Comte Louis de Narbonne 1813 in Ungnade?

excideuil

unvergessen
Schon einmal habe ich einen Beitrag (mit Anekdote) zum comte de Narbonne geschrieben:

http://www.geschichtsforum.de/478620-post85.html

Er war einer von etlichen Alt-Aristokraten, die Napoléon in seinen Dienst zog. Narbonne Louis Marie de Narbonne-Lara ? Wikipedia war nicht irgendwer. Lange galt er als natürlicher Sohn Louis XV, war unter anderem Kriegsminister unter Louis XVI.
Erst spät fand er unter Napoléon als Adjudant und Diplomat Verwendung.

Zamoyski schreibt über ihn zu 1812:
" Er war ein hochgebildeter Mann mit eigenständigem literarischen Geschmack und einem besonderen Interesse für die Diplomatie in der Zeit der Renaissance; hierin war er Experte [...] und verfügte über jene geschliffene Eleganz, die man mit den ancien régime verbindet. Wenn jemand Alexanders Vertrauen gewinnen konnte, dann er." [1]

Bekanntlich brachte seine Reise nach Wilna im Vorfeld des Feldzuges nach Rußland kein Ergebnis; Narbonne warnte, wie auch Caulaincourt Napoléon vor diesem Krieg.

1813 "verhandelten" er und Caulaincourt dann in Prag, natürlich vergeblich, Napoléon wollte nur Zeit gewinnen.

Nach der Rückkehr aus Prag wurde Narbonne zum Gouverneur der Festung Torgau bestimmt.
Dazu aus einem aktuellen Aufsatz:
"Das alsbaldige und ganz unerwartete Kommando für Narbonne in einer kleinen Festung wie Torgau wurde auch in der Umgebung des Kaisers nicht verstanden und als Zeichen - zumindest temporäer - Ungnade gewertet." [2]
Leider liefert der Autor keine Quelle zu dieser Aussage.

Daher meine Frage: Hat es Differenzen mit Napoléon gegeben, aus denen dann die Abkommandierung erfolgte, oder war die Festung Torgau (über 22000 Mann) doch so wichtig, dass es eines zuverlässigen Kommandanten bedurfte?


Noch eine Korrektur zu Wiki. Dort wird behauptet, dass Narbonne nach einem Unfall starb. Das ist nicht richtig, er starb am 17. Nov. 1813 an Typhus und teilte damit das Schicksal von ca. 30000 Menschen (bis Jan. 1814) in Torgau, darunter 1100 Bürger.

Als Letztes noch eine Anekdote:
Als Narbonne von seiner ersten Gesandtschaft zurückkehrte, wandte sich der Kaiser sich an ihn mit der Frage: „Was denkt man von mir an den nordischen Höfen?“ – „Sire“, antworte der Graf, einige halten Sie für Gott, andere für einen Teufel, keiner hält Sie für einen Menschen.“

Grüße
excideuil

[1] Zamoyski, Adam: 1812, Napoleons Feldzug in Russland, C.H. Beck, München, 2012 (2004), Seite 133
[2]
Hansjochen Hancke: Graf Louis von Narbonne, Gouverneur von Torgau, in Niedersen, Uwe (Hrsg.): Sachsen, Preußen und Napoleon – Europa in der Zeit von 1806 – 1815, Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, Dresden/Torgau, 2013, Seite 389
 
Einen direkten Beleg einer Ungnade Narbonnes habe ich bislang nicht finden können, dafür ein paar interessante Details.

Bei Baron Fain, der sicher zu Napolóns Umgebung zu zählen ist, findet sich zur Situation kurz vor der Schlacht bei Leipzig:
"Um noch vor dem Feinde in Leipzig einzutreffen, darf kein Augenblick verloren werden; man muss den Marschall St. Cyr zu Dresden, den Fürsten von Eckmühl zu Hamburg, den General Lemarrois zu Magdeburg, den General Lapoype zu Wittenberg und den General Narbonne zu Torgau lassen. Diese Notwendigkeit ist höchst traurig; der Kaiser ist aber weit entfernt, sie als etwas bestimmt ausgemachtes zu betrachten." [1]
Deutlich wird die Gefährdung der Elbefestungen in der damaligen Situation. Von Ungnade aber keine Spur.

Napoléons Haltung zum alten Adel ist bekannt. Augenscheinlich durfte der altadlige Narbonne Napoléon gegenüber so einiges äußern:

Nach der Ernennung Davouts zum Fürsten kaufte dieser ein standesgemäßes Hotel in Paris, konnte aber ein paar andere Verpflichtungen nicht erfüllen, erbat daher den Kaiser um Hilfe, der ihm 50000 Franken schenkte.
"Dies erzürnte einen der Getreuen des Kaisers. Verständnislos fragte der comte de Narbonne Napoléon, warum er an den Marschall eine derart hohe Geldsumme verschenke, obwohl er ihn eigentlich nicht leiden könne. Napoléon wusste die Bedenken seines Weggenossen zu zerstreuen: "Ihm muss ich was geben, denn er nimmt nie etwas." [2]

Sehr interessant das, was der Kaiser auf St. Helena über Narbonne äußerte:
"Narbonne sah bei der Truppe immer aus wie ein Marquis vom ancien régime. Er hat mir oft wiederholt, dass er sich sein Auftreten nicht abgewöhnen könne. Sie wissen, wie die Soldaten lachten, wenn er sagte: "Platz, meine Herren, für den Kaiser![...]
"In Dresden drängte er mich, Frieden zu machen, obwohl er überzeugt war, dass Österreich denselben nicht ehrlich wünschte. Ich hätte besser daran getan, seinen Rat zu befolgen. Ich hätte ihm das Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten geben sollen und nicht Caulaincourt, der keinen Geist hat und nicht zu schreiben versteht; dieser war ein ausgezeichneter Oberhofstallmeister und weiter nichts: Er zersplittert seine Kraft zu sehr mit Einzelheiten, als dass er ein guter Minister hätte werden können." [3]

Einmal das wohl ungerechte Urteil über Caulaincourt beiseite lassend, der zudem das Ministerium erst übertragen bekam, nachdem Talleyrand abgelehnt hatte und als Narbonne bereits tot war, bringt der Kaiser in der Erinnerung Narbonne mit dem Ministerwechsel in Verbindung. Damit kommt vllt. der Mann ins Spiel, der das Amt z.Zt. der Ernennung Narbonnes zum Gouverneur der Festung Torgau innehatte: Maret, der Mann über den Talleyrand lt. der comtesse de Remusat gesagt haben soll: "er kenne am Hofe Napoléons nur einen Menschen, der noch unbedeutender und einfältiger sei als Maret, nämlich der Herzog von Bassano." [4]

Aber ich will nicht spekulieren. Daher habe ich mich heute brieflich an den Autor gewandt.

Zum Schluss noch eine Anekdote:
Nach dem Sieg von Austerlitz überhäufte Napoleon seinen Adjutanten, den General Narbonne mit Gnadenbezeugungen. Er glaubte dadurch, die Mutter des Generals, die eine der ältesten und härtesten Aristokratinnen der Vorstadt St. Germain war, gewinnen zu können. „Nun, mein General“, fragte der Kaiser seinen Adjutanten, „wird mich endlich Ihre Mutter lieben?“ Herr von Narbonne erwiderte: „Sire, Frau von Narbonne hat es noch nicht weiter, als bis zur Bewunderung bringen können.“

Grüße
excideuil

[1] Fain, Agathon- Jean François: Manuskript vom Jahre 1813 – Darstellung der Begebenheiten dieses Jahres, als Beitrag zur Geschichte des Kaisers Napoleon; vom Baron Fain, damaligen Cabinets-Sekretär, Cotta’sche Buchhandlung, Stuttgart und Tübingen, 1824, Seiten 323-324
[2]
Felkel, Alain: Louis Nicolas Davout - Das Genie hinter Napoleons Siegen, Osburg Verlag, Hamburg, 2013, Seite 238
[3]
Gourgaud: „Napoleon – Erinnerungen und Gedanken – St. Helena 1815 -1818“, bearbeitet von Heinrich Conrad, Wilhelm Goldmann Verlag, München, 1961, Seiten 101-102
[4]
Rémusat: „Memoiren der Gräfin Rémusat, Palastdame der Kaiserin Josephine, Original Ausgabe von Adolf Ebeling, Verlag von Albert Ahn, 1. Bd. Köln, 1880, Seite 175
 
Aber ich will nicht spekulieren. Daher habe ich mich heute brieflich an den Autor gewandt ...
... und leider (noch) keine Antwort erhalten.

Allerdings habe ich Antworten nur in der Umgebung Napoléons gesucht und dabei einige Aufsätze, die sich mit der Festung Torgau befassen, schlicht ignoriert.
Denn in einem findet sich folgendes:

"An 12. September erklärte Napoleon Torgau zum Hauptdepot der Grande Armee. Die Festung Torgau nahm also an Bedeutung zu. Nochmals gab es einen Wechsel an der Spitze Togaus. Eine Person mit höherem militärischem Rang war für Torgau erforderlich geworden.
Obgleich gute Arbeit leistend war Le Brun nur Brigadegeneral. Und es kam ein besonderer Mensch in die Stadt, der wiederum als Person so bedeutend war, dass im Zusammenhang mit dem Dienst in Torgau von einer "Strafversetzung" gemunkelt wurde. Le Brun schrieb dies jedenfalls in seinen erst 1953 erschienenen Memoiren.
Kurzum, es kam des Kaisers Adjudant, General Comte Louis de Narbonne.
Er wurde am 14. September 1813 Gouverneur von Torgau. Der fähige Le Brun blieb sein Stellvertreter und wurde zugleich Kommandant der diensthabenden Truppen." [1]

Ganz klar wird der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Erhebung Torgaus zum Hauptdepots und der Ernennung Narbonnes zum Gouverneur deutlich, was eher auf die Absicht Napoleons schließen läßt, einen Mann vor Ort zu haben, der nicht nur fähig war und sein Vertrauen genoss sondern auch eine Autorität darstellte, die sich gegebenfalls auch gegen ranghöhere Generale durchsetzen konnte.
Natürlich muss wohl die Ernennung eines Mannes wie Narbonne in der Provinz wie Torgau Nahrung für Spekulationen liefern.

Interessant auch ein Brief Napoléons an Maret:

"An Herrn Maret, Herzog von Bassano, Minister der auswärtigen Angelegenheiten, in Dresden.
Pirna, 19. September 1813
Herr Herzog von Bassano, Sie müssen dem Grafen von Narbonne antworten, dass seine Briefe lächerlich sind und nur Eines beweisen, nämlich, dass er sich nicht auf den Krieg versteht. Ist es in der Tat etwas Außerordentliches, dass in einer Festung, in die sich eine Armee flüchtet, welche eine Schlacht verloren hat, Unordnungen vorkommen? Ist es etwas Außerordentliches, dass daselbst Verwirrung entsteht, wenn es sich darum handelt, darin vierzehn oder fünfzehn Depots zu bilden! Man hat ihn mit einer höheren Gewalt dorthin geschickt, weil da etwas zu tun war. Er soll in seinen Briefen vernünftigere Phrasen gebrauchen, als z.B. seine Beteuerungen, dass er die Wahrheit sage, wie wenn nicht alle Leute die Wahrheit sagen sollten, und sie doch nicht sagen, wie wenn nicht alle, welche Geschäftserfahrungen besitzen, sie nicht voraussetzen. Beteuerungen, dass man die Wahrheit sage, müssten beinahe zum Glauben bestimmen, dass man nicht gewohnt ist, sie immer zu sagen. Suchen Sie, ihm dies auf die höflichste Art begreiflich zu machen; aber wahrlich er schreibt dem Chef des Generalstabes auf so lächerliche Weise, wie wenn es ein Verdienst wäre, die Wahrheit zu schreiben. Er soll also über das, was er sieht, nicht erstaunen; er soll es einfach sagen und alles wird sein Heilmittel finden. Die Armee des Fürsten von der Moskwa wird endlich woanders hingehen, der Feind wird am rechten Ufer zurückgedrängt werden: der Artilleriegeneral wird Waffen schicken; der Graf Daru wird Kleider schicken, die Kleider werden von allen Seiten anrücken; die Depots werden bewaffnet und gekleidet werden, dies wird vorübergehen, und er wird Dienste geleistet haben, wenn er mit diesen militärischen Angelegenheiten vertraut wird.
Napoleon." [2]

Deutlich wird die Verärgerung Napoléons über seinen Adjudanten, allerdings weniger, dass dieser Briefe mit Wünschen und Forderungen schrieb, sondern der Form halber. Maret mag frohlockt haben, dass ihm die Rolle zufiel, die "delikate" Antwort an Narbonne zu formulieren.
Aber Ungnade?
Narbonnes Handlungen sprechen eher dafür, dass Napoléon ihn ausführlich instruiert oder instruieren lassen hat und er sich sofort nach Ankunft in Torgau an seine Aufgabe gemacht hat. Deutlich hier auch der geringe zeitl. Abstand zwischen Ernennung am 14. Sept. und des Briefes N. an Maret am 19. Sept.

In der Summe bleiben wohl nur Mutmaßungen über eine Ungnade.

Bekannlich bezahlte Narbonne seinen persönlichen Einsatz zur Erledigung der militärischen, verwaltungstechnischen und Maßnahmen gegen den massenhaft grassierenden Typhus mit dem Leben. Dazu ein Zeitzeugnis:

"Umsonst sucht der Kommandant der Festung, der edle Graf von Narbonne, für die Unglücklichen zu wirken. Selbst ein wiederholtes, persönliches, ihm den Tod bringenden Besuchen dieser verpesteten Orte fruchtete nichts." [3]

"Sein [erkennbares] Bemühen um Schonung der Zivilbevölkerung" [4] während seines Wirkens in Torgau zur Zeit des Belagerungszustandes (ab 9. Okt. 1813) wird nicht nur in den vorliegenden Aufsätzen gewürdigt, sondern findet auch in der noch heutigen Pflege seines Grabes in Torgau seinen Ausdruck.

Zum Schluss - natürlich - noch eine Anekdote:

Der Graf Louis de Narbonne sagte eines Tages auf der Terrasse im Garten der Tuilerien beim Herrn von Talleyrand selbst gemachte Verse vor. Nach einiger Zeit gähnte ein ziemlich weit davon Stehender und Talleyrand sagte zu dem Deklamierenden: „Narbonne, sehen Sie doch, Sie sprechen aber auch immer so laut.“

Grüße
excideuil

[1] Uwe Niedersen: Die Festung Torgau - sächsisch, später französisch kommandiert, dann preußisch übernommen; in: Niedersen, Uwe (Hrsg.): Sachsen, Preußen und Napoleon – Europa in der Zeit von 1806 – 1815, Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, Dresden/Torgau, 2013, Seiten 365-6
[2] ] Kurz, Heinrich (Hrsg.): Ausgewählte Korrespondenz Napoleon I. , Verlag des Bibliographischen Instituts, Hildburghausen, Band 3, 1870, Seiten 402-3
[3]
Klaus Landschreiber: Festung Torgau 1813/14: Zum zivilen Leben in der Festung, die Versorgung, Lazarette und die Epidemie; in: Niedersen, Uwe (Hrsg.): Sachsen, Preußen und Napoleon – Europa in der Zeit von 1806 – 1815, Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, Dresden/Torgau, 2013, Seite 381
[4]
Hansjochen Hancke: Graf Louis von Narbonne, Gouverneur von Torgau, in Niedersen, Uwe (Hrsg.): Sachsen, Preußen und Napoleon – Europa in der Zeit von 1806 – 1815, Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, Dresden/Torgau, 2013, Seite 389
 
Vielen Dank fuer diesen Beitrag, den ich leider noch nicht bewerten kann. Ein wirklich schønes, und immer noch aktuelles Bonbon:

Napoleon schrieb: schrieb:
Er soll in seinen Briefen vernünftigere Phrasen gebrauchen, als z.B. seine Beteuerungen, dass er die Wahrheit sage, wie wenn nicht alle Leute die Wahrheit sagen sollten, und sie doch nicht sagen, wie wenn nicht alle, welche Geschäftserfahrungen besitzen, sie nicht voraussetzen. Beteuerungen, dass man die Wahrheit sage, müssten beinahe zum Glauben bestimmen, dass man nicht gewohnt ist, sie immer zu sagen.

Ich glaube, man muesste noch viel mehr napoleonische Korrespondenz lesen.

Gruss, muheijo
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich glaube, man muesste noch viel mehr napoleonische Korrespondenz lesen.
Da bin ich völlig bei dir, vllt. ergäben sich einige spannende Diskussionen. :winke:

Was nun seine Worte selbst angeht, zeigen sie wohl, dass er mit der Kategorie Wahrheit in seiner Umgebung vertraut war, anders ist seine Reaktion auf die Briefe seines Adjudanten wohl nicht erklärbar.

Grüße
excideuil
 
In einem sehr interessanten Buch [1] habe ich ein wohl recht typisches Beispiel für das Betragen Napoleons auch gegenüber seinen engsten Mitarbeitern - hier Narbonne - gefunden:

Es begab sich beim Auszug der Großen Armee aus Smolensk weiter in Richtung Borodino:

"Napoleon äußerte großen Ärger über das Problem der persönlichen Fahrzeuge, die die Straßen unerträglich verstopften. Deshalb befahl er, alle jene zu verbrennen, die man bei den Truppen entdeckte.
Den Wagen des Generals Narbonne, seines Adjutanten, "sah er, als er vorbeikam, und vor den augen dieses Generals ließ er ihn persönlich in brand setzen, und zwar auf der Stelle, ohne zu gestatten, dass man ihn ausräumte [...]. Er selbst kümmerte sich darum, dass man vor ihm damit begann."
Man steckte ein Strohbündel zwischen die vier Räder, und die Flammen ergriffen den schönen gelben Wagen.

Der Kaiser galoppierte zufrieden davon. Ihm folgte General Narbonne, der den Worten seines Freundes Montesquiou zufolge, viel weniger zufrieden war. Montesquiou setzte hinzu, dass man "Monsieur de Narbonne sehr bedauerte, und man tadelte die willkürliche Gewalt, die so grausam über ihren Nächsten herfiel."

Sobald sich Napoleon entfernt hatte, rettete man allerdings die Karosse, und Montesquiou erkannte sie zu seiner Überraschung "gelb und wie goldbraun gebraten" in der Furt bei Wjasma wieder.

Inzwischen hatte der Kaiser tausend Napoleondor [entspricht 20000 Franc, 5,8 kilo Gold) an Narbonne schicken lassen, von dem er wußte, dass er nicht reich war. Duroc, der diesen Auftrag erledigen sollte, war so taktvoll, die Goldstücke in einer hübschen Schatulle zu schicken, in die das Wappen des Kaisers eingeprägt war, und ein paar schöne Bücher beizulegen.

Narbonne verteilte das Geld an seine jungen Rekruten. Am nächsten Tag dankte er dem Kaiser und erzählte ihm, wofür er dessen Geschenk verwendet hatte. Er wies ihn darauf hin, dass sich zwei Texte Senecas - Von den Wohltaten und Von der Seelenruhe - besonders gut für diesen Feldzug eigneten." [1]

Das Beispiel zeigt anschaulich, dass Napoleon zu spontanen Aktionen neigte, es aber im Grunde dienstbare Geister gab, die solche Aktionen abmilderten, gar verhinderten, oder wie hier durch Duroc der Entschuldigung Napoleons einen würdigen Rahmen gaben.

Verständlich wird damit der Rat Talleyrands an seinen Nachfolger Champagny, Napoleons Befehle "erst drei Tage unter dem Kopfkissen aufzubewahren", da sich noch so einige Änderungen bzw. Nichtausführungsverfügungen ergäben.

Da wir beim Rußlandfeldzug sind noch eine Anekdote:

Als das unglückliche Bulletin die Unfälle des russischen Feldzuges veröffentlichte, und gemeldet wurde, dass die ganze Armee vernichtet sei, Mann, Ross und Bagage, wartete Talleyrand nebst anderen Würdenträgern der Kaiserin in den Tuilerien auf. Während dies geschah kam Maret, der Herzog von Bassano an und ward bei Marie Luise gemeldet. „Da sieht man die Übertreibung“, sagte Talleyrand, „da ist Maret wieder da, und es hieß doch, die ganze Bagage sei verloren.“

Ich wünsche allen einen schönen Sommer!
Grüße
excideuil

[1] Muhlstein, Anka: Der Brand von Moskau - Napoleon in Rußland, Insel, Frankfurt am Main und Leipzig, 2008, Seite 93
Vergl.
Ségur, Philippe Paul Graf von: „Napoleon und die Große Armee in Russland“, Carl Schünemann Verlag Bremen, 1965, Seite 135

 
"Unverhofft kommt oft" und so bin ich bei Baron Pasquier, zur fraglichen Zeit Polizeipräfekt von Paris fündig geworden:

"Zur selben Zeit erhielten wir eine Todesnachricht, die mir persönlich sehr nahe ging: Graf Narbonne war gestorben. Er gehörte zu der kleinen Zahl von Männern, mit denen der Kaiser nicht nur die höchsten politischen Fragen besprechen konnte, sondern die ihm auch die Wahrheit zu sagen wagten. Doch wurde gerade sein Freimut sein Unglück. Nach dem Abbruch der Prager Verhandlungen wünschte Napoleon einen gar so zu scharfsinnigen und mit seiner Politik nicht einverstandenen Zeugen aus seiner Nähe zu entfernen. Er ernannte ihn daher zum Kommandanten der Festung Torgau an der Elbe. Unter der Garnision wütete der Typhus, und bald darauf wurde auch Graf Narbonne, der sich mit der rührendsten Solgfalt die in den Lazaretten zusammengepferchten armen Soldaten pflegte, angesteckt und starb." [1]

Pasquier gilt als zuverlässiger Zeitzeuge, daher gibt es wohl keinen Grund, seinen Worten zu misstrauen, zumal die Handlungsweise des Kaisers, einen unbequemen Kopf zu entfernen oder durch einen Ja-Sager zu ersetzen keinen Einzelfall darstellt.

Grüße
excideuil

[1] Pasquier, Étienne Denis: Napoleons Glück und Ende – Erinnerungen eines Staatsmannes 1806 – 1815, Verlag von Robert Lutz, Stuttgart, 1907, Bd. I, Seite 219
 
Da habe ich doch glatt die für diesen Thread obligate Anekdote vergessen, wird natürlich nachgeliefert:

Z.Zt. des Ancien régime, der Zeit, von der Talleyrand einmal sagen sollte, dass wer diese nicht erlebt hat, nicht wisse, wie süß das Leben sein kann, begab es sich, dass Graf Narbonne in einer Frühstücksrunde mit seinen Freunden gefragt wurde, ob es denn stimme, dass die Herzogin von O. eine Nacht mit dem Grafen P. verbracht habe.
"Allerdings stimmt das", antwortete Narbonne, "ich erinnere mich sogar noch des Datums. Es war die Nacht vom 3. Mai zum 15. Juni."

Lt. dieser Quelle [1] wird die Anekdote Talleyrand zugeschrieben und in die Zeit des Wiener Kongress verlegt. Das angegebene Datum (9. Juni Unterzeichnung der Acte Final, 10. Juni Abreise Talleyrands aus Wien) zeigt wohl, dass es sich um eine Wanderanekdote handelt. Es macht daher nichts, sie Narbonne zuzuschreiben, jedenfalls tut es der Pointe keinen Abbruch.

Grüße
excideuil

[1] André Müller: Über das Unglück, geistreich zu sein. Anekdoten, Eulenspiegel Verlag Berin, 1984
 
Inzwischen habe ich eine Antwort vom Autor des in #1 aufgeführten Aufsatzes erhalten:

"Die zumindest unerwartete Sendung [...] wurde bedauert und getadelt, selbst in der Umgebung des Kaisers! Man sah hierin, ich weiß nicht welchen, undankbaren Unwillen über eine zu aufrichtige Sprache und über ehrliche, unnütz geleistete Dienste. Vielleicht ist der Vorwurf ungerecht; und in dem Gedanken des Kaisers war diese Bestimmung nur ein provisorischer Posten, den er sich bei den anderweitigen Bewegungen wieder zurückzuziehen vornahm!" [1]

Villemain äußerst sich recht vorsichtig, interessant diese Formulierung: "ehrliche, unnütz geleistete Dienste". In der Tat waren die diplomatischen Missionen Narbonnes nicht von Erfolg gekrönt - besser sie konnten es nicht sein. Schon seine Reise nach Wilna 1812, um den Zaren umzustimmen war ein Mißerfolg. Graf Ségur schrieb dazu:

" ... Narbonne, der zurückkam, sagte aus, er habe bei den Russen weder Kleinmut noch Übermut bemerkt; aus allem, was ihm der Kaiser gesagt, gehe hervor, dass er den Krieg einem schimpflichen Frieden vorziehe, dass er die Schlacht mit einem so furchtbaren Gegner vermeiden, sich aber zu jedem Opfer entschließen werde, um den Krieg in die Länge zu ziehen und den Franzosen zu verleiden." [2]

Auch die Missionen Narbonnes
in Wien 1813, nach der er Napoleon empfahl, Frieden zu schließen (siehe #2) und auch der Kongress von Prag, der im August 1813 ergebnislos zu Ende ging, dem nach der Ankunft Narbonnes in Napoleon Quartier in Dresden ein zweistündiges Gespräch folgte, brachten nur das Ergebnis, dass ein Diplomat, der den Frieden mit offenen Worten predigte, entbehrlich schien.

Napoleon reute es bereits auf Elba. Gegenüber dem brit. Offizier Neil Campbell gestand er ein, dass er den größten Fehler seiner Karriere gemachte hätte, dass er im Jahr 1813 nicht Frieden geschlossen habe, um Thron und Reich zu retten. "Er hätte nur nach Prag gehen und eine Regelung auf Treu und Glauben aushandeln müssen. Aber er hatte sich geweigert. "Ich habe einen Fehler begangen", sagte Napoleon, "aber man versetze sich doch einmal in meine Lage." Nach so vielen Siegen habe er auf seine Armee vertraut und beschlossen, noch einmal alles auf eine Karte zu setzen." [3]

Mit den Aussagen von Pasqier und Villemain ist meine Frage nun richtig rund beantwortet. Es fehlt nur noch, richtig eine Anekdote:

Bei dem Rückzug aus Russland hatte es Napoleon sehr eilig, nach Frankreich zurückzukommen. Verkleidet fuhr er mit seinem Adjutanten in einem armseligen Schlitten zum Njemen, über den er mit einer Fähre übersetzte.
Er fragte den Fährmann neugierig: "Sind schon viele Deserteure vorbeigekommen?"
Der Fährmann antwortete: "Nein, Sire, Sie sind der erste."


Grüße
excideuil

[1] Villemain, A. Fr.: Erinnerungen eines Zeitgenossen aus der neuesten Geschichte. Deutsch von Dr. Eduard Burckhardt. Leipzig 1854, Seiten 199f

[2] Ségur, Philippe Paul Graf von: „Napoleon und die Große Armee in Russland“, Carl Schünemann Verlag Bremen, 1965, Seite 9
[3]
King, David: Wien 1814. Von Kaisern, Königen und dem Kongress, der Europa neu erfand, Piper, München Zürich, 2014, Seite 211
 
Danke für die runde und interessante Darstellung, auch wenn ich persönlich nichts dazu beitragen konnte.

Warst Du schon in Torgau auf Spurensuche?
Das Museum im Schloss bietet ja recht viel, ob auch zu 1813 weiß ich nicht mehr. Mir hat es zumindest vor etwas mehr als einem Jahrzehnt sehr gut gefallen.
 
Warst Du schon in Torgau auf Spurensuche?
Das Museum im Schloss bietet ja recht viel, ob auch zu 1813 weiß ich nicht mehr. Mir hat es zumindest vor etwas mehr als einem Jahrzehnt sehr gut gefallen.
Nein, bislang nicht, aber Torgau gehört neben Sagan und Erfurt zu den noch "abzuarbeitenden" Zielen und ist für das nächste Jahr fest eingeplant.

Grüße
excideuil
 
aber Torgau gehört neben Sagan und Erfurt zu den noch "abzuarbeitenden" Zielen und ist für das nächste Jahr fest eingeplant.
bzgl. Torgau hast du - in Fußnoten - die Festung aus napoleonischer Zeit schon erwähnt: Fort Zinna ist besichtigenswert. Die Zitadelle Petersberg in Erfurt ist jünger (Erfurt wurde ja zur Bundesfestung ausgebaut)
(leider ist vom napoleonischen Lünetten-Gürtel um Dresden nichts übrig geblieben) --- du verzeihst dem Festungsfreak diese Bemerkungen :)
 
bzgl. Torgau hast du - in Fußnoten - die Festung aus napoleonischer Zeit schon erwähnt: Fort Zinna ist besichtigenswert. Die Zitadelle Petersberg in Erfurt ist jünger (Erfurt wurde ja zur Bundesfestung ausgebaut)
(leider ist vom napoleonischen Lünetten-Gürtel um Dresden nichts übrig geblieben) --- du verzeihst dem Festungsfreak diese Bemerkungen :)
Keine Sorge, hilfreiche Tipps nehme ich immer dankbar auf und seit du hier im Forum bist, sehe ich Festungen schon unter einem anderen Blickwinkel, habe sogar einmal einen Faden dazu vom Zaun gebrochen.

Da du die Fußnoten erwähnst, das angegebene Buch:
Niedersen, Uwe (Hrsg.): Sachsen, Preußen und Napoleon – Europa in der Zeit von 1806 – 1815, Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, Dresden/Torgau, 2013
aus dem die zitierten Aufsätze stammen ist durchaus wert, noch einmal "beworben" zu werden, immerhin finden sich zahlreiche Aufsätze zu den Themen des Untersuchungszeitraumes, auch für den Fan von Festungen finden sich auf weit über 100 Seiten Beiträge nicht nur zur Festung Torgau, auch zu Wittenberg, Königstein, Dömitz, Magdeburg ... und natürlich Hamburg. Erwähnt sei Dr. Martin Klöffler, der mit 2 Beiträgen zur Elblinie und Hamburg vertreten ist und dessen Kompetenz ich auf einem Symposium zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht von Leibzig erleben durfte.

Wer im Land Sachsen wohnt, der kann diesen großformatigen Band (538 Seiten) mit vielen Abb. kostenlos hier:
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Grüße
excideuil
 
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