Fortsetzung
Der russische Botschafter in London an den russischen Außenminister
Brief 11. Juni 1914
Abschrift Paris
Ich habe gestern Grey benachrichtigt, dass Kapitän Wolkow aus Petersburg zurückgekehrt sei und die Ermächtigung erhalten habe, die Verhandlungen mit der Admiralität aufzunehmen. Grey antwortete, dass er den ersten Lord der Admiralität hiervon sofort in Kenntnis setzen werde. Bei dieser Gelegenheit bemerkte Grey, dass bedauerlicherweise gewisse Indiskretionen in dieser Angelegenheit gemacht worden wären und dass sich zuerst deutsche und dann auch andere Zeitungen mit der Frage befasst hätten. Er bedauerte dies um so mehr, als er ein an ihn im Unterhause gestellte diesbezügliche Frage zu beantworten haben werde.
Ich antwortete ihm, dass ich meinerseits diese Indiskretionen außerordentlich bedauerte, die sich leider nur allzu häufig wiederholten; ich sei überzeugt, dass Eure Exzellenz diesen Standpunkt teilten, und ich teilte ihm mit, dass die „Nowoje Wremja“ eine Widerlegung veröffentlicht habe. Grey wusste dies nicht und war hiermit sehr zufrieden. Er bat mich ihm den Text zukommen zu lassen. Er teile mir hierauf in allgemeinen umrissen die Antwort mit, die er im Parlament zu geben gedenke und die unsere Verhandlungen ebenso wie die mit Frankreich stattgefundenen decken würde. Ich antwortete ihm, dass es mir zweckmässig erscheine, die Sache von diesem Standpunkte aus anzufassen.
Der russische Außenminister an den russischen Botschafter in London
Sehr vertraulicher Brief 15. Juni 1914
Abschrift Paris
Unmittelbar vor der Abreise unserer Kuriers beeile ich mich, Ihnen mitzuteilen, dass ich gestern wieder eine lange Unterredung mit dem englischen Botschafter gehabt habe, den ich auf die ernste Gefahr einer Erkaltung unserer Beziehungen zu England wegen der persischen Frage Hinweis. Ich setzte hierbei voraus, dass die in letzter Zeit in England bemerkbare Beunruhigung und Erregung wahrscheinlich darauf zurückzuführen sei, dass in diesem Lande wieder Befürchtungen hinsichtlich der Stellung Englands in Indien laut würden. Sie George Buchanan gab zu, dass meine Annahme zum großen Teile zutreffe. Infolgedessen habe ich ihm nochmals alle Argumente wiederholt, die beweisen wie unbegründet derartige Befürchtungen seien, und ich habe sogar angedeutet, dass wir, wenn dies erwünscht sein sollte, der englischen Regierung und der öffentlichen Meinung diesbezügliche beruhigende Erklärungen in der allerbestimmtesten Form abgeben könnten.
Ich habe mich einstweilen mit diesen Andeutungen begnügt, doch erscheint es mir durchaus möglich, später im Zusammenhang mit unseren weiteren Verhandlungen England vorzuschlagen, ihm eine ebenso wirksame Garantie seiner indischen Besitzungen zu geben, wie dies im Jahre 1902 von seiten Japans erfolgt ist.
Im jetzigen Zeitpunkt scheint es mir notwendig, die in Aussicht genommene Marinekonvention so schnell wie möglich abzuschließen. Es ist wichtig, den Abschluss dieser Vereinbarung nicht hinauszuschieben, und Seine Majestät hat geruht, sich gestern dem englischen Botschafter gegenüber in meinem Beisein in diesem sinne auszusprechen. Zum Schlusse will ich erwähnen, dass Sir George Buchanan gestern vom Kaiser in spezieller Audienz empfangen worden ist, um einen eigenhändigen Brief König Georgs zu übergeben. Dieser Brief ist in sehr freundschaftlichen Ausdrücken abgefasst und drückt die Hoffnung seiner Majestät aus, dass die Beziehungen Russlands und Englands wegen der persischen Fragen keine Trübung erleiden werden.
Der russische Botschafter in London an den russischen Außenminister
Telegramm 25. Juni 1914
Abschrift Paris
Grey sagte mir heute, er sei durch die in der deutschen Presse zirkulierenden falschen Gerüchte über den Inhalt der angeblichen Marinekonvention zwischen England und Russland in Verbindung mit der Meerengenfrage sehr beunruhigt; er habe es für nötig gehalten hierüber vertraulich mit Lichnowsky zu sprechen, der sich nach Kiel begebe, wo er den Kaiser sehen werde. Grey hat dem Botschafter versichert, dass seit fünf Jahren die Frage der Meerengen zwischen England und Russland nicht erörtert worden sei; er hat versichert, dass zwischen England und Russland andererseits weder ein Bündnis noch eine Konvention bestehe. Er hat ihm jedoch gesagt, er wolle ihm keineswegs verheimlichen, dass die Intimität zwischen den drei Regierungen in diesen letzten Jahren so groß geworden sei, dass sie sich bei allen Gelegenheiten über alle Fragen verständigt hätten, ganz als ob sie Verbündete wären. Andererseits bestätigte er, dass im Laufe dieser Jahre solche Verhandlungen niemals einen gegen Deutschland gerichteten Charakter angenommen, noch sich auf die sogenannte Einkreisungspolitik bezogen hätten.
Anlage zum o.g. Schreiben
An dieser Stelle ist die Beantwortung der Anfragen King und Byles durch Sir Edward Grey im englischen Unterhause im Juni 1914 zu erwähnen:
Mr. King fragt, ob in letzter Zeit irgendein Marineabkommen zwischen Russland und England abgeschlossen worden ist, oder ob irgendwelche Verhandlungen, die sich auf ein Marineabkommen beziehen, in letzter Zeit stattgefunden haben oder augenblicklich zwischen England und Russland stattfinden.
Sir William Byles fragt den Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, ob er irgendeine Mitteilung bezüglich eines angeblichen Marineabkommens zwischen England und Russland machen kann; wie weit ein derartiges Abkommen unsere Beziehungen zu Deutschland beeinflussen würde; und ob er dem Hause Dokumente vorlegen will.
Sir Edward Grey: Der Vertreter von North Sommerset hat im letzten Jahre eine ähnliche Anfrage, die sich auf militärische Kräfte bezog, gestellt, und der Vertreter von North Salford hat an dem selben Tage eine ähnliche Frage wie heute gestellt. Der Premierminister hat damals geantwortet, dass, wenn ein Krieg zwischen europäischen Staaten ausbrechen sollte, es keine unveröffentlichten Verträge gibt, welche die Freiheit der Regierung oder des Parlaments beeinträchtigen oder einschränken könnten, zu beschließen, ob England an einem Kriege teilnehmen solle oder nicht. Diese Antwort deckt beide auf der Tagesordnung stehenden Fragen. Sie bleibt heute ebenso richtig, wie sie es vor einem Jahr war. Keine Verhandlungen mit irgend einer Macht sind seither zu einem Abschlusse gebracht worden, welcher die Erklärung weniger richtig machen würden. Keine derartigen Verhandlungen finden augenblicklich statt, und soweit ich urteilen kann, ist es nicht wahrscheinlich, dass man in solche Verhandlungen eintreten wird. Sollte jedoch ein abkommen getroffen werden, welches es nötig machen sollte, die letztjährige Erklärung des Premierministers zurückzuziehen, so müsste meiner Ansicht nach ein derartiges Abkommen dem Parlamente mitgeteilt werden, und ich nehme an, dass die in der Tat der Fall sein würde.