Zunächst einmal, wenn wir von Verantwortung sprechen, so handelt es sich nicht um eine Sache, die zwischen allen Beteiligten aufgeteilt wird (also abhängig von Anzahl der Beteiligten und Intensität der Verantwortung jeder einen Anteil der 100% der Schuld erhält). Vielmehr trägt jeder durch sein Handeln eine Gesamtverantwortung. Wenn Deutschland daher 1914 den großen Krieg wollte, so tragen sie eine Gesamtverantwortung dafür, egal wie sehr andere auch den Krieg befürworteten und ihre Gesamtverantwortung hatten.
Soweit mir aus der Literatur bekannt, wollte die militärische Führung Österreich-Ungarns schon lange vor 1914 einen lokalen Krieg gegen Serbien, Conrad drängte auch auf einen begrenzten Krieg gegen Italien, dem er - wie Österreich-Ungarn gesamt - nicht traute. Vor 1914 stand dies aber nicht real zur Diskussion, da die Außenpolitik, in Österreich-Ungarn hatte sie die Hosen an, dies strikt ablehnte. 1914 war es neben der militärischen Führung auch das Außenamt, das den Krieg betrieb nach dem Motto, ein Krieg gegen Serbien, auch auf die Gefahr eines großen Krieges hin - wenn man sich der Deutschen Unterstützung sicher sein konnte.
In Deutschland sah die Lage anders aus. Deutschland glaubte durch einen Lokalkrieg Österreich-Ungarns gegen Serbien bestenfalls Minimalvorteile erringen zu können. Denn eine deutliche Schwächung Serbiens konnte die bevorstehenden Machtzuwächse Rußlands nicht ausgleichen. Die Balkankriege 1912/13 führten Europa - und hier besonders Deutschland - weniger die Machtzuwächse der Balkanstaaten vor Augen, sondern vielmehr die Rußlands. Somit herrschte in Deutschland letztlich die Stimmung: jetzt oder nie, der große Krieg um jeden Preis. Der lokale Krieg Österreich-Ungarns gegen Serbien war nur zweite Wahl.
Österreich-Ungarn trägt eine Verantwortung für den 1. Weltkrieg, weil sie ihn billigend im Kauf nahmen. Aber Deutschland wollte diesen Krieg, in der Erkenntnis, daß die Hoffnung auf einen Sieg von Jahr zu Jahr schwanden. Und da hier nicht die Diplomatie die politische Entwicklung bestimmte, sondern das Militär, überlegte man nicht, wie man den Feindesring diplomatisch sprengen konnte, sondern militärisch. Dafür gab es den Schlieffenplan. Der setzte aber voraus, daß Rußland sehr lange für seinen Aufmarsch brauchte. Die intensiven Arbeiten am russischen Eisenbahnnetz aber ließen Rußland immer flexibler werden. Daher, je länger man zuwartete, desto unwahrscheinlicher wurde das Gelingen des Schlieffenplanes und daher herrschte eben 1914 die Stimmung in Deutschland "jetzt oder nie".
Dieser Wille zum Krieg ist unteilbar, auch wenn in Österreich-Ungarn den großen Krieg billigend in Kauf nahm und hier auch Teile den gesamteuropäischen Krieg wünschten, auch wenn in allen Staaten Europas der Krieg als letzte Möglichkeit angesehen und akzeptiert wurde. Daher ist für die Frage der deutschen Kriegsschuld weniger wichtig, ob oder daß alle Staaten etwas dazu beiturgen. Entscheidend einzig ist, daß der deutsche Wille alleine ausgereicht hätte, bzw. ausreichte. Denn zu einem Konflikt gehören zwar immer mindestens zwei, zum Ausbruch eines Konfliktes reicht aber einer alleine.