach gewechselt zu haben.
 
Der "Glaube" scheint demnach mehrfach gewechselt zu haben.

Die Polarisierung bzw. Akzentuierung der unterschiedlichen pro und contra-Hitler-Einstellungen war vermutlich 44/45 akzentuierter als 1939.

Und das obwohl das Maß der Repression 44 für die Bevölkerung und für die WM vermutlich höher war als 39.

In der Endphase war der Glaube an Mythen (V-Waffen oder andere militärisch Wunder) in der Bevölkerung verflogen und auch ihre Opferbereitschaft mehr als geprüft.

Es griff eine pragmatische Sichtweise wie Dönitz es formulierte: "Schluss machen, Heldenkampf ist genug gekämpft, Volkssubstanz erhalten, keine unnötigen Blutopfer mehr".

In 1939 hat man noch gehofft, sofern man siegreich ist, sich einer "Anklange" entziehen zu können, und man wird auch an VV gedacht haben, aber in 45 war dem "Mann/Frau auf der Strasse klar, dass es eine Zäsur geben wird".

Das erklärt vielleicht die zunehmende realistische Sichtweise auf die Situation.
 
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Die Polarisierung bzw. Akzentuierung der unterschiedlichen pro und contra-Hitler-Einstellungen war vermutlich 44/45 akzentuierter als 1939. ...
In 1939 hat man noch gehofft, sofern man siegreich ist, ...

Bei all dem (1939/40 wie 1944/45) spielte aber offenbar die Kriegsursache keine Rolle, oder siehst Du das bzgl. einer Diskussion über Polen anders?

Auch die NS-Propaganda schlachtete offenbar den Topos des angeblich durch Polen "erzwungenen Krieges" zum keinem Zeitpunkt aus.

Das Feindbild "erzwungener Krieg" war vielmehr durch die Westmächte bestimmt (1939/40), und nach 1941 durch die "asiatischen Horden". Polen war da zu keinem Zeitpunkt präsent, auch nicht bzgl. daraus resultierender Animositäten gegenüber den hunderttausenden polnischen Zwangsarbeitern im Reich. Da war die "Untermenschen"-Phrase ausschlaggebend, nicht jedoch ein: "die waren Schuld".
 
Bei all dem (1939/40 wie 1944/45) spielte aber offenbar die Kriegsursache keine Rolle, oder siehst Du das bzgl. einer Diskussion über Polen anders?

Auch die NS-Propaganda schlachtete offenbar den Topos des angeblich durch Polen "erzwungenen Krieges" zum keinem Zeitpunkt aus.

Die Frage der Kriegsursache, also dem "aufgezwungenen Krieg" spielte für einen kurzen Zeitpunkt im September 1939 eine Rolle. Ihre kurzfristige Bedeutung gewann sie vermutlich daraus, dass sie für einzelne Gruppen aus unterschiedlichen Gründen, dennoch relevant war.

1. Für Hitler, um sich eine Legitimation gegenüber seinen Generalen zu verschaffen, da diese es als unvorteilhaft angesehen haben, einen Zweifrontenkrieg zu beginnen. Insofern war der "erzwungene Krieg" durch die Polen, ermuntert durch das "arglistige Albion" (GB) ein Ausweg für Hitler aus der Erklärungsnot gegenüber den Militärs.

2. Für die Generalität war dieser Umstand wichtig, da man nicht erneut von Anfang an als Verursacher, wie im Falle der Brechung der Neutralität Belgiens 1914, angesehen werden wollte. Auch wesentlich, um vermeintlich GB keinen Vorwand zu liefern für eine Intervention und so einen Zweifrontenkrieg zu vermeiden.

3. Und schließlich für die Bevölkerung die Hoffnung, dass ihr "Friedenskanzler" und "friedfertige Führer", und diese Rolle hat er aktiv bis 1937 in der medialen Öffentlichkeit gespielt, Deutschland nicht erneut in das Chaos eines Krieges stürzt. In diesem Sinne konnte und wollten sich vermutlich viele nicht eingestehen, dass die Zeichen durch die Dramaturgie / Demagogie von Hitler in Richtung Krieg nach 1937 gesetzt worden sind.

Der Versuch der Schuldzuweisung in Richtung Polen verlor bereits durch den erfolgreichen Polenfeldzug und engdültig nach der erfolgreichen Westfeldzug an realpolitischer Bedeutung für alle drei Gruppen. Man "erfreute" sich an der "aphrodisierenden" Wirkung der Erfolge der "deutschen Waffen". Und schließlich und endlich waren ja doch eine Reihe von "offenen Rechnungen" vorhanden, die in der auf Revision trachtenden "Volksseele" zu begleichen waren.

In diesem Sinne spielte beim Feldzug in Polen in allen deutschen Gesellschaftsschichten vermutlich auch eine "selbstgerechte" Haltung eine Rolle, dass die Polen es verdient hätten, dass "Deutschland sich verteidigt" und "erlittenes Unrecht" (Danzig etc.) "gerächt" wird.

Als Beschleuniger für das Vergessen der ambivalenten Haltung im September 1939 diente dabei zusätzlich die Vorstellung, dass der Zweck die Mittel heiligen würde, und immerhin betätigte man sich in "heilsbringerischer Weise" und "beglückte" Europa mit den "Segnungen" der Ideen des Nationalsozialismus. Zusätzlich wurde teilweise auch explizit auf das "Recht des Stärkeren" Bezug genommen (soweit ich mich an einzelne Aussagen erinnere ohne leider die Quellen nennen zu könne) und führte implizit als Rechtfertigung die historische Erfahrung "vae victis" an.

Vor diesem Hintergrund ist es vermutlich verständlich, und auch weil in schneller Abfolge weitere Ereignisse folgten, dass der vermeintlich Angriff der Polen als Auslöser der WW2 durch die NS-Propaganda nicht beständig nach 1939 dramatisiert wurde.

Und interessanterweise auch keine Rolle als Rechtfertigung spielte, dass man keinen Angriffskrieg geführt hätte, bei den angeklagten Personen im Rahmen der Nürnberger Prozesse, soweit ich weiss.

[Die etwas "merkwürde" Begriffswahl, die einzelne Termini der NS-Ideologie aufgreift, soll dem Thema angemessen sein, deswegen bitte ich sie zu entschuldigen]
 
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thanepower schrieb:
1. Für Hitler, um sich eine Legitimation gegenüber seinen Generalen zu verschaffen, da diese es als unvorteilhaft angesehen haben, einen Zweifrontenkrieg zu beginnen. Insofern war der "erzwungene Krieg" durch die Polen, ermuntert durch das "arglistige Albion" (GB) ein Ausweg für Hitler aus der Erklärungsnot gegenüber den Militärs.

Dazu habe ich eine Frage. Hat denn beispielsweise das OKH diese Erklärungen geschluckt?
 
Ich würde meinen, nein.

Zwar wurde diese Version von Hitler auch wieder am 22.8.39 in Berchtesgaden aufgetischt, aber Halder & Co. arbeiteten seit dem Frühjahr an den Angriffskriegs-Planungen gegen Polen. Polen wurde als schnell zu erledigendes Problem angesehen (Brauchitsch: "drei Wochen"), verbunden mit der Machtlosigkeit der Westmächte, was eigentlich konträr zur Hitler-Darstellung steht.

Ein Bereich interessierte sich vermutlich nicht für Hintergründe, sondern "funktionierte" als Militär (so Ritter von Leeb, der den Krieg im Tagebuch kritisierte, aber widerspruchslos mitmachte). Ein anderer Teil fand sich in der militärischen Opposition (Canaris etc.).
 
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