Blühender Fernhandel im Mongolenreich - Wahrheit oder Mythos?

J

Juliann

Gast
Gibt es belastbare Indizien oder Fakten, dass das mongolische Großreich den transasiatischen Fernhandel von Luxusgütern tatsächlich angekurbelt hat? Also etwa in Form sinkender Preise für Seide etc. an den Endpunkten Konstiantnopel, Venedig oder Genua. Oder ist das nur ein Mythos, damit dem Mongolenreich wenigstens eine einzige positive zivilisatorische Leistung nachgesagt werden kann? In jedem Fall dürfte allenfalls das oberste Promille der Gesellschaft, das sich den Erwerb solcher Güter leisten konnten, von einem erhöhten Handelsvolumen profitiert haben. Oder konnte sich plötzlich auch die Mittelschicht in Seide kleiden?
 
Ob der Handel blühte, vermag ich nicht zu sagen, aber man konnte unter den Großkhanen und ihren Nachfolgern für ca. 100 Jahre relativ gefahrlos von Peking/Beijing bis ans Mittelmeer reisen. Das ist natürlich auch für den Handel gut. Mit dem Zerfall der mongolischen Nachfolgestaaten änderte sich das.
 
man konnte unter den Großkhanen und ihren Nachfolgern für ca. 100 Jahre relativ gefahrlos von Peking/Beijing bis ans Mittelmeer reisen. Das ist natürlich auch für den Handel gut.
hätten sich angesichts dieser gefahrlosen Route die portugiesischen Seefahrer da nicht die Mühe, Azoren, Madeira, Kapverden zu Stützpunkten zu machen, ersparen können? Oder bringe ich da zeitlich was durcheinander?
 
Die Pax Mongolica ist vor allem im 13. und 14. Jhdt. anzusetzen. Im Mittelmeer herrschte sie aber nicht. Die Portugiesen hatten wenig von ihr. Im 14. und 15. Jhdt. wurden die Karten auch neu gemischt. Der Bericht des Gonzales de Clavijo spanische Gesandschaftsreise zu Timur Lenk (in einem entsprechenden Thread habe ich daraus zitiert) ist teilweise recht erhellend, wie die Verhältnisse 1405 ff. aussahen.
Ich wüsste auch nicht, was die Portugiesen den Venezianern oder Genuesen als eifersüchtig die Handelsrouten dominierenden Zwischenhändlern groß anzubieten gehabt hätten.
 
Oder ist das nur ein Mythos, damit dem Mongolenreich wenigstens eine einzige positive zivilisatorische Leistung nachgesagt werden kann?

Das ist ja nun allzu wertend. Spätestens ab Möngke Khan bauten die Mongolen in Karakorum eine für damalige Verhältnisse moderne Verwaltung mit einem funktionierten Nachrichtenwesen auf, sie förderten auf ihrem Gebiet den Handel und den Kulturaustausch. Auch die Herrschaft der Il-Khane in Persien war sicherlich kein kultureller Rückschritt.
 
Die Pax Mongolica ist vor allem im 13. und 14. Jhdt. anzusetzen.

Um 1340 schreibt der Bankier Francesco Balducci Pegolotti:

II cammino d'andare dalla Tana al Gattaio e sicurissimo e di dì e di notte secondo che si conta per li mercatanti che l'anno usato.
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Der Reiseweg von Tana [=Asow] nach China ist sehr sicher, bei Tag und bei Nacht, soweit es die Kaufleute berichten, die ihn benutzt haben.
https://cdn.ymaws.com/sites/www.med...mgr/maa_books_online/evans_0024_bkmrkdpdf.pdf

Ob das für den Weg nach Indien noch galt, weiß ich nicht. Das Reich der Ilchane, das sich von Anatolien über Persien bis zum Indus erstreckte, war bereits am Zerfallen und bestand seit 1335 de facto nicht mehr.
1368 ging die mongolische Kontrolle über China zu Ende, es entstand wieder eine militärisch gesicherte Grenze (mit dem Bau der "Großen Mauer" begannen die Ming allerdings erst später).

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Das ist ja nun allzu wertend. Spätestens ab Möngke Khan bauten die Mongolen in Karakorum eine für damalige Verhältnisse moderne Verwaltung mit einem funktionierten Nachrichtenwesen auf, sie förderten auf ihrem Gebiet den Handel und den Kulturaustausch.
Dieser "Kulturaustausch" erfolgte allerdings nicht immer gerade freiwillig. Die Mongolen waren nicht zimperlich, wenn es darum ging, Spezialisten und Fachkräfte quer durch ihr Reich zu transferieren, um andernorts z. B. Bauwerke zu errichten.
 
Allein die Entwicklung einer eigenen Schrift anstelle der Übernahme und Anpassung einer fremden stellt schon eine große Leistung dar. Europa hat das nicht zu bieten: Sowohl die Griechische Schrift, als auch die lateinische und kyrillische wie auch die Runen stellen nur Weiterentwicklungen dar.

Historisch waren mangelnde Sicherheit und übertrieben viele, übertrieben hohe oder willkürliche Zölle das größte Handelsrisiko. Ursprünglich waren die Mongolen dabei besonders gefürchtet. Schon unter Dschingis Khan kam es zu gewaltigen Verbesserungen und unter seinen Nachfolgern war es wohl der sicherste Ort für Fernhändler. Es wurde auch nicht nur mit Luxuswaren gehandelt. Ostasien hatte etwa einen Mangel an Leinen. Die Polos handelten mit Edelsteinen, die sie in Ballen westfälischen Leinens als glaubwürdiger Fracht verstecken konnten. In vielen Gegenden mit Sandböden, auch außerhalb Westfalens, waren Leinen (und Wolle) das, was auch Landwirte gegen Geld verkauen konnten.Und das hatte durchaus großen Einfluss.

Die mongolischen Gesetze hatten Jahrhunderte lang eine Wirkung wie der Code Napoleon in Europa und den westlichen Ländern. Auch das ist immateriell, aber genauso hoch zu bewerten wie große Kunstsammlungen und bedeutende Bauten. Aber auch da gibt es einiges zu nennen, wozu aber schon Beispiele genannt wurden.

Das könnte fortgesetzt werden, aber wichtiger ist, dass es überall, wo Menschen leben, zivilisatorische Leistungen gibt. Die gegenteilige Auffassung wurde im 20. Jahrhundert überwunden. Es gibt keine menschliche Gesellschaft ohne eine Ordnung, ohne Kultur und ohne Kunst. Die Rede von barbarischen, primitiven, kultur- und geschichtslosen Völkern sollte der Vergangenheit angehören. Die Frage muss lauten, welche Besonderheiten, welche Errungenschaften eine Gesellschaft hervorgebracht hat, nicht ob sie Leistungen hervorgebracht hat und übrigens auch nicht, warum sie es nicht tat.

Natürlich haben die älteren Ansichten noch heute negative Auswirkungen: Ethnien sehen sich kulturell marginalisiert oder halten an ihrer vermeintlich einzigen Errungenschaft in teils absurder Weise fest. Solche Auswirkungen von Dünkeln und Vorurteilen sind bis heute auch in Deutschland wirksam. Es gibt immer noch Sprecher von Dialekten, die sich ihrer Fähigkeit schämen, weil es ihnen in der Schule eingebläut wurde. Karneval und Schützenfeste gelten, obwohl längst als Weltkulturerbe anerkannt, vielen Leuten als zügellose Alkoholisierung der unteren Schichten. Ich rede nicht davon, dass einzelne eine Tradition aufgrund eines Affekts nicht mögen. Ich rede davon, dass Scheinargumente genannt werden, um Traditionen als eigentlicher Kultur entgegenstehend zu disqualifizieren. Jemand kann aus Gründen der Hygiene und des Brandschutzes ablehnen, dass "Rapper um brennende Mülltonnen tanzen", aber selbst, wenn das so wahr wäre, bliebe jene Musikrichtung, so gräßlich sie sich für mich auch zumeist anhört, eine kulturelle Errungenschaft. Ich mag ja auch nicht jeden Komponisten der Klassik, ohne da gleich alle Kultur abzusprechen. Die Kritik von Inhalten, die Gewalt verherrlichen, steht auf einem anderen Blatt und steht ja auch nicht gegen die Kunstform.
 
Allein die Entwicklung einer eigenen Schrift anstelle der Übernahme und Anpassung einer fremden stellt schon eine große Leistung dar. Europa hat das nicht zu bieten: Sowohl die Griechische Schrift, als auch die lateinische und kyrillische wie auch die Runen stellen nur Weiterentwicklungen dar.
Das verstehe ich nicht. Hätte jede Kultur ein eigenes Rad, eigenes Feuer etc. erfinden müssen, um nicht als eklektische Nachahmer zu gelten?
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Das ist keine Kritik an deinem lesenswerten Beitrag!
Wenn ich es richtig sehe, fand die mongolische Expansion gegen Ende der Kreuzzüge statt - wurden da ähnliche Horrorgeschichten erfunden wie seinerzeit wider die Hunnen?
 
Das habe ich so weder geschrieben, noch impliziert. Zudem ist es eine Antwort auf die Frage von Juliann nach einer positiven Leistung.

Natürlich ist es aber das Naheliegende, eine existierende Schrift anzupassen. Die bewusste Entwicklung einer eigenen Schrift ist demgegenüber herauszuheben. Es ist ein Aufwand, der nicht überall akzeptiert wird. Denn die Frage nach Übernahme oder Eigenentwicklung stellt sich dabei automatisch. Heute wäre es zur Kommunikation - langfristig auch wirtschaftlich - sinnvoll, eine einheitliche, praktisch nutzbare Schrift mit sinnvoller Lautzuordnung zu entwickeln, aber der Aufwand wird seit Jahrzehnten gescheut und statt dessen am unpraktikablen und noch ohne Rücksicht auf die Erfordernisse moderner Datenverarbeitung entstandenen IPA festgehalten. Bevor das kommt: Nein, es geht nicht darum, Schriften zu ersetzen, eher um eine Lern- und Kommunikationshilfe. Aber das Beispiel zeigt auch, dass Übernahmen von Elementen nichts Schlechtes sind.

Edit: Da war Sepiola schneller.
 
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Das habe ich so weder geschrieben, noch impliziert.
geschrieben hast du:
Allein die Entwicklung einer eigenen Schrift anstelle der Übernahme und Anpassung einer fremden stellt schon eine große Leistung dar. Europa hat das nicht zu bieten: Sowohl die Griechische Schrift, als auch die lateinische und kyrillische wie auch die Runen stellen nur Weiterentwicklungen dar.
das sagt: nirgendwo in Europa hat man eine eigene Schrift entwickelt, sondern andere (fremde) Schriften übernommen, was keine Leistung ist (in Sachen Schrift quasi eklektisch ist) - das impliziert logischerweise, dass man andernorts eigene Schriften erfunden/entwickelt hat, was dann offenbar als Leistung betrachtet werden muss.
Ist das so richtig, oder verdrehe ich deine Worte?

Hat die goldene Horde (oder ein anderes der mongolischen Teilreiche) eine eigene Schrift entwickelt? Ich frage, weil ich es nicht weiß und auch noch nicht nachgeschaut habe. Pax mongolica war mir ein Begriff, viel darüber wissen tu ich aber nicht.
 
Eigentlich bin ich der Meinung, schon erläutert zu haben, dass das kein Widerspruch ist.

Die Entwicklung einer (ersten) Schrift wurde sogar schon von Dschingis Khan befohlen, nachdem er einen Gelehrten gefangen hatte. Wikipedia gibt 1208 als Datum, dass ich suchte, nennt aber einen anderen Gelehrten, als ich im Kopf habe. Es war auch wohl eine Arbeitsgruppe und kein einzelner. Aber das schaue ich lieber nochmal nach. Denn das kann leicht verwechselt werden, da es mehr gibt:

Mongolisch gilt tatsächlich als Sprache mit den meisten Schriftsystemen. Das hat mit der Notwendigkeit zu tun, auch andere Sprachen schreiben zu müssen und damit verbunden mit der Hoffnung auf nur eine Schrift. Einige sind Eigenentwicklungen, andere Anpassungen. Heute wird meist eine Abwandlung der kyrillischen Schrift benutzt, die erst im 20. Jahrhundert entstand. Daneben versucht die Regierung die als klassisch geltende Schrift wiederzubeleben. Die berühmte Geheimgeschichte benutzt Chinesische Schriftzeichen. Mehr dazu, insbesondere die konkreten Daten, müsste ich auch nachschlagen.
 
Laut wiki ist die Mongolische Schrift aber auch eine Weiterentwicklung der Uigurischen Schrift, die von der Sogdischen Schrift abstammt und diese wiederum aus der Aramäischen Schrift entwickelt wurde. Das schmälert aber diese mongolische Leistung nicht. Die griechische Schrift ist ja auch nicht "schlechter" als die Chinesische nur weil sie die Phönizischen Schrift für sich weiterentwickelt hat.
 
Auch die Phagpa-Schrift scheint ja nicht sui generis zu sein.
Außergewöhnlich ist die Schaffung einer sprachübergreifenden Schrift, die nicht nur die eigene Sprache abbilden sollte, sondern eine Reihe von Sprachen, die untereinander z. T. nicht im entferntesten verwandt sind und jeweils eigene, untereinander inkompatible Schriftsysteme verwendeten. Darauf muss man erst mal kommen! Ein beträchtlicher Teil des Zeicheninventars wurde neu geschaffen, das ist schon etwas anderes als die Übernahme und Anpassung eines vorhandenen Alphabets.
 
Außergewöhnlich ist die Schaffung einer sprachübergreifenden Schrift, die nicht nur die eigene Sprache abbilden sollte, sondern eine Reihe von Sprachen, die untereinander z. T. nicht im entferntesten verwandt sind
Naja, auch das lateinische Schriftsystem wird in unterschiedlichsten, nicht miteinander verwandten Sprachen verwendet - die kyrillische Schrift ebenso. Klar, gerade bei diesen beiden Schriften könnte man das sagen, das ist das Ergebnis von imperialen Eroberungen, durch die anderen Kulturen diese Schrift aufgezwungen wurde.

Aber auch die Mongolen haben imperiale Eroberungen betrieben. Die Yuan-Dynastie, die die Phagpa-Schrift einführte ist ja auch als mongolische Dynastie bekannt. Der Unterschied ist vielleicht, dass im europäischen Imperialismus ein bestehendes Schriftsystem exportiert wurde. Die Mongolen hingegen schufen eine neue Schrift, die sich auch an bestehende Systeme anlehnte, um ihr Imperium zu verwalten.
 
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