Es ist ja nicht so, dass Stalin gezwungen worden wäre, 1939/1940 gegen Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Rumänien vorzugehen. (Bei Polen könnte ein Apologet noch zu argumentieren versuchen, dass er zugreifen "musste", um die Deutschen ein bisschen auf Abstand zu halten, aber bei den anderen von ihm angegriffenen Staaten funktioniert so eine Ausrede gar nicht.)
Ich denke, zu rechtfertigen oder zu verteidigen gibt es da überhaupt nichts, so weit sind wir uns, denke ich, einig.
Was die Handlungslogik angeht:
Für mich sieht das was Stalin 1939 tat, mehr nach "Kompensationstheorie", als nach eigener Expansionsagenda aus.
Die gesamte vorherige sowjetische Außenpolitik lief seit Ende der 1920er Jahre auf den Erhalt der Pariser Ordnung hinaus, in der man sich eingerichtet hatte.
Wenn wir einfach mal annehmen, dass Stalin letztendlich als (wenn auch rot verbrämter) Imperialist mit seiner wesentlichen Sozialisation im 19. Jahrhundert handelte, wäre eine solche Handlungslogik etwas durchaus erwartbares.
Das hätte im Sinne der Handlungslogik verboten, sich mit Ostpolen zu begnügen, wenn man sich durch Hitlers Zugewinne übervorteilt gesehen hätte, es hätte aber keine unbedingten eigenen Expansionsabsichten vorausgesetzt, sondern es wäre einfach nur an die Ablösung einer Ordnung, in der man sich eigentlich eingerichtet hatte, ein Preisschild geklebt worden.
Diese Möglichkeit fehlt mir hier etwas, ich halte sie angesichts der vorangegangenen Außenpolitik für die wahrscheinlichste, weil die im Wesentlichen auf Bewahrung nicht auf Umsturz abzielte.
Außerdem wäre, wenn behauptet wird, dass entsprechende Expansionsabsichten da gewesen wären, zu erklären, warum eben 1935/1936 nicht dazu genutzt wurde.
Im Rekurs auf die vorherige Argumentation zu diesem Thema, unter Berücksichtigung des Rüstungsstands und der innenpolitischen Lage in Frankreich, wer hätte Stalin denn aufhalten sollen, wenn er zu diesem Zeitpunkt nach Ostpolen oder ins Baltikum gewollt hätte?