Burgen im Frühmittelalter

Alarik

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Hallo.
Im frühen Mittelalter gab es ja bereits Burgen und Festungen, wie sahen diese aus, b.z.w aus welchen Marterialien wurden sie gebaut?
Gibt es dazu irgendwelche Rekonstruktionen?
Ich kenne ja die Motte die im 10. Jahrhundert entstanden ist, aber es soll ja schon vorher viele Burgen gegeben haben.
Lg
 
Es gab während der Völkerwanderungszeit einerseits Fliehburgen. Größere Holz-Erde-Konstruktionen zur Verteidigung gab es auch schon davor, bspw. bei Kelten. Aber auch weiter östlich bestanden Fluchtburgen. Die Slawenburg Raddusch ist ein Beispiel, das sicher nicht mit Kelten in Verbindung steht.

Andererseits dürften sich viele Anlagen aber auch aus römischen Bauten entwickelt haben. Die Theodosianische Mauer, eigentlich in der Spätantike gebaut ab 413 n.Chr., ist eine monumentale Anlage, die bis zum Fall von Konstantinopel 1453 ihre Aufgabe erfüllte - abgesehen vom Kreuzzug 1203/04. Vergleichbare Riesenanlagen lassen sich aber außerhalb der Metropole Byzanz im frühmittelalterlichen Europa nicht finden.
 
Insel Föhr: Lembecksburg. Mächtiger runder Erdwall mit zwei Einlässen/Toren.
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Im frühen Mittelalter gab es ja bereits Burgen und Festungen, wie sahen diese aus, b.z.w aus welchen Marterialien wurden sie gebaut?
Gibt es dazu irgendwelche Rekonstruktionen?
Es gab im frühen Mittelalter Wehranlagen, sowohl "Burgen"/Fluchtburgen als auch befestigte Siedlungen. Allerdings spielt für deren Gestaltung eine Rolle, ob sie innerhalb des ehemaligen römischen Imperiums liegen und somit römische Stadtmauern und Kastelle weiter genutzt wurden, oder ob sie - wie die gezeigte Föhrer Lembecksburg - im "Barbaricum" liegen.
Stadtbefestigung außerhalb des Limes:
Gut dokumentiert und archäologisch ausgewertet ist ein frühmittelalterliches Stadttor in Bad Hersfeld:
Screenshot_20211214-192351_Gallery.jpg
 
(TasTaTurprObleme ...)

Hier eine etwas kleinere Burg:

- Hünenburg im Barbruch – Wikipedia
(Zugegeben: Die interessantesten Puk♠e zur der Burg sind, dass sie - inmitten eines großen Allodialbesitzes - der ursprüngliche Sitz der Edelherren zur Lippe seiN köNNTe - eiNe maNchmal geäußerTe MeiNuNg, und Die im ArTikel aNgeDeuTeTeN SageN.)

Weiternutzung einer Befestigung aus prähistorischer Zeit:

- Wallburg Gellinghausen – Wikipedia

Und ein paar andere frühmittelalterliche Burgen aus Ostwestfalen:

- Hünenburg auf dem Hahnenberg – Wikipedia
- Burganlage im Leiberger Wald – Wikipedia
- Iburg (Bad Driburg) – Wikipedia
- Brunsburg (Godelheim) – Wikipedia

In karolingischer Zeit sind auch Domburgen entstanden:

- Domburg (Städtebau) – Wikipedia
- Domburg Paderborn – Wikipedia
(In Paderborn sind die Seiten eines Tores im Norden der ehemaligen Domburg aus karolingischer Zeit noch aufgehend erhalten, wie archäologische Untersuchungen for ein paar Jahren ergaben. Die eine Seite ist von der Strasse aus gut zu erkeNNeN. Leider ist das noch nicht im Artikel zu finden.)
Auch die meisten PvalTseN uND Klöster wurden spätestens im 9. und 10. Jahrhundert wegen der Wikinger- und Magyarenüberfälle befesTigT.

Wo Städte um Burgen entstanden sind, ist manchmal nicht viel zu berichten:
- Wartberch – Wikipedia
- Eresburg – Wikipedia
 
Hans K. Schulze, Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter, Bd. 2 Familie, Sippe und Geschlecht, Haus und Hof, Dorf und Mark, Burg, Pfalz und Königshof, Stadt, Stuttgart, Berlin, Köln ³2000 bietet S. 86-96 einen Überblick über die Hintergründe des Burgenbaus im Frühmittelalter als Grundlage seiner späteren Erläuterung der Rechtsgeschichte hierzu. Da die wichtige Literatur im Text aufgeführt wird, ist es immer noch ein guter Einstieg. Einzelne Bauten und Bauweisen sind wegen des rechtsgeschichtlichen Fokus nicht erläutert, aber das Namedropping von Beispielen erlaubt die eigene Suche. Du findest da systematisch und vollständiger, was wir hier abgespult haben.

Das Werk ist vergleichsweise einfach geschrieben und berichtet den Forschungsstand mit allen Widersprüchen. Eigentlich ein guter Überblick zum Thema hat es den Nachteil, dass es im Umfang einer Einführung bleibt. Und leider kann der verstorbene Autor keine neue Auflage mehr veröffentlichen. Das Werk hat international Anstöße gegeben und ist immer noch ein guter Einstieg ins Gesamtthema Verfassung im Mittelalter.

Zu den Materialien ist zu Sagen, dass es meist Erde und Holz waren; Stein wurde selten für ganze Bauten (Domburgen, etwa in Paderborn) und öfter für einzelne Teile benutzt.

Andere Länder, andere Sitten: Schulze (und wir im Großteil unserer Antworten) betrachtet das Frankenreich und später das Ostfrankenreich und die Westslawen. In England sah es schon wieder anders aus. Um ein Thane zu sein, musste jemand einen (meist mit Holz umwehrten) Hof mit Kirche (Stein) Torhaus (Holz oder Stein - in Deutschland gab es sogar noch im Spätmittelalter hölzerne Torhäuser) und Glockenturm, der neben Alarmierung und religiösen Zwecken innerhalb des Hofs als Zitadelle diente (als Kirchtürme erhaltene Exemplare sind aus Stein), besitzen. Städte wurden teils schon mit Mauern umgeben und das königliche burghal system von (Flucht-)burgen wurde zur Keimzelle vieler Städte. Durch die fortgeführte Nutzung sind dort einige römische Befestigungen vollständiger erhalten als auf dem Kontinent (etwa Portchester) und die hillforts des 5. und 6. Jahrhunderts sind ebenfalls eine britische Besonderheit. Und andere Regionen sind ebenfalls gesondert zu betrachten. Während des gesamten Mittelalters gab es keinen einheitlichen europäischen Festungsbau.

Ryan Lavelle, Fortifications in Wessex c. 800 - 1066, Oxford 2003 beinhaltet farbige Illustrationen. Der Osprey-Verlag produziert dünne Bücher mit vielen Bildern für Wargamer und Reenactor, die schon mal als Pixiebücher bezeichnet werden. Neuere Bände wie der genannte (und einzelne ältere) sind aber zuverlässig. Hierzulande werden für ein größeres Publikum meist nur veraltete Werke nachgedruckt, die für die ältere Zeit oft abenteuerlich sind. Zu Burgen gibt es einige Internet-Ressourcen. Ebidat etwa, das in einigen der im Vorpost verlinkten Artikeln verlinkt ist. Bei Wikipedia gibt es zwischen guten Artikeln auch sehr durchwachsene Artikel.

Der Vollständigkeit halber sind auch Grenzwälle wie Offas' dyke zwischen Mercia und Wales und das Danewerk zu erwähnen.

(Mit Bildschirmtastatur dauert das ewig. Daher keine Korrekturen.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Stadttor nebst Teilen der Stadtumwallung aus dem frühen Mittelalter (Rekonstruktionszeichnung) in Bad Hersfeld hast du gesehen?
 
Gibt es auch Bilder von einer ganzen Burg oder Stadt, dass man sich vorstellen kann, wie es damals wirklich ausgesehen hat?
 
Auf dem Youtubekanal Landesmuseum Mainz finden sich die Videos:

- Digitales Stadtmodell: Worms um 800
- Digitales Stadtmodell: Speyer um 800
- Digitale Stadtmodelle: Mainz um 800

(und jeweils ... um 1250)

Die rheinischen Bischofsstädte sind natürlich ein eigener Typus, wie auch die sächsischen Bischofsstädte eine eigene Gruppe bilden, hier Münster im Kanal stadtmuseumTV :
- Münster. Von den Anfängen bis zum Jahr 1200

und im Kanal paul-günter schmidt ist ziemlich am Anfang das Modell der Paderborner Domburg um 1000 aus der Kaiserpfalz zu sehen. (Das zweite Modell zeigt den karolingischen Zustand.):
- Schildern 6 in Paderborn/die History
(Die Parzelle Schildern 6 ist eng mit der Geschichte der Befestigung verbunden. Dort fand sich der Graben/Steinbruch, in den das erste Haus auf dem Grundstück erbaut wurde. Ein Teil der Mauer der Domburg ist übrigens, leider modern verputzt, erhalten.)

Ich habe so etwas auch schon für ein oder zwei andere Städte gesehen. Beim Googeln würde ich empfehlen, auf Museumsseiten und ähnlich zuverlässige Ressourcen zu achten.

EDIT: Gefunden. Hier ist das Paderborner Modell, das den Stand nach den Baumaßnahmen Bischof Meinwerks (Bischof 1009-1036) zeigt, auf den Seiten des LWL besser zu sehen:

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Links auf der Mauer: Kaiserpfalz. Die abgebrannte karolingische lag zwischen dieser und dem Dom. Das Portal ist original. Es war als Garteneinfahrt erhalten.
Mitte: Dom, links hinten daran anschließend Domkloster. Von der davor liegenden erhaltenen Bartholomäuskapelle - ältester vollständig überwölbter Innenraum nördlich der Alpen und östlich des Rheins - zieht der König nach einer Festkrönung in den Dom. (Wo im Atrium zwischen Kirche und heutigem Kreuzgang ein Teil der karolingischen Bausubstanz erhalten ist und ein Teil der Bodenfließen Meinwerks zu sehen ist.)
Rechts auf der Domburgmauer: Bischofspalast, das untere Stockwerk ist im Diözesanmuseum erhalten und kann als Schatzkammer besichtigt werden.
Vordergrund: Abdinghof-Kloster
Hintergrund: Busdorfstift (Im südlichen Teil des Dorfs Aspethera. Paderborn wurden ursprünglich nur die Domburg mit Pfalzgebäude und der später zum Abdinghofkloster umfunktionierte Königshof genannt.)
(Ja, beide Klöster hatten natürlich Klostermauern, aber es werden nur vergleichsweise sichere Befunde in das Modell aufgenommen.)
Ganz rechts: Domburgmauerstück vor dem großen Steinbruch, der auf dem Foto abgeschnitten ist.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Naresuan auch ohne ungarische Bedrohung gab es Burgenbauprogramme im frühen Mittelalter: z.B. König Alfreds Burgenbau gegen das heidnische Heer in England.
 
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