Eumolp
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Ich hoffe, ich begehe keine Copyright-Verletzung, wenn ich diesen Artikel aus SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · JANUAR 2007 poste. (Habe zum Thema Copyright nichts gefunden)
Das Papier der Antike, Teil 1
Mit viel Mühe und Geduld entziffern Experten unscheinbare Papyrusfetzen und lesen aus ihnen die Vergangenheit.
Ein antiker Text, fast zerfallenen Papyrusblättern mühsam abgerungen, wird neuerdings von den Medien gern als Sensation bejubelt. Dadurch rückt eine bislang weniger beachtete Disziplin der Altertumswissenschaften ins Licht der Öffentlichkeit: die Papyrologie. Ihr Forschungsfeld beschränkt sich auf jene beschrifteten Papyrusblätter (Papyri), die sich als Originale von der Antike bis heute erhalten haben. Keine Spur von goldglänzenden Artefakten. Und doch proklamierten Journalisten in diesem Jahr eine Erschütterung der Grundfesten des christlichen Glaubens, als das »Judas-Evangelium« publiziert wurde. Schon seit den 1970er Jahren befand sich diese Schrift als Teil eines um das Jahr 300 entstandenen Papyrusbuchs in den Händen von Antikenhändlern, doch die hielten es zurück. In der Hoffnung auf das große Geschäft ließen sie den Fund fast verrotten, bis endlich Wissenschaftlern erlaubt wurde, es zu restaurieren und zu edieren (siehe Bild S. 34). Die Kirche selbst lässt dieser Text zwar ungerührt, aber Kirchengeschichtler äußern Freude. Denn es handelt sich um ein Zeitdokument zum Richtungsstreit im frühen Christentum des 2. Jahrhunderts n. Chr. (der jetzt veröffentlichte Text ist die etwa zweihundert Jahre später entstandene Übersetzung einer griechischen Vorlage ins Koptische, das heißt ins christliche Ägyptisch).
Papyrologie – wozu?
Auch der nicht minder in der Presse besungene, 1994 entdeckte Artemidor-Papyrus interessiert vor allem Historiker: Während seine Rückseite Tierzeichnungen aus der Zeit um Christi Geburt zieren, trägt die Vorderseite zum einen eine Passage der im 1. Jahrhundert v. Chr. abgefassten »Erdbeschreibung« eines Artemidoros von Ephesos – mit der wohl ältesten erhaltenen antiken Landkarte überhaupt –, zum anderen um 100 n. Chr. ausgeführte Zeichenübungen von Bildhauerschülern. Die dreifache Nutzung des Blatts vermittelt neue Einsichten in Bereiche unterschiedlicher Zeitstufen; weltbewegend allerdings ist keine davon.
Die Frage ist also: Sind diese antiken Blätter die Aufregung wert? Was können Papyri wirklich leisten? Sicher haben sie wie Antiquitäten immer den Reiz des Authentischen. Doch wie ist es um ihre Aussagekraft bestellt? Wir kennen ja die griechisch-römische Antike, Grundlage unserer heutigen Kultur, bereits recht genau. Das verdanken wir unzähligen Kopisten. Sie haben im Lauf der Jahrhunderte umfangreiche Texte aus der antiken Dichtung, Wissenschaft, Philosophie, Geschichtsschreibung und anderen Bereichen auf immer wieder neuen Papyrus- und seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. auch Pergamentblättern in voller Länge abgeschrieben und so bis in die Neuzeit tradiert. Papyri hingegen sind in der Regel einzelne Blätter, vergleichbar mit herausgerissenen Buchseiten; nur sehr selten haben sich ganze Lagen davon erhalten, wie im Fall des »Judas-Evangeliums«, oder Teile von Rollen, sodass vollständige Werke oder doch wenigstens zusammenhängende Partien vor unseren Augen liegen. Zudem sprechen Papyri selten von Literatur, Religion oder anderen gewichtigen Dingen, etwa 95 Prozent handeln vielmehr vom Alltag. Was also ist von ihnen zu erwarten? Um es vorwegzunehmen: sehr viel, man muss nur die richtigen Fragen stellen.
Das griechische Wort pápyros – ins Lateinische übernommen und von dort als Papier (deutsch) oder paper (englisch) in die modernen Sprachen eingewandert – bezeichnete zugleich eine Pflanze und das aus ihr hergestellte Produkt. Dieses war bis zum Aufkommen des aus Tierhäuten gefertigten Pergaments im 2. Jahrhundert n. Chr. der allgegenwärtige Beschreibstoff in Verwaltung, Recht, Wirtschaft und Kultur der ganzen griechisch-römischen Welt. Auch danach blieb es bis zur Einführung des aus Lumpen hergestellten Hadernpapiers (siehe Bild S. 33) neben dem Pergament in Gebrauch. Von Ägypten aus hatte sich der Papyrus um 800 v. Chr. international verbreitet, als er zusammen mit der phönizischen Konsonantenschrift zu den Griechen gelangte. Diese schufen durch Einführung von Vokalzeichen eine komplette Lautschrift – das Alphabet, das wir in seiner latinisierten Form nach wie vor benutzen. Mit nur 22 bis 26 Zeichen war es unvergleichlich viel leichter zu erlernen als etwa die vorderorientalische Keilschrift mit ihren rund 600 Zeichen oder die noch wesentlich kompliziertere ägyptische Hieroglyphenschrift. Erforderte das Lesen und Schreiben im Vorderen Orient und in Ägypten eine jahrelange Schulung, so wurde es jetzt in Griechenland schnell zum allgemeinen Bildungsgut. Eine gebräuchliche Umschreibung für einen Dummkopf lautete nun im Griechischen: »kann weder schwimmen noch lesen und schreiben«.
Das Papier der Antike, Teil 1
Mit viel Mühe und Geduld entziffern Experten unscheinbare Papyrusfetzen und lesen aus ihnen die Vergangenheit.
Ein antiker Text, fast zerfallenen Papyrusblättern mühsam abgerungen, wird neuerdings von den Medien gern als Sensation bejubelt. Dadurch rückt eine bislang weniger beachtete Disziplin der Altertumswissenschaften ins Licht der Öffentlichkeit: die Papyrologie. Ihr Forschungsfeld beschränkt sich auf jene beschrifteten Papyrusblätter (Papyri), die sich als Originale von der Antike bis heute erhalten haben. Keine Spur von goldglänzenden Artefakten. Und doch proklamierten Journalisten in diesem Jahr eine Erschütterung der Grundfesten des christlichen Glaubens, als das »Judas-Evangelium« publiziert wurde. Schon seit den 1970er Jahren befand sich diese Schrift als Teil eines um das Jahr 300 entstandenen Papyrusbuchs in den Händen von Antikenhändlern, doch die hielten es zurück. In der Hoffnung auf das große Geschäft ließen sie den Fund fast verrotten, bis endlich Wissenschaftlern erlaubt wurde, es zu restaurieren und zu edieren (siehe Bild S. 34). Die Kirche selbst lässt dieser Text zwar ungerührt, aber Kirchengeschichtler äußern Freude. Denn es handelt sich um ein Zeitdokument zum Richtungsstreit im frühen Christentum des 2. Jahrhunderts n. Chr. (der jetzt veröffentlichte Text ist die etwa zweihundert Jahre später entstandene Übersetzung einer griechischen Vorlage ins Koptische, das heißt ins christliche Ägyptisch).
Papyrologie – wozu?
Auch der nicht minder in der Presse besungene, 1994 entdeckte Artemidor-Papyrus interessiert vor allem Historiker: Während seine Rückseite Tierzeichnungen aus der Zeit um Christi Geburt zieren, trägt die Vorderseite zum einen eine Passage der im 1. Jahrhundert v. Chr. abgefassten »Erdbeschreibung« eines Artemidoros von Ephesos – mit der wohl ältesten erhaltenen antiken Landkarte überhaupt –, zum anderen um 100 n. Chr. ausgeführte Zeichenübungen von Bildhauerschülern. Die dreifache Nutzung des Blatts vermittelt neue Einsichten in Bereiche unterschiedlicher Zeitstufen; weltbewegend allerdings ist keine davon.
Die Frage ist also: Sind diese antiken Blätter die Aufregung wert? Was können Papyri wirklich leisten? Sicher haben sie wie Antiquitäten immer den Reiz des Authentischen. Doch wie ist es um ihre Aussagekraft bestellt? Wir kennen ja die griechisch-römische Antike, Grundlage unserer heutigen Kultur, bereits recht genau. Das verdanken wir unzähligen Kopisten. Sie haben im Lauf der Jahrhunderte umfangreiche Texte aus der antiken Dichtung, Wissenschaft, Philosophie, Geschichtsschreibung und anderen Bereichen auf immer wieder neuen Papyrus- und seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. auch Pergamentblättern in voller Länge abgeschrieben und so bis in die Neuzeit tradiert. Papyri hingegen sind in der Regel einzelne Blätter, vergleichbar mit herausgerissenen Buchseiten; nur sehr selten haben sich ganze Lagen davon erhalten, wie im Fall des »Judas-Evangeliums«, oder Teile von Rollen, sodass vollständige Werke oder doch wenigstens zusammenhängende Partien vor unseren Augen liegen. Zudem sprechen Papyri selten von Literatur, Religion oder anderen gewichtigen Dingen, etwa 95 Prozent handeln vielmehr vom Alltag. Was also ist von ihnen zu erwarten? Um es vorwegzunehmen: sehr viel, man muss nur die richtigen Fragen stellen.
Das griechische Wort pápyros – ins Lateinische übernommen und von dort als Papier (deutsch) oder paper (englisch) in die modernen Sprachen eingewandert – bezeichnete zugleich eine Pflanze und das aus ihr hergestellte Produkt. Dieses war bis zum Aufkommen des aus Tierhäuten gefertigten Pergaments im 2. Jahrhundert n. Chr. der allgegenwärtige Beschreibstoff in Verwaltung, Recht, Wirtschaft und Kultur der ganzen griechisch-römischen Welt. Auch danach blieb es bis zur Einführung des aus Lumpen hergestellten Hadernpapiers (siehe Bild S. 33) neben dem Pergament in Gebrauch. Von Ägypten aus hatte sich der Papyrus um 800 v. Chr. international verbreitet, als er zusammen mit der phönizischen Konsonantenschrift zu den Griechen gelangte. Diese schufen durch Einführung von Vokalzeichen eine komplette Lautschrift – das Alphabet, das wir in seiner latinisierten Form nach wie vor benutzen. Mit nur 22 bis 26 Zeichen war es unvergleichlich viel leichter zu erlernen als etwa die vorderorientalische Keilschrift mit ihren rund 600 Zeichen oder die noch wesentlich kompliziertere ägyptische Hieroglyphenschrift. Erforderte das Lesen und Schreiben im Vorderen Orient und in Ägypten eine jahrelange Schulung, so wurde es jetzt in Griechenland schnell zum allgemeinen Bildungsgut. Eine gebräuchliche Umschreibung für einen Dummkopf lautete nun im Griechischen: »kann weder schwimmen noch lesen und schreiben«.