H
hyokkose
Gast
Beitrag von Shi Fu An :
Ni hao!
Ich bin ein absoluter Chinafreak, bin zur Zeit mit AFS fuer ein Jahr in Shanghai, und ich kenne mich schon um einiges in chinesischer Geschichte aus.
Eine Sache die mich (und wohl auch die paar wenigen anderen Kenner chinesischer Geschichte/Kultur) unter anderem am meisten interessiert, ist das ENDE DES CHINEISCHEN KAISERREICHS !!! Ich habe mir ueber so vieles zu diesem Thema den Kopf zerbrochen, jetzt moechte mal wissen, was andere so wissen, besonders aber denken.
Was mich am meisten beschaeftigt:
- Wann endete Chinas Chance mit den Westmaechten machtpolitisch und militaerisch gleichziehen zu koennen ?
- War das Ende des alten China auch das Ende der chin. Kultur ?
- Was haette man in China wann ganz anders machen sollen ?
- Haette China irgendwie die Opiumkriege und spaeteren Rueckschlaege meistern koennen ?
- Was denkt ihr ueber die Westmaechte, war es richtig, was sie taten, auch auf die ganze Welt bezogen.
Hoffe, es gibt schoen jeder seinen Senf dazu, danke im vorraus,
Shi Fu An
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Beitrag von Heinz :
Shi Fu An,
ich hatte Dir im Forum über Xian versprochen, dass ich Deinen Forumsbeitag beantworten werde, wenn ich Zeit habe und so gut wie ich kann.
In dem Augenblick, wo es die Verbindungen zur Au?enwelt abbrach und sich auf sich selbst zurückzog.
Mit der Außenwelt im ständigen Kontakt bleiben und sich nicht als das Reich der Mittte bezeichnen.
In dem es den Weg Japans gegangen wäre und sich so schnell wie möglich auf den neuesten industriellen Stand gebracht hätte.
Die Westmächte haben sich so verhalten, wie sich imperialistische Großmächte eben verhalten. Eine Bewertung von gut und böse kann man in der Geschichte nicht vornehmen.
Heinz
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Beitrag von Heinz :
Shi Fu An,
Du wolltest, dass man Deine Fragen beantwortet. das habe ich getan. Es steht aber eine Antwort Deinerseits aus.
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Beitrag von hyokkose :
Heinz' vorschnelle "Antworten" werfen mehr Fragen auf, als sie wirklich beantworten können:
- Wann (in welchem Jahr? unter welchem Kaiser?) soll denn China "die Verbindungen zur Außenwelt" abgebrochen haben?
- "Reich der Mitte" ("Zhongguo") ist eine alte geographische Bezeichnung; wir Europäer sagen ja heute noch "Mittelmeer", obwohl wir seit vielen Jahrhunderten wissen, dass auch das Mittelmeer nicht auf der Mitte der Erdscheibe liegt.
- Bleibt noch der Vergleich mit Japan (auch wenn Japan in vielem mit China nicht vergleichbar ist):
Im China des späten 19. Jahrhundert war durchaus der Wille zur Modernisierung da. Warum hat es dort nicht geklappt? Eine einfache Antwort darauf gibt es wohl nicht. Jedenfalls kam es in Japan (1868, wenn ich nicht irre) zum Sturz der alten Ordnung: Der Shogun (der eigentliche Staatschef) wurde gestürzt, das gesamte Shogunat mitsamt den Daimyaten und dem Samurai-Stand abgeschafft. Der Tenno, der bislang nur zeremonielle Aufgaben hatte, wurde zum politischen Repräsentanten des Staates. Vielleicht funktionierte in China das alte politische System noch "zu gut", so dass die Reformen nur halbherzig auf den Weg kamen und immer wieder verhindert wurden. Als das alte Herrschaftssystem 1911 gestürzt wurde, war es zu spät.
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Beitrag von Heinz :
Unter Yung-tscheng(1723-1735) hörte der Einfluß der christlichen Missionare am Hof auf. Sie müssen sich nach Macao zurückziehen.
1793 und 1794 Versuche eine brittische und holländische Gesandtschaft am Kaiserhof zu installieren und bessere Bedingungen für den europäischen Handel zu erhalten, bleiben erfolglos.
1689 Vertrag von Nertschinsk zwischen dem chin. und dem russ. Reich, China muß auf das linke Amurufer verzichten.
1839-1842 Oppiumkrieg, im Friedensvertrag von Nanking muß China Hongkong abtreten, fünf chin. Häfen sind dem europ. Handel zu öffnen.
1857-1860 führen England und Frankreich den Lorchakrieg gegen China, 1858 Einnahme der Takuforts und 1860 Einmarch in Peking. Der Vertrag von Tietsin bestimmt Einrichtung von europ. Gesandtschaften in Peking.
Es gibt noch viele weitere Fälle, wo China zum Kontakt mit Europa gezwungen werden mußte, anstatt diesen Weg freiwillig zu gehen.
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Beitrag von hyokkose :
Kann man wirklich das Aufhören des Einflusses der Missionare als Abschottung deuten? Wann haben denn z. B. buddhistische Missionare an irgend einem europäischen Königshof irgendeinen Einfluß gehabt? Meiner Erinnerung nach hatte der schwindende Einfluß der (römisch-katholischen) Missionare eher mit innerkirchlichen Auseinandersetzungen (Stichwort "Ritenstreit") zu tun, aber ich mach mich da gern noch einmal richtig schlau. Jedenfalls ging der Trend in der christlichen Mission dahin, fremde Riten (und damit Kulturen) nicht mehr zu respektieren, sondern z. B. die chinesische Ahnenverehrung als Götzendienst zu verteufeln. Die Tendenz zur Intoleranz ging in diesem Fall klar von Europa aus.
Stichwort "Opiumkrieg": Was war der Auslöser? Die chinesischen Behörden begannen, energisch gegen die britischen Drogenbarone (und deren korrupte chinesische Helfershelfer) vorzugehen und beschlagten gewaltige Ladungen Opium. Die britische Regierung fand das nun unerhört, daß man ihre Landsleute am Drogenschmuggel großen Stils hindern wollte (wo man doch damit soo viel Geld verdienen konnte), und begann den Krieg. Eigentlich kann man über das kriminelle Verhalten der britischen Regierung nur den Kopf schütteln. Daß die chinesische Regierung zur Abtretung Hongkongs und zur Öffnung weiterer Häfen zur uneingeschränkten Nutzung für europäische Geschäfte aller Art (die chinesischen Behörden durften dort nicht gegen kriminelle Europäer vorgehen!) erst "gezwungen werden mußte, anstatt diesen Weg freiwillig zu gehen", verwundert mich hingegen nicht im geringsten. Mit den weiteren Verträgen im 19. Jahrhundert (ich glaube, sie sind unter der Bezeichnung "Ungleiche Verträge" in die Geschichte eingegangen) verhielt es sich nicht viel anders.
Ich sehe immer noch nicht den Moment oder den Zeitraum, in dem die chinesische Regierung beschlossen hätte, sich gegen die "Außenwelt" abzuschotten. Mein Eindruck ist, daß China durchaus an der Außenwelt interessiert war. Das Interesse an fanatischen Missionaren (im 18. Jahrhundert wurden in Europa noch Hexen verbrannt), Drogendealern, dubiosen Geschäftsleuten und Kanonenbooten (Piraterie unter ausländischer Staatsflagge) dürfte zugegebenermaßen begrenzt gewesen sein.
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Beitrag von Leopold_bloom :
Hallo hyokkose: "'Reich der Mitte' ("Zhongguo") ist eine alte geographische Bezeichnung;"
Richtig. Wobei "guó" eigentlich frei übersetzt nur "Land" heißt. Auf Chinesisch heißt Deutschland simpel: Dé-guó. Was aber die Vorsilbe "dé" bedeutet, hab ich leider vergessen.
Zusätzlich noch folgendes: Kann man es den Chinesen verdenken, wenn sie sich selbst als Reich der Mitte sehen? Zumal sie grob 1/6 der gesamten Weltbevölkerung stellen.
Das Weltbild mit Europa im Zentrum hinkt mindestens ebenso sehr.
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Beitrag von hyokkose :
Lieber Leopold Bloom,
Im ganz ursprünglichen Sinne ist unter "guó" sicher kein "Reich" (im Sinne von "Königreich" oder gar "Kaiserreich") verstanden worden, sondern ein Landstrich mit einer ummauerten Stadt als politisches Zentrum (so was wie die griechische polis). In unserem Zusammenhang muß "guó" ursprünglich wohl als Plural aufgefaßt werden: die "Länder der Mitte". Erst ab der Kaiserzeit ist die Übersetzung "Reich der Mitte" angemessen.
"dé" bedeutet in unserem Zusammenhang nichts anderes als "de"-(utschland). Das Schriftzeichen, mit dem "dé" geschrieben wird, hat (wenn ich mich nicht irre) allerdings die ursprüngliche Bedeutung "Tugend" bzw. "Charisma"; es steckt z. B. auch drin im Buchtitel "Daodejing" (oder "Tao-te-king"): "Klassiker des Wegs und der Tugend".
Ni hao!
Ich bin ein absoluter Chinafreak, bin zur Zeit mit AFS fuer ein Jahr in Shanghai, und ich kenne mich schon um einiges in chinesischer Geschichte aus.
Eine Sache die mich (und wohl auch die paar wenigen anderen Kenner chinesischer Geschichte/Kultur) unter anderem am meisten interessiert, ist das ENDE DES CHINEISCHEN KAISERREICHS !!! Ich habe mir ueber so vieles zu diesem Thema den Kopf zerbrochen, jetzt moechte mal wissen, was andere so wissen, besonders aber denken.
Was mich am meisten beschaeftigt:
- Wann endete Chinas Chance mit den Westmaechten machtpolitisch und militaerisch gleichziehen zu koennen ?
- War das Ende des alten China auch das Ende der chin. Kultur ?
- Was haette man in China wann ganz anders machen sollen ?
- Haette China irgendwie die Opiumkriege und spaeteren Rueckschlaege meistern koennen ?
- Was denkt ihr ueber die Westmaechte, war es richtig, was sie taten, auch auf die ganze Welt bezogen.
Hoffe, es gibt schoen jeder seinen Senf dazu, danke im vorraus,
Shi Fu An
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Beitrag von Heinz :
Shi Fu An,
ich hatte Dir im Forum über Xian versprochen, dass ich Deinen Forumsbeitag beantworten werde, wenn ich Zeit habe und so gut wie ich kann.
In dem Augenblick, wo es die Verbindungen zur Au?enwelt abbrach und sich auf sich selbst zurückzog.
Mit der Außenwelt im ständigen Kontakt bleiben und sich nicht als das Reich der Mittte bezeichnen.
In dem es den Weg Japans gegangen wäre und sich so schnell wie möglich auf den neuesten industriellen Stand gebracht hätte.
Die Westmächte haben sich so verhalten, wie sich imperialistische Großmächte eben verhalten. Eine Bewertung von gut und böse kann man in der Geschichte nicht vornehmen.
Heinz
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Beitrag von Heinz :
Shi Fu An,
Du wolltest, dass man Deine Fragen beantwortet. das habe ich getan. Es steht aber eine Antwort Deinerseits aus.
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Beitrag von hyokkose :
Heinz' vorschnelle "Antworten" werfen mehr Fragen auf, als sie wirklich beantworten können:
- Wann (in welchem Jahr? unter welchem Kaiser?) soll denn China "die Verbindungen zur Außenwelt" abgebrochen haben?
- "Reich der Mitte" ("Zhongguo") ist eine alte geographische Bezeichnung; wir Europäer sagen ja heute noch "Mittelmeer", obwohl wir seit vielen Jahrhunderten wissen, dass auch das Mittelmeer nicht auf der Mitte der Erdscheibe liegt.
- Bleibt noch der Vergleich mit Japan (auch wenn Japan in vielem mit China nicht vergleichbar ist):
Im China des späten 19. Jahrhundert war durchaus der Wille zur Modernisierung da. Warum hat es dort nicht geklappt? Eine einfache Antwort darauf gibt es wohl nicht. Jedenfalls kam es in Japan (1868, wenn ich nicht irre) zum Sturz der alten Ordnung: Der Shogun (der eigentliche Staatschef) wurde gestürzt, das gesamte Shogunat mitsamt den Daimyaten und dem Samurai-Stand abgeschafft. Der Tenno, der bislang nur zeremonielle Aufgaben hatte, wurde zum politischen Repräsentanten des Staates. Vielleicht funktionierte in China das alte politische System noch "zu gut", so dass die Reformen nur halbherzig auf den Weg kamen und immer wieder verhindert wurden. Als das alte Herrschaftssystem 1911 gestürzt wurde, war es zu spät.
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Beitrag von Heinz :
Unter Yung-tscheng(1723-1735) hörte der Einfluß der christlichen Missionare am Hof auf. Sie müssen sich nach Macao zurückziehen.
1793 und 1794 Versuche eine brittische und holländische Gesandtschaft am Kaiserhof zu installieren und bessere Bedingungen für den europäischen Handel zu erhalten, bleiben erfolglos.
1689 Vertrag von Nertschinsk zwischen dem chin. und dem russ. Reich, China muß auf das linke Amurufer verzichten.
1839-1842 Oppiumkrieg, im Friedensvertrag von Nanking muß China Hongkong abtreten, fünf chin. Häfen sind dem europ. Handel zu öffnen.
1857-1860 führen England und Frankreich den Lorchakrieg gegen China, 1858 Einnahme der Takuforts und 1860 Einmarch in Peking. Der Vertrag von Tietsin bestimmt Einrichtung von europ. Gesandtschaften in Peking.
Es gibt noch viele weitere Fälle, wo China zum Kontakt mit Europa gezwungen werden mußte, anstatt diesen Weg freiwillig zu gehen.
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Beitrag von hyokkose :
Kann man wirklich das Aufhören des Einflusses der Missionare als Abschottung deuten? Wann haben denn z. B. buddhistische Missionare an irgend einem europäischen Königshof irgendeinen Einfluß gehabt? Meiner Erinnerung nach hatte der schwindende Einfluß der (römisch-katholischen) Missionare eher mit innerkirchlichen Auseinandersetzungen (Stichwort "Ritenstreit") zu tun, aber ich mach mich da gern noch einmal richtig schlau. Jedenfalls ging der Trend in der christlichen Mission dahin, fremde Riten (und damit Kulturen) nicht mehr zu respektieren, sondern z. B. die chinesische Ahnenverehrung als Götzendienst zu verteufeln. Die Tendenz zur Intoleranz ging in diesem Fall klar von Europa aus.
Stichwort "Opiumkrieg": Was war der Auslöser? Die chinesischen Behörden begannen, energisch gegen die britischen Drogenbarone (und deren korrupte chinesische Helfershelfer) vorzugehen und beschlagten gewaltige Ladungen Opium. Die britische Regierung fand das nun unerhört, daß man ihre Landsleute am Drogenschmuggel großen Stils hindern wollte (wo man doch damit soo viel Geld verdienen konnte), und begann den Krieg. Eigentlich kann man über das kriminelle Verhalten der britischen Regierung nur den Kopf schütteln. Daß die chinesische Regierung zur Abtretung Hongkongs und zur Öffnung weiterer Häfen zur uneingeschränkten Nutzung für europäische Geschäfte aller Art (die chinesischen Behörden durften dort nicht gegen kriminelle Europäer vorgehen!) erst "gezwungen werden mußte, anstatt diesen Weg freiwillig zu gehen", verwundert mich hingegen nicht im geringsten. Mit den weiteren Verträgen im 19. Jahrhundert (ich glaube, sie sind unter der Bezeichnung "Ungleiche Verträge" in die Geschichte eingegangen) verhielt es sich nicht viel anders.
Ich sehe immer noch nicht den Moment oder den Zeitraum, in dem die chinesische Regierung beschlossen hätte, sich gegen die "Außenwelt" abzuschotten. Mein Eindruck ist, daß China durchaus an der Außenwelt interessiert war. Das Interesse an fanatischen Missionaren (im 18. Jahrhundert wurden in Europa noch Hexen verbrannt), Drogendealern, dubiosen Geschäftsleuten und Kanonenbooten (Piraterie unter ausländischer Staatsflagge) dürfte zugegebenermaßen begrenzt gewesen sein.
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Beitrag von Leopold_bloom :
Hallo hyokkose: "'Reich der Mitte' ("Zhongguo") ist eine alte geographische Bezeichnung;"
Richtig. Wobei "guó" eigentlich frei übersetzt nur "Land" heißt. Auf Chinesisch heißt Deutschland simpel: Dé-guó. Was aber die Vorsilbe "dé" bedeutet, hab ich leider vergessen.
Zusätzlich noch folgendes: Kann man es den Chinesen verdenken, wenn sie sich selbst als Reich der Mitte sehen? Zumal sie grob 1/6 der gesamten Weltbevölkerung stellen.
Das Weltbild mit Europa im Zentrum hinkt mindestens ebenso sehr.
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Beitrag von hyokkose :
Lieber Leopold Bloom,
Im ganz ursprünglichen Sinne ist unter "guó" sicher kein "Reich" (im Sinne von "Königreich" oder gar "Kaiserreich") verstanden worden, sondern ein Landstrich mit einer ummauerten Stadt als politisches Zentrum (so was wie die griechische polis). In unserem Zusammenhang muß "guó" ursprünglich wohl als Plural aufgefaßt werden: die "Länder der Mitte". Erst ab der Kaiserzeit ist die Übersetzung "Reich der Mitte" angemessen.
"dé" bedeutet in unserem Zusammenhang nichts anderes als "de"-(utschland). Das Schriftzeichen, mit dem "dé" geschrieben wird, hat (wenn ich mich nicht irre) allerdings die ursprüngliche Bedeutung "Tugend" bzw. "Charisma"; es steckt z. B. auch drin im Buchtitel "Daodejing" (oder "Tao-te-king"): "Klassiker des Wegs und der Tugend".
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