Der Erfahrungen des Dritten Reichs und das bundesrepublikanische Asylrecht

claude69

Neues Mitglied
Hallo zusammen,

Meine Arbeitskollegen und ich haben uns vor kurzem über die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel unterhalten. Da meinte einer von uns, die deutsche Regierung würde Flüchtlinge (auch illegale) nur aus einem Grund aufnehmen, und zwar weil wir Deutsche im dritten Reich diese furchtbaren Greueltaten gegen Juden begangen haben.
Ich bin zwar anderer Meinung
Und deshalb wollte ich bei euch fragen, wie ihr das seht. Vielleicht liege ich ja falsch mit meiner Meinung.

Ich hoffe, dass ich dieses Thema in das richtige Unterforum gepostet habe.

Ich freue mich auf eure Meinung.

LG Claude
 
Ich möchte auf unsere Forenregeln hinweisen, insbesondere diese hier:
Für Diskussionen über aktuelle politische Themen ist das Geschichtsforum nicht der richtige Platz. Ebensowenig ist das Forum eine Plattform für politische, religiöse und sonstige weltanschauliche Glaubensbekenntnisse.
Ggf. ist der Thread also ganz schnell dicht.

Wenn man die Frage historisch versteht, dann lautet sie also, inwiefern die Erfahrungen des Dritten Reiches die Schaffung unseres Asylrechts beeinflusst haben. Ich habe den Threadtitel dementsprechend angepasst.
 
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Unser Asylrecht auf die Shoa zurückzuführen, halte ich für falsch. Vielmehr muss man eher im Lager der politisch als der rassisch Verfolgten suchen. Man hatte die Erfahrung gemacht, wie wichtig es war, als Oppositioneller zu einem repressiven Regime ein sicheres Rückzugsgebiet zu haben. Viele Oppositionelle waren ja nach Frankreich, England, in die Tschecheslowakei oder in die USA geflohen, um die wichtigsten Länder für politisch Exilierte zu nennen. Diese Erfahrungen wurde von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes ins Asylrecht eingebaut, dass Dtld. gewissermaßen aufgrund der historischen Erfahrung, dass politisch Asyl nötig sein kann und gewissermaßen auch aus Dankbarkeit darüber, dass Oppositionelle in Frankreich, der Tschecheslowakei (bis zu ihrer Zerschlagung ein wichtiges Rückzugsgebiet insbesondere von SPD-Exilanten), GB oder den USA sicher vor der Verfolgung durch die Nazis, dem KZ und ggf. auch der Ermordung waren. Alle Asylrechtsverschärfungen, etwa unter Kohl, haben dieses Moment berücksichtigt. Deshalb tat sich die Bundesrepublik auch immer schwer mit Wirtschaftsflüchtlingen, was diesen Begriff letztlich immer wieder griffig machte als Kampfbegriff für Asylrechtsverschärfer.
 
Aus Don Qs Antwort kannst du auch schon rauslesen, dass es Asyl auch außerhalb Deutschlands und auch schon vor Ende des Dritten Reiches gab.

Asyl für politisch, religiös, etc Verfolgte gibt es wahrscheinlich so lange, wie es Staaten gibt. Deutschland würde auch Flüchtlinge aufnehmen, wenn es die NSDAP nie gegeben hätte. Wie alle anderen westlichen Staaten auch.

Und natürlich nicht nur die westlichen. Die Hauptlast bei der Aufnahme von Flüchtlingen tragen eh immer die Nachbarstaaten
 
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Wobei nur das politische Asylrecht im GG verankert ist. Das religiöse und kriegsbezogene Asylrecht fehlen und ein wirtschaftliches Asylrecht wäre heute wohl kollektiver finanzieller Selbstmord, weshalb es das auch nirgends als Recht gibt, lediglich Kontingente werden zuerkannt.

Das bringt mich zu der Frage, wie es historisch mit der Akzeptanz von Wirtschaftsflüchtlingen durch Staaten aussieht. Solche Bewegungen waren in der Vergangenheit ja schon durch das mangelnde Vermögen der Wohlstandsuchenden eingeschränkt.

Heute reden Politiker ja gerne davon, die Armut vor Ort zu bekämpfen. Auch dies sicher eher eine moderne Erscheinung.

Wie ging man in Europa z.B. mit der Welle von Wirtschafts- und Religionsflüchtlingen aus Russland am Ende des 19. Jahrhunderts vor? (Neben der schlechten Versorgungslage war es in Russland zu Pogromen gekommen.)

Bis heute vermutet man ja einen Zusammenhang mit diversen Cholera-Ausbrüchen. Spielte das bei der Betrachtung schon zeitgenössisch eine Rolle, oder sah man wie in Hamburg bloß die mangelnde Infrastruktur und Hygiene, die durch die Flüchtlinge einfach nur verschlimmert wurden?

Die Auswanderungen nach Amerika - z.B. wegen der Kartoffelfäule - zählen hier ja nicht, da es dort ja damals keine Einwanderungshindernisse gab.

Politisch, bzw. religiös fallen mir -mit Deutschland im Fokus - im 19. Jahrhundert noch 3 wichtige Fluchtursachen ein: die französische Revolution, der Vormärz und das Scheitern des Paulskirchenparlaments und der Kulturkampf. Während der Französischen Revolution hatte z.B. das Domkapitel von Le Mans fast geschlossen im Fürstbistum Paderborn Zuflucht gefunden und Paderborner Kleriker fanden während des Kulturkampfs in Frankreich und den Niederlanden Zuflucht. Für den Vormärz brauche ich wohl keine Beispiele nennen.

Bis wann wurde Asyl von Fall zu Fall gewährt, ab wann gab es generelle Regelungen?
 
Das bringt mich zu der Frage, wie es historisch mit der Akzeptanz von Wirtschaftsflüchtlingen durch Staaten aussieht. Solche Bewegungen waren in der Vergangenheit ja schon durch das mangelnde Vermögen der Wohlstandsuchenden eingeschränkt.

Vielleicht war die Sichtweise früher eine ganz andere. Arbeit war ja oft ein knapper Faktor, Menschen gesucht.

Ich denke zum Beispiel an die Aufnahme der Hugenotten durch die Preussen, gut, nach einer religiösen Verfolgung.

In Südfrankreich gibt es viele italienische Namen, Folgen des Zuzugs im 19. Jahrhundert (müsst ich mal nachschlagen)

Im Ruhrgebiet jede Menge polnische Namen, Familien der Polen die in den Bergwerken gearbeitet haben.

Der Beispiele sind viele, dem einen sein Wirtschaftsflüchtling ist dem andren sein Eimwanderer.
 
In Anlehnung an Hagen Rethers: Früher nannten wir sie Asylanten und sie dürften bleiben ... ;)

Die Bedeutung des Grundrechts auf Asyl ist durch den Zusatz bzw. die Einschränkungen durch Art. 16a GG, der im Rahmen des sogenannten Asylkompromisses von 1992/1993 beschlossen wurde, erheblich gesunken. Die Hintergründe der Asyldebatte wurden bereits unter dem Thema Einwanderung nach Deutschland 1992 - Wirklichkeit und Wahrnehmung hier im Forum diskutiert.

Tatsächlich ist das deutsche Asylrecht ein Flickenteppich und Paragrafendschungel. Von den Einschränkungen des Asylrechts (Drittstaatenregelung, sichere Herkunftsländer) bleiben die völkerrechtlichen Bestimmungen jedoch gem. Art 16a Abs. 5 GG unberührt.
In Deutschland gilt die Genfer Flüchtlingskonvention genau wie in 140 anderen Staaten.
Das Völkerrecht ist meiner Meinung nach viel wirkungsmächtiger als das inzwischen ausgehöhlte Grundrecht des Grundgesetzes.
Daraus folgt: Das bundesdeutsche Asylrecht hat im wesentlichen die gleichen Grundlage wie in fast allen anderen Staaten der Welt.
Zusätzlich findet EU-Recht Anwendung, welches aber im Wesentlichen ebenfalls auf der Genfer Konvention basiert.

Wobei nur das politische Asylrecht im GG verankert ist. Das religiöse und kriegsbezogene Asylrecht fehlen
Hier wird auch der geringe Zusammenhang zwischen dem Grundrecht auf Asyl gem. GG und dem Holocaust deutlich. Im Grundgesetz fehlt ein Asylrecht für die wegen Rasse- und Religionszugehörigkeit Verfolgten vollständig, obwohl während des 3,. Reiches Menschen insbesondere wegen Rasse- und Religionszugehörigkeit verfolgt und ermordet wurden!

Diese Schutzlücke wird erst durch das Völkerecht geschlossen. Die Genfer Flüchtlingskonvention schützt neben politisch Verfolgten auch die wegen Rasse, Religion, Nationalität und sonstiger Gruppenzugehörigkeit Verfolgten.
 
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In Deutschland gilt die Genfer Flüchtlingskonvention genau wie in 140 anderen Staaten.
Das Völkerrecht ist meiner Meinung nach viel wirkungsmächtiger als das inzwischen ausgehöhlte Grundrecht des Grundgesetzes.
Daraus folgt: Das bundesdeutsche Asylrecht hat im wesentlichen die gleichen Grundlage wie in fast allen anderen Staaten der Welt.

Das Völkerrecht ist laut GG direkt Teil der deutschen Rechtsordnung (Art. 25 GG). Es bindet Bürger und staatliche Gewalt unmittelbar. Ich meine mich zu erinnern, dass das keineswegs der Normalzustand ist, auch nicht in anderen demokratischen Rechtsstaaten.
 
In Südfrankreich gibt es viele italienische Namen, Folgen des Zuzugs im 19. Jahrhundert (müsst ich mal nachschlagen)

Savoyen und die Grafschaft Nizza gehörten bis 1860 nicht zu Frankreich (abgesehen von 1796-1815). Viktor Emanuell II. rief sich 1861 mit französischer Untersstützung zum König von Italien aus, im Gegenzug kamen seine Stammlande und Nizza an Frankreich.
In Savoyen war Artipan eine verbreitete Sprache. In wie fern Artipan und das südfranzösische Okzitanisch italienisch klingede Namen hervorbringen, weiß ich nicht. Ich wollte nur darauf hinaus, das italienische Namen im südlichen Frankreich nicht zwangsläufig auf Migration schließen lassen. (Napoleone Buonaparte)
 
Wobei die Buonapartes doch einst von Genua noch Korsika gezogen sein sollen, wenn ich es richtig im Kopf habe.
 
Savoyen und die Grafschaft Nizza gehörten bis 1860 nicht zu Frankreich (abgesehen von 1796-1815). Viktor Emanuell II. rief sich 1861 mit französischer Untersstützung zum König von Italien aus, im Gegenzug kamen seine Stammlande und Nizza an Frankreich.
In Savoyen war Artipan eine verbreitete Sprache. In wie fern Artipan und das südfranzösische Okzitanisch italienisch klingede Namen hervorbringen, weiß ich nicht. Ich wollte nur darauf hinaus, das italienische Namen im südlichen Frankreich nicht zwangsläufig auf Migration schließen lassen. (Napoleone Buonaparte)

Stimmt alles, es gab aber auch eine massive Einwanderung. Und nicht nur nach Südfrankreich, wie ich fälschlicherweise schrieb.

Ich habs mal nachrecherchiert und in einen eigenen Thread eingestellt: http://www.geschichtsforum.de/f45/italienische-einwanderung-nach-frankreich-53260/#post782540
 
Riothamus/ebenso Maglor schrieb:
Wobei nur das politische Asylrecht im GG verankert ist. Das religiöse und kriegsbezogene Asylrecht fehlen ...

Das ist eine häufig anzutreffende, aber völlig falsche Deutung des Wortlauts von Art 16a GG, der "politisch Verfolgte" benennt.

Art 16a I GG ist deckungsgleich mit Art. 16 II 2 GG alter Fassung, für den bereits - und heute fortgesetzt - Folgendes herrschende Meinung darstellt:

Richtig ist, dass "politische Verfolgung" sich auf staatliche Verfolgung aus Gründen "bestimmter persönlicher Merkmale" bezieht. Darunter fallen u.a.

Rasse
Religion
Nationalität
Politische Überzeugung
Zugehörigkeit zu bestimmter gesellschaftlicher Gruppe

Bei den "asylerheblichen" Merkmalen gibt es keine Regelungslücke, die angeblich durch Völkerrecht aufgefüllt werden musste. Dieses basiert ( bei dem unbestimmten Rechtsbegriff des politisch Verfolgten ) auf der s.g. "Motivationslehre" des BVerwG, dem das BverfG nie widersprochen hat. Der "Politisch Verfolgte" wird daher auch als deckungsgleich mit dem Flüchtling der Genfer Flüchtlingskonvention, für den alle denkbaren Fälle aks Merkmale und Motivation politischer Verfolgung gelten.

"In Anlehnung hieran ist eine Verfolgung als „politisch“ anzusehen, wenn sie auf bestimmte persönliche Merkmale abzielt, ...[siehe oben]

Politische Verfolgung ist dadurch geprägt, dass sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatl Einheit ausgrenzen"
Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, GG § 16a

Ebenso statt vieler GG-Kommentare wie Mauz/Dürig § 16a.

Nach sämtlichen Kommentaren ist die Entstehungsgeschichte aus den Erfahrungen mit Asyl/Politischer Verfolgung des Dritten Reiches, insbesondere Deutscher im Exil/Asyl, herzuleiten. Nach den Protokollen ist die Bestimmung aus Schutzgedanken im Auslieferungsrecht eingefügt worden. Die Erstfassung hatte die Regelungen 16 II 2 mW noch nicht vorgesehen. Müsste ich nachschlagen.
 
Nach sämtlichen Kommentaren ist die Entstehungsgeschichte aus den Erfahrungen mit Asyl/Politischer Verfolgung des Dritten Reiches, insbesondere Deutscher im Exil/Asyl, herzuleiten.

Das ist die Sichtweise der Juristen. Ich bin überzeugt, Deutschland hätte auch ohne "Erfahrungen mit Asyl/Politischer Verfolgung des Dritten Reiches, insbesondere Deutscher im Exil/Asyl" ein Asylrecht, dass dem jetzigen ganz ähnlich wäre. Wie alle unsere Nachbarn auch. Warum auch nicht, zum Henker?

Juristen sind einfach so sehr mit den Feinheiten des Juristendeutsch beschäftigt, dass sie nicht mehr über den nationalen Tellerrand blicken können.
 
Bei den "asylerheblichen" Merkmalen gibt es keine Regelungslücke, die angeblich durch Völkerrecht aufgefüllt werden musste. Dieses basiert ( bei dem unbestimmten Rechtsbegriff des politisch Verfolgten ) auf der s.g. "Motivationslehre" des BVerwG, dem das BverfG nie widersprochen hat.
Die Rechtsprechung des BVerG mag diee Auslegung hergeben. Aus historischer Sicht ist das jedoch ein Zirkelschluss, weil das Grundgesetz von 1949 ist und die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes konnten die Genfer Konvention noch gar nicht eingeplant haben.

Im deutschen Asylgesetz wird die Flüchtlingseigenschaft aus der Genfer Konvention abgeleitet, § 3 AsylG. Den unbestimmte Rechtsbegriff des "politischen Verfolgten" hat der Gesetzgeber gar nicht weiter verwendet. Allerdings steh den Konventionsflüchtlingen Asyl nach § 16a GG zu. Die genau bestimmte Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention hat so den unbestimmten Rechtsgriff des Grundgesetzes ausgefüllt.

Zur Entstehungsgeschichte des Grundrechts ist dieser Artikel aus der Zeit ganz interessant:
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ Wie der Artikel 16 ins Grundgesetz kam – Die Diskussionen im parlamentarischen Rat von Michael Streich 17. Februar 1989
Am Anfang war das Grundrecht mal als Deutschengrundrecht geplant. Das erklärt zumindest, warum das Asylrecht ursprünglich im gleichen Artikel mit dem Ausbürgerungsverbot stand.
Der verworfene Vorschlag für Art. 16 GG:"Jeder Deutsche, der wegen seines Eintretens für Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit oder Weltfrieden verfolgt wird, genießt im Bundesgebiet Asylrecht."
 
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