In der mittelalterlichen Gesetzgebung (so unterschiedlich sie auch war) kam es, vom Frühmittelalter an bis ins 16. Jahrhundert (inklusive der "Carolina" von Karl V im Jahr 1532) auf die Lösung von Konflikten und nicht wie heute auf Strafgerechtigkeit an. Ziel der Rechtssprechung war nicht eine Sanktion, mit der eine Tat bestraft wurde, sondern die Sühne resp. der Ausgleich, d.h. die Wiedergutmachung der Tat und dadurch die Lösung des Konflikts.
Das ist ein interessanter Punkt, denn dieses Denken steht in einer Traditionslinie, die bis in älteste Zeit zurückreicht. In vor-staatlichen "Kleingesellschaften" ohne institutionalisierte Rechtspfege (mangels Instutionslisierung allgemein) ist dies letztendlich die einzige Form, mehr oder minder ritualisiert Konflikte zu regeln, ohne das diese völlig eskalieren; wenn es denn klappt...
Mir kommt dabei das Fehderecht in denn Sinn, auch eine Einrichtung des Mittelalters. Dieses ist (nach heutigem Verständnis) nichts anderes als etwas in Bahnen gelenkte Selbstjustiz. Es endete im HRR endgültig mit der Einführung (bzw Durchsetzung) des allgemeinen Landfriedens. Hiermit beanspruchten Staat bzw Obrigkeit (in welcher Form auch immer) erstmals, die einzige Kraft zu sein, die Gesetze durchsetzt.
Daher würde ich das hier...
Eine Veränderung in Richtung Strafgerechtigkeit in der mittelalterlichen Rechtssprechung, welche sich aber erst gegen Ende des 16. Jahrhundert durchzusetzen begann, ist nach meinem Dafürhalten auf den Einfluss des kanonischen Rechts resp. auf den zunehmenden Einfluss der kirchlichen Justiz, ausgehend vom Prinzip eines "strafenden Gottes", zurückzuführen. In den Häresie- und Hexenprozesse wurde das Prinzip des "strafenden Gottes" schliesslich zur "göttlichen Strafe" umfunktioniert. Die Folge davon war, dass sich in nachmittelalterlicher Zeit die Gewichtung in der weltlichen Rechtssprechung von Konfliktlösung zur persönlichen Bestrafung verschob.
... ergänzen wollen. Der sich entwickelnde Staat* musste schon aus Eigeninteresse zu einer Form der Rechtspflege finden, die Selbstjustiz und Fehde unterbanden, sollte so etwas wie ein allgemeiner Landfrieden durchgesetzt werden. Es bestand ein Interesse des Staates bzw der Obrigkeit an einer Sanktionierung von Gesetzesbrüchen, die den Wunsch nach einem reinen Interessenausgleich der Beteiligten, im Zweifelsfall unter Ausschlusses des Staates, überwog.
Die Gründe, warum das angestrebt wurde, würde ich also nicht nur im krichlichen Bereich suchen.
* Im HRR vornehmlich in Form der jeweiligen Territorialstaaten, da das Reich als solche völlig außer stande war, die entsprechenden Institutionen aufzubauen.
P.S.: Ähnliche Tendenzen lassen sich, nebenbei bemerkt, auch bei Gruppen beobachten, die heutzutage gerne abseits staatlichen Eingreifens agieren wollen. Wenn zwei Gruppen der organisierten Kriminalität aneinder geraten, kann das eskalieren, was ja geschieht, mit allen negativen Folgen wie Personenschäden, "Geschäftsschäden", staatlichem Eingreifen; oder sie finden zu irgend einer Form des Interessenausgleichs, was vermutlich sehr viel häufiger geschieht, auch wenn man es als Unbetiligter dann nicht mitbekommt.