Bitte Islamexperten um Hilfe

Meltis

Neues Mitglied
Hallo,

ich interessiere mich sehr für die islamische Geschichte und habe viele Fragen.
Was sind die frühesten Schriften nach Mohammed.
Werke über das islamische Recht...

Ich habe gelesen, dass die Rechtsschulen, erst einige Zeit später gegründet wurden.
Wann wurde der Koran erstmals schriftlich in einem Buch fixiert und verbreitet. War das nicht auch erst in der Gründerzeit der Rechtsschulen.
Mich interssiert was in der Spanne nach dem Tod Mohammads passiert ist, und warum die Muslime erst Werke zum Islam später verfasst haben.
Welchen Einfluss hatte die historische Zeit auf die Gelehrten?

Wie authentisch sind die Aussagen historisch gesehen?
Kann man sagen, dass der Islam, der in den Rechtsschulen beschrieben wird der Islam in seinen ursprünglichen Verständnis ist?

Später gab es doch Refombewegungen (Ibn Thamiya) die nur die wortwörtliche Deutung zulassen. War dies auch zu Beginn der islamischen Zeit so, Gibt es Hinweise, Quellen?

ich hoffe ihr könnt mir weiter helfen oder Literatur empfehlen.
Ich möchte mir gern ein Bild von dem ursprünglichen Islam machen.

Liebe Grüße

Meltis
 
Ich habe gelesen, dass die Rechtsschulen, erst einige Zeit später gegründet wurden.
Wann wurde der Koran erstmals schriftlich in einem Buch fixiert und verbreitet. War das nicht auch erst in der Gründerzeit der Rechtsschulen.

So etwa 100 Jahre nach Muhammads Tod beginnt die Kanonisierung des Qur'ān, wobei die Suren nach ihrer Länge sortiert werden. Du kannst aber sicher sein, dass sie schon zuvor verschriftlicht worden waren.
Du kannst außerdem davon ausgehen, dass die Sammlung der Haditen in der Sunna und die Gründung der Rechtsschulen zu demsleben Prozess gehörten. Solange Muhammad als Prophet noch lebte, konnten die Muslime ihn noch fragen, wie recht zu sprechen sei. Danach hatten sie nur noch den Qur'ān und die Nachrichten des Propheten (Hadita = Nachricht) als Grundlage. Deshalb konnten sich eben auch verschiedene Rechtsschulen entwickeln, etwa weil Äußerungen verschieden ausgelegt wurden, oder weil verschiedene sich teilweise widersprechende Aussagen anders gewichtet wurden.
 
Der Koran wurde erst nach Mohammeds Tod verschriftet. Redaktion führte sein langjähriger Sekrätär Said-Ibn-Thaibat im Auftrag des ersten Kalifen Abu-Bakr. Das Problem war, dass die alten Veteranen, die den Propheten noch erlebt hatten und seine Offenbarungen auswendig kannten, allmählich wegstarben.
Seine heutige kanonische Form bekam das Werk unter dem 2. Kalifen Umar.
Pörtner, R.: Die Sarazenen - Econ Verlag 1978
 
Zum Zeitpunkt des Todes von Mohammed lag der Koran in schriftlicher Form nicht vor. Darüber ist sich die seriöse Koranwissenschaft heute weitgehend einig. Wahrscheinlich ist, dass die Männer, die zu Mohammed in enger Beziehung standen, große Teile des Korans auswendig wussten.

Unter Mohammeds Nachfolger, Abu Bakr (gest. 634), sagten sich einige Stämme wieder vom Islam los. In den sehr blutigen Kämpfen, die gegen die Abtrünnigen geführt wurden, kamen viele dieser Korankenner ums Leben. Abu Bakr war in Sorge, dass das Wissen um den offenbarten Text verloren gehen könnte, und er befahl, den Koran schriftlich festzuhalten.

So wird die Vorgeschichte der ersten Koranredaktion von az-Zuhri, dem bedeutenden Gelehrten (gest. 741), überliefert. Von ihm erfahren wir, dass Zaid b. Tabit (gest. 665), der Mohammed als Sekretär diente, die Aufgabe übernahm, die Texte zu sammeln und aufzuscheiben. Wir erfahren weiters, dass die Textfragmente von gegerbten Häuten, Holzstücken, Palmblättern, weichen Steinen, Knochen, etc. und „von den Herzen der Männer“ stammten.

„Von den Herzen der Männer“, das heißt, ein guter Teil des Textes war schon zur Zeit der ersten schriftlichen Fassung des Korans Überlieferung. Bei den Gelehrten der Zeit nach Mohammed, die sich mit den Worten und Taten des Propheten beschäftigten und diese als Norm für eine gottgefällige Lebensführung ansahen, herrschte recht lange die Meinung vor, dass die mündliche Überlieferung, die möglichst viele Männer auswendig können und weitergeben sollten, der schriftlichen vorzuziehen sei.

Ob die Textsammlung durch Zaid b. Tabit zum Abschluss gekommen war, verrät az-Zuhri nicht. Jedenfalls steht fest, dass zur Herrschaftszeit von Umar (gest. 644) und auch der des Utman (gest. 656) verschiedene Textfassungen vorlagen, z. B. auch jene des ´Abdallah b. Mas´ud, der die Utman’sche Fassung lange nicht anerkennen wollte.

Welcher Herkunft der Text war, den der Kalif als den einzig wahren gelten lassen wollte, steht nicht eindeutig fest, doch es darf angenommen werden, dass es auf Grundlage der Sammlung des Zaid b. Talib zu Textabstimmungen gekommen war und sich Kalif Utman und seine Vertrauten auf einen verbindlichen Textbestand geeinigt hatten.

Schließlich blieb nur des Kalifen Einheitskoran übrig. Alle anderen Textsammlungen mussten auf seinen Befehl vernichtet werden.

Quellen:
W. M. Watt, Der Islam, Bd I
Tilman Nagel, Der Koran, Einführung – Texte – Erläuterungen

Gute Information über islamisches Recht bietet:
Mathias Rohe, Das islamische Recht, Geschichte und Gegenwart, C. H. Beck 2009, ISBN 978 3 406 57955 4
 
So wird die Vorgeschichte der ersten Koranredaktion von az-Zuhri, dem bedeutenden Gelehrten (gest. 741), überliefert. Von ihm erfahren wir, dass Zaid b. Tabit (gest. 665), der Mohammed als Sekretär diente, die Aufgabe übernahm, die Texte zu sammeln und aufzuscheiben. Wir erfahren weiters, dass die Textfragmente von gegerbten Häuten, Holzstücken, Palmblättern, weichen Steinen, Knochen, etc. und „von den Herzen der Männer“ stammten.
Das ist wichtig, denn es zeigt, dass es - wenn auch unsystematische - Versuche gegeben hat, den Qur'ān schriftlich zu sichern, aber eben auch, das längst nicht alles gesichert war.

„Von den Herzen der Männer“, das heißt, ein guter Teil des Textes war schon zur Zeit der ersten schriftlichen Fassung des Korans Überlieferung. Bei den Gelehrten der Zeit nach Mohammed, die sich mit den Worten und Taten des Propheten beschäftigten und diese als Norm für eine gottgefällige Lebensführung ansahen, herrschte recht lange die Meinung vor, dass die mündliche Überlieferung, die möglichst viele Männer auswendig können und weitergeben sollten, der schriftlichen vorzuziehen sei.

Das steckt durchaus auch im Wort Qur'ān (Rezitation) vom Verb qara'a (قرأ), 'lesen'.

Schließlich blieb nur des Kalifen Einheitskoran übrig. Alle anderen Textsammlungen mussten auf seinen Befehl vernichtet werden.
Was nicht passiert ist. Es liegen tatsächlich noch alte Fassungen des Qur'ān vor, die nicht nach der Länge der Suren geordnet sind.
 
Was nicht passiert ist. Es liegen tatsächlich noch alte Fassungen des Qur'ān vor,...
Es gibt Indizien dafür, dass der Utman’sche Vernichtungsbefehl nicht konsequent befolgt wurde. Dass noch alte Fassungen (zB jene von Ibn Mas’ud, Ubayy oder al-Ash’ari) als Ganzes oder in Teilen vorlägen (oder gar in Gebrauch wären), wäre mir neu.

In alten Texten wird mehrmals bezeugt, dass Varianten (ev. auch nichtkanonische Versionen des Korans) auch noch nach dem Utman’schen Vernichtungsbefehl existiert hatten und benutzt wurden. Die Koranwissenschaft bezeichnet das als "qira’at" (Arten, den Text zu lesen) oder "masahif" (Codices des Korans). Beleg dafür ist, dass in den großen klassischen Kommentaren zum Koran (Tabari, Zamakhshari, Razi und Baydawi) verschiedene Vokalisierungen und andere, geringfügige Textabweichungen bei Zitaten festzustellen sind.

Als Varianten des Korans, die in der Frühzeit des Islam noch in Umlauf gewesen sein mussten, werden die Sammlungen von Ibn Mas’ud (Kufa), Ubayy (Syrien) und Abu Musa al-Ash’ari (Basra) genannt.

Wann genau die endgültige Festlegung des kanonischen Korantextes (und seiner legitimen Lesarten) stattgefunden hat, darüber ist sich die Koranwissenschaft bis heute nicht einig. Die erhaltenen Koranhandschriften der frühen Zeit lassen jedenfalls die Annahme zu, dass sich der Text, wie er heute vorliegt (das gilt insbesondere für die Zeichen, die den Vortrag bestimmen), erst allmählich durchgesetzt hat.

...die nicht nach der Länge der Suren geordnet sind.
Das Prinzip, wonach die Suren der Länge nach zu ordnen sind, wurde von den Koranredaktoren nicht konsequent durchgehalten. Nach der Textlänge der Suren (absteigend geordnet) müsste die Reihenfolge folgendermaßen aussehen:

2, 4, 3, 7, 6, 5, 9, 11, 16, 10, 12, 17, 18, 26, 28, 20, 24, 33, 22, 8, 21, … und so fort.

Auch wenn die Anzahl der Verse der einzelnen Suren als Ordnungsvorgabe zugrunde läge, ergäbe sich eine andere als die gebräuchliche Reihenfolge:

2 (286 Verse), 26 (227), 7 (206), 3 (200), 37 (182), 4 (176), 6 (165), 20 (135), 9 (129), 16 (128), … und so fort.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es gibt Indizien dafür, dass der Utman’sche Vernichtungsbefehl nicht konsequent befolgt wurde. Dass noch alte Fassungen (zB jene von Ibn Mas’ud, Ubayy oder al-Ash’ari) als Ganzes oder in Teilen vorlägen (oder gar in Gebrauch wären), wäre mir neu.


Doch, in Istanbul und im Jemen gibt es solche Exemplare oder Fragmente davon. Dass sie in Gebrauch wären, davon habe ich nichts angedeutet.

In der im folgenden zitierten Passage schreibst du es doch selber, wenn auch stark auf die Diakritika fokussiert:

Die erhaltenen Koranhandschriften der frühen Zeit lassen jedenfalls die Annahme zu, dass sich der Text, wie er heute vorliegt (das gilt insbesondere für die Zeichen, die den Vortrag bestimmen), erst allmählich durchgesetzt hat.
 
..

Vielen lieben Dank schon mal für die ausführlichen Infos.
Das ist sehr interessant.

Aber was mich etwas verwundert ist, dass es also üblich war den Koran mündlich weiter zu geben. Demnach müsste doch trotz der Festlegung auf die Koranfassung nach Uthmann, weiterhin mündliche Koranfassungen, die nicht identisch mit der utmannschen waren, im Umlauf gewesen sein.

Gibt es Gründe warum Abdallah b. Mas´ud den damaligen Koran nicht anerkennen wollte?

Zur Ordnung der Suren im Koran bin ich mal auf eine Seite gestoßen, die zeigt..dass die Suren in einenm Diagramm angeordnet den Namen Allah abbilden, quasi als Unterschrift : )
Vieleicht war das eine künstlerische Idee der Koransammler
"Unterschrift Gottes" im Koran

oder was meint ihr, ist das quatsch :)
 
... und im Jemen gibt es solche Exemplare oder Fragmente davon. Dass sie in Gebrauch wären, davon habe ich nichts angedeutet.
Ich kenne leider keine wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit diesem Fund beschäftigen. Soviel ich weiß ist eine systematische Aufarbeitung der Handschriften bis heute noch nicht erfolgt.
Dazu eine Anmerkung von Rüdiger Lohlker:
1972 wurde in der gro­ßen Moschee in Sanaa im Jemen eine große Menge an alten Koran­handschriften (ca. 12.000) entdeckt, die anhand der Schrift auf das 8. Jahrhundert chr. Z. datiert werden konnten (Puin 1999). Diese Hand­schriften versprechen reiche Einsichten in den Konstitutionsprozess des Korantextes. Leider ist die Durcharbeitung noch nicht sehr weit gediehen. Einige Unterschiede in der Surenanordnung lassen vermu­ten, dass diese Anordnung in gewissem Maße variabel war. Einige klei­nere Varianten in der Lesung deuten, so einige Forscher, darauf, dass es keine parallele Entwicklung einer oralen und einer schriftlichen Tradition gegeben hat. Vielmehr zeigten die Handschriften an, dass der endgültige Korantext ein Reflex der Beschäftigung mit einem schriftlichen Text ist.
R. Lohlker, Islam, Eine Ideengeschichte, Facultas 2008, S. 36
 
Aber was mich etwas verwundert ist, dass es also üblich war den Koran mündlich weiter zu geben.
Anfangs hat es keine andere Möglichkeit gegeben, Inhalte zu transportieren. Die alte arabische (also die unpunktierte) Schrift war zur genauen Festlegung von Inhalten nicht geeignet. Diese Schrift fungierte für Personen, die einen Text kannten, mit dem Inhalt vertraut waren, als Gedächtnisstütze.

Die arabische Konsonantenschrift berücksichtigte die kurzen Vokale nicht und war auch bei den verwendeten Buchstabenzeichen mehrdeutig. Der einfache Haken in der Wortmitte konnte beispielsweise für fünf Buchstaben (b, t, ṯ, j und n) stehen. Mittels diakritischer Punkte konnten die Lautwerte zwar eindeutig festgelegt werden, doch wurde dieses Verfahren nur sehr unregelmäßig angewandt.

Erst gegen 700 nC erfand man Hilfszeichen, die die kurzen Vokale andeuteten und damit eine bestimmte Lesung des Korantextes vorschreiben sollten.

Gibt es Gründe warum Abdallah b. Mas´ud den damaligen Koran nicht anerkennen wollte?
Wer den Koran als göttliche Rede versteht und den Wunsch hat, diese genau wiederzugeben, hängt an Buchstaben, Worten und Formulierungen.

Im Koran ist von einer wohlverwahrten Schrift, einem ewigen Buch, das offenbart wurde, die Rede. Ein himmlisches Original also, dessen Abschrift (Niederschrift) er ist (vgl. 3,7; 13,39; 43, 2-4; 56, 77-80; 85, 21f.). Daher wird auch heute noch, insbesondere bei Übersetzungen, um jedes Wort gerungen und gestritten. Für viele Muslime ist das auch ein Grund, Übersetzungen von Korantexten mehr als reserviert gegenüberzustehen.

Wie hier schon berichtet wurde, gab es mehrere Koranfassungen, bevor die utman'sche (in ihren sieben möglichen Lesarten) kanonisiert wurde. Manche davon waren wohl auch einige Zeit danach noch im Umlauf gewesen.

Meines Wissens kennt man die Textvarianten nur aus Rekonstruktionen. Auch eine Fassung Alis, Mohammeds Neffe, Schwiegersohn und letzter rechtgeleitete Kalif, (mit stark abweichender Anordnung der Suren) hat es wohl gegeben. Ali dürfte die utman'sche Version begrüßt und seine aufgegeben haben.

Ähnlich war es wohl auch bei Abdallah b. Mas'ud. Von ihm wird erzählt, dass er - nach anfänglichem Widerstand - schließlich doch mit der utman'schen Fassung einverstanden gewesen war (erwähnt bei T. Nagel, Der Koran, S 23).

Zur Ordnung der Suren im Koran bin ich mal auf eine Seite gestoßen, die zeigt..dass die Suren in einenm Diagramm angeordnet den Namen Allah abbilden, quasi als Unterschrift : )
Vieleicht war das eine künstlerische Idee der Koransammler
"Unterschrift Gottes" im Koran
Von solchen Dingen halte ich nichts.
 
Hallo, viele Fragen wurden ja schon sehr kompetent beantwortet.
Zu einigen anderen kann ich vielleicht noch den einen oder anderen Senf abgeben.
....
Mich interssiert was in der Spanne nach dem Tod Mohammads passiert ist, und warum die Muslime erst Werke zum Islam später verfasst haben.

Sie haben vielleicht auch schon vorher Werke verfasst, die aber die Zeitläufte nicht überdauert haben. Manchmal erfahren wir auch nur etwas über ältere Werke durch Andeutungen oder Bezüge in jüngeren Werken.
Und vor allem ist "der" Islam ja auch nicht mit dem Tode Muhammads abgeschlossen und fertig gewesen, sondern hat sich in wesentlichen Bestandteilen erst nach seinem Tode gebildet. Im Zuge dieser Herausbildung dessen, was es heißt ein Muslim zu sein, entstand dann allmählich eine immer reichere Literatur.

Welchen Einfluss hatte die historische Zeit auf die Gelehrten?
Einen großen. So erlernten z.B. die islamischen Gelehrten erst einmal aus den antiken aber auch christlichen Schriften einige Arten zu diskutieren, zu argumentieren, um dann gegenüber den Christen, Manichäern, usw. ihre Religion Islam in Diskussionen auch erklären, verteidigen, usw. zu können.
Es bestand auch oft ein allgemeiner Kanon an Vorkenntnissen zu jener Zeit, die uns heute u.U. fehlen, so dass z.B. auch im Koran nicht selten nur Andeutungen erfolgen, die uns unverständlich sind, aber den Zeitgenossen sonnenklar waren.
So, als wenn heute jemand sagt: "Flasche leer", und fast alle wissen, dass der Italiener Trapatoni als Bayern-Fussballtrainer ausrastete, aber in 100 oder 1000 Jahren die Leute vielleicht darüber grübeln würden, was dieses "Flasche leer" bedeutet, wenn sie keine weiteren Infos dazu haben. :)

Wie authentisch sind die Aussagen historisch gesehen?
Welche Aussagen meinste? Die im Koran? Die in den Hadithen (Überlieferungen über Taten und Sprüche des Propheten), die frühesten Muhammad-Biographien?

Es ist ausserdem erwähnenswert, nicht nur zu schauen, was man betrachtet, sondern auch wann die Forschung welche Richtung mehrheitlich vertreten hatte.
Kurz gesagt gab es bis Mitte der 1950/60er Jahre eine Schule oder Strömung bei uns im Westen, die ähnlich wie die klassische islamische Theologie vieles oder das meiste als historisch durchaus so gegeben angesehen hat.
Dann gab es zumindest bei der Hadithforschung eine ca. 20 Jahre lange Phase, wo man erstmal gesagt hat, alle Hadithe seien eher eine "Phantasie" und als historische Quelle meist gänzlich unbrauchbar, solange man nicht das Gegenteil beweisen könne.
Dieses wurde seit den 1980er Jahren bei einem immer größeren Teil der Hadithe durch westl. Forscher erbracht, die feststellen konnten (auch mithilfe der damals neuen Computer), dass durchaus die innerislamische Auslese von falschen und "wahren" Hadithen (im Mittelalter) zumindest bei einem großen Teil so gut funktionierte, dass glaubhafte lückenlose Überlieferungsketten auch nach westlich kritischen Maßstäben rekonstruiert werden konnten. So ist man vielleicht heute kritischer, als noch Anfang des 20. Jh., aber zumindest grob werden viele in islamischen Quellen beschriebenen Ereignisse durchaus heute wieder als historisch betrachtet, und nicht als literarische oder rein theologische Begebenheiten, wie vielleicht von vielen in den 60er Jahren.

Siehe auch hier eine grobe Übersicht, wobei die mittlere Position inzwischen entweder widerlegt wurde (in vielen Teilen zumindestens), eine extreme Minderheitenmeinung darstellt, oder inzwischen schlicht veraltet ist:

Wussten Sie, dass es drei Hauptansätze zur Interpretation der frühen Quellen zum Islam gibt? David Kiltz verdeutlicht dies mittels des traditionalistischen, des revisionistischen und des integrativen Ansatzes. (Vgl. S. 19 ff.) In seinem Beitrag „Schatten über den Anfängen – Was sagen frühe Quellen zum Islam über das aus, was wirklich war?“ geht er – vereinfacht ausgedrückt – drei Erklärungsansätzen früherer Quellen nach. Hierbei unterscheidet er innerislamische literarische Quellen, außerislamische literarische Quellen und Realien bzw. Inschriften und bildliche Darstellungen.

Die „Traditionalisten“ in der islamischen Welt folgen nach Kiltz im Wesentlichen der innerislamischen Überlieferung, d.h. der Tradition. Dabei wird diese als weitgehend historisch korrekt angesehen. In der traditionellen westlichen Islamwissenschaft werden nach Kiltz die klassischen islamischen Werke nach kritischer Sichtung ebenfalls als wesentliche Basis für die frühislamische Geschichte verwendet. (Vgl. S. 20) Zu den Vertretern der „klassischen Schule“ werden bspw. William Montgomery Watt und Rudi Paret gezählt.

Im revisionistischen Ansatz werden die islamischen Prophetenbiographien und Erzählungen zu historischen Ereignissen als „heilsgeschichtliche“ Konstrukte abgelehnt. John Wansbrough, Patricia Crone und Michael Cook werden hierbei zu den bekannten Vertretern dieser Richtung gezählt. Crone habe sogar versucht, ganz ohne traditionelle islamische Quellen eine Rekonstruktion der frühislamischen Geschichte vorzunehmen und sich dabei nur mit außerislamischen Quellen befasst. (vgl. S. 21). Der vor allem bekannteste Vertreter der revisionistischen Richtung ist der Islamwissenschaftler Muhammad Sven Kalisch, der die Existenz des Propheten „Muhhammad“ gemäß dieser Richtung negiert. Seiner Ansicht nach hat es den Propheten nicht gegeben. (Vgl. S. 21)

Der dritte als „integrative“ Schule bezeichnete Ansatz erachtet die Herkunft des Propheten Muhammed aus Mekka als wahrscheinlich und versucht die verschiedenen Quellen zu harmonisieren. Hierbei soll der Blick „von außen“ helfen, den Koran nicht als historisch unmittelbar auswertbare Quelle zu sehen, sondern als literarisch-kodierte Aussage über seine Zeit und über seine Genese. Zu den Vertretern dieses Ansatzes werden u.a. Angelika Neuwirth, Gabriel Said Reynolds, Michael Cuypers etc. gezählt. (Vgl. S. 26)

weiter:
Rezension: Islamverherrlichung



Kann man sagen, dass der Islam, der in den Rechtsschulen beschrieben wird der Islam in seinen ursprünglichen Verständnis ist?
Wenn man sagen würde, und zwar detailliert, das und das ist "der" Islam, dann würde man von sich ja behaupten, dass man den Wesenskern des Islam kennen würde. Nun ist es aber so, dass genau darum zu allen Zeiten und in allen unterschiedlichen Weltgegenden immer wieder unterschiedliche Antworten gegeben wurden. Einige hatten große Autorität, so dass sich etliche Grundsätze in bestimmten Zeiten und Regionen durchsetzen, aber mitnichten vergleichbar mit dem Christentum, wo durch Konzile und Dogmen und dem Papst doch eine größere Vereinheitlichung erfolgte, und andere Strömungen ggf. verfolgt oder vernichtet/vertrieben wurden (diese Kämpfe gegen unterschiedliche islam. Strömungen fanden ggf. auch im islamischen Raum statt, jedoch gab es letztlich immer eine stärkere Durchmischung der "Konfessionen", im Vergleich zur recht starken Separation der protestantischen, katholischen, orthodoxen, nestorianischen, usw. Gebieten)

Ausserdem wird ja der Islam nicht nur allein durch die Rechtsschulen beschrieben.

Später gab es doch Refombewegungen (Ibn Thamiya) die nur die wortwörtliche Deutung zulassen. War dies auch zu Beginn der islamischen Zeit so, Gibt es Hinweise, Quellen?
Zu Beginn gab es schon diverse Interpretationsansätze, denn schon den Zeitgenossen Muhammads und auch der nächsten Generation waren nicht alle Aussagen des Korans so eindeutig klar. So waren z.B. anfangs auch diejenigen Strömungen stark, die nicht alleine das reine "Wort Gottes" als Quelle der Erkenntnis akzeptieren konnten, sondern dazu noch den menschlichen Geist, den Logos, die Vernunft, als Quelle der Erkenntnis was denn der Koran aussagen wollte hinzugezogen haben. (Ahl al-ra'i versus ahl al-hadith)
Später wurden dann andere Strömungen stark und tonangebend, wie z.B. die ascharitische Strömung:
http://de.wikipedia.org/wiki/Abū_l-Ḥasan_al-Aschʿarī

So radikal wie Ibn Taimiyya waren diese Strömungen hingegen nicht unbedingt. Und diese fundamentalistischen Strömungen Ibn Taimiyyas wären auch nur wahrscheinlich eine Randnotiz der Geschichte geblieben, hätten sich nicht die Wahhabiten auf ihn bezogen, die den Kitt der Gesellschaft zu Zeiten der Familie Saud bildeten, also von den Saudis protegiert und verbreitet wurden. Und hätten die Saudis nicht später Öl gefunden, wäre heute diese islamische fundamentalistische Strömung sicherlich ebenso unbekannt, wie die Charidschiten in Südarabien und Djerba, die heute auch niemand kennt.

Letztlich wurde nicht selten immer eine lebendige Flamme, statt eine Asche weitergereicht. Will sagen, das, was es bedeutet ein guter Muslim zu sein (jenseits der meist gleichen Grundpflichten), veränderte sich im Laufe der Jahrhunderte dynamisch, und heutige Versuche, einen Zeitpunkt und einen Ort relativ willkürlich zu bestimmen, wo es wirklich echt volle Kanne "wahre Muslime" gegeben haben soll, ist immer recht fraglich zu betrachten.

Siehe dazu auch:
http://www.geschichtsforum.de/f36/u...rientalistik-und-islamischer-theologie-25008/


ich hoffe ihr könnt mir weiter helfen oder Literatur empfehlen.
Ich möchte mir gern ein Bild von dem ursprünglichen Islam machen.

Ich habe hier schon mal einiges zu dem frühen Islam zitiert und Leseproben empfehlenswerter Bücher gegeben:



http://www.geschichtsforum.de/f36/aufstieg-und-niedergang-der-araber-17641/index3.html#post287563
http://www.geschichtsforum.de/f36/die-errichtung-der-kaaba-14280/#post228542
http://www.geschichtsforum.de/f36/rolle-der-frau-im-islam-9228/index3.html#post379496
http://www.geschichtsforum.de/f36/q...einer-entstehung-29330/index2.html#post489976

Suche mal mit der Funktion "einzelne Beiträge" in der Suche nach dem Stichwort Bobzin
Dort ist noch eine gute Leseprobe dabei, neben den obigen Links.
 
Ich bin zwar kein Islamexperte, aber mir erscheint es logisch, den ursprünglichen Islam dort zu suchen wo er erstanden ist, nämlich in Saudi Arabien.

Die heidnischen Turkvölker und die damals meist christlichen Bewohner Nordafrikas wurden ja erst einige Zeit später arabisiert und islamisiert, wobei der Islam immer von der dort ansässigen Bevölkerung auf unterschiedliche Weise gelebt wurde.

Letztlich sind religiöse Schriften niemals eindeutige, klare Definitionen wie man sie in der Mathematik vorfindet, deshalb lassen sie naturgemäß viel Interpretationsspielraum.
 
Ich bin zwar kein Islamexperte, aber mir erscheint es logisch, den ursprünglichen Islam dort zu suchen wo er erstanden ist, nämlich in Saudi Arabien.

Gerade Saudi-Arabien ist allerdings ein Beispiel dafür, dass die von dir gewählte Methode nicht funktioniert. In Saudi-Arabien herrscht der Wahhabismus, eine islamistische Strömung die im 18. Jahrhundert entstanden ist.
 
Ich meine weniger den heutigen Staat Saudi Arabien, sondern mehr den Ort des heutigen Saudi Arabiens ab dem 7. Jh. in seinem geschichtlichen Verlauf.
 
Ich meine weniger den heutigen Staat Saudi Arabien, sondern mehr den Ort des heutigen Saudi Arabiens ab dem 7. Jh. in seinem geschichtlichen Verlauf.

Auf jeden Fall genießen die Araber in der islamischen Welt noch heute einen Ehrenvorrang, weil sie bzw. der aus ihnen hervorgegangene Mohammed Schöpfer des Koran waren und ihn verbreiteten. Arabien ist sozusagen die "Urheimat" des Islam und heute Zentrum seiner besonders konservativen, dogmatischen wahabitischen Richtung, die in Saudi-Arabien Staatsreligion ist.
 
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