Der Erste Weltkrieg und Geschichtsphilosophie

Simon

Mitglied
Hallo zusammen,

Ich suche gerade Literatur zur Thematik, wie der Erste Weltkrieg von den Zeitgenossen in Deutschland geschichtsphilosophisch interpretiert wurde. Wichtig ist mir dabei, dass es sich um Interpretationen handelt, die während des Kriegsverlaufs und nicht retrospektiv entstanden sind.

Ich meine, dass der Krieg immer wieder als Zeitenwende/ Beginn eines neuen, für Deutschland goldenen, Zeitalters verstanden wurde. In diesem Kontext auch als sakralisierter Weltenkampf. Literartur, die sich konkret mit diesem Thema befasst, konnte ich bisher leider kaum finden. Mich würde v.a. die ideologische Ausgestaltung und die gesellschaftliche Verbreitung interessieren.(waren es nur die Claßsens und Fritschs oder war das mehrheitstauglich...)

Vielen Dank & viele Grüße
 
Hallo zusammen,

Ich suche gerade Literatur zur Thematik, wie der Erste Weltkrieg von den Zeitgenossen in Deutschland geschichtsphilosophisch interpretiert wurde. Wichtig ist mir dabei, dass es sich um Interpretationen handelt, die während des Kriegsverlaufs und nicht retrospektiv entstanden sind.

Ich meine, dass der Krieg immer wieder als Zeitenwende/ Beginn eines neuen, für Deutschland goldenen, Zeitalters verstanden wurde. In diesem Kontext auch als sakralisierter Weltenkampf. Literartur, die sich konkret mit diesem Thema befasst, konnte ich bisher leider kaum finden. Mich würde v.a. die ideologische Ausgestaltung und die gesellschaftliche Verbreitung interessieren.(waren es nur die Claßsens und Fritschs oder war das mehrheitstauglich...)

Vielen Dank & viele Grüße


Ist zwar erst 1922 erschienen, wurde aber 1917/18 geschrieben, und als universalhistorisch morphologisches geschichtsphilosophisches Werk geht, meiner meinung nach kein weg daran vorbei.

Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes- Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte.

http://de.wikipedia/org/wiki/Der_Untergang_des_Abendlandes
 
Meinst du eine Interpretation seitens einer geistigen Elite oder meinst du die Rezeption in der Bevölkerung? Bei letzterem wäre das grundsätzliche Problem, dass die am wenigsten elitäre Rezeption, die noch einigermaßen breit überprüfbar ist, Privatbriefe sind (wer schreibt schon Briefe und dann noch darin über Politik - schon das ist eine Elite), eher aber Zeitungsartikel, die bereits eine weitere Stufe von Elite reflektieren und zu der Zeit, wenn ich nicht irre, auch noch der Zensur unterlegen haben werden. Falls du elitäre Sichten meinst, wäre die Frage, welche Elite?
 
Intellektuelle und Kuenstler ? Tja, u.a. geht Muenkler darauf ein:

Es gab, so Münklers zentrale These, keinen zwingenden Weg in das Desaster. Der August 1914 war nicht das logische Ergebnis des deutschen Militarismus. Zwar drängten Generale vor 1914 zum Präventivkrieg gegen Frankreich. Berühmt wurde Generalstabschef Helmuth von Moltkes knappe Formel: "Je eher, desto besser". Doch die meisten in den politischen Eliten, nicht nur in Berlin, hielten einen großen Krieg für möglich, aber unwahrscheinlich und vor allem für nicht führbar. Reichskanzler Bethmann Hollweg setzte eher auf Ausgleich. Die Ökonomien waren ja so vernetzt wie noch nie. Zum Krieg kam es, so Münkler, aus einer Mischung aus Leichtsinn, Zufall und strukturellen Gründen. Das Deutsche Reich wähnte sich eingekreist - Frankreich und Großbritannien wiederum glaubten sich von dem deutschen Großmachtgehabe bedrängt. Die prekäre deutsche Mittellage war in dieser Sichtweise doch ein entscheidender Faktor: Nährlösung für die Paranoia auf allen Seiten, die im Juli 1914 die Katastrophe beschleunigte.


Und die Künstler? Und Intellektuelle?

Ernst Barlach schrieb: "Opfern ist eine Lust, die größte sogar." Der Maler Franz Marc: "Die Welt will rein werden, sie will den Krieg." Thomas Mann adelte den preußischen Militarismus zur "deutschen Moralität".

Ein Novum dieses Krieges war auch, dass sich deutsche Professoren als Einpeitscher betätigten, die militärisch kenntnisfrei alles jenseits eines Siegfriedens als Verrat denunzierten. Es gab zuhauf nationalistische Akademiker, die im Massenschlachten ein Mittel gegen das Vordringen "französischen Kokottentums" an die deutschen Universitäten sahen. aus: Herfried Münklers Buch zum 1. Weltkrieg: Leichtsinn, Zufall und Paranoia - taz.de
 
Und eine Diskussion zu 1913/14 im Radio dazu :


[FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]Clicken - Seite oeffnen - oben rechts audio abspielen[/FONT]


http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/swr2-forum/rueckschau/-/id=660194/nid=660194/did=12026286/ys1s7x/index.html

<A href="http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/swr2-forum/rueckschau/-/id=660194/nid=660194/did=12026286/ys1s7x/index.html">http://www.swr.de/swr2/programm/sen...194/nid=660194/did=12026286/ys1s7x/index.html
[FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]Deutschlands Schuld, Europas Versagen
Wie kam es zum Ersten Weltkrieg?

Es diskutieren:
[/FONT]
[FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]
Prof. Dr. Christopher Clark, Historiker, University of Cambridge

[/FONT][FONT=Arial, Helvetica, sans-serif][/FONT]
[FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]Prof. Dr. Gerd Krumeich, Historiker, Universität Düsseldorf
Priv.-Doz. Dr.Ernst Piper, Historiker, Universität Potsdam


[/FONT]
 
Wichtig ist mir dabei, dass es sich um Interpretationen handelt, die während des Kriegsverlaufs und nicht retrospektiv entstanden sind.
mir ist nicht ganz klar, warum du retrospektive Betrachtungen ausschließen willst - was in der Zeit von 1914-18 betrifft, so wäre vielleicht Ernst Jünger für dich interessant (speziell in Stahlgewittern In Stahlgewittern ? Wikipedia und die zahlreiche Sekundärliteratur dazu)

verblüffend auch, dass Wittgensteins Tractatus logico philosophicus nicht nur in dieser Zeit, sondern in den Schützengräben quasi entstanden ist.

ob Thomas Manns zwiespältige Betrachtungen eines Unpolitischen dir hilfreich sein können, bezweifle ich

Ich meine, dass der Krieg immer wieder als Zeitenwende/ Beginn eines neuen, für Deutschland goldenen, Zeitalters verstanden wurde.
diesen Eindruck habe ich nicht so sehr.
 
@Simon

Dein in #1 formulierter Erwartungshorizont hinsichtlich:

"...Ich suche gerade Literatur zur Thematik, wie der Erste Weltkrieg von den Zeitgenossen in Deutschland geschichtsphilosophisch interpretiert wurde. Wichtig ist mir dabei, dass es sich um Interpretationen handelt, die während des Kriegsverlaufs und nicht retrospektiv entstanden sind. ..."

Erfüllt m.E. dieses Buch:

Karl Hampe, Kriegstagebuch 1914 bis 1919, Herausgegeben und eingeleitet von Folker Reichert und Eike Wolgast, Oldenbourg, 2004, Band 63, Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, Bayerische Akademie der Wissenschaften.

Hampe hat als Prof. für mittlere und neuere Geschichte an der Uni Heidelberg (1903 - 1934) gearbeitet und sein Kriegstagebuch als Zeitgenosse geführt. Es beinhaltet, Kriegsgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Sozialgeschichte, Kunstgeschichte, Mentalitätsgeschichte aber auch persönliche Schnittmengen zu der Realität des I. WK. Die Herausgeber haben es vorsichtig bearbeitet und mit einem übersichtlichen Anmerkungsapparat versehen.

ISBN 3-486-56746-X

M.
 
mir ist nicht ganz klar, warum du retrospektive Betrachtungen ausschließen willst

Ich denke hier geht es um einen anderen Blickwinkel, als die Frage nach den objektiven Geschehnissen. Für das was die Einzelnen zu ihrem Handeln bewegt kommt es ja nicht darauf an, was tatsächlich geschieht, sondern was sie glauben, das geschieht und wie sie das bewerten.
 
Wilhelm Windelband, diktierte meines Wissens seinem Sohn auf dem Totenbett: Geschichtsphilosophie. Eine Kriegsvorlesung. Fragment aus dem Nachlass. Hrsg. v. Wolfgang Windelband. Kant-Studien. Ergänzungshefte. Bd. 38. Berlin 1916.
 
Ich denke hier geht es um einen anderen Blickwinkel, als die Frage nach den objektiven Geschehnissen. Für das was die Einzelnen zu ihrem Handeln bewegt kommt es ja nicht darauf an, was tatsächlich geschieht, sondern was sie glauben, das geschieht und wie sie das bewerten.

Klar!

Bethmann Holweg meinte ja, dass die Russen gegen Deutschland aufruesteten und irgendwannn mal zuschlagen wuerden. Als Anhaenger des Schliefen-Plans war er deshalb fuer einen "Verteidigungskrieg".
 
Klar!

Bethmann Holweg meinte ja, dass die Russen gegen Deutschland aufruesteten und irgendwannn mal zuschlagen wuerden. Als Anhaenger des Schliefen-Plans war er deshalb fuer einen "Verteidigungskrieg".

Welchen zeitgenössischen Darstellungen sollen die vier mutmaßlichen Standpunkte Bethmann Hollweg klar zu entnehmen sein?
 
Was die "Intelligenz" und deren "Philosophie" betrifft, so las ich dieses:

[FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]Auch der Geist oder spirit, der der Katastrophe vorspurte, war seinerseits vielerorts nicht dazu angetan, im europäischen Haus die Besonnenheit auszurufen. Der Pazifismus stand auf schwachen Füssen. [/FONT]
[FONT=Arial, Helvetica, sans-serif][/FONT]
[FONT=Arial, Helvetica, sans-serif]Herausragende Vertreter der Intelligenz lehrten, dass Kampf und Krieg – immer im Reflex auf das Grosse der eigenen Nation – legitim, ja notwendig seien. Die im späteren 19. Jahrhundert mächtig kursierende Lebensphilosophie predigte den Vitalismus sowohl unter den Vorzeichen der Gattung wie als Energie nationaler Selbstbestimmung. [/FONT]

Gedanken zum Ersten Weltkrieg: Klirrend in den Abgrund - Übersicht Nachrichten - NZZ.ch

Fand ich insgesamt eine sehr gute Analyse.

Gringo
 
"Geistige" Grundlagen....

"Was waren die großen geistigen Strömungen am Vorabend des Ersten Weltkrieges? Wie setzte sich das geistige Klima im Deutschen Reich um 1900 zusammen? Geschichtswissenschaftler gehen den Ideologien und Mentalitäten nach, die den Weg in den Krieg begleitet und vielleicht geebnet haben."

Hier ausfuehrlich:
http://www.deutschlandfunk.de/erster-weltkrieg-mentalitaeten-und-ideologien-am-vorabend.1148.de.html?dram:article_id=273506


und auch hier:

Auch Schriftsteller und Intellektuelle hatten offenbar den Frieden satt und beteiligten sich an der Propaganda vor und während des Ersten Weltkriegs.
Der Militärhistoriker Klaus-Jürgen Bremm hat entsprechende Texte aus vier Nationen analysiert.


http://www.deutschlandradiokultur.de/kriegspropaganda-regelrecht-besoffen.1270.de.html?dram:article_id=273368

 
Peter Englund hat mit "Schönheit und Schrecken" Tagebucheinträge von zumeist einfachen Soldaten, Krankenschwestern etc. zeitlich sortiert. Anfangs noch sehr euphorisiert, lässt die Begeisterung bei den meisten doch sehr schnell nach und es wird über die Einordnung des Krieges in die weitere Geschichte philosophiert.

Alles in Allem etwas populärwissenschaftlicher geschrieben, aber die Tagebucheinträge sind unverändert.

Peter Englund, Schönheit und Schrecken, Rowohlt Taschenbuch, Berlin, 2011, ISBN: 978-3-499-62623-4
 
http://dlfkulturfragen.radio.de/



Große Künstler wie August Macke und Franz Marc starben im Ersten Weltkrieg in den Schützengräben. Angeblich zogen viele Intellektuelle begeistert in den Krieg. Der Kunsthistoriker Uwe Schneede hat sich mit diesem Mythos auseinandergesetzt.
 
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