Dauerhaftes Bündnis Sowjetunion/Deutsches Reich?

Tutti

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Hallo,

Für Hitler war der Pakt mit Stalin 1939 nur ein kurzfristiges Zweckbündnis, um im Osten den Rücken für den Krieg gegen Polen frei zu haben. Er hatte aber wohl von Anfang an die Absicht, dieses Bündnis bei der erstbesten Gelegenheit zu brechen, um seinen Wahn vom Lebensraum im Osten zu verwirklichen.

Wäre aber ein dauerhaftes Bündnis zwischen der Sowjetunion und dem 3. Reich realistisch möglich gewesen? Wäre die Sowjetunion an soetwas interessiert gewesen?

Hätten beide Länder sich realistisch einigen und sich z.B. Osteuropa einvernehmlich aufteilen können? Oder hätten sie sich gegenseitig unterstützen können, z.B. bei einer Invasion Grossbritanniens oder ein russisches Vorgehen gegen Japan?

Oder war es von beiden Seiten einfach unumgänglich, dass man irgendwann Krieg gegeneinander führen würde? War es nur eine Frage der Zeit und eine Frage, wer den ersten Angriff setzt?

Wenn Hitler die Sowjetunion 1941 nicht angegriffen hätte, müsste man dann annehmen, dass Stalin dann in zwei, drei, vier Jahren wahrscheinlich seinerseits angegriffen hätte, sobald er eben einen günstigen Zeitpunkt ausgemacht hätte?

Ich meine mal gelesen zu haben, dass es in der NSDAP auch eine Strömung gab, die aussenpolitisch eine Partnerschaft mit den Sowjetunion befürwortete. Gehörte nicht sogar Goebbels mal dazu?
 
Wie hätte eine solche langfristige Partnerschaft mit Hitlers Lebensraum-Phantasien vereinbar sein sollen? Und er war ja nicht der einzige, der solche Ideen vertrat.

Wenn Hitler die Sowjetunion 1941 nicht angegriffen hätte, müsste man dann annehmen, dass Stalin dann in zwei, drei, vier Jahren wahrscheinlich seinerseits angegriffen hätte, sobald er eben einen günstigen Zeitpunkt ausgemacht hätte?
In einem Zeitraum von 2-3 Jahren, wäre die Sowjetunion kaum in der Lage gewesen ohne ausländische Hilfe ihre Armee tatsächlich in einen Zustand zu versetzen, das sich ein Angriffskrieg damit einigermaßen erfolgreich hätte führen lassen.
Ansonsten neigte Stalin nicht besonders zu außenpolitischen Risiken. Aus welchem Grund genau, hätte er Deutschland angreifen sollen?

Ich meine mal gelesen zu haben, dass es in der NSDAP auch eine Strömung gab, die aussenpolitisch eine Partnerschaft mit den Sowjetunion befürwortete. Gehörte nicht sogar Goebbels mal dazu?
Es gab solche Ideen im Strasser-Flügel der NSDAP in der Weimarer Zeit. Nur wo Strasser, Röhm und Konsorten schon deutlich vor 1941 gelandet sind, sofern sie nicht bereit waren sich anzupassen, ist bekannt?
De facto hatten solche Gedankenspiele anno 1941 keine praktische Relevanz mehr.

Ribbentropp fantasierte zwischenzeitlich mal in solche Richtungen, aber das nahm niemand ernst, zumal da bereits die Vorbereitungen für den Überfall auf die Sowjetunion liefen.
 
Wenn Hitler die Sowjetunion 1941 nicht angegriffen hätte, müsste man dann annehmen, dass Stalin dann in zwei, drei, vier Jahren wahrscheinlich seinerseits angegriffen hätte, sobald er eben einen günstigen Zeitpunkt ausgemacht hätte?
Die Unterstellung Hitlers Angriffskrieg gegen die Sowjetunion sei ein Präventivschlag gewesen, ist ein Topos wie er gerne in rechtsradikalen Kreisen verbreitet wird, um den faschistischen Vernichtungskrieg schönzuschwätzen.

Die Sowjetunion kooperierte schon seit den 20er Jahren mit Deutschland - diplomatisch seit dem Rapallo Vertrag 1922, aber auch militärisch z.B. mit einer geheimen Fliegerschule der Reichswehr im Russischen Lipezk (entgegen den Bestimmung des Versailler Vertrages). Hitler hatte hingegen schon bevor er Kanzler wurde in "Mein Kampf" einen rassistischen Krieg gegen die UdSSR zur "Eroberung von Lebensraum" ganz oben auf seinem Plan gehabt.
 
Wäre aber ein dauerhaftes Bündnis zwischen der Sowjetunion und dem 3. Reich realistisch möglich gewesen? Wäre die Sowjetunion an soetwas interessiert gewesen?

Hätten beide Länder sich realistisch einigen und sich z.B. Osteuropa einvernehmlich aufteilen können? Oder hätten sie sich gegenseitig unterstützen können, z.B. bei einer Invasion Grossbritanniens oder ein russisches Vorgehen gegen Japan?
Warum stellt man solche Fragen? Was geht einem da im Kopf vor?!
 
"Alternative history" ist nicht uninteressant, finde ich. Außerdem ist die Frage insofern nicht ganz unberechtigt, als der Stalinismus mit Sicherheit die "rechtsextremste" Form des Sozialismus war und Parallelen zum NS-System aufwies – wie Personenkult, Überhöhung der Arbeiterschaft, nationalistische Militarisierung.

Ohnehin ist es eines dieser wunderbaren Rätsel der Geschichte, wie das rechtsextreme Lager der Weimarer Zeit überhaupt den Spagat überstehen konnte, die Linke innerhalb Deutschlands zur existentiellen Bedrohung zu stilisieren, doch zeitgleich auf der Weltbühne den Schulterschluss mit Stalin zu üben.

Dabei denke ich nicht nur an den Nichtangriffspakt, sondern z.B. auch an die Militärkooperation, die spätestens Ende der 1920er Jahre in der stramm rechten Reichswehr ein offenes Geheimnis war.
 
Ich kann mir das nicht als „Alternative History“ schönreden. Da ändert jemand nachträglich die Parameter, um den Zweiten Weltkrieg im Sandkasten doch noch zu gewinnen. Da wird das rassistische Kalkül des Zweiten Weltkriegs bestenfalls ausgeblendet und phantasiert und der Überfall auf die SU als strategischer Fehler moniert, weil man mit dieser viel besser die Weltherrschaft habe erlangen können.

Alternative History kann im begrenzten Maße ein Instrument sein, um zu begründeten Sachurteilen zu kommen: Welche Handlungsoptionen hatte x in der historischen Situation y? Irgendwelche illusorischen Phantasien, wie man einen historisch verlorenen Krieg vielleicht hätte gewinnen können, sind bestenfalls zynisch aber keine sinnvolle historische Alternative.
 
Ohnehin ist es eines dieser wunderbaren Rätsel der Geschichte, wie das rechtsextreme Lager der Weimarer Zeit überhaupt den Spagat überstehen konnte, die Linke innerhalb Deutschlands zur existentiellen Bedrohung zu stilisieren, doch zeitgleich auf der Weltbühne den Schulterschluss mit Stalin zu üben.
Das war umgekehrt auch nicht anders:
Nach Bekanntwerden des Hitler-Stalin-Paktes wurde den europäischen Kommunisten, insbesondere denen in Frankreich, von Moskau plötzlich eine deutsch/nazi-freundliche Haltung zugemutet und dass sie Frankreich und Großbritannien als Kriegstreiber hinstellen und deren Kriegsanstrengungen zuwiderhandeln.
 
Ich kann mir das nicht als „Alternative History“ schönreden. Da ändert jemand nachträglich die Parameter, um den Zweiten Weltkrieg im Sandkasten doch noch zu gewinnen. Da wird das rassistische Kalkül des Zweiten Weltkriegs bestenfalls ausgeblendet und phantasiert und der Überfall auf die SU als strategischer Fehler moniert, weil man mit dieser viel besser die Weltherrschaft habe erlangen können.

Alternative History kann im begrenzten Maße ein Instrument sein, um zu begründeten Sachurteilen zu kommen: Welche Handlungsoptionen hatte x in der historischen Situation y? Irgendwelche illusorischen Phantasien, wie man einen historisch verlorenen Krieg vielleicht hätte gewinnen können, sind bestenfalls zynisch aber keine sinnvolle historische Alternative.
Das halte ich für eine unnötig gewagte Deutung. Tutti spricht doch im ersten Absatz unter Verweis auf Hitlers tatsächliche Kriegsziele ("Lebensraum im Osten"), die er also keineswegs ausblendet, von einem reinen Gedankenspiel. Von Zynismus, denke ich, braucht man hier auch nicht zu sprechen – nicht in einer Gegenwart, in der sich Potentaten unterschiedlicher Couleur abermals gegen das demokratische System zusammentun.

Denn dass die Nazis durchaus willens waren, im Widerspruch zu ihrer Ideologie mit sog. "Untermenschen" langfristig zugunsten ihrer Kriegsziele zu kooperieren, davon künden ein Dutzend Potentaten und Renegaten wie Ante Pavelic oder Bronislav Kaminski ebenso wie zigtausende Freiwillige vom Balkan bis zur Ukraine.

Hätte Hitler auf die militärische Opposition gehört und den Krieg mit der Sowjetunion bis zum Sieg über Großbritannien verschoben, wer weiß, was dann gewesen wäre. Vielleicht hätte Stalin in der Zwischenzeit die Stärke erreicht, um den Angriff im Keim zu ersticken; vielleicht hätte er den Rivalen selbst angegriffen.

Vielleicht hätten die beiden Schnurrbartträger sich aber auch gegen die USA zusammengetan. Natürlich kann man jetzt einwenden: Was bringen solche Gedankenspiele? Andererseits würde es mich sehr wundern, wäre zumindest in Moskau nicht wenigstens die Option erwogen worden, den Molotow-Ribbentrop-Pakt in einen Pakt gegen die "kapitalistische" Demokratie umzuwidmen.
 
Das Adjektiv hast du hier öfters genutzt.
Realistische Entscheidungen der Nazis wären möglich gewesen, wenn nicht Größenwahn ihr Hauptantrieb gewesen wäre.
Dann - ohne rassistischen Dünkel und ohne widersinnige Blut- und Boden-Ideologie - wären die Nazis vermutlich keine Nazis mehr gewesen, die Weimarer Republik hätte weiter existiert und von der wäre mutmaßlich kein Krieg ausgegangen.
 
Ich kann mir das nicht als „Alternative History“ schönreden.
Kann ich mir in diesem Fall auch nicht. Ich hätte es aber schärfer formuliert:
Ich kann mir das nicht als „Alternative History“ schönreden. Da ändert jemand nachträglich wesentliche und unverrückbare Parameter, um den Zweiten Weltkrieg im Sandkasten doch noch zu gewinnen. Da wird das rassistische Kalkül des Naziregimes vor und im Zweiten Weltkrieg geschichtsverfälschend ausgeblendet und phantasiert und der Überfall auf die SU als "lediglich" strategischer Fehler moniert (...)
@El Quijote du verzeihst mir hoffentlich die Änderungen im Zitat - - auf jeden Fall ist ein Sandkastenspiel, in welchem Nazis keine Nazis sind, in jedem Sinn indiskutabel.

Abgesehen davon: das Gedankenspiel der siegreichen Faschisten gibt es im glänzenden zynisch-satirischen Roman the iron dream (dt. "der stählerne Traum")
 
@El Quijote du verzeihst mir hoffentlich die Änderungen im Zitat - - auf jeden Fall ist ein Sandkastenspiel, in welchem Nazis keine Nazis sind, in jedem Sinn indiskutabel.

Abgesehen davon: das Gedankenspiel der siegreichen Faschisten gibt es im glänzenden zynisch-satirischen Roman the iron dream (dt. "der stählerne Traum")
Oder in Fatherland. Dessen größte Schwäche ist nicht, dass er geschichtskontrafaktisch Nazideutschland den Krieg gewinnen lässt, sondern dass er den Holocaust als geheimes Treiben einer Nazielite darstellt, so dass es reicht, dass der alternde Hitler ein paar Zeugen umbringen lässt, um sein historisches Vermächtnis zu sichern.
 
Da kann man millionenfache Ideen entwickeln, was wäre aus Napoleon geworden, hätte er Metternichs Angebot von einem Frankreich bis zum Rhein angenommen. Hitler wäre wohl ein Held hätte er nach der Annexion Österreichs aufgehört und in jedem Schulhaus würde sein Bild hängen.

Zum Glück waren die Pläne der Nazis so Größenwahnsinnig, dass es wahrscheinlicher ist im Lotto am Sonntag zu gewinnen, als das die Nazis wirklich gesiegt hätten.
 
Zum Glück waren die Pläne der Nazis so Größenwahnsinnig, dass es wahrscheinlicher ist im Lotto am Sonntag zu gewinnen, als das die Nazis wirklich gesiegt hätten.
Nur dass zig Millionen Menschen eben aufgrund dieses Größenwahns sterben mussten, die bei etwas mehr "Realismus" vielleicht am Leben geblieben wären. Hier lässt sich viel lernen über die Natur des Personenkults und extremistische kollektivistische Systeme. Es gehört ein unglaubliches Maß an Selbstüberschätzung dazu, sich die Fähigkeit einzubilden, das größte Land der Erde erobern zu können, nachdem Napoleon und Co. mit weniger ambitionierten Zielen und mehr Sachverstand krachend gescheitert waren.
 
Ansonsten neigte Stalin nicht besonders zu außenpolitischen Risiken.
Ist halt die Frage, ob Stalin irgendwann auch gegen Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Rumänien (oder sogar Polen) vorgegangen wäre, wenn er nicht den Windschatten von Hitlers Aggressionspolitik und den Umstand, dass der "Westen" primär mit Hitler beschäftigt war, nutzen können hätte.
 
Nur dass zig Millionen Menschen eben aufgrund dieses Größenwahns sterben mussten, die bei etwas mehr "Realismus" vielleicht am Leben geblieben wären. Hier lässt sich viel lernen über die Natur des Personenkults und extremistische kollektivistische Systeme. Es gehört ein unglaubliches Maß an Selbstüberschätzung dazu, sich die Fähigkeit einzubilden, das größte Land der Erde erobern zu können, nachdem Napoleon und Co. mit weniger ambitionierten Zielen und mehr Sachverstand krachend gescheitert waren.

Natürlich gemeint war eher, dass ich mir wirklich kein Szenario ausdenken kann, wo die Nazis wirklich gewonnen hätten.

Die UDSSR und die USA gleichzeitig schlagen zu wollen, ist schon ziemlich hirnverbrannt.
 
Ist halt die Frage, ob Stalin irgendwann auch gegen Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Rumänien (oder sogar Polen) vorgegangen wäre, wenn er nicht den Windschatten von Hitlers Aggressionspolitik und den Umstand, dass der "Westen" primär mit Hitler beschäftigt war, nutzen können hätte.

Naja, man könnte die Überlegung auch umdrehen:

Bevor Hitler begann die Wehrmacht in größerem Stil hochzurüsten, bis 1935, 1936 herum, hatte sich die Sowjetunion von der Revolutionszeit und den damit verbundenen Auseinandersetzungen erholt und industriell deutliche Fortschritte gemacht, auch die Armee hatte von der Zusammenarbeit mit Deutschland profitiert.

Ich würde meinen, hätte Stalin gegen Westen losschlagen wollen, hätte er die Gelegenheit so 1935-1936 gehabt.

- Was Polen und die baltischen Staaten hatten, hätte der Roten Armee kaum etwas ernsthaftes entgegenzusetzen gehabt.
- Deutschland begann zwar wieder sich eine schlagkräftige Armee mit schweren Waffen zuzulegen, nur war die noch nicht vorhanden.
- Frankreich laborierte an einer innenpolitischen Krise, die sich zeitweise gar in Richtung Bürgerkrieg zuzuspitzen schien und die Frankreich selbst daran hinderte bei der Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland und der Rheinlandbesetzung einzugreifen.
- Ab 1936 liegt auch der außenpolitische Fokus Mittel- und Westeuropas zunächst mal auf dem spanischen Bürgerkrieg.

Ich würde meinen, wäre Stalin tatsächlich übermäßig an territorialen Gewinnen in Osteuropa interessiert gewesen, hätte er 1935-1936 sehr wahrscheinlich eine günstige Gelegenheit gehabt, die aber nicht wahrgenommen wurde.
Warum, wenn er weitergehende Expansionsabsichten hatte?
 
Ich würde meinen, wäre Stalin tatsächlich übermäßig an territorialen Gewinnen in Osteuropa interessiert gewesen, hätte er 1935-1936 sehr wahrscheinlich eine günstige Gelegenheit gehabt, die aber nicht wahrgenommen wurde. Warum, wenn er weitergehende Expansionsabsichten hatte?

1936 begann der "Große Terror", die sogenannten "stalinischen Säuberungen", denen ja auch etliche hochrangige Militärs zum Opfer fielen. In deinem Szenario hätte er also 1936 nicht innen- sondern außenpolitisch "aktiv" werden sollen.
Das "übermäßig" erschließt sich mir nicht in deinem Satz. Stalin hatte doch Expansionsbestrebungen in Osteuropa, die sich im Zusatzprotokoll des Molotov-Ribbentrop-Paktes niederschlugen und mit der Besetzung des Baltikums, Bessarabiens und Ostpolens und dem Winterkrieg gegen Finnland auch faktisch verfolgt wurden - nur eben ein paar Jahre später als 35/36.
 
1936 begann der "Große Terror", die sogenannten "stalinischen Säuberungen", denen ja auch etliche hochrangige Militärs zum Opfer fielen. In deinem Szenario hätte er also 1936 nicht innen- sondern außenpolitisch "aktiv" werden sollen.

Die Ausdehnung des Terrors auf die Generalität und das Offizierskorps erfolgte en gros erst 1937 und auch die ersten Tötungen ziviler Funktionsträger begannen erst im August 1936

Im Sommer-Herbst 1936 wäre die Rote Armee also durchaus noch einigermaßen schlagkräftig gewesen.

- Das Polen und die Balten sich nicht lange wehren könnten, war klar.
- Frankreich hatte bei der Wiedereinführung der Wehrpflicht 1935 in Deutschland und bei der Rheinlandbesetzung im März 1936 binnen eines Jahres zwei Mal unter Beweis gestellt, dass seine innenpolitischen Probleme so groß waren, dass man sich selbst zu einer Intervention vor der eigenen Haustüre gegen ein Deutschland, dessen Rüstung gerade erst begonnen hatte, nicht im Stande sah.
- Deutschland konnte noch gar nicht wieder über eine wirklich schlagkräftige Armee verfügen, dafür war die Zeit der Aufrüstung bis hierher viel zu kurz, zumal die Sowjets aus der militärischen Kooperation bis zu Hitlers Regierungsantritt 1933 die Probleme der damaligen Reichswehr recht gut kannten.
Davon abgesehen hätte man von sowjetischer Seite her bei einem offensiven Vorgehen gegen die baltischen Staaten und Polen Deutschland ein potentielles Stillhalten durch eine Wiederherstellung der deutschen Ostgrenze von 1914 versüßen können.

Die Gelegennheit wäre 1935-1936 durchaus da gewesen und sie konnte auch als solche wahrgenommen werden.
Stalin entschied sich offensichtlich dazu, sich daran nicht zu versuchen sondern ließ sie verstreichen und wandte sich lieber innenpolitischen "Projekten", wie den Säuberungen zu.
Hätte er nicht tun müssen. Das hätte man im Frühjahr- Sommer 1936 als die Gelegenheit auf dem Tisch lag auch anders entscheiden können.

Das "übermäßig" erschließt sich mir nicht in deinem Satz. Stalin hatte doch Expansionsbestrebungen in Osteuropa, die sich im Zusatzprotokoll des Molotov-Ribbentrop-Paktes niederschlugen und mit der Besetzung des Baltikums, Bessarabiens und Ostpolens und dem Winterkrieg gegen Finnland auch faktisch verfolgt wurden - nur eben ein paar Jahre später als 35/36.

Das "übermäßig" resultiert daraus, dass bis zum Sommer 1939 die sowjetische Außenpolitik andere Linien verfolgte als danach und die liefen darauf hinaus, sich territorial mit der Nachkriegsordnung anzufinden.
Was sich unter anderem im Beitritt zum Briand-Kellogg-Pakt, im Litwinow-Protokoll, im Beistandsabkommen mit der Tschechoslowakei, der Zielsetzung der "Kollektiven Sicherheit" und dem Versuch niederschlug mit Polen, Großbritannien und Frankreich zu einer gemeinsamen Politik zwecks Eindämmung Deutschlands zu kommen.

Dazu selbst territoriale Forderungen anzumelden, ging man erst über, als das alles gscheitert war und das nicht unbedingt am Unwillen der Sowjets.

Ich will gar nicht bestreiten, das Stalin selbst Expansionsphantasien hatte. Die sowjetische Politik war aber bis 1939 auf Aufrechterhaltung der europäischen Ordnung ausferichtet, bis sich durch Hitlers Expansionspolitik abzeichnete, dass das illusorisch war.
Insofern sehe ich nicht unbedingt, warum man es für besonders wahrscheinlich halten sollte, dass ohne Zersetzung der Nachkriegsordnung durch Hitler-Deutschland Stalin Versuche unternommen hätte, diese umzustürzen, jedenfalls was Europa Betrifft (in Asien mag das anders aussehen).
Es entspricht jedenfalls nicht den außenpolitischen Bahnen in denen sich die Sowjetunion bis 1939 bewegte.
 
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