Chinabegeisterung im 18. Jahrhundert

H

hyokkose

Gast
Interessant ist vielmehr eine andere Sache, naemlich die Frage, warum im letzten Viertel des 18.Jh. die bis dato positive Meinung zahlreicher europaeischer Intellektueller ueber China quasi ueber Nacht zusammenbrach? Wie kam es so urploetzlich zum Bild des La Chine Immobile?

Ein Gutteil der Antwort liegt im Interpretationsmonopol, das die Jesuiten bis dahin ueber China innehatten. Als Missionare waren sie naemlich sehr daran interessiert, ein positives Bild von China nach Europa zu vermitteln, um moralische und materielle Unterstuetzung fuer ihre schwierige Missionstaetigkeit zu erhalten. Und als der Jesuitenorden 1773 verboten wurde, war es auch schnell aus mit der einseitigen Auslandsberichterstattung und das erstarrte Gesicht des Konfuzianismus wurde in Europa erkennbar.

Das finde ich sehr interessant. Erklärt es wirklich lückenlos das Ende und die Ursache der Chinabegeisterung, die im späten 17. und bis zur Mitte des 18.Jh. in Europa herschte? Wenn Interesse dazu vorhanden ist, dann können wir uns zu dem Thema in einem eigen Thread unterhalten. Fände ich prima.

Voilà - schon ist ein neues Thema draus gemacht.
 
Danke guter Moderator.:)

An den Lackkabinetten vieler Schlösser, wie auch im kleinen Favorit in Rastatt sieht man teilweise Originale chinesischer Handwerkskunst, welche in die Raumkonzepte der Zeit integriert wurden. Im Park von Sanssouci steht der bekannte Chinesische Pavillion, Boucher drückte in seiner Malerei oftmals die europäische Vorstellung von China aus. Dass diese mit der Realität nicht viel zu tun haben musste, wird gezeigt darin, dass man vieles von Indien bis Amerika einfach als exotisch ansah, selbst, dass man Spanien in Frankreich als exotisch ansah, habe ich jüngst gelesen.
Selbst in der Kleidung wurde eine Chinabegeisterung spürbar.

Dass die Jesuiten dieses Chinabild so lebhaft gefördert haben, war mir ehedem nicht bekannt, vielleicht auch, da ich mich selber mit der Materie nicht weiter beschäftigt hatte, bis auf das Bestaunen besagter Kabinette und dass das Verbot der Jesuiten zum Abklingen der Chinabegeisterung geführt haben soll, war mir gänzlich fremd. Es wäre schön, wenn Gegenkaiser und andere noch näher auf die Thematik eingehen würden.
 
"Lückenlos" läßt sich die "Chinabegeisterung" des 18 Jh. sicherlich nicht durch die Jesuiten erklären, aber Fakt ist, daß der Orden die längste Zeit praktisch das Interpretationsmonopol über das Reich innehatte. Selbst ein gewisser Leibniz, der gerne als europäischer Kronzeuge für den hohen Stand der chinesischen Zivilisation angeführt wird, war gänzlich auf die Informationszufuhr durch Jesuiten angewiesen und hat diese auch aktiv erbeten, wie es ein schöner Artikel von Donald Lach (Leibniz and China) zeigt.

Es gab zwar auch andere Informationsquellen wie z.B. die Berichte holländischer Kaufleute und Governeure der Ostindien-Kompanie, aber diese waren auf Einzelthemen wie etwa die wundersame Akupunktur oder der Kampf um die holländische Festung Zeelandia auf Taiwan beschränkt. Die chinesische Zivilisation als ganzes zu interpretieren und der europäischen Öffentlichkeit vorzustellen, blieb auf jeden Fall das Monopol der Jesuiten und zwar vom ersten Missionar Matteo Ricci bis zur Auflösung des Ordens 1773.

Und deren Darstellung hatten mit der Realität im Osten ungefähr soviel zu tun, wie die Ausführungen von Rousseau über die edlen Wilden im amerikanischen Westen: Überhöhung, Verklärung, Fehlinterpretationen. Um eine wirklich objektive Darstellung ging es ja auch niemandem. Wichtiger war es der europäischen Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und nicht ganz uneigennützig Ressourcen für die Missionsarbeit freizumachen.

Eigentlich fing es mit der unkritischen China-Haltung schon mit Matteo Ricci an, der der erste Missionar war, der nach Peking zugelassen wurde. Der hatte nämlich schon flugs bei Ankunft die niedergehenden Ming zum größten und fabelhaftesten Reich in Asien erklärt, wobei er es eigentlich besser wissen müssen, denn er war auf seinem Weg dorthin in verschiedenen indischen Häfen gelandet, wo gerade das Moghul-Reich unter Akbar seine größte Blüte erlebte.

Für den größeren Teil des 18. Jh. muß man allerdings fairerweise sagen, daß die Mandschu-Dynastie 'ihren Laden im Griff' hatte und eine geordnete und aufgeklärte Verwaltung im ganzen Reich praktizierte. Das hob sich natürlich wohltuend von der extremen sozialen Schieflage vorrevolutionären Frankreich ab, in dem bis zu 50% der Bevölkerung als Wanderarbeiter herumziehen mußten. Nicht zuletzt deshalb erfreute sich Qing-China ja dem besonderen Interesse der frz. Aufklärer, weil man anhand eines fernen Landes den eigenen Machthabern mal so richtig schön ihre Dekadenz vorhalten konnte. Das hatte allerdings auch schon Tacitus mit den hinterwäldlerischen Germanen gemacht.

Trotzdem war die Fassade in China brüchig, denn sonst hätte das Land nicht im frühen 19. Jh. innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem der ärmsten Länder der Welt werden können - noch bevor die Kolonialmächte eindrangen. Soweit ich es beurteilen kann, hat sich dann nach dem Verbot des Jesuitenordens 1773 das Blattwirklich schnell gewendet. Adam Smiths Lob 1776 klangt bereits doppeldeutig ("China, [SIZE=-1]however, though it may perhaps stand still, does not seem to go backwards[/SIZE].") und spätestens nach 1789 hatte sich die Stimmung um 180 Grad gedreht.

Übrigens, um mal das Ganze in einem größeren Zusammenhang einzuordnen, hatte noch Mitte des 18. Jh. ein gewisser Friedrich II. Bedenken, ob man bereits gegen die klassische Antike bestehen könnte oder ob man sich noch unter ihrem Zivilisationsstand befand. Wenn also heute im Zeichen des Wirtschaftsaufschwungs Chinas viele mal gerne die alten Jesuiten unkritisch zitieren, als hätten die es schon immer gewußt, so sollte man direkt den damaligen Antike- und 'Edler Wilder'-Diskurs mitzitieren, denn in einem anderen geistigen Kontext der Verklärung hat sich auch der damalige China-Diskurs auch nicht bewegt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es gab ja durchaus Handelsunternehmungen der Eurpäer nach China, selbst der Preußen http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=12213 , die allerdings im Großen und Ganzen im Sande verliefen.

Die Genremalerei des 18. Jh. griff das Chinathema immer wieder auf mit hauptsächlich arkadischen Landschaften.

Auch d'Argens hatte ja seine chinesischen Briefe und gerade einer wie er bezog sich auf das Wissen der Jesuiten? Eigentlich ist das nicht sehr verwunderlich, greift Voltaire in seinem Candide ja auch die Omnipräsenz der Jesuiten bis nach Südamerika auf.

Andersrum kann man aber auch argumentieren, dass die Chinabegeisterung schlichtweg einem neuen Stil weichen musste, dem des Frühklassizismus, der zwar schon in den späten 1750ern in manchen Staaten auftrat, aber eigentlich erst in den 1770ern zur vollen Entfaltung gelangte und eigentlich kaum noch Platz für die rokokohaften Chinaspielereien hatte. Wenngleich der Antike zu allen Zeiten entlehnt wurde, unterscheidet sich diese neue Richtung doch von den alten.

Vielleicht gibt es einfach zwei Lösungen, ebenso wie für die Maßnahmen gegen die Jesuiten, die nicht mehr in die Zeit passten.
 
"Lückenlos" läßt sich die "Chinabegeisterung" des 18 Jh. sicherlich nicht durch die Jesuiten erklären, aber Fakt ist, daß der Orden die längste Zeit praktisch das Interpretationsmonopol über das Reich innehatte.

Ich weiß nicht, ob man von "Interpretationsmonopol" sprechen sollte. Die Jesuiten konnten ja niemand verbieten, ihre Berichte wiederum nach Gutdünken zu interpretieren. So kam etwa ein Montesquieu zu ganz anderen Interpretationen als ein Leibniz.
Vgl. die folgende Zusammenstellung, in der Montesquieus Zitat von den Chinesen als das "größte Betrügervolk der Erde" enthalten ist:

http://homepage.univie.ac.at/Franz.Martin.Wimmer/skriptphg1chinabild.html



Und deren Darstellung hatten mit der Realität im Osten ungefähr soviel zu tun, wie die Ausführungen von Rousseau über die edlen Wilden im amerikanischen Westen:
[...]
Das hatte allerdings auch schon Tacitus mit den hinterwäldlerischen Germanen gemacht.

Da hinken die Vergleiche auf beiden Beinen. Zum einen handelt es sich bei Rousseau und Tacitus um Einzelpersonen, die jeweils ihre individuelle Sicht vertreten. Die Jesuiten sollten wir trotz aller Gemeinsamkeiten des geistigen Hintergrunds nicht über einen Kamm scheren, sondern im Einzelfall ebenfalls als Individuen wahrnehmen. Um ein Beispiel aus obigem Link zu nehmen:
Nach Ricci wären die Chinesen bis etwa 100 nach Christus (dem von ihm geschätzten Datum des Einzugs buddhistischer Lehren nach China) im Besitz naturrechtlicher Wahrheiten gewesen, denen sie wesentlich genauer folgten, als das von irgendeinem europäischen Volk der heidnischen Antike bekannt gewesen war.
Dem folgte zwar der jesuitische "Mainstream", aber es gab auch andere Auffassungen (etwa vertreten von P. Joachim Bouvets, der mit Leibniz Briefkontakt hatte).

Zum anderen schreiben Rousseau und vermutlich auch Tacitus, was sie aus zweiter Hand erfahren haben. Man könnte sie also mit Leibniz vergleichen, jedoch nicht mit den Jesuiten, die Informationen aus erster Hand lieferten.



Selbst ein gewisser Leibniz, der gerne als europäischer Kronzeuge für den hohen Stand der chinesischen Zivilisation angeführt wird, war gänzlich auf die Informationszufuhr durch Jesuiten angewiesen

Sogar im Falle Leibniz', für dessen Anliegen sicherlich die Jesuiten die kompetentesten Ansprechpartner waren, kann man nicht behaupten, er habe sich ausschließlich auf jesuitische Informationen gestützt. So verwertete Leibniz einen Bericht des Gesandten Adam Brandt, der im Auftrag des russischen Zaren in den Jahren 1693-95 nach China gereist war.


Eine (unvollständige) Auflistung alter Reiseberichte über China (und Tibet) habe ich hier gefunden:
http://www.das-klassische-china.de/Reisen/Unterhaltsame Uebersicht/index.htm

Die verlinkte Auflistung umfaßt allerdings beileibe nicht alle gedruckten China-Informationen. Mir ist z. B. aufgefallen, daß Sir William Chambers' "Design of Chinese buildings, furniture, dresses, machines and utensils ... To which is annexed a description of their temples, houses, gardens and so on" aus dem Jahre 1757 nicht enthalten ist.
Chambers, seinerzeit ein einflußreicher Architekt, schreibt u. a.:
The Chinese excell in the art of laying out gardens. Their taste in that is good, and what we have for some time past been aiming at in England, though not always with success ... Nature is their pattern and their aim is to imitate her in all her beautiful irregularities ... The whole ground is laid out in a variety of scenes and you are led, by winding passages cut in the groves, to the different points of view, each of which is marked by a seat, a building or some other object. The perfection of their gardens consists in the number, beauty and diversity of these scenes.
(Zit. nach John S. Gregory, The West and China since 1500, Basingstoke 2003)
 
Andersrum kann man aber auch argumentieren, dass die Chinabegeisterung schlichtweg einem neuen Stil weichen musste, dem des Frühklassizismus, der zwar schon in den späten 1750ern in manchen Staaten auftrat, aber eigentlich erst in den 1770ern zur vollen Entfaltung gelangte und eigentlich kaum noch Platz für die rokokohaften Chinaspielereien hatte.

Der chinesische Turm im Englischen Garten wurde allerdings erst 1789-90 gebaut. Viele Bauten aus der Chinoiserie gab es ja gerade nicht: Ansonsten fiele mir nur noch das chinesische Teehaus im Garten von Sanssouci ein (1755-64).


http://de.wikipedia.org/wiki/Chinesischer_Turm
http://de.wikipedia.org/wiki/Chinesisches_Haus
 
Zum anderen schreiben Rousseau und vermutlich auch Tacitus, was sie aus zweiter Hand erfahren haben. Man könnte sie also mit Leibniz vergleichen, jedoch nicht mit den Jesuiten, die Informationen aus erster Hand lieferten.

Jein. Rousseau, Tacitus und die Jesuiten haben gemeinsam, daß sie mehr Idealtypen als die Wirklichkeit beschreiben (Edle Wilde, Unverdorbene Germanen, Kultivierte Chinesen). Ob sie jetzt dabei Informationen aus erster oder zweiter Hand hatten, ist sekundär, weil sie eben genau das tun, nämlich Idealtypen zu beschreiben, die es so gar nicht gegeben hat.

Übrigens kamen die bedeutendsten Jesuiten gar nicht mehr aus China zurück (Ricci, Verbiest, Schell von Bell), sondern liegen noch heute allesamt in Peking begraben. Entsprechend konnten sie nur durch Briefe oder subalterne Rückkehrer wirken, die in beiden Fällen viele Jahre zur heimkehr brauchten und dann eben entsprechend schlecht über die Verhältnisse in Europa unterrichtet waren.
 
The Chinese excell in the art of laying out gardens. Their taste in that is good, and what we have for some time past been aiming at in England, though not always with success ... Nature is their pattern and their aim is to imitate her in all her beautiful irregularities ... The whole ground is laid out in a variety of scenes and you are led, by winding passages cut in the groves, to the different points of view, each of which is marked by a seat, a building or some other object. The perfection of their gardens consists in the number, beauty and diversity of these scenes.

Das gilt natürlich nur für die englische Gartenbaukunst mit ihrem Faible für Natürlichkeit und Naturbelassenkeit (siehe Englischer Garten in München). Ein zeitgenössischer französischer Gärtner aus Versailles hätte dem Gedanken von "beautiful irregularities" überhaupt nichts abgewinnen können.
 
Das gilt natürlich nur für die englische Gartenbaukunst mit ihrem Faible für Natürlichkeit und Naturbelassenkeit (siehe Englischer Garten in München). Ein zeitgenössischer französischer Gärtner aus Versailles hätte dem Gedanken von "beautiful irregularities" überhaupt nichts abgewinnen können.

Der Gärtner aus Versailles konnte den Siegeszug des Englischen Gartens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht verhindern.

Den besterhaltenen englisch-chinesischen Garten (Schloß Oranienbaum) sollte man zumindest noch erwähnen (siehe Abbildung unten; diese und weitere auf http://www.meinestadt.de/oranienbaum/tourismus/pix?id=13760).

Weitere Garten/Architektur-Chinoiserien aus dem späten 18. Jahrhundert gibt es hier:

http://www.kassel-wilhelmshoehe.de/chinesen.html

Ein Buch, das ich mir bei Gelegenheit einmal besorgen werde:

http://www.hatjecantz.de/controller.php?cmd=detail&titzif=00000637
 

Anhänge

  • pagode.jpg
    pagode.jpg
    62,7 KB · Aufrufe: 358
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Ich würde mich nun leider nicht der Mühe unterziehen, soundsoviele Beispiele chinesischer Pavillions heraus zu suchen. (Im Park des Schlosses Adolphseck-Fasanerie bei Eichenzell (Nähe Fulda) befindet sich ein Japanischer Pavillion, eine exakte Unterscheidung zwischen japanisch und chinesisch machten die Architekten der Zeit meines Wissens nicht. (http://www.schloss-fasanerie.de/schloss/index.php ))
@ Gegenkaiser
Ich hoffe, das soll nun nicht heißen, dass die Verbreitung der Bauten der Chinoiserie gering war. Unser heutiges Problem ist nämlich, dass besonders die Bauten wie Pavillions der Barock/Rokokozeit oftmals verschwunden sind, da sie den englischen Landschaftsparks weichen mussten bzw. nicht widerstandsfähig genug gebaut wurden. In vielen Parks verschwanden also hölzerne Pavillions, auch eben die chinesischen Pavillions einfach, als sich niemand mehr fand, sie zu erhalten. (Das Beispiel kenne ich aus eigenen, vorsichtig gesagt, Forschungen vom Park in Bad Freienwalde, meiner Heimatstadt, wo heute von 3-4 Pavillions im Park kein einziger mehr existiert.)

Natürlich sollte man die Wirkung Chinas auf diese Sektor der Gartenbaukunst nicht überbewerten, steht er doch in guter Bekanntschaft mit künstlichen Ruinen (Wörlitz, Schwetzingen...), Moscheen (wie in Schwetzingen, Nymphenburg) als typische Elemente eines Parks des 18.Jh..

Zugeben will ich, dass sich die Auswirkung der Chinabegeisterung eher auf den Innenarchitektonischen Bereich sowie Sammlungen von Kabinettsmöbelns usw. erstreckt und in dem Gebiet noch ausgeprägter ist (Spiegelsaal in Würzburger Residenz, Raum in Badenburg im Park von Nymphenburg...).
 
Ich würde mich nun leider nicht der Mühe unterziehen, soundsoviele Beispiele chinesischer Pavillions heraus zu suchen.

Das macht doch Spaß. :) Ich muß Material für meine Freundin sammeln, die am Freitag aus China zurückkommt. Die meinte übrigens sowohl beim Anblick des Teehauses in Potsdam als auch des Turms im englischen Garten, daß das ja nun gar nicht nach chinesischer Bauweise aussehe.

Chinoiserie -> Interpretatio Europae

 
Selbstverständlich ist das alles eine europäische Interprätation. Die Baustoffe werden in der Form ja auch nicht eingesetzt und diejenigen Bauten in Europa die doch aus Holz sind und fernöstlichen Pavillions am ehesten ähneln könnten, sind zumeist nicht erhalten. Ich vermute, die Architekten richteten sich eher nach den arkadischen Vorstellungen von China ihrer Auftraggeber, die sie auf Bildern von Boucher sahen, wie das vom Hof des chinesischen Kaisers, als nach authentischen Berichten.
Ohne die Bezeichnung "chinesischer" oder "japanischer" Pavillion kämen wir oftmals garnicht auf die Idee, diesen für einen solchen zu halten. Die kleinen turmartigen Aufsätze auf den Dächern, die an Stelen in chinesischen Parks erinnern, und die hochgezogenen Dachüberstände sind die üblichen Kriterien, die etwas typisch chinesisch scheinbar machten. Entsprechend garnierte Säulen und Plastiken ergänzen dann noch das Bild.
Noch garnicht kamen die Kostüme zur Sprache, welche ja auch auf Maskenbällen manchmal Chinesen darstellen sollten.
 
Ja, ich denke auch, daß die übergezogenen Dächer das markanteste Merkmal der chinesischen Architektur ist.

Da fällt mir ein, es wäre mal interessant neben chinesischen Tempeln und mittelalterlichen Ruinen, einen Faden über Nachbauten von islamischen Moscheen in europäischen Schloßgärten zu eröffnen. Alle drei gehören nämlich meiner Meinung nach irgendwie zusammen, weil sie aus einer ähnlichen Sehnsucht nach der Fremde bzw. der Vergangenheit so populär wurden. Im Schwetzinger Schloßpark findet man z.B. eine hübsche Moschee.

Also, ich würde sagen, daß sich die Chinoiserie in europäischen Parks des 18. Jh. doch den Platz mit einer Reihe anderer fremder kultureller Einflüße teilen mußte, die allesamt stark europäisch reinterpretiert wurden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Pagode im Englisch-Chinesischen in Oranienbaum, Sachsen-Anhalt, Bauzeit 1793-1797 .

Macht bislang 3 Gebäude insgesamt.

Hast Du diesen Link übersehen?

http://www.kassel-wilhelmshoehe.de/chinesen.html

Doch wie Brissotin schon sagte, kann es nicht Sinn dieser Diskussion zu sein, soundsoviele Pavillons aufzuzählen und zu numerieren. Ich wollte mit der Erwähnung Chambers' lediglich den Blick auf weitere Quellen neben den Jesuiten lenken und auf den Einfluß auf die Entwicklung und Verbreitung des Englischen Gartens andeuten.

* * *

Ausgangspunkt der Diskussion war ein spezieller Aspekt der Chinabegeisterung, nämlich die Vorstellung Chinas als idealer Gesellschaft. Ich frage mich, ob das negative Schlagwort "Chine immobile" überhaupt etwas mit den aus China herüberschwappenden Informationen zu tun hat. Sind es nicht erst die im Gefolge der Aufklärung entstehenden Ideen von einer dynamischen Gesellschaft (Hegel: "Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit."), die eine statische Gesellschaftsordnung zu etwas Minderwertigem machten? Hat man nicht hundert Jahre zuvor eine statische Gesellschaftsordnung als etwas Positives gesehen?
 
Unerwartet bin ich bei der Lektüre von Francis Bacons "Neu-Atlantis" auf folgende Charakterisierung der Chinesen gestoßen: "a curious, ignorant, fearful, foolish nation". "Neu-Atlantis" ist 1627 erschienen, wir finden hier also 120 Jahre vor Montesquieu ("die Chinesen, das größte Betrügervolk der Erde") und nicht lange nach Matteo Ricci (gestorben 1610) ein ausgesprochen negatives Bild von China, das explizit im Gegensatz zur idealen Insel Bensalem, einem "land of angels", steht. Es wäre interessant zu wissen, wie Bacon zu der Einschätzung gelangt ist, die er an der betreffenden Stelle einem "govenor" von Bensalem in den Mund legt.
 
Ja, ich denke auch, daß die übergezogenen Dächer das markanteste Merkmal der chinesischen Architektur ist.

Werter Gegenkaiser, Cher M. Brissotin,

Zweifelsohne zählen geschweifte Dächer zu den Charakteristika der Chinoiserie-Architektur des Rococogartens frz. Typus´ wie auch des (nahezu zeitgleichen) sentimentalischen Gartens engl. Typus´. Dennoch sollte man hier nicht verallgemeinern. Das m. W. nach erste chinoise Gebäude war der1670 von LeVau innerhalb von Orangen-Kübelpflanzen errichtete und mit holländischen Fayencen verkleidete Trianon de Porcelain in Versailles, der jedoch schon bald wieder abgetragen werden mußte, da die blau-weiße Chinaware zitierenden Kacheln dem Frost nicht standhielten. Abgesehen von dem Prozellanschimmer, den dieser Bau verbreitet haben muß, war alles (inc. der Bedachung) klassisch französisch. Auch die von Effner in den 1710ern in Nymphenburg errichtete Pagodenburg weist über korinthischen Kolossalpilastern eine urspr. mit Urnen verzierte Attika auf – oberflächlich betrachtet eine ganz unexotische Gartenarchitektur. Dennoch zählt man beide Gebäude zu den Chinoiserien, zum einen:
wg. der chinois-holländischen ;-) Kacheln (weiß leider nix über die Innenraumdispo im 1. Trianon) zum andern:
aufgrund der exotischen Grundrißlösung (Pagodenbg=Oktogon mit 4 Annexen) und Innenausstattung (holländische Kacheln, chin. Tapeten, roter und schwarzer Lack-Lambris (d.h. Wandverkleidung z.T. unter Verwendung von Paravents chinesischer Provenienz).
Die frühen Chinoiserie-(Architekturen)n sind also noch sehr barock-klassizistisch. Erst im den Régence-Stil (dem J. Effner zuzuordnen ist) ablösenden, dem klassizistischen Barock antithetisch gegenübertretenden Rococo kommt es zu einer Auflösung des architektonischen Kanons. Statt klassischer Säulenordnung treten Palmstämme bzw. Palmstamm-Säulen (z.B. bei Friedrichs Teehaus i. Sanssouci) oder gar Ananas-Säulen (Veitshöchheim) auf, anstelle des Flach-oder Mansard-Daches treten geschweifte Zelt- oder Pagodendächer (z.B.Schl. Pillnitz b. Dresden, Bayreuth, Eremitage). Den exotischen Eindruck verstärkt i. d. R. auch noch die Farbfassung rot-grün, grün-gold, etc.
Bei all der Betrachtung des Architektonischen sollten wir, Messieurs, eines nicht außer Acht lassen. Wie M. Brissotin ausführte, umfaßt der Begriff ja nicht nur Gartenarchitekturen, sondern sowohl originale Import-Tapeten, -Lackwaren, -Porzellane, etc. sowie deren Fälschungen (v.a. Holland) und Imitationen (z.B. Böttgerporzellan) aus europäischer Fertigung. Dazu gesellen sich Meuble-Stücke wie auch ganze Innenraumausstattungen incl. Boiserien (z.B. Voltaire-Zimmer i. Sanssouci), Wandteppichen, Genre-Gemälde, Porzellansammlungen und so weiter.
Bei der Betrachtung des erweiterten Begriffes der Chinoiserie müssen wir gewahren, daß dem Besitzer solch teurer Luxus-Waren ein Prestige-Gewinn gegenüber Standesgenossen und Untertanen zukam. Auch die Aufstellung von Lackmeubles ist nicht uninteressant. In den von F. de Cuvilliès ausgestatteten Reichen Zimmern der Münchener Residenz dominieren in den rangmäßig untergeordneten Räumen Meubles aus deutscher Fertigung, die sich über französische Importe (Conférence-Zimmer) bis hin zu Lackmeubles steigern, welche erst in der Chambre de Parade zu finden sind. Dort allerdings reichlich (3 Kommoden, 2 Sécretaires)! In dem dem Parade-Schlafzimmer benachbarten Spiegelkabinett, welches neben dem Kurfürsten höchsten Gästen und Familienangehörigen zugänglich war, sind chinesische Porzellane (vor das Prestige verdoppelnden Wandspiegeln) aufgestellt und ein weiterer Lacksécretaire dient der Allerhöchsten Privat-correspondence.
Dann bliebe noch die Chinoiserie in der Musik. Aber da wäre unser Ramist im Bunde aufgefordert, von Purcells "Chinese woman and man" in "The Fairy Queen" über Rameaus "Indes galantes" bis zu Boismortiers "Air du Japonais" in seinem "Don Quichotte et la Duchesse" zu referieren. ;-)
Dem Außenstehenden, der ob der Schauplätze genannter Opern (antikes Griechenland, Kongo u.a., sowie Spanien) und der darin unvermutet auftretenden Exoten die Stirn düpiert runzelt, sei gesagt:

Ja mei, so is´s halt. Ohne glücklich lächelnde Chinesen gehts halt nicht!

Und abschließend: Japonesisch (à la japonais), Indisch/Indianisch (à l´indienne) und chinesisch (à la chinoise) sind doch ein und das Selbe! Lediglich der aufklärerische Ungeist und späterer geschmackloser Jahrhunderte hat daraus verschiedene Kulturkreise zu machen versucht. Darüber kann ich nur mein gepudertes Haupt schütteln ;-)

Ich verbleibe als Ihr getreuer Momus (der Rest-Romane)

PS 1: Die von seiner gegen-(pfui, es kann nur einen geben)kaiserlichen Majestät erwähnten übrigen (nichtchinoisen) früheren Staffage-Bauten wie antike (Vergils-Grab, römisches Theater, Saturn-Tempel), mittelalterliche Ruinen (Eremiten-Klausen) oder spätere Pittoresquen wie Bauerndörfer, Mosqueen oder chinesische Brücken etc. stehen im sentimentalischen Garten für bestimmte Gefühlswerte: (Vergangenheit, Einsamkeit, Schlichtheit, Ferne...)

PS 2: Der Blick der Hommes du bon goût auf Cathay, das Land der immer glücklich und zufrieden lächelnden Chinesen, ist ganz gut beschrieben in F. Wappenschmidts Büchern "Chinesische Tapeten für Europa" und "Der Traum von Arkadien" – Nachfagen, falls Interesse!

PS 3: Ist es eine Mär, daß die Zopfperücke wegen der Chinesen-Zöpfe aufkam? Ich vermute ja eher, daß die Commodité dahinter steckt, in dem man die Allonge einfach à la chasseur hinten zusammengebunden hatte, ehe sie sich mehr und mehr verkürzte, um im Puderbeutel zu verschwinden...

PS 4: Immer daran denken:
Man kann ohne chinesisches Porzellankabinett leben, man sollte es aber nicht müssen. Ich hab schon eins...
http://www.geschichtsforum.de/images/smilies/rofl.gif
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich frage mich, ob das negative Schlagwort "Chine immobile" überhaupt etwas mit den aus China herüberschwappenden Informationen zu tun hat. Sind es nicht erst die im Gefolge der Aufklärung entstehenden Ideen von einer dynamischen Gesellschaft (Hegel: "Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit."), die eine statische Gesellschaftsordnung zu etwas Minderwertigem machten? Hat man nicht hundert Jahre zuvor eine statische Gesellschaftsordnung als etwas Positives gesehen?

Wollte nur anbringen: Der Earl of Macartney führte 1793 eine Gesandtschaft des brit. Königs an den Hof des Kaisers Qianlong. Die Begegnung zwischen dem englischen Lord und dem alten Mandschu-Kaiser steht m. E. am Beginn des Chine-immobile-Schlagworts denn sie verlief unglücklich (Kotau-Frage) und steht einer Reihe von kulturellen Annäherungsmöglichkeiten und Mißverständnissen, von welchen heutige Siemensmanager sicherlich auch noch berichten könnten.

Empfehle hierzu Johann Christian Hüttner: "Nachricht von der Britischen Gesandtschaftsreise durch China und einen Theil der Tartarei" neu verlegt bei Thorbeke, Sigmaringen* und die exzellenten Ausführungen der Herausgeberin Sabine Dabringhaus in dieser Ausgabe.

*d.h. Thors Bach in Segimerowinga ;-) darüber sollten wir mal smalltalken...
 
... dass man Spanien in Frankreich als exotisch ansah, ...

Wohl eher als pittoresque, mon cher, wohl eher als pittoresque. ;-)

Aber auch als praktisch: vgl. Espagnolette, ein Begriff, der allerdings eine im Netz nicht aufgeführte Doppelbedeutung hat: Neben ihrer öffnenden und schließenden Funktionalität bezeichnet die Espagnolette auch eine sich aus Rocaille-Ornamenten entwickelnde, weibliche Büste in zeitgenössischer Aufmachung (Lockenfrisürchen, Häubchen, Brüstchen *pardon* Äpfelchen im Miederchen) z. B. bei Möbelbeschlägen.

Abklingen der Chinamode = Aufkommen des mauvais goût!

Mes transports et mes feux sont avec Vous cher Monsieur.

Momus
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben