Buch zum Thema Justiz/Recht/Staat/Verfassung im Dritten Reich?

daimos

Mitglied
Nachdem ich vor 1-2 Jahren von Kershaw "Der NS-Staat" gelesen habe, ist jetzt wieder Interesse am Dritten Reich aufgeflammt. Kershaw lieferte damals einen guten Überblick, aber diesmal möchte ich mich etwas spezieller informieren.
Daher werf ich mal die Frage ins Forum, ob jemand vielleicht eine Buchempfehlung für mich hätte, die ungefähr meine Neugier für das Dritte Reich im Bereich der Justiz, der Verfassung bzw. Verfasstheit des Staates und des Rechtssystems stillt. Es geht dabei um solche Fragen wie die fortwährende Geltung der WRV, wo die Nazis das geltende Recht noch befolgten und wo sie es missachteten. Einerseits müsste man ja auf den ersten Blick von einer kompletten Abkehr des Rechts denken, andererseits gab es keine neue NS-Verfassung, sondern die alte war ja teilweise weiterhin in Kraft.

Vielen Dank im Voraus sagt

daimos
 
Nachdem ich vor 1-2 Jahren von Kershaw "Der NS-Staat" gelesen habe, ist jetzt wieder Interesse am Dritten Reich aufgeflammt. Kershaw lieferte damals einen guten Überblick, aber diesmal möchte ich mich etwas spezieller informieren.

Sehr umfassend zum Thema: Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte:
Band 16/I, Hermann Weinkauff, Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus; Ein Überblick/ Albrecht Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung und des Verfahrens- und Richterrechts im nationalsozialistischen Staat, 1968.

Band 16/II, Rudolf Echterhölter, Das öffentliche Recht im nationalsozialistischen Staat, 1970.

Band 16/III, Walter Wagner, Der Volksgerichtshof im
nationalsozialistischen Staat, 1974. 2. Auflage derzeit in Vorbereitung, erscheint vermutlich 2009.

Reifner/Sonnen, Strafjustiz und Polizei im Dritten Reich, 1984


Ansonsten ist eine sachliche oder regionale Betrachtung möglich, wenn man in Details gehen möchte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Als analytischen Überblick und Rahmen empfehle ich den Klassiker "Der Doppelstaat" von Ernst Fraenkel, erschienen in inzwischen versch. Verlagen und Nachdrucken.

Ciao,

Thomas
 
Als Rechtfertigung auf den Mord an Ernst Röhm und anderen in Folge des "Röhm-Putsches" schrieb der Staatsrechtler Carl Schmitt dieses:

"Der wahre Führer ist immer auch Richter. Aus dem Führertum fließt das Richtertum. Wer beides voneinander trennen oder gar entgegensetzen will, macht den Richter entweder zum Gegenführer oder zum Werkzeug eines Gegenführers und sucht den Staat mit Hilfe der Justiz aus den Angeln zu heben. ... Das Richtertum des Führers entspringt derselben Rechtsquelle, der alles Recht jedes Volkes entspringt. ... Alles Recht stammt aus dem Lebensrecht des Volkes. Jedes staatliche Gesetz, jedes richterliche Urteil enthält nur soviel Recht, als ihm aus dieser Quelle zufließt."
(Carl Schmitt, Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles 1923 bis 1939)

Danach würde ich sagen, gab es nicht mehr wirklich eine Verfassung, nicht mehr wirklich ein gültiges Gesetzbuch - das ist die totale Abkehr vom kodifizierten Recht/Gesetz und reine Willkür, denn "Recht ist was dem Volke nützt" und "Das Recht und der Wille des Führers sind eins" (Göring, der auch sagte: "Adolf Hitler ist mein Gewissen").

Die Nationalsozialisten sahen es als gar nicht nötig an, einen weitere geschriebene Verfassung an die Stelle der Weimarer zu setzen, die auf dem Papier zum großen Teil tatsächlich weiter bestand - aber eben nur solange der Wille des Führers nichts anderes vorsah.
 
Erst einmal möchte ich allen für ihre Hinweise danken.

@silesia
Dein Tipp scheint mir für den Anfang sehr umfangreich zu sein. Aber ich komm vielleicht nach der Lektüre einer Übersicht darauf zurück. ;)


@Papa_Leo
Genau um diesen Aspekt geht es mir. Das Recht wurde in Teilen entweder komplett ignoriert oder für die nazistischen Vorstellungen "umgedeutet". Allerdings gilt das ja nicht für den gesamten Rechtsbereich.


@tbiegel
Danke für den Tipp. Ich glaube, als Einstieg bietet der analytische Überblick von Fraenkel wohl die besten Voraussetzungen.

Eine Frage habe ich allerdings noch: Ich habe von Franz Neumann "Behemoth" entdeckt, das anscheinend auch in die von mir gesuchte Richtung geht. Wie stehen die beiden zu einander und welches wäre eher zu empfehlen?
 
@Papa_Leo
Genau um diesen Aspekt geht es mir. Das Recht wurde in Teilen entweder komplett ignoriert oder für die nazistischen Vorstellungen "umgedeutet". Allerdings gilt das ja nicht für den gesamten Rechtsbereich.

Theoretisch schon ... dort, wo es den Nationalsozialisten nicht nötig schien, ließen sie altes Recht bestehen, waren aber jederzeit bereit, es auch dort zu ändern, falls es nötig wurde.

Wie wenig Recht/Regeln es gab, zeigt vielleicht Folgendes:

Die Gestapo versuchte - wie üblich ohne jeden Haftbefehl, der war für "Schutzhaft" ja nicht mehr nötig - eine Frau zu verhaften. Dummerweise stand diese Frau gerade vor dem Volksgerichtshof. Die Gestapo marschierte also in den Volksgerichtshof und wollte die Frau verhaften. Der vorsitzende Richter verweigerte dies, die Gestapo zog zunächst wieder ab. Einen(? oder wenige) Tage später kam die Gestapo erneut in den Gerichtssaal und verhaftete diesmal die Frau tatsächlich. Der vorsitzende Richter erhielt später eine Rüge, weil er die Arbeit der Gestapo behindert habe. Für mich zeig das erneut, dass grundsätzlich jedes Recht (evtl. sogar das, das die Nationalsozialisten selbst geschaffen haben) für ungültig erklärt werden konnte.


Ich glaub, das Buch aus dem ich diese Geschichte habe, wäre zumindest was die ersten Kapitel betrifft, auch was für Dich: Robert Gellately: Hingeschaut und weggesehen - Hitler und sein Volk.

Gellately beschreibt in den ersten zwei Kapiteln, wie Recht/Gesetz zerstört werden - und das Volk dies mitträgt -, wie eine "Polizeijustiz" entsteht.
 
So, ich habe mir heute Fraenkels "Doppelstaat" gekauft und bin - nach einem kurzen Blick durch das Inhaltsverzeichnis - sowohl guter Dinger bezgl. meiner Wahl als natürlich auch gespannt auf den Inhalt.
 
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