Bury my intestines ...

Dieses Thema im Forum "Sonstiges im Mittelalter" wurde erstellt von Ilhuicamina, 7. Juli 2012.

  1. Ilhuicamina

    Ilhuicamina Neues Mitglied

    Ich habe eine etwas schräge Frage: Im Mittelalter war's ja üblich, dass nach dem Tod eines Königs dieser in Einzelteilen bestattet wurde. Bei Richard II. von England wurde das Herz in Rouen, seine Eingeweide in Chalus, und der Rest in der Abtei von Fontevraud bestattet. Eine Zerlegung in diese Teile wird auch noch vom Blauen Kurfursten Maximilian II. Emanuel von Baiern beschrieben.

    War diese Dreiteilung Herz-Eingeweide-Rest üblich oder wurden in Einzelfällen auch andere Organe wie Gehirn, Milz oder Nieren separat bestattet? Welche religiösen/kulturellen Vorstellungen lagen diesem Ausschlachten zugrunde? Und wie muss man sich die Sektion vorstellen, wer machte das, Mönche, der Hofmetzger oder ein Arzt?

    Grüsse,
    Ilhuicamina Huehue Motecuhzoma
     
    Zuletzt bearbeitet: 7. Juli 2012
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  2. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    War das üblich oder kam das vor?* Denn eigentlich - obwohl ich meine, dies auch bzgl. eines Papstes oder Bischofs erst vor wenigen Tagen gelesen zu haben, wenn ich mich bloß erinnern könnte wo, bzw. über wen :motz: - ist ja die Zerteilung des toten Körpers in der Christenheit ein Unding, weil man ja von der Auferstehung des Leibes ausging. Nicht umsonst war ja auch das Sezieren von Leichen im Mittelalter nicht gestattet.

    *Die Frage liest sich, insbesondere im Zusammenhang mit den folgenden Überlegungen wie ein Zweifel an der Aussage, der Zweifel betrifft aber nur das Wörtchen üblich, nicht die Aufteilung des zu bestattenden Körpers an sich.
     
  3. Liborius

    Liborius Aktives Mitglied

    Zunächst einmal: Der "Musterfall" war nicht der zweite, sondern der erste Richard, besser bekannt als Löwenherz.

    Trotz der berechtigten religiösen Einwände von Quijote, gab es diese Praxis immer wieder (auch bei kleineren Adligen).
    Herzbestattung ? Wikipedia
     
  4. schwedenmann

    schwedenmann Aktives Mitglied

    Herzbestattung

    Hallo

    Unter anderem bei Nikolaus von Kues


    Zitat aus dem Wikipedia Artikel
    mfg
    schwedenmann
     
  5. Ilhuicamina

    Ilhuicamina Neues Mitglied

    Oops, sorry! Dass ich den Sohn vom Schwarzen Prinzen und den ersten Richard durcheinander gebracht habe, ist schon mehr als peinlich!!! :cry:

    Danke für den link mit der Herzbestattung, die Argumentation mit dem Herzen als Sitz der höheren Gefühle erscheint logisch.

    Zitat: "Eine Grund für diese Vorgehensweise könnte die seit der Antike verbreitete Sicht gewesen sein, daß das Herz der Sitz der Seele und des Charakters einer Person sei. Aus diesen Überlegungen entwickelte sich die Herzbestattung als ein Ritual, das im Spätmittelalter und der Neuzeit besonders bei hochgestellten Persönlichkeiten, wie den römisch-deutschen Kaisern, zur Anwendung kam."

    Aber warum das Gekröse? Meines Wissens waren die Eingeweide in Europa ja nicht der Sitz der Seele, darum ja auch kein Seppuku.

    @ EQ: Das "üblich" war eher so ein gut feeling. Ich lese Geschichte ja nur zum Vergnügen und was das Mittelalter betrifft, fast ausschliesslich England (und Japan). Von daher glaubte ich mich erinnern zu können, dass das Ausweiden englischer Könige üblich war. Das müsste ich, wenn ich mehr Zeit habe, nochmal überprüfen. Der link von Liborius zeigt allerdings, dass die getrennte Bestattung des Herzens auch bei den Habsburgern üblich war.

    Dazu (ein hoffentlich erlaubter?) link: Habsburg: Herzbestattung in Ungarn

    Zu den religiösen Hindernissen müsste ich nochmal nachlesen. Hat nicht Augustinus gegen die Notwendigkeit des intakten Leibes für die Auferstehung argumentiert?

    Auch wenn das kein gutes Argument ist :rotwerd:, so eng hat man das mit der Intaktheit des Leibes im Mittelalter im UK eh nicht gesehen:
    Hugh Despenser the Younger - Wikipedia, the free encyclopedia
    William Wallace - Wikipedia, the free encyclopedia
     
  6. Liborius

    Liborius Aktives Mitglied

    Für Juden ist die körperliche Vollständigkeit ein größeres Problem als für Christen.
    Jdische Allgemeine / Bestattung - Der letzte Weg

    Das hat dazu geführt (man verzeihe mir den etwas makabren Exkurs) dass es in Israel Leute gibt, die die Körperteile von Attentatsopfern zusammensuchen.

    Aber auch im Christentum führten ähnliche Vorstellungen (schließlich geht das Christentum ja auch auf das Judentum zurück) und der Glaube an die Auferstehung immerhin dazu, dass lange Zeit die Feuerbestattung verpönt war.
    Feuerbestattung ? Wikipedia
     
  7. Ilhuicamina

    Ilhuicamina Neues Mitglied

    Die Feuerbestattung war in der Tat nicht vorgesehen, da dadurch auch die Knochen zerstört werden und die scheinen in der Vorstellung der mittelalterlichen Christen für die Wiederauferstehung notwendig gewesen zu sein. (OT: Ich bin mir da nicht so sicher, ob mittelalterliche (oder heutige) Theologen das auch so sahen. Eigentlich ist es nicht möglich, die Notwendigkeit des Skeletts mit den Aussagen von Augustinus in Einklang zu bringen, nach dem alle Toten am Tag des Jüngsten Gerichts körperlich auferstehen. Menschen verbrennen ja auch bei Grossbränden bis zur vollständigen körperlichen Auslöschung und ihre Körper werden trotzdem wieder auferstehen, laut christlichem Glauben).

    Herz- und Teilbestattungen wurden ja auch während des gesamten Mittelalters und bis in die Neuzeit durchgeführt, obwohl erstmalig Bonifatius VIII diese verboten hatte. Das Verbot wurde dann schon von Benedikt XI wieder aufgehoben. Teilbestattungen wurden dann ja auch von der frühen Neuzeit an bei Päpsten Standard!

    Ansonsten habe ich da etwas im Internet rumgesurft, und es gibt da für Interessierte noch mehr zu lesen, von Mos teutonicus (Kochen der Leiche bis zum Ablösen des Fleischs von den Knochen) bis zum Begräbnisritual für die Würzburger Bischöfe (@ El Q.: u.U. sind das die Bischöfe, von denen Du gelesen hattest) u.a. (ich hoffe, der 2. link ist okay):

    Teilbestattung ? Wikipedia

    2010 Heart burial in medieval and early post-medieval central Europe. In Body Parts and Bodies Whole, pp. 119-134. Edited by Katharina Rebay-Salisbury, Marie Louise Stig Sørensen and Jessica Hughes. Studies in Funerary Archaeology 5. Oxbow Books: Ox

    Die Autorin argumentiert, dass Teil- Herzbestattungen ursprünglich dazu gedacht waren, Leichen für einen Transport "haltbarer" zu machen: "In medieval Europe, the practice may have originally developed out of a necessity to delay putrefaction and preserve corpses for transport over long distances and extended time periods." Dass aber schon bald eine politische Komponente dazukam (nach dem Motto 'Viel Grab, viel Ehr'. :)), vor allem in England und Frankreich, wo Teilbestattungen im Mittelalter bei der Aristokratie üblich waren. In D waren 'politische' Teilbestattungen mit Ausnahme der Würzburger Bischöfe wohl eher selten, da ging's anscheinend wirklich eher um das 'best before'.

    Das Zerlegen der Leichen wurde ursprünglich von Priestern und Mönchen durchgeführt, später von Ärzten. Hofmetzger waren nicht involviert.

    OT: Wenn man den Artikel von Weiss-Krejci durchliest, dann wundert man sich, warum uns Bestattungsrituale wie in Tibet, Neu-Guinea oder Nordamerika (Carrier) fremd erscheinen. Das erinnert mich an einen Spiegelartikel vor ca. 2-3 Jahren (?), in dem beschrieben wurde, dass eine Art Kannibalismus in Europa ziemlich häufig war (Salben aus dem Körperfett von hingerichteten Verbrechern etc.), während gleichzeitig Schauergeschichten über die Kannibalen in Südamerika und Mittelamerika kursierten.

    Dazu: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-63806955.html

    Man Corn
     
    Zuletzt bearbeitet: 14. Juli 2012
  8. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Aufgrund von Hiltis Empfehlung lese ich gerade verschiedene Bücher von Thiede. Wenn ich mich auch vielfach über Thiede ärgere (was ich aber bei Bedarf an anderer Stelle ausführe), in manchen Punkten ist die Lektüre wirklich erhellend. Thiede verweist nämlich auf Hesekiel/Ezechiel 37:
    "... und der Herr [...] versetzte mich mitten in eine Ebene. Sie war voll von Gebeinen [...] ich sah sehr viele über die Ebene verstreut liegen, sie waren ganz ausgetrocknet. Er fragte mich: Menschensohn, können diese Beine wieder lebendig werden? [...] So spricht Gott, der Herr, zu diesen Gebeinen: Ich selbst bringe Geist in euch, dann werdet ihr lebendig. Ich spanne Sehnen über euch und umgebe euch mit Fleisch; ich überziehe euch mit Haut und bringe Geist in euch, dann werdet ihr wieder lebendig. [...] Da sprach ich als Prophet, wie mir befohlen war; und noch während ich redete, hörte ich auf einmal ein Geräusch: Die Gebeine rückten zusammen [...] Und als ich hinsah, waren plötzlich Sehnen auf ihnen, und Fleisch umgab sie und Haut überzog sie. [...]
    Er sagte zu mir: Menschensohn, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. [...] So spricht Gott, der Herr: Ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf."
    Wenn man diese Stelle zugrundelegt, dann zeigt sich im Ggs. zu meiner oben geäußerten Verwunderung über die angefragte Praxis, dass sie eben doch nicht im Widerspruch zu den Auferstehungsvorstellungen stand.
     
  9. Apvar

    Apvar Premiummitglied

    Friedrich I Barbarossa wurde auch an verschiedenen Orten beigesetzt. Also so unüblich scheint es doch nicht gewesen zu sein, für die Herren Herrscher.

    Die Kirche scheint ja auch inkonsequent gewesen zu sein. Die Reliquienverehrung im MA bedingte ja auch zum Teil die Zerstückelung von Leichen, wie sonst kam man an die vielen Knochen-Teile? Okay, es gab und gibt auch andere Reliquien, aber auch sehr viele aus Knochen.

    Apvar
     
  10. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Ja, das ist das mos teutonicus, welches im MA mehrfach angewandt wurde. Aber dabei handelt es sich um absolute Ausnahmesituationen, die aufgrund einer Notwendigkeit ausgeführt werden. Aber inzwischen ist die Diskussion eh weiter. Mit den Reliquien hast du allerdings einen nicht unwichtigen Punkt berührt.
     
  11. FoxP2gen

    FoxP2gen Neues Mitglied

    Hier stellt sich mir aber dann die Frage, inwiefern das Abtrennen des Kopfes vor der Bestattung (bei Selbstmördern z.B.) als Strafe bzw. Hinderung an der Auferstehung gesehen werden konnte. (Mal ganz abgesehen von der Verweigerung einer Bestattung in geweihter Erde)
     
  12. Ilhuicamina

    Ilhuicamina Neues Mitglied

    @ FoxP2gen: War die Dekapitation im Mittelalter bei Selbstmördern üblich? Wenn ja, war das meiner Meinung nach auch eher ein Ritual, um den Selbstmörder noch nach dem Tod für seine Sünde zu bestrafen. Ich bin zwar kein Theologe, aber für die Auferstehung der Toten am Jüngsten Gericht ist die Intaktheit der Leiche, die zum grössten Teil ja eh früher oder später verwesen wird, nicht notwendig.

    Dann habe ich mich noch ein bisschen mit Bonifatius VIII und seinem Verbot der Zerlegung von Leichen beschäftigt. Dabei werden, falls die Informationen stimmen, auch einige Vorurteile beseitigt.

    Zitat: "It is very commonly accepted that there was an interruption in the development of anatomical knowledge about the beginning of the fourteenth century because of a papal decree forbidding dissection. The statement that such a decree was promulgated is to be found in nearly every history of medicine published in English, and has been made much of in books on the supposed opposition of science and religion. There was no such decree, however, and the declaration that the development of anatomy was interfered with by the ecclesiastical authorities is founded on nothing more substantial than a misunderstanding of the purport of a decree of Pope Boniface VIII. In the year 1300 (nach anderen Quellen 1299) this Pope issued the Bull "De Sepulturis". The title of the Bull runs as follows: "Persons cutting up the bodies of the dead, barbarously cooking them in order that the bones being separated from the flesh may be carried for burial into their own countries are by the very fact excommunicated." The only possible explanation of the misunderstanding that the Bull forbade dissection is that some one read only the first part of the title and considered that as one of the methods of preparing bones for study in anatomy was by boiling them in order to be able to remove the flesh from them easily, that this decree forbade such practices thereafter."

    Dieses Zitat stammt aus wwwdotnewadventdotorg/cathen/01457e.htm

    D.h., verboten war nach dieser Interpretation ausschliesslich der mos teutonicus, ob das jetzt Herzbestattung/Teilbestattung mit einschliesst, geht aus dieser Quelle nicht hervor. Interessant ist auf jeden Fall, dass die anatomische Sektion einer Leiche angeblich nicht verboten wurde.

    Diese Interpretation wird auch von Dominik Gross in "Die Entwicklung der inneren und äusseren Leichenschauin historischer und ethischer Sicht" gestützt (bei Google Books auszugsweise zu lesen).

    "Obwohl sich die Bulle nicht dezidiert gegen eine Sektion des Leichnams wandte, wurde sie doch in diesem Sinne verstanden und erwies sich so gewissermassen als Hemmschuh für die weitere Entwicklung der Obduktionspraxis.
    Gleichwohl fand 1302 in Bologna durch Wilhelm von Varignana die erste sicher dokumentierte gerichtsärztliche Leichenöffnung statt; hier erschien 1316 die erste Sektionsanleitung sowie das erste grosse anatomische Lehrbuch ('Anathomia Mundini')."
     
  13. Ilhuicamina

    Ilhuicamina Neues Mitglied

    Der volle Wortlaut der Bulle kann hier nachgelesen werden: dotoldandsolddotcom/articles28/pope-and-science-2.shtml

    Diese und die newadvent Seiten sind natürlich pro katholische Kirche, aber ich gehe mal davon aus, dass die Übersetzung der Bulle nicht verfälscht wurde.
     
    Zuletzt bearbeitet: 18. Juli 2012
  14. Hans forscht

    Hans forscht Aktives Mitglied

    Ich gebe hier mal den Wortlaut aus der von Ilhuicamina genannten Quelle wieder:
    Interessant ist aber auch das weiter Zitierte:

    To mangle: mangeln, wringen, verstümmeln, zerfleischen

    Das könnte man also sehr wohl als Verbot jeglichen Herumschnippelns an Leichen betrachten. Wie das allerdings bei Präzidenzfällen typischer Weise so ist, hat der Autor einen bestimmten Fall vor Augen, den er verallgemeinert. Das lässt Raum zur Spekulation über die Beurteilung eines anders gelagerten Falles, so man diesen vorlegt.
     

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