Colmar v. d. Goltz-Pascha

Xenophon

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Seit meiner Jugend beschäftige ich mich, allerdigs mit Unterbrechungen, mit dem osmanischen und preußischen Feldmarschall Colmar v. d. Goltz-Pascha, der 1916 in Bagdad gestorben ist. Goltz ist heute in Deutschland vergessen, genießt aber in Kreisen des türkischen Militärs noch hohes Ansehen. Ich habe das Thema nicht bewältigen können, weil ich osmanische Quellen nicht lesen kann, aber das ist nötig, wenn man die Lebensleistung dieses Mannes bewerten will.
Ich will seine Bedeutung mit Stichworten umreißen:
G. ist sicherlich - natürlich nach Clausewitz - der bedeutendste Kriegstheoretiker der preußischen Armee. Er hat ein umfangreiches Werk hervorgebracht, besonders. Das Volk in Waffen. Kriegsgeschichte im 19. Jahrhundert. Von Roßbach bis Jena. Gambetta. Dazu viele Einzelarbeiten.
Dann war er der Reorganisator der osmanischem Armee im späten 19. Jahrhundert und kann so wahrscheinlich als einer der Großväter der jetzigen türkischen Republik gelten. Das erklärt das Ansehen, das er dort genießt.
Schließlich ist er der Sieger von Kut-el-Amara, hat sich also auch als Praktiker bewährt.
Ich bin der Meinung, dass Goltz durchaus eine kritische Würdigung verdient - kritisch deshalb, weil wir heute manche Ansicht, die er vertritt, nicht mehr teilen können. Nebenbei gesagt: Er war eine durchaus sympathische Persönlichkeit.
Nimmt jemand die Anregung auf?
Danke.
 
... in Deutschland vergessen ... in Kreisen des türkischen Militärs noch hohes Ansehen ... sympathische Persönlichkeit ... Lebensleistung dieses Mannes ... kritische Würdigung verdient ...
Es wird sicher einige geben, die sich für das Thema interessieren. Goltz tauchte hier bislang nur am Rande auf (siehe z. B. http://www.geschichtsforum.de/f62/wie-sieht-die-t-rkei-liman-v-sanders-heute-10483/), seine Lebensleistung ist aber durch einen Link von Lynxxx (http://www.geschichtsforum.de/256129-post62.html) in einen äußerst kritischen Zusammenhang mit dem Armenien-Genozid gebracht worden.

Mich würde interessieren, wie Du das Thema angehen bzw. auf welche Aspekte Du Dich konzentrieren willst; bei einem langen Soldatenleben ist ja eine Konzentration in der Sache unumgänglich.

Dann war er der Reorganisator der osmanischem Armee im späten 19. Jahrhundert und kann so wahrscheinlich als einer der Großväter der jetzigen türkischen Republik gelten.
Das nehme ich mal als erste These und frage: Wieso konnte ein in der Wolle gefärbter Monarchist wie Goltz der Großvater einer Republik werden, dazu noch sieben Jahre nach seinem Tode?
 
Das nehme ich mal als erste These und frage: Wieso konnte ein in der Wolle gefärbter Monarchist wie Goltz der Großvater einer Republik werden, dazu noch sieben Jahre nach seinem Tode?

Vielleicht indem er in einem Heer mit verkrusteten Strukturen Reformen einführte, die auch Leistungsträgern aus Teilen der Bevölkerung einen Aufstieg ermöglichten, denen das bisher nicht möglich war?

Zum Thema Personenbeurteilung und kritischer Sicht ihrer damaligen Überzeugungen: Ich meine, man kann Personen der Zeitgeschichte nur nach Maßstäben ihrer Zeit bewerten (im Sinne von urteilen und "verurteilen"). Da sich die Maßstäbe ständig ändern, müßte das auch ständig angepasst werden. Es kann nicht Aufgabe eines Historikers sein, Geschichte laufend dem Zeitgeist anpasst neu zu schreiben.

Ich weiß nicht viel über von der Goltz, aber wenn man sich nur die Rahmengrößen ansieht: Als Militär in die Fremde versetzt, gewaltige Aufgaben unter schwierigsten Bedingungen in einem Land gemeistert, dessen Sprache er nicht mal verstand und dafür im Gastvolk über Jahrzehnte hoch verehrt. Das ist nicht nur Abenteuer pur, das ist ein erfülltes Leben, wo man etwas bewegt und hinterlassen hat. Viel mehr, als die meisten von uns von sich sagen werden können.
 
Vielleicht indem er in einem Heer mit verkrusteten Strukturen Reformen einführte, die auch Leistungsträgern aus Teilen der Bevölkerung einen Aufstieg ermöglichten, denen das bisher nicht möglich war?
Solche Reformen führten zwangsläufig zur Republik? Gewiss nicht.

Wenn da stände: "G. hat [in noch näher zu beschreibender Weise] zur Erneuerung des türkischen Staates beigetragen" - meinetwegen, steht da aber nicht.


PS: Deine beiden anderen Absätze haben mit meinem Beitrag offensichtlich nichts zu tun, weshalb ich darauf nicht eingehe.
 
Vielleicht indem er in einem Heer mit verkrusteten Strukturen Reformen einführte, die auch Leistungsträgern aus Teilen der Bevölkerung einen Aufstieg ermöglichten, denen das bisher nicht möglich war?...
Magst du dieses noch näher erläutern? Wie sahen die Reformen durch ihn aus? Welche Teile der Bevölkerung konnten nun aufsteigen?

Danke dir. :winke:
 
Um Missverständnissen vorzubeugen: ich bin 74 Jahre alt und vor einigen Jahren schon gescheitert, als ich Hebräisch lernen wollte. Nein: ich muss mich darauf beschränken, auf das Thema "Goltz" hizuweisen in der Hoffnung, dass es von Jemand - ich denke hier besonders an einen Türken, der in Deutschland aufgewachsen ist - aufgegriffen wird. Goltz war Generalstäbler und Militarist. Wenn ich ihn richtig verstanden habe (leider können wir ihn nicht mehr fragen), nahm er die Herrschaft der Hohenzollern hin, weil sie nun einmal gegeben war, ud er diente ihnen loyal, dh. ohne öffentliche Kritik, dabei aber nicht kritiklos. Das herauszuarbeite, wäre Aufgabe einer wissenschaftlichen Dissertation. Reicht das für heute?
 
Ich denke nicht dass untere Schichten durch das alte osmanische Militärsystem gehindert wurden aufzusteigen. Eher im Gegenteil.

Aber zum Punkt der Republik: Ums mal bös auszudrücken, vielleicht spielt er auf die herausragende Rolle des Militärs überhaupt in der Türkei an. Atatürk, die Putschisten in den 60ern, 70ern und 80ern? Obwohl die Putsche eher ein negativer Aspekt der türk. Republik wären.
 
Goltz war Militär. Seine Frage war, wie eine Armee organisiert sein muss, damit sie im Krieg funktioniert. Die Staatsform war ihm egal - jedenfalls interpretiere ich ihn so. Ob das stimmt, müsste die Forschung ergeben.
 
Vor allem hat Goltz in der osmanischen Armee so etwa so etwa wie vernünftige Menschenführung zeitweilig und auch nur ansatzweise durchgesetzt und so bewirkt, dass die Osmanen ihren letzten Krieg um Thessalien gewonnen haben. (richt?)
 
Bitte: Ich weiß von den Strukturen des osmanischen reiches ichts, aber sie können kaum lobe-den-herrn gewesen sein.
Für das Verhalten des Militürs in der 2. Hälfte des 20. Jahrhudnerts ist Goltz kaum verantwortlich zu machen. Und: Wir haben den türkischen Generälen wohl zu verdanken, dass der Staat nicht in die Hände der Islamisten gefallen ist und das Erbe Ata Türks einigermaßen erhalten blieb.
Richtig so?
 
Magst du dieses noch näher erläutern? Wie sahen die Reformen durch ihn aus? Welche Teile der Bevölkerung konnten nun aufsteigen?

Um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Mein Beitrag war eine offene Frage zur Diskussionsanregung, keine Feststellung ("Vielleicht" und Fragezeichen).

Falls hier kein Fachkundiger aus dem Handgelenk Antworten bringen kann, könnte dem Threadstarter vielleicht die folgende Literaturempfehlung von Wikipedia Antworten bringen:


Hermann Teske: Colmar Freiherr von der Goltz. Ein Kämpfer für den militärischen Fortschritt. Göttingen 1957.
 
... in der Hoffnung, dass es von Jemand - ich denke hier besonders an einen Türken, der in Deutschland aufgewachsen ist - aufgegriffen wird. ...

Wenn meinst du denn damit? Seldschuk?

Arne, das war keine rhetorische Frage, ich weiß es selber nicht.

Ich weiß nur, dass als die Bürger alle gleichgestellt wurden, durch Einführung von westl. bürgerlichen Gesetzen (Tanzimat), die Nichtmuslime daher also auch wehrpflichtig wurden, diese sich dem meist entzogen haben, durch Zahlung einer Ausgleichszahlung.
Also interessanterweise letztlich der Status quo genauso wie vorher war , als im Rahmen des islam. Rechts eine Sondersteuer eingezogen wurde, und im Gegenzuge der Miltärdienst verwehrt wurde.

Die Betonung des Militärs in der Türkei ist bestimmt noch ein Echo aus der spätosmanischen Zeit, als dieses als der Hort des Fortschritts angesehen wurde. Später wurde dann das Militär zur Schule der (mannl.) Nation, da das Schulsystem lange Zeit noch unterentwickelt war. Somit erhielten auch junge Männer eine Bildung, die aus entfernten Dorfregionen ohne Schulen kamen.
Interessanterweise sind die Putsche in der Türkei meines Wissens nach von der überwiegenden Bevölkerung begrüßt worden, also anders, als die vielen Putsche, die wir sonst so kennen. Grund für die Zustimmung war bestimmt auch das (später eingehaltene) Versprechen, die demokratische Ordnung wieder herzustellen und das Chaos aus extremistischen Flügelkämpfen oder Unterdrückung von Oppositionellen zu beenden.
Insofern diente das Militär im Auge der Bevölkerung (bis vor kurzem) sicherlich als Hüter der Demokratie und des Erbes Atatürks.

:winke:
 
Literaturempfehlung von Wikipedia Antworten bringen:
Seit 1960 scheint über Goltz selbst nichts mehr erschienen zu sein. Für das Umfeld kommen, was die Türkei betrifft, neben Handbüchern etwa infrage:

 
An den Teske kann ich mich erinnern. Tu ich ihm unrecht, wenn ich seine Biographie als unzureichend bezeichne?
Ob Goltz ein Kämpfer für den "Fortschrit" (was ist das?) war, möchte ich bzweifeln. Er war ein tüchtiger Militär mit sehr guten historischen Kenntnissen. Seine Arbeit über das alte Preußen habe ich gerne gelesen und viel daraus gelernt. Seine Reisebericte aus Anatolien müsstemal jemand lesen, der sich da auskennt. Mein Eindruck war, dass er ein Gegner Schlieffens war, was er so natürlich nie gesagt oder gar geschrieben hat. Jedenfalls glaubte er nicht an den Blitzkrieg. Kaiser Wilhelm II. mochte ihn nicht und zu Beginn des 1. Weltkriegs wurde er in Thrakien kaltgestellt, bis es in Mesopotamien brannte, und dort sorgte er ja auch für Entlastung. Sein kleines taktisches Handbuch habe ich mit Gewinn gelesen. Ich habe den Eindruck, dass es unseren Generälen gut täte, wenn sie sich mit Goltz (und natürlich auch mit Clausewitz) besser vertraut machten als das offenbar der Fall ist. Auf jeden Fall freue ich mich über das Echo.
 
Wenn ja, dann kannste auch hiermal reinschauen:

Kortapeter, C. Max, “Ottoman Military Reform during the Late Tanzimat, 1885–1895: The Prussian General von der Goltz and the Ottoman Army,” in V. Milletlerarası Türkiye Sosyal ve Iktisat Tarihi Kongresi, Tebligler, Istanbul, 21–25 Agustos 1989 (Ankara: TTK, 1990), pp. 173–86

Yasamee, F.A.K., “Colmar Freiher von der Goltz and the Rebirth of the Ottoman Empire,” Diplomacy and Statecraft, 9/2 (1998), 91–128.

Ansonsten findet man weltweit hier noch etliches, je nach Suchwort (Pasha vs. Pascha vs. Paşa, usw.):

UB Karlsruhe: KVK Karlsruher Virtueller Katalog : Deutsch
 
v. d. Goltz-Pascha

Ja, kann ich.
Mein Problem ist, dass ich 74 Lenze zähle und so langsam überlegen muss, was ich in diesem leben noch beschicken kann und was nicht. Ich finde - und damit stehe ichnicht allein - dass Goltz ein interessantes Thema ist, das mich nie ganz losgelassen hat, das ich aber nicht mehr bearbeite kann - und das aus verschiedenen Gründen, die ich dargelegt habe.
Ich danke aber allen, die mir gezeigt haben, dass ichmit dieser Ansicht nicht allein stehe.
Klaus Dede
 
Ein äußerst interessantes Thema. Und wenn sich schon kein junger Türke findet, der das auch interessant findet, dann auf jeden Fall jemand anderes, den die deutsch-türkische Zusammenarbeit gerade jener Zeiten fasziniert :winke:

Danke für den Hinweis auf den Mann.

ps: ist ihr Nachname wirklich Dede? Oder nennen sie sich so wegen der türkischen Bedeutung?
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Im Türkischen war das nach meinen Recherchen einmal das Wort für "Großvater", zum anderenin osmanischer zeit die Anrede der Paschas.
Ich kam darauf, weil mir türkische Kinder in der Straße meinen Namen nachriefen, dabei aber freundlich grinsten, woraus ich schloss, dass das durchaus nicht böse gemeint war. War es auch nicht, wie sich heraus stellte.
Dede geht, vermute ich, auf diot zurück. Ich latinisiere den Namen deshalb auch gelegentlich in "Popularius", was ich aber nicht bin, ganz im Gegenteil.
Klaus Dede
 
Kurz zum außertürkischen Teil des Themas:

Mein Eindruck war, dass er ein Gegner Schlieffens war, was er so natürlich nie gesagt oder gar geschrieben hat. Jedenfalls glaubte er nicht an den Blitzkrieg.
Der zweite Satz ist wohl zutreffend: Goltz hat mehrmals, in der Nachfolge des älteren Moltke, darauf hingewiesen, dass ein einziger großer Sieg - Schlieffens Cannae-Prinzip - einen modernen Krieg nicht zwangsläufig entscheiden müsse. In Krieg- und und Heerführung (1901, S. 18) schreibt er, es sei "nicht gesagt, dass die Dauer der [modernen] Kriege eine kurze sein müsse. Ein hartnäckiger Gegner findet, selbst wenn die Waffenentscheidung gegen ihn ausgefallen ist, noch immer Mittel zur Verlängerung des Widerstandes. [...] Einen großen Vorteil genießt daher von vorn herein, wer den Krieg länger auszuhalten vermag. Dies wird vielfach übersehen und die Vernichtung der feindlichen Hauptarmee irrthümlich für gleichbedeutend mit der vollständigen Erreichung des Kriegszweckes gehalten."

Von daher schenkte Goltz dem Problem der Ernährungslage Deutschlands früh seine Aufmerksamkeit, wobei er ausdrücklich eine Blockade durch die beherrschende Seemacht Großbritannien in Betracht zog.

Eine weitere sozusagen prophetische Aussage machte er in Bezug auf den Übergang vom Angriff auf die Verteidigung. Wie beinahe alle deutschen Offiziere präferierte er den Angriff, gab aber zu bedenken, dass mit gravierenden Problemen zu rechnen wäre, wenn sich das Heer - sozusagen gegen dessen Doktrin und Natur - ggf. auf die Verteidigung einrichten müsse; dieser Fall trat im Herbst 1914 ein (nach Wallach, Dogma der Vernichtungsschlacht, S. 236).

Kaiser Wilhelm II. mochte ihn nicht ...
Es wurde kolportiert, dass Goltz (oder Beseler) im Kriegsfall den jüngeren Moltke ersetzen sollte (Wallach, S. 157). Dass daraus nichts wurde, mag - vorausgesetzt, das Gerücht traf überhaupt zu - daran gelegen haben, dass der Kaiser der "Zauberkraft" des Namens Moltke vertraute und Goltz als "zu selbständig" erschien. Jedenfalls führte Goltz' Weg stattdessen nach Belgien, wo seine Tätigkeit als Generalgouverneur ein eigenes Thema wert wäre.
 
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