Carolus und andere sprechen einen richtigen Punkt an, hier hatte ich schonmal auf die sehr interessante Dissertation von Michael Kreutz verwiesen, die aufzeigt, wie manche im 19./20. Jh. erst so wurden, wie wir sie heute sehen, und woher dieser Wandel kam:
http://www.geschichtsforum.de/f42/z...-und-nichtmuslime-im-osmanischen-reich-34059/
1. Posting.
S. 72 ff.
"Byzanz und sein Kaiser als Erben des imperium romanum hatten den Begriff “Hellenen” abgelegt und bezeichneten sich nur noch als Römer (Romäer). Der Begriff “Byzanz” als Bezeichnung für das Kaiserreich ist eine Wortschöpfung des deutschen Historikers Hieronymos Wolf in seinem Werk Corpus Historiae Byzantinae (1557); die Eigenbezeichnung dagegen lautete stets “Reich der Romäer”. Byzanz hatte neben der klassischen griechischen
Tradition auch die lateinisch-römische auf sich vereinigt, wobei das Christentum als Amalgam diente:
“Römisches Staatswesen, griechische Kultur und christlicher Glaube sind die Hauptquellen der byzantinischen Entwicklung” (G. Ostrogorsky). Byzanz trachtet danach, alle Länder zu beherrschen, die einst zum römischen orbis gehörten und nun teilweise christianisiert sind.
Das Hellenentum findet neuen Ausdruck in der Romania, die das griechische mit dem römischen Erbe verbindet. Die Einwohner von Konstantinopel waren sich ihres alten griechischen und römischen Erbes vollständig bewusst.
Die in der Antike benutzte Bezeichnung “Hellas/hellenisch” wird in byzantinischer Zeit ambivalent. So erfährt sie im 4. Jhd. eine Umdeutung i.S.v. “vorchristlich, heidnisch”, bevor sie unter den Intellektuellen in spätbyzantinischer Zeit eine Rehabilitation erfährt. Das Adjektiv “romäisch”, in byzantinischer Zeit allgemein auf die griechische Sprache bezogen, bezeichnete für die Gebildeten nur die Umgangssprache, der sie eine “hellenisierte” Sprache entgegensetzten. So bestand lange Zeit ein Zwiespalt zwischen “Hellenisch” und “Hellene”: Ersteres war positiv besetzt, als Sprache der Bildung; letzteres negativ und gleichbedeutend mit Heide und Illoyalität gegenüber dem christlichen Kaiserreich. Dies änderte sich erst ab dem 14. Jhd., als die byzantinischen Intellektuellen die Bezeichnung “Hellenen” für sich neu entdeckten. Wahrscheinlich hat diese Bewegung ihren Ausgang in Thessaloniki genommen. Der Politiker und Übersetzer Dimitrios Kidonis benutzt Hellas als Synonym zu Byzanz. Das Verfahren der scholastischen Argumentation sieht er als Fortsetzung der
klassischen griechischen Rhetorik.
Im 15. Jhd. schliesslich bezeichneten sich die meisten byzantinischen Intellektuellen als Hellenen.
Der Philosoph Ioannis Argiropoulos (gest. 1487) im 15. Jhd. nennt den Kaiser sogar “Kaiser der Hellenen” und die letzten Kriege von Byzanz als einen Kampf um Hellas’ Freiheit. Zumeist nannten sich die Byzantiner jedoch nicht Hellenen, sondern “Söhne der Hellenen”.
Die Aufwertung von ”Hellas” und ”Hellene” hängt mit den veränderten politischen Verhältnissen zusammen: Der Herrschaftsbereich von Byzanz war geschrumpft und ein grosser Teil der Griechen lebte ausserhalb der faktischen Reichsgrenzen. Die griechische Ethnizität wurde zum verbindenden Element und schwächte das Kaiserreich als Bezugspunkt. (...) Der “Rhomäer” bezeichnet immer noch sowohl den Römer als auch den Byzantiner. Zur Zeit des Konzils von Ferrara-Florenz (1437-39) ändert sich die Konnotation, als zu der Begriff zunehmend durch den des “Griechen” und des “Hellenen” verdrängt wird.
Der Begriff “Hellene” blieb kontrovers. Dies änderte sich auch in nachbyzantinischer Zeit nicht, und die “Romania” blieb im Sprachgebrauch überaus lebendig. Im gesamten mittelalterlichen Griechisch ist der Terminus Romania hinreichend belegt. Schon im 11. Jhd. benutzt Kekaumenos, Verfasser eines erbaulichen Buches für die Erziehung seiner Söhne, das unter dem irreführenden Titel Strategikon bekannt wurde, den Begriff Romania als Synonym für Byzanz. In einem pontischen Klagelied über den Fall Konstantinopels (1453) heisst es: “Wenn auch die Romania vergeht, so blüht sie doch und bleibt bestehen.”
Romania steht hier zum einen für die Hauptstadt, zum anderen für die byzantinische und gesamte mittelalterliche Gräzität. (...)
Der Historiker Neofitos Doukas, der zu Anfang des 19. Jhds. stürmisch die Französische Revolution und das Ideal der Aufklärung als treibende Kräfte hinter der Schaffung eines griechischen Staates euphorisch begrüsst, sieht die Konstituenten der orthodoxen Christenheit in Glauben und Herkunft:
"Vereinigt durch den Glauben und die Kirche bilden sie einen Körper und eine Nation unter dem Namen der Griechen oder [auch:] der Römer."
(...)
Mitrofanis Kritopoulos vertrat eine ähnliche Anschauung und zeichnet ein Bild von der Geschichte, an deren Anfang das Königreich der Perser steht, deren Platz in der Weltgeschichte an die Ägypter überging, von diesen an die makedonischen Griechen, dann an die Römer und schliesslich zu den Romäern, wie die Griechen von Byzanz sich nannten.
(...)
Auch wenn Fallmerayers Behauptung aus verschiedenen Gründen heute nicht mehr tragbar ist, so muss man ihm immerhin zugestehen, dass sie auf treffenden Beobachtungen fusst. Wenn wir unter einer Nationalbewegung das gemeinschaftliche Vorhaben verstehen, dass ein Volk seine politische Bestimmung in einem Staat finde, dessen Institutionen in seiner Sprache und an seinen Wertvorstellungen, und dessen Grenzen an seinem angestammten Siedlungsgebiet ausgerichtet sind, so setzt dies ein entsprechendes Bewusstsein einer Gruppe von Menschen voraus, sich in diesem Sinne als Gemeinschaft zu begreifen. In der östlichen Mittelmeerwelt war dieses Bewusstsein anfangs
jedoch recht schwach und die Voraussetzungen mussten erst geschaffen werden, das nationale Bewusstsein einer Bildungselite zu einem grossen Strom werden zu lassen.