DDR als preußischer Obrigkeitsstaat

iamNex

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Sup!

In Wolfgang Herles Polemik "Wir sind kein Volk" (nervig zu lesen..) bin ich auf einen sehr interessanten Gedanken gestoßen.

So sehr die DDR-Führung auch den Bruch mit der obrigkeitsstaatlich geprägten deutschen Geschichte betonte, war sie im Grunde eine Fortführung des preußischen Obrigkeitsstaates.

Bei Herles heißt das ganze dann so: "Dass auch die DDR einen Führerkult pflegte, dass die Massen mit ihren Aufmärschen, Paraden, Fackelzügen wunderbar in die Tradition Preußens passten, wollte nicht gesehen werden." (S. 113)

Ohne zu sehr in die tagespolitische Diskussion gehen zu wollen, aber die Sociovision-Studien zu den Milieus in Deutschland, stellen im "DDR-Nostalgischen-Milieu" nach wie vor eine höhere Wertschätzung für die "traditionellen preußischen" Werte fest, wie zum Beispiel Sauberkeit, Hörigkeit, Pünktlichkeit, etc.

Was haltet ihr von der Theorie, die DDR war im Grunde nur eine (logische) Fortführung der bisherigen Geschichte Preußens?

Cheers.

Nex.
 
Was haltet ihr von der Theorie, die DDR war im Grunde nur eine (logische) Fortführung der bisherigen Geschichte Preußens?

Ist auf jeden Fall ein guter Aufmacher. Aber die Dinge sind wohl differenzierter zu sehen.

Denn: Wenn die DDR die logische Fortführung Preußens gewesen sein soll, dann muss im Umkehrschluss ja Preußen der Vorläufer der DDR gewesen sein. Beides mutet seltsam an, greift man nicht zu sehr abenteuerlich konstruierten Thesen, was die Kontinuitäten und Zusammenhänge beider Staaten angeht.

Sicher: Die Militarisierung der Gesellschaft, der verordnete Kadavergehorsam, all das scheint auf den ersten Blick zu passen. Aber ließe sich dann nicht mir der selben Berechtigung (Stichwort Totalitarismusstreit) die DDR als Fortführung des NS-Regimes bezeichnen?

Bestimmt nicht. Auch das würde zu kurz greifen. Die DDR hat sich sicherlich auf deutsche Traditionen berufen, darunter auch preußische. Den Versuch, einen Führerkult zu etablieren, hat es sicher auch gegeben. Aber was den offiziellen Kurs angeht, so war die Orientierung an der Sowjetunion doch wohl Gesetz und stand vor jeder anderen Anbindung an historische Traditionen.

Wie das alles mentalitätsgeschichtlich aussieht, ist dagegen eine andere Frage. Darüber, dass die Demokratisierung Ostdeutschlands knappe 50 Jahre später als die des Westens eingesetzt hat, wird man aber sicherlich nicht großartig streiten können.

Ich denke, dass eher hier, quasi bei den Feinheiten, anzusetzen wäre, anstatt den großen Wurf wagen und "Preußen" als Ausgangspunkt ausmachen zu wollen.
 
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Was haltet ihr von der Theorie, die DDR war im Grunde nur eine (logische) Fortführung der bisherigen Geschichte Preußens?
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@Nex

Nein, wenn Du diese These von Herles fortführst gehst Du m.E. in die Irre und Herr Herles befindet sich bereits darin.

Die DDR wies alle Merkmale eines totalitären Staates auf.

Einparteienherrschaft (SED), auch wenn es andere allerdings gleichsam gleichgeschaltete Parteien gab (CDU, LDPD, DBD, NDPD). Es gab in der DDR eine allgemein herrschende Ideologie, den Marxismus-Leninismus, dazu gab es keine wirklichen ideologischen Alternativen (von gesellschaftlichen allerdings unterdrückten Nischen, wie den Kirchen, abgesehen). Exekutive, Legislative und Judikative waren nicht getrennt, sondern waren zumindest durch die SED, als Einheitspartei, zusammengeführt. Die Entscheidungsmacht der SED war faktisch nur außenpolitisch begrenzt. Die Bürger der DDR waren in Massenorganisationen organisiert, die sich explizit zur ml Ideologie und der SED als führende Partei bekannten (Nationale Front, FDGB, DSF, FDJ (inkl. Pioniere), DFD etc. Die ökonomische Macht war in der Hand der SED. Darüber hinaus gab es auch einen "Führerkult". Nunja und der vieles beherrschende und durchdringende Geheimdienst (MfS).

Nun zur Kritik von Herrn Herles.

"Dass auch die DDR einen Führerkult pflegte, dass die Massen mit ihren Aufmärschen, Paraden, Fackelzügen wunderbar in die Tradition Preußens passten, wollte nicht gesehen werden." (S. 113)

Wo gab es im preußischen Staat einen "Führerkult", Aufmärsche und Fackelzüge? Paraden, ja klar.

Wenn Du die Machtmechanik der DDR mit dem Kgr. Prußen vergleichst, wirst Du deutlich weniger Schnittmengen feststellen (wahrscheinlich faktisch keine), als wenn Du sie mit der Sowjetunion oder dem ns Staat vergleichst. Nota bene, die Machtmechanik, nicht die Verbrechen.

In der DDR war Preußen ideologisch "verdammt", dies änderte sich erst in den frühen 1980'er Jahren, äußerlicher Ausdruck, die Wiederherstellung des Reiterstandbildes von F. II. in Berlin UdL und die F. II. Biographie von Ingrid Mittenzwei.

Ingrid Mittenzwei ? Wikipedia

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Die ostdeutsche Sozialisation war m.E. stark von abgeleiteten autoritären und militärischen "Tugenden" geprägt, insbesondere in der Schule und der außerschulichen Erziehung (GST, Sportbetonung).

In der Übertreibung liegt manchmal die Anschauung. Preußen war, darauf kann man sich bestimmt einigen sehr militärisch geprägt, die DDR, zumindest in den 1970'er und 1980'er Jahren auch, nur hatte die preußische Armee jemals Sorgen um den Nachwuchs im Offizierskorps, ich meine nein, die NVA aber immer, dieses als Kennzeichen der Akzeptanz in der Bevölkerung zum Militär. Hatte Preußen ein staatsrechtliches Legitimationsproblem, ich meine nein, die DDR bis zu ihrem Ende immer.

M.:winke:
 
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In der Übertreibung liegt manchmal die Anschauung. Preußen war, darauf kann man sich bestimmt einigen sehr militärisch geprägt, die DDR, zumindest in den 1970'er und 1980'er Jahren auch, nur hatte die preußische Armee jemals Sorgen um den Nachwuchs im Offizierskorps, ich meine nein, die NVA aber immer, dieses als Kennzeichen der Akzeptanz in der Bevölkerung zum Militär. Hatte Preußen ein staatsrechtliches Legitimationsproblem, ich meine nein, die DDR bis zu ihrem Ende immer.

Ich denke der Punkt, von der These eines Zusammenhangs Preußens und der DDR im Militarismus ist in dem Fehlen von Traditionen bzw. historischen Werten geschuldet.
Der Stellenwert des Militärs innerhalb der Gesellschaft war immer sehr hoch angesiedelt, doch im historischen Kontext betrachtet hatte sich die Gesellschaft um den Militarismus weiterentwickelt. So war der Militarismus in der DDR schon mehr ein der Gesellschaft aufgesetzter, hingegen er zu Preußens Glanzzeiten ein Teil der Gesellschaft darstellte.

Allerdings kann der Zeitraum des Militarismus des Kaiserreichs und des Hitlerdeutschlands bei dieser Betrachtung nicht vorenthalten werden, denn es gibt hier sicherlich eine Entwicklungslinie bzw. Parallelen zum späteren DDR Militarismus.

Ich sehe da, wenn auch einen etwas weit hergeholten Vergleich, zur Entwicklung einer NVA und der Verflechtungen innerhalb der neuen Gesellschaft.
Beispiel: Die kaiserliche Marine entstand als neuer Truppenzweig aus dem Heer, allerdings mit anderen Voraussetzungen, vor allem im Bildungsgrad und Herkunft der Marineangehörigen. Damit hier aber die Wichtigkeit der Marine innerhalb des Militärs zur Geltung kam, wurden vor allem im Offizierskorps alte militärische Traditionen übernommen und verstärkt ausgelebt. Es fehlten einfach traditionelle Wurzeln als Seemacht für die Struktur der Marine im Kaiserreich.

Und genau das selbe Problem hatte die neue NVA, wie der gesamte Staat der DDR auch, es gab keinerlei Traditionen, auf die aufgebaut werden konnte. Keinerlei eigene Erfahrungen und Kenntnisse darüber, wie die Bevölkerung mit der neuen Gesellschaft und deren Schutz umgehen würde.
Da lag es doch einfach nur nah, alte Traditionen in die neue Gesellschaft aufzunehmen und für die eigenen Ziele zu funktionalisieren.

Und da war von allem etwas dabei, was aus ca. 200 Jahren deutscher Geschichte übernommen wurde, z.B. auch Preußens Militarismus.
 
Ich denke der Punkt, von der These eines Zusammenhangs Preußens und der DDR im Militarismus ist in dem Fehlen von Traditionen bzw. historischen Werten geschuldet.
Der Stellenwert des Militärs innerhalb der Gesellschaft war immer sehr hoch angesiedelt, doch im historischen Kontext betrachtet hatte sich die Gesellschaft um den Militarismus weiterentwickelt. So war der Militarismus in der DDR schon mehr ein der Gesellschaft aufgesetzter, hingegen er zu Preußens Glanzzeiten ein Teil der Gesellschaft darstellte.

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@Köbis17

Vollkommen d'accord. Wenn es eine Schnittmenge gab, dann der Militarismus, in der DDR allerdings mit fehlendem legitimatorischem Hintergrund. Da halfen auch Clausewitz-Zitate bei Lenin nichts oder die Benennung von Truppenteilen der NVA mit den Namen von preußischen Offizieren und Generälen der Befreiungskriege. Die Reminiszenz bei den Uniformen (eine vollkommene Äußerlichkeit), empfand ich in den 1980'er Jahren als sehr irritierend.

M.
 
Wenn aber nicht nur auf den Militarismus schaut, gab es, wie oben schon angedeutet, auch andere Bezüge. In den achtziger Jahren gab es eine stellenweise Rückbesinnung auf humanistische Tendenzen der preußischen Geschichte, neben der Benennung einiger militärischer Auszeichnungen nach den Generälen der Befreiungskriege, der Scharnhorst-Orden zum Beispiel, sondern auch Bildungstendenzen, schon 1949 wurde die alte Berliner Universität in Humboldt-Universität umbenannt.

Interessant ist auch die architektonische Besetzung des preußischen Stadzentrums durch die DDR-Macht. Wenn man den Lustgarten als Kern versteht, um den sich Dom, Schloß, Zeughaus und Altes MUseum versammeln, dann ist das spätere Ensemble aus Palast der Republik, Staatsratsgebäude (mit nebenliegendem ZK der SED) und Außenministerium eine Weiterführung dieses Platzes.
 
Wenn aber nicht nur auf den Militarismus schaut, gab es, wie oben schon angedeutet, auch andere Bezüge. In den achtziger Jahren gab es eine stellenweise Rückbesinnung auf humanistische Tendenzen der preußischen Geschichte, neben der Benennung einiger militärischer Auszeichnungen nach den Generälen der Befreiungskriege, der Scharnhorst-Orden zum Beispiel, sondern auch Bildungstendenzen, schon 1949 wurde die alte Berliner Universität in Humboldt-Universität umbenannt.

Interessant ist auch die architektonische Besetzung des preußischen Stadzentrums durch die DDR-Macht. Wenn man den Lustgarten als Kern versteht, um den sich Dom, Schloß, Zeughaus und Altes MUseum versammeln, dann ist das spätere Ensemble aus Palast der Republik, Staatsratsgebäude (mit nebenliegendem ZK der SED) und Außenministerium eine Weiterführung dieses Platzes.


Ich gehöre ja auch zu den alten Säcken, die die Zeit des Kalten Krieges noch selbst miterlebt haben, allerdings im Goldenen Westen. Ich erinnere mich daran, dass die DDR in den 80er Jahren Preußen sozusagen wiederentdeckte, jedenfalls versuchte, den Preußenmythos zu animieren, nachdem die Gründerväter Geschichte als politische Waffe benutzten und als Bilderstürmer das Stadtpalais der Hohenzollern in die Luft jagten wo der Repuplikpalast vulgo Palazzo Prozzo errichtet wurde.

Preußen, das war bis in die 70er Junkertum und Reaktion, doch in den 80ern saß Fridericus Rex wieder steinern zu Pferde unter den Linden, während der Westen ihn von Schloss Hechingen nach Sanssoucci umbetteten. Eine aufwändige und überaus sehenswerte Defa- Produktion thematisierte die Figur Scharnhorst, und der 200. Todestag des Alten Fritz wurde in West wie Ost thematisiert. In der DDR Armee überlebte sogar der preußische Stechschritt, den die Bundeswehr ihren "Bürgern in Uniform" nicht mehr zumuten konnte oder wollte, während Liedgut der Wehrmacht durchaus ging, bis in die jüngste Vergangenheit, als durchsickerte, dass Öttinger das "Panzerlied" sogar in ein Liederbuch hatte aufnehmen lassen.


Armeen brauchen Traditionen, und welche konnte oder wollte man da überhaupt reanimieren? Die Wehrmacht hatte sich schon die Bundeswehr als Vorbild genommen, außer der Roten Armee, von der man erfolgreich "siegen lernen" konnte, blieb gar nicht mehr viel übrig. Preußen und seine Geschichte bot einen so reichen Fundus, dass da eigentlich für jeden etwas dabei war.
 
[...]Die Wehrmacht hatte sich schon die Bundeswehr als Vorbild genommen, [...]

Ein kleiner Abschweif ins Detail, aber die Uniform der NVA war doch sehr der Wehrmacht nachempfunden, nur im schönen Grau und das neue Helmdesign gleich mit.

Nationale Volksarmee ? Wikipedia

In dem Link wird das Gegenteil dargestellt, so ging es der NVA um alte Werte und Tradion (Nationalcharakter!) nur ebend mit neuer Ideologie und nicht der so leger wie die Bundeswehr im Ami-look ...
 
Betrachtet man die Rezeption der preußischen Geschichte in der DDR, so stellt man fest, dass sie sehr widersprüchlich war.

Die Gründer der DDR brauchten ein Feindbild, was dazu führte, dass der preußische Staat als Sinnbild des Militarismus angeprangert und als Wegbereiter des Hiltlerfaschismus gesehen wurde. Auf der anderen Seite wurde schnell erkannt, dass Preußen auch der Hort eines unschätzbaren kulturellen Erbes war, mit dem man sich schmücken konnte - allerdings war immer strittig, welche kulturellen Traditionen man gefahrlos mit dem Sozialismus verbinden konnte, sodass stets ein zwiespältiges Verhältnis blieb.

Die erneute Aufstellung des Standbilds Friedrichs II. Unter den Linden ist dafür ebenso ein Beispiel wie die der Quadriga auf dem Brandenburger Tor. Dort entfernte allerdings die DDR den Preußenadler und das Eiserne Kreuz, wozu die Ostberliner Stadtverordneten erklärten, die "Embleme des deutschen Militarismus" dürften nicht zur Aufstellung gelangen.

Seit den 70er Jahren urteilten die Historiker der DDR zunehmend vielschichtiger über die preußische Geschichte. Noch 1950 ging der Preußenhasser Ulbricht gegen alle Hinterlassenschaften Preußens vor: er sprengte das Hohenzollernschloss, holte Friedrich II. vom Ross und verdammte den preußischen Militarismus. Honecker jedoch propagierte "Weite und Virlfalt" der sozialistischen Kultur der DDR, erklärte Friedrich II. zur außergewöhnlichen Gestalt und ließ das Reiterbild erneut aufstellen. Die DDR-Historikerin Ingrid Mittenzwei beschrieb den bislang tabuisierten König in ihrer sensationellen 1979 erschienenen Biografie "Friedrich II. von Preußen" in einem milderen Licht aus der Sicht eines undoktrinären historischen Materialismus. Von nun an zählte der Preußenkönig zum historischen Erbe der DDR.

Die NVA sah die Befreiunsgkriege gegen Napoleon als eine der Traditionslinien und die höchste Auszeichnung der Armeee war der Scharnhorst-Orden. Es gab eine Jagdfliegerstaffel, die sich "Adolf von Lützow" nannte und ein Hubschraubergeschwader "Ferdiand von Schill". Beibehalten wurde der preußische Stechschritt bei Paraden und die Uniformen der NVA entsprachen bis auf geringfügige Änderungen deren der deutschen Wehrmacht.

Ganz zweifellos konnte auch die DDR nicht ohne ein kulturelles Erbe und gewisse Traditionslinien existieren, sodass bestimmte bislang verfemte Personen und Ereignisse Gnade vor den Augen staatstragender Sozialisten fanden. Dass Preußen bis zuletzt ein zwiespältiges Erbe blieb, dass sich nie problemlos mit sozialistischem Gedankengut verbinden wollte, ist offensichtlich.
 
Allerdings war Preußen nicht nur ein Feindbild der DDR, denn die Auflösung des Staates Preußens hatte ja der allierte Kontrollrat 1947 beschlossen.

Zur kulturellen Rezeption Preußens in der späten DDR sei noch an die Fernsehserie "Sachsens Glanz und Preußens Gloria" erinnert.
 
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