Colonel House und die Möglichkeit einer Allianz im Jahr 1913

Du argumentierst, so scheint mir, ein wenig von der hohen moralische Warte der heutigen Zeit.

Ne, ich argumentiere vor dem Hintergrund der Austarierung des europäischen Mächtekonzerts, dass durch das Septemberprogramm einmal komplett an die Wand gefahren worden wäre.
Das ist keine Argumentation mit heutigen Wertvorstellungen, dieses Kriegszielprogramm hätte das gesamte politische System Europas und Afrikas schlicht und einfach hinweggefegt.
 
...und dabei blendest du eben den Windsor Vertrag aus. Den kannst du aber nicht ausblenden, weil der die Engländer gegenüber Portugal verpflichtete.

Der verpflichtete die Engländer zur Verteidigung der Integrität der portugiesischen Kolonialgebiete, diese Verpflichtung wäre aber im Falle, dass Portugal aus finanziellen Gründen gezwungen gewesen wäre seine Kolonien zu veräußern (und um kein anderes Szenario ging es ja in den deutsch-britischen Absprachen) ohnehin obsolet gewesen.

Der Vertrag verpflichtete die Briten nicht dazu das portugiesische Kolonialreich zu erhalten, wenn man in Lissabon zu dem Schluss käme, dass man es sich aus finanziellen Gründen nicht länger leisten konnte, was angesichts der Lage der portugiesischen Staatsfinanzen ja durchaus immer mal wieder im Raum stand.

Und deswegen verstehe ich dein Problem nicht ganz.
 
Mein Punkt ist nach wie vor, dass man in GB auch 1913 durchaus noch bereit war den Status Quo in den Kolonien zu verändern und Deutschland daran partizipieren zu lassen.
So geht man nicht mit jemandem um den man als Feind betrachtet.

Tut mir leid, aber auf mich wirkt Deine Auswahl selektiv. Es ist nicht so einfach, wie du es dir machst.
Ich hatte vor ein paar Jahren mal das Buch von Christopher Andrew gelesen, MI5 Die wahre Geschichte des britischen Geheimdienstes.
Andrew beschreibt dort, dass ab spätestens 1909 das Deutsche Kaiserreich als Hauptfeind identifiziert wurde. Und es wurden sehr wohl Überlegungen angestellt, die nicht nur auf Verständigung aus waren.

The Defence of the Realm - Wikipedia
 
Ich hatte vor ein paar Jahren mal das Buch von Christopher Andrew gelesen, MI5 Die wahre Geschichte des britischen Geheimdienstes.

Der MI5 ist die Abteilung des britischen Geheimdienstes, die sich mit Gegenspionage und Spionageabwehr, so wie Desinformation beschäftigt.

Das man dort in Sachen Spionageabwehr um 1910 herum vor allem mit deutschen Spionen zu kämpfen hatte ist sehr gut denkbar.
Sagt aber nichts über die politische Entscheidungsfindung noch über die eigene politische oder militärische Spionage im Ausland.

Im Übrigen, wenn du das Vorwort des entsprechenden Werkes gelesen hast, müsste dir ja klar sein, dass es sich um eine "authorisierte Geschichte" des MI5 handelt.
Will heißen, ihr liegen lediglich diejenigen Quellendokumente zu Grunde, die nicht als Verschlussache eingestuft sind, es handelt sich also um seine selektive Auswahl und das steht sogar auf der Verpackung.

;-)
 
Bethmann machte sich Sorgen und das dürfte in der Julikrise von großer Bedeutung gewesen sein.
 
er verpflichtete die Engländer zur Verteidigung der Integrität der portugiesischen Kolonialgebiete, diese Verpflichtung wäre aber im Falle, dass Portugal aus finanziellen Gründen gezwungen gewesen wäre seine Kolonien zu veräußern (und um kein anderes Szenario ging es ja in den deutsch-britischen Absprachen) ohnehin obsolet gewesen.

Es wäre für London nun eine leichte Übung Portugal finanziell durch einen Kredit zu helfen.
 
Es wäre für London nun eine leichte Übung Portugal finanziell durch einen Kredit zu helfen.
Und das war es vorher nicht?

Was genau hatte sich daran geändert?

Das der 1913 projektierte Vertrag nicht automatisch zu deutschen Zugewinnen führte, ist mir durchaus klar, das hing von der Kassenlage Portugals ab und von der britischen Bereitschaft dessen chronisches Staatsdefizit zu finanzieren.

Das alles ändert immer noch nichts daran, dass damit eine Nachfolgeregelung für die portugiesischen Kolonien in den Raum gestellt war, die eine territoriale Begünstigung Deutschlands enthielt.
 
Bethmann machte sich Sorgen und das dürfte in der Julikrise von großer Bedeutung gewesen sein.

Ich glaube nicht, dass die Tatsache, dass sich Bethman Sorgen machte Gegenstand unserer Meinungsverschiedenheit ist, sondern die dreht sich doch mehr darum, welcher Art diese Sorgen waren und wie weit sie gingen?
 
Ich fasse einmal zusammen:

  • Du betonst die Bedeutung des Abkommens zwischen Berlin und London über die portugiesischen Kolonien. Nur, dieses Abkommen ist völkerrechtlich gar nicht zu Stande gekommen, da Deutschland es nicht unterzeichnet hatte. Grund: London wollte es gleichzeitig mit dem Windsor Vertrag publizieren. Nicht zu Unrecht befürchtete man in Berlin eine negative Reaktion der deutschen Öffentlichkeit.

  • Du betonst das Risiko Englands, welche man vor allem hinsichtlich Frankreich eingegangen war. Nur, Paris wußte Bescheid und war informiert.

  • Du erklärst die Marinekonvention für nicht weiter wichtig. Nur, sie spielte schon eine nicht unwichtige Rolle in Bethmanns Überlegung in der Julikrise. Bethmann musste feststellen, das Sir Edward ihm nicht reinen Wein einschenkte, trotz mehrfachen Nachfragens. Dadurch hatte das Vertrauen von Bethmann in Sir Edward sicher einen Schlag bekommen.

  • Und zu guter Letzt stellst du die Quelle Riezler in Frage; allerdings ohne Belege anzuführen, sondern mehr oder weniger pauschal, da es ja wohl die Memoirenliteratur üblich sein, das etwas wegegelassen und hinzugefügt wird. Ich hierzu aus dem Vorwort von Afflerbach zitiert, in dem die Bedeutung der Quelle Riezlers zum Ausdruck gebracht wird.

  • Nun bringst du auch noch das Septemberprogramm in die Diskussion, welche nun nicht mehr zum eigentlichen Thema gehört. Du benennst dieses Programm als Beleg für den "Scharfmacher" Riezler. Nun, wie ich schon ausführte, Bethmann stand unter großen innenpolitischen Druck, und das Ergebnis ist zu dem was verlangt worden war, eher zurückhaltend. Davon abgehsehen, wenn du das Septemberprogramm wegen der Beteiligung Riezler kritisierst, dann ist doch eher festzuhalten, das Riezler nicht den größenwahnsinnigen Spinnern nachgegeben hatte.
 
Und das war es vorher nicht?

Was genau hatte sich daran geändert?

Das der 1913 projektierte Vertrag nicht automatisch zu deutschen Zugewinnen führte, ist mir durchaus klar, das hing von der Kassenlage Portugals ab und von der britischen Bereitschaft dessen chronisches Staatsdefizit zu finanzieren.

Das alles ändert immer noch nichts daran, dass damit eine Nachfolgeregelung für die portugiesischen Kolonien in den Raum gestellt war, die eine territoriale Begünstigung Deutschlands enthielt.

Der Vertrag hatte eben nicht die Bedeutung, die du ihm die ganze Zeit unterstellst.
 
Und das war es vorher nicht?

Was genau hatte sich daran geändert?

Das der 1913 projektierte Vertrag nicht automatisch zu deutschen Zugewinnen führte, ist mir durchaus klar, das hing von der Kassenlage Portugals ab und von der britischen Bereitschaft dessen chronisches Staatsdefizit zu finanzieren.

Das alles ändert immer noch nichts daran, dass damit eine Nachfolgeregelung für die portugiesischen Kolonien in den Raum gestellt war, die eine territoriale Begünstigung Deutschlands enthielt.

Im Raume gestellt. Also, es könnte ggf. vielleicht und so weiter............................
 
Ne, ich argumentiere vor dem Hintergrund der Austarierung des europäischen Mächtekonzerts, dass durch das Septemberprogramm einmal komplett an die Wand gefahren worden wäre.
Das ist keine Argumentation mit heutigen Wertvorstellungen, dieses Kriegszielprogramm hätte das gesamte politische System Europas und Afrikas schlicht und einfach hinweggefegt.

Es war in jener Zeit Krieg. Ich glaube nicht, das sich irgendeine Macht großartig für das europäische Gleichgewicht interessiert hatte. Und das gilt dann auch im gleiche Maße für die ausufernden Pläne der Triple Entente.
 
Ich weiß gar nicht warum das Septemberprogramm in diesem Strang überhaupt diskutiert wird.
1. Hat es mit dem Strangthema überhaupt nichts zu tun. Das geht ja schon in die Richtung infiniter Regress, das ist schon etwas sprunghaft.
2. Hat David Stevenson schon vor Jahren festgestellt, dass das Septemberprogramm überbetont wird, da es es zu keinem Zeitpunkt den Status einer offiziellen, verbindlichen politischen Erklärung erhalten habe und vom Kaiser auch nicht unterschrieben worden ist.
 
Bethmann gab sich zu Beginn des Krieges noch der Illusion hin, das nach einem raschen Sieg gegen Frankreich zu Verhandlungen durch englische Vermittlung gelangen könnte.
Erst Anfang September merkte Bethmann, das er sich Illusionen hingegeben hatten. Die Unbedenklichkeit mit der England entgegen der Haager Landkriegsordnung den Wirtschaftskrieg eröffnete, indem es allen Deutschen auch hinsichtlich ihrer privaten Vermögensrechte für rechtlos erklärte, ließ schon im August die Bedingungslosigkeit der Feindschaft ahnen, mit der dieser Krieg geführt werden würden.

Das Londoner Abkommen vom 04.September 1914, durch das England, Frankreich und Russland sich verpflichteten, keinen Sonderfrieden zu schließen, machte vollends die Entschlossenheit der Gegner deutlich, den Konflikt mit allen Mitteln militärisch auszufechten.

Vor diesem Hintergrund muss das Septemberprogramm, und auch vor dem des stürmischen Vormarsches der deutschen Armeen, betrachtet werden.
 
Das der 1913 projektierte Vertrag nicht automatisch zu deutschen Zugewinnen führte, ist mir durchaus klar, das hing von der Kassenlage Portugals ab und von der britischen Bereitschaft dessen chronisches Staatsdefizit zu finanzieren.

Das alles ändert immer noch nichts daran, dass damit eine Nachfolgeregelung für die portugiesischen Kolonien in den Raum gestellt war, die eine territoriale Begünstigung Deutschlands enthielt.

Das war ja grundsätzlich schon 1898 vereinbart worden. Ein Jahr später folgte das Windsor Abkommen. So etwas hätte man doch nicht getan, wenn man es ein Jahr zuvor gegenüber Berlin ehrlich gemeint hätte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Um auf die Threadfrage zurückzukommen, letztlich waren es wohl eher die Briten, die eine mögliche Allianz im Sande haben verlaufen lassen. Und wenn man sich anschaut, dass Grey gegenüber House behauptet hat, Frankreich hätte keinerlei Revanchegelüste, das geht schon stark in die Richtung einer Täuschung.
 
Das war ja grundsätzlich schon 1898 vereinbart worden. Ein Jahr später folgte das Windsor Abkommen. So etwas hätte man doch nicht getan, wenn man es ein Jahr zuvor gegenüber Berlin ehrlich gemeint hätte.

Das sehe ich etwas anders.

Es ist ja weder im Abkommen von 1898, noch im Abkommen von 1913 festgehalten worden, dass die Teilung der portugiesischen Kolonien unmittelbar angestrebt würde, sondern beide Abkommen regelten nach meiner Kenntnis lediglich welches Szenario greifen würde, wenn sich Lissabon gezwungen sehen würde, die Kolonien abzutreten.

Du interpretierst da nun hinein, dass dieses Abkommen eine Übereinkunft implizieren würde, diesen Zustand herbei zu führen. Das ist nicht der Fall.

Auf der anderen Seite simplifizierst du aber, wenn du postulierst, dass es ein leichtes für Großbritannien gewesen wäre Portugal mit Krediten auszuhelfen.
Nur reden wir hier ja nicht von einmaligen Krediten, sondern wir reden de facto von dauerhaften Subventionen.

Die Vorstellung, dass Großbritannien das aus politischen Gründen dauerhaft getan hätte, um den Status Quo in Afrika nicht zu verändern unterstellt, dass diese Kredite/Subventionen/Schuldenkürzungen, die da dauerhaft möglicherweise nötig gewesen wären, vor allem aus den britischen Staatsfinanzen heraus zu bestreiten gewesen wären.
Das wäre zwar rein wirtschaftlich sicher möglich gewesen, hätte aber alljährlich immer wieder die entsprechenden Haushaltsdebatten passieren müssen, wenn man das so hätte machen wollen.

Heißt man hätte der britischen Bevölkerung dauernd jedes Jahr auf's neue erklären müssen, warum keine größeren Mittel für soziale Wohltaten bereitgestellt werden können, man aber gleichzeitig den portugiesischen Kolonialbesitz finanzierte.
Das wäre irgendwann sicherlich nicht mehr zu vermitteln gewesen.

Und sofern es privates Kapital Investitionskapital betrifft, konnte die britische Regierung sicher dabei helfen Kredite zu vermitteln, dass aber nicht selbst steuern.

Was du mit dem Vertrag von Windsor hast, weiß ich immer noch nicht.
Der Vertrag sicherte Portugal den Bestand seiner Kolonien zu, so lange sich Lissabon nicht davon trennen wollte oder es aus finanziellen Gründen musste.
Das widerspricht der Einigung von 1898 überhaupt nicht.

Hast du dir in diesem Kontext mal überlegt, dass der Vertrag von Windsor möglicherweise eine Reaktion auf die kriegerische Aufteilung des spanischen Kolonialreichs ein Jahr zuvor gewesen sein könnte?
Und damit Ausfluss einer Gesinnung, dass man einer solchen Entwicklung vorbauen und im Falle einer Umverteilung einen friedlichen Übergang gewährleisten wollte?
 
Du interpretierst da nun hinein, dass dieses Abkommen eine Übereinkunft implizieren würde, diesen Zustand herbei zu führen. Das ist nicht der Fall.

Da missverstehst du mich. Aber London verpflichtete sich 1899 eben dazu, die Unverletzlichkeit der portugiesischen Kolonien zu verteidigen; also letzten Endes auch dafür Sorge zu tragen, das die Abmachung von 1898 erst gar nicht zur Anwendung kommt.
 
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