Das europäische Christentum im Hochmittelalter

timotheus schrieb:
Weil die einfachen Menschen damals glaubten, die Juden wären hauptsächlich an der Kreuzigung Jesu Schuld gewesen und daß die Juden zudem den Arabern bei der Eroberung Jerusalems 637 behilflich waren (Stichwort: vulgärchristliches Gedankengut als Teil der Volksfrömmigkeit).

Die Schuld an den unzähligen Judenmassakern siehst Du vor allem im "Volkszorn"? Es war also weitestgehend ungesteuert und eigentlich nicht sanktioniert?

timotheus schrieb:
Übrigens könnte ich die Sichtweise auch umdrehen und Dich fragen, warum Saladin nach seinem Sieg bei Hattin 1187 die überlebenden - und v.a. bereits überwundenen, gefangengenommenen und entwaffneten - Templer und Johanniter einfach so häuten ließ.
Aber das wäre unwissenschaftlich, und ein gegenseitiges Aufzählen und Aufrechnen bringt keine Diskussion wirklich weiter... :nono:

Der Islam bedeutet mir nichts. Den können wir gerne in einem weiteren Strang "auseinandernehmen". Bleiben wir doch erstmal beim Christentum und seinen Protagonisten.
 
Pope schrieb:
1. Meine Frage lautet, ob das vom Papst in Rom gepredigte Christentum um die Zeit des ersten Kreuzzuges Züge einer totalitären und autokratischen Ideologie trägt, die alles davor gewesene in den Schatten stellt.
totalitär, weil alle Lebensbereiche umfassend/umfassen wollend.
autokratisch, weil die Lehre zentral und von oben herab diktiert wurde, und selten Widerspruch und erst recht keine Alternativen tolerierte.

War die katholische Kirche totalitär? M.E. nein, mindestens wegen fehlender technisch-kommunikativer Voraussetzungen. (Aber man kann sich schon fragen, ob das Christentum den Totalitarismen- wenn man den Begriff denn verwenden will- nicht entscheidende Bausteine geliefert hat.)

War sie autoritär? Ich denke schon, da die autorität des papstes sich über petrus und jesus diekt von gott ableitet- das ist sogar noch etwas mehr als "von gottes gnaden".

Vor allem aber die die katholische kirche ein machtapparat, der seit ca. 1700 kontinuierlich bestand hat. keine andere religion hat das geschafft. da die katholische kirche als juristische person fortexistiert, kann man sie also durchaus auch für handlungen vor etlichen jahrhunderten verantwortlich machen. (schließlich legitimiert sie sich mit ereignissen, die- nach ihrer darstellung- sogar an die 2000 jahre zurückliegen).

Pope schrieb:
2. Inwiefern lässt sich eine Doppelmoral des Heiligen Stuhls und seiner Vertreter ausmachen, was belegen würde, dass sie opportunistisch und den göttlichen Prinzipien nach untreu handelten.

Doppelmoral kann ich nicht erkennen. Die Politik der Päpste diente im Wesentlichen den Interessen des Christentums wie sie es verstanden. Daran haben auch individuelle Schwächen der Amtsinhaber nichts geändert. Auch Opportunismus stand ganz im Dienste der Ideologie.
Die Annahme "wahrer" göttlicher Prinzipien würde voraussetzen, dass Gott existiert- was zumindest nicht unumstritten ist.

Mechanische Anwendung heutiger Maßstäbe auf die Vergangenheit sollte man vermeiden, Geschichtsrelativismus aber genauso. Mit welcher Begründung auch immer, gerne sind die Oper von Kreuzzügen, Inquisition und Judenmassaker sicher nicht gestorben.
(natürlich kann man sagen, das war eben "zeitgeist". genauso wie ein stalinist sagen könnte, dass die "säuberungen" den vorstellungen der 1930er entsprachen, die wir heute gar nicht mehr verstehen können ... so lässt sich eigentlich alles rechtfertigen)
 
Zuletzt bearbeitet:
Da würde mich doch interessieren, wer das warum so definiert hat. Geht es darum, altbewährte Diktaturen von verabscheuenswerten Neubildungen zu trennen? Auch die alten waren ja mal jung. Das will mir nicht recht einleuchten.
 
Wenn man als Kirchenkritiker damit anfängt, der Kirche vorzuwerfen, sie habe nicht christlich gehandelt, stellt man sich selbst ein Bein. Dadurch trennt man ein "ideales" (wie es sein soll) vom "realen" (wie es war) Christentum.

Das ist dann auch die Argumentation vieler Theologen: das Christentum war gut, die Fehler wurden nur von einzelnen gemacht und waren zeitbedingt. So wird jede Kritik unmöglich. (m.E. ein Grundfehler bei Deschner).

De facto waren Autodafé und Judenmassaker genauso christlich wie Befreiungstheologie oder die Caritas. Was immer als christliche Praxis getan wurde, gehörte zwangsläufig zum Christentum. Eindeutigkeit und nur gut oder böse ist nicht zu haben, die Realität ist nunmal widerprüchlich und ambivalent.

(Meine Kirchenkritik baut eher darauf auf, dass dass die Meinung, im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein, zur Abwertung aller anderen religionen und weltsichten führen muss. Fundamentalismus ist da eine allzeit mögliche Ausprägung. In der Realität des Christentums hat es immer Phasen des Mäßigung und des Fanatismus gegeben.)
 
timotheus schrieb:
Wie ich schon schrieb, trifft dies auf beide - christliche wie islamische Welt - jener Zeit zu.

Obwohl der Vergleich hier doch wieder zu vereinfacht ist. Oder wie wurden die unterworfenen Völker behandelt? Einmal von Christen und einmal von Muslimen?

Pope schrieb:
Der Islam bedeutet mir nichts. Den können wir gerne in einem weiteren Strang "auseinandernehmen". Bleiben wir doch erstmal beim Christentum und seinen Protagonisten.

Mir bedeutet der Islam sehr viel. Únd beim "Auseinandernehmen", wäre ich gern dabei. Vielleicht kann ich das eine oder andere erläutern.
 
Saint-Just schrieb:
Mechanische Anwendung heutiger Maßstäbe auf die Vergangenheit sollte man vermeiden, Geschichtsrelativismus aber genauso. Mit welcher Begründung auch immer, gerne sind die Oper von Kreuzzügen, Inquisition und Judenmassaker sicher nicht gestorben.
(natürlich kann man sagen, das war eben "zeitgeist". genauso wie ein stalinist sagen könnte, dass die "säuberungen" den vorstellungen der 1930er entsprachen, die wir heute gar nicht mehr verstehen können ... so lässt sich eigentlich alles rechtfertigen)

Obwohl ich Dir ansonsten grundsätzlich zustimme, möchte ich bitten, zwischen Kreuzzügen, Inquisition und neuzeitlichen Fallbeispielen etwas zu trennen.
Immerhin liegt während der Neuzeit nämlich schon ein anderer "Zeitgeist" vor - es gab den Humanismus, und ab dem 18. Jh. auch die Ideale der Aufklärung und der Französischen Revolution etc., welche das Denken in der Welt nachhaltig prägten.
Das Transferieren all dieser Ereignisse auf eine Ebene wäre daher mE unhistorisch...

Anm.: Bezüglich der Verfolgung und der Massaker an den Juden gilt es zudem, zwischen dem traditionellen (religiös motivierten) Antisemitismus und dem Antisemitismus des 19./20. Jh. (rassistisch motiviert) zu differenzieren...

Seldschuk schrieb:
Obwohl der Vergleich hier doch wieder zu vereinfacht ist. Oder wie wurden die unterworfenen Völker behandelt? Einmal von Christen und einmal von Muslimen?

Lies bitte noch einmal genau: es ging in diesem Beitrag von mir allgemein - und ganz wertfrei - um die Ausdehnung der Machtbereiche. Nicht mehr und nicht weniger.

Im Übrigen verhielten sich die christlichen Machthaber in ihren Staaten (Edessa, Antiochia, Tripolis, Jerusalem) nach der Eroberung bezüglich der Religion ihrer Untertanen ebenfalls tolerant. Die Muslime in jenen Staaten wurden nicht zum Übertritt zum Christentum gezwungen, und die Abgaben entsprechend dem Feudalsystem betraf alle Untertanen - unabhängig von ihrer Religion.
WICHTIGE ANMERKUNG DAZU!!! Dieser Satz bezieht sich explizit auf den Zustand nach den Eroberungen - mir ist schon klar, daß die Kreuzfahrer bspw. während der Eroberungen des 1. Kreuzzuges blutige Gemetzel an den Tag legten (wiewohl sie auch da keinen Unterschied nach Religionszugehörigkeit machten)!!!
 
timotheus schrieb:
Lies bitte noch einmal genau: es ging in diesem Beitrag von mir allgemein - und ganz wertfrei - um die Ausdehnung der Machtbereiche. Nicht mehr und nicht weniger.

Nichts gegen deinen Einwand. Ich habe das, denke ich schon richtig verstanden, aber manches verhält sich nun einmal nicht so, wie Du es darstellst. Meines Erachtens. Du schreibst:
timitheus schrieb:
Meines Erachtens ist der angesprochene "Eifer" mit dem missionarischen Charakter dieser beiden Religionen verbunden - oder genauer einer Überbetonung dessen.
Einen solchen Charakter hat das Judentum bspw. nie gehabt, da es an ein bestimmtes Volk gebunden ist - im Gegensatz dazu sind Christentum und Islam in ihrer Verbreitung multiethnisch...

Der Islam hat keinen missionarischen Charakter!!! Richtig ist, das der Islam natürlich für jeden offen steht, aber niemand ist missioniert worden. Ich weise noch einmal darauf hin, dass die Araber nach den ersten Eroberungen in Persien und Nordafrika sich schwer taten, mit der Gleichberechtigung der neu-hinzu-gekommenen Muslimen.

timotheus schrieb:
Im Übrigen verhielten sich die christlichen Machthaber in ihren Staaten (Edessa, Antiochia, Tripolis, Jerusalem) nach der Eroberung bezüglich der Religion ihrer Untertanen ebenfalls tolerant. Die Muslime in jenen Staaten wurden nicht zum Übertritt zum Christentum gezwungen, und die Abgaben entsprechend dem Feudalsystem betraf alle Untertanen - unabhängig von ihrer Religion.

Da hast Du recht!:yes:
 
Seldschuk schrieb:
Der Islam hat keinen missionarischen Charakter!!! Richtig ist, das der Islam natürlich für jeden offen steht, aber niemand ist missioniert worden. Ich weise noch einmal darauf hin, dass die Araber nach den ersten Eroberungen in Persien und Nordafrika sich schwer taten, mit der Gleichberechtigung der neu-hinzu-gekommenen Muslimen.

Stimmt; das war sehr nachlässig von mir - mir ging es im Grunde um das Multiethnische (eben in Abgrenzung zum Judentum).
Und Persien wäre z.B. wirklich ein eigenes Thema, weil dort dann auch die Schia eine bedeutende Rolle spielt.

Seldschuk schrieb:
Da hast Du recht!:yes:

Ich weiß, daß dieser Satz von mir eigenartig anmutet, aber die europäische Feudalgesellschaft funktionierte nun einmal so und kam im Heiligen Land auch zur Anwendung.
 
timotheus schrieb:
Ich weiß, daß dieser Satz von mir eigenartig anmutet, aber die europäische Feudalgesellschaft funktionierte nun einmal so und kam im Heiligen Land auch zur Anwendung.

Ich wollte deine Aussage nicht ins Lächerliche ziehen. Du hast schon recht, dass sich die Kreuzfahrer mit den Muslimen arrangierten. Letztlich blieb Ihnen ja auch nichts anderes übrig, denn wovon sollten die Feudalherren dann leben?
 
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