"Der flavische Limes" bei Tübingen mit unentdeckter Hauptstadt?

Timestheus

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Habe heute bei academia zwei interessante Publikationen entdeckt - relativ neu aus dem Jahr 2022. Der Autor Ralf Kempe geht hier von einem bisher unbekannten Limes Abschnitt in der Gegend bei Tübingen über den Neckar aus.

Ich habe darüber noch nichts offizielles gefunden und finde das Ganze - da in direkter Nähe, natürlich sehr interessant.

Hier seine Veröffentlichung über den von ihm genannten "Neckasperrriegel":
https://www.academia.edu/83018809/D...Pfrondorf_Kusterdingen_Wannweil_by_Ralf_Kempe

Und hier der zweite Teil, welcher von einer (weiteren) größeren Stadt in diesem Bereich ausgeht (Kusterdingen):
https://www.academia.edu/83019252/D...dt_der_Flavier_urbs_flavianorum_by_Ralf_Kempe

Ich habe alles nur kurz überflogen und noch nicht im Detail gesichtet. Vielleicht aber schon mal ganz interessant für den Einen oder Anderen.
 
Ich habe mir mal das Luftbild vom ersten gemutmaßten Kastell im ersten Dokument angesehen. Dort sehe ich nichst von dem, was Kempe in seiner Karte aufzeichnet.
Bei einem weiteren (nördlich der Weiherstraße in Pfrondorf) sind aber in Wiese und Acker deutliche gerade Linien zu erkennen, die Kempe als Teil eines Kastells identifiziert, die tatsächlich nicht als Spuren des Traktors anzusehen sind und offensichtlich anthropogenen Ursprungs.

Auffällig ist die Häufung der von ihm ausgemachten Kastelle rund um Pfrondorf (ohne die jetzt im Einzelnen zu überprüfen). Wenn es sich um militärische (Römer-)Lager handelt, dann bestünde die Möglichkeit, dass es sich um Übungslager handelt, wie man das am Niederrhein teilweise findet oder auch am Hadrianswall.
 
eine römische Großstadt, größer als Trier (sic!), soll um Kusterdingen herum vorhanden gewesen sein, und diese Großstadt sollen die Römer selber aus politischen Gründen platt gemacht haben - soweit das Fazit des zweiten pdf-Textes, dem es meiner Ansicht nach an Quellen, Funden und Argumenten mangelt.

fast so spektakulär wie die unbekannte Großstadt ist der Sperrmauer-Riegel, der von Pfrondorf runter an den Neckar und am gegenüberliegenden Hang hinauf nach Kusterdingen (zur Großstadt) gereicht haben soll - auch hier keine Quellen, Funde, Argumente.
 
fast so spektakulär wie die unbekannte Großstadt ist der Sperrmauer-Riegel, der von Pfrondorf runter an den Neckar und am gegenüberliegenden Hang hinauf nach Kusterdingen (zur Großstadt) gereicht haben soll - auch hier keine Quellen, Funde, Argumente.
Dafür gäbe es immerhin am Hadrianswall eine Parallele. Die Querung des Irthing an der Willowford-Farm.
 
Die linksseitig des Neckars von Pfrondorf den Talhang zum Neckar querende vermutete Neckarsperrmauer, im GeoViewer BW erkennbar, zeigt sich im Google-Sat-Bild so:

Neckarsperrriegel Satelit.JPG


An der Linie in der Baumvegetation vor allem im unteren Teil gut sichtbar, dürfte sich darunter anderseits keine römische Mauer befinden, sondern die üblichen modernen, großen Rohrleitungen, für Gas, Abwasser, Trinkwasser usw.

Mir war u.a. aufgefallen, dass die angebliche römische Sperrmauer nicht den kürzesten Weg zum Talgrund nimmt, sondern leicht schräg am Talhang verläuft. Außerdem ist am Ende der Baumwipfellinie ganz kurz vorm Flussbett offenbar das silberne, gewellte Dach eines kleinen Gebäudes erkennbar, exakt in Linie liegend.
 
eine römische Großstadt, größer als Trier (sic!), soll um Kusterdingen herum vorhanden gewesen sein, und diese Großstadt sollen die Römer selber aus politischen Gründen platt gemacht haben - soweit das Fazit des zweiten pdf-Textes, dem es meiner Ansicht nach an Quellen, Funden und Argumenten mangelt.
Bei dem jungen Mann können sich die Archäologen noch Expertise abschauen, der kann an der Bewuchshöhe des Grases nicht nur erkennen, was da für Gebäude gelegen haben sollen, sondern auch deren chronologische Reihung. Das ist doch mal nichtinvasive Archäologie.

Ernsthaft: Ich hatte bis dato nur die ersten Seiten von Dokument 1 gelesen. Bei der ersten "Fundstelle" konnte ich nichts erkennen, was die Ausführungen irgendwie plausibel gemacht hätte, bei einer zweiten aber obige anthropogene Wälle. Dass er "eine Arbeitsgrundlage für weitere Forschungen" bieten wolle, wie er in Abstract und Vorwort schreibt, fand ich zwar fast etwas vollmundig aber im Grunde nicht unvernünftig.

Das zweite Dokument ist natürlich von Anfang an Realsatire. Ein Kaiserforum außerhalb der Stadt*, eine Planstadt mit einem fast schluchtartigen Bach in ihrem Stadtzentrum, ein angebliches Amphitheater, von dem offenbar nur das Wasser geblieben ist (ein Teich), mitten in einem Neubaugebiet, aber keinerlei bekannte Funde ...

*also extramuros, nicht etwa - wie z.B. in Tarragona, an einem besonders prominenten Ort am Stadtrand
 
Ist ja auch nicht völlig abwegig, das muss man zu seiner Ehrenrettung sagen.

Schon klar, das habe ich auch gesehen...seine römischen Konstruktionen erinnerten mich halt stark an so manch frühere heimatkundliche große Phantasieburg/-burganlage...aufgrund von wenigen, zerfallenen Mauerresten irgendwo.
 
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Ich habe das zweite verlinkte Dokument mir angesehen. Ja, ähm, bin offen gestanden ziemlich ratlos.

Der Begriff "Nachweis" taucht zwar häufiger in den Überschriften auf, wenn ich dann aber in den Text gehe und nach den Nachweisen suche, dann finde ich da keine, sondern nur Vermutungen, nicht einmal irgendwelche Funde oder Befunde römischer Herkunft in der vorgeblichen Stadt.
 
Hier vor Ort gibt es einen Friedhof, an der nahen Lippe römische Funde, vor Ort germanische und der Ortsname ist sehr alt. Hier muss Germanicus die Legionen des Varus begraben haben.

Und das ist sensationell, weil schon die Preußen, die um 1900 den Friedhof an die richtige Stelle verlegten, darum gewusst haben müssen. Nur eine großangelegte Verschwörung der Sargschreiner verhindert bisher, dass die Friedhöfe Nordwest- und Mitteldeutschlands als Germanicus-Horizont erkannt sind.

Das ergibt sich aus der für Germanicus typischen Fundleere, da er bessere Staubsauger hatte als andere Feldherrn. Ihr wisst schon: Neue Besen fegen gut.
 
Mich wundert eher, dass der Autor als Vermessungstechniker nicht im Luftbild erkannt hat, dass es sich bei der 'Linie', die auf der linken Neckar-Talseite von Pfrondorf zum Talgrund zieht, um eine rezente Erscheinung handelt. Er wird doch als Vermessungstechniker eine gewisse Erfahrung mit der Deutung und Sichtung moderner Baueingriffe im Gelände haben, meine ich.

Nochmals per google Maps der linksseitige Hangeinschnitt von der Pfrondorfer Hochfläche zum Neckar-Talgrund, unterer Abschnitt, diesmal mit deutlicher Abbildung des Gebäudes am Ende der 'Linie' am Talgrund. Übergabestation, Druckstation, Pumpenhaus etc. im Zusammenhang mit der im Talhang verbauten Leitung.


Unbenannt.JPG
 
(scherzando)
@andreassolar ...wie guckst du, wenn der Wasserturm Egeria ein römisches Fundament... :D:D zudem müsste die Kusterdinger Römergroßstadt ja auch einen Aquädukt haben, da könnte der später gebaute Wasserturm als Hinweis dienen :D:D
 
War Egeria (Oder Etheria) nicht die Nonne, die aus Frankreich oder Spanien nach Jerusalem pilgerte?

Edit: Peregrinatio Egeriae.
Edit 2: Über Egeria ist weniger bekannt, als ich dachte. Die Thesen reichen von Katechumenin (also erwachsener Täufling) bis hin zu Äbtissin.
 
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Ich werde mir das ganze mal in Ruhe am Wochenende anschauen und durchlesen. Vielleicht fahre ich mal auch vor Ort - sind ja keine 20min von mir - und mache mal eine kleine Ortsbegehung - vor allem was "die Stadt" angeht.

Ich finde es ganz interessant - auch wenn es sich am Ende als haltlos heraus stellen sollte.

Sarkasmus, Ironie oder Häme finde ich ggü. dem Autor ungerecht - immerhin lebt Geschichte auch von solchen Menschen, auch wenn sie sich am Ende vielleicht irren sollten. Zumal es schon genügend "Entdecker" gab - welche erst belächelt wurden. Natürlich kann man seine Argumente widerlegen - dies sollte man aber objektiv machen, wie jede Kritik. Ins lächerliche ziehen ist leicht - aber ich finde es toll, wenn Menschen immer wieder versuchen was zu entdecken.

"Unsere" römische Villa in Hechingen-Stein wurde anfangs auch belächelt - als die ersten Funde gemacht wurden. Und selbst während der ersten Grabungen war man sich sicher, dass da außer einer kleinen Villa nix großartiges raus kommen wird. Nur weil ein paar Enthusiasten von Anfang an voll dabei waren - hat man heute diese unglaubliche Anlage.

Na ja. Wie geschrieben - ich werde den Feiertag wohl mal nutzen vor Ort selbst vorbeizuschauen.
 
"Unsere" römische Villa in Hechingen-Stein wurde anfangs auch belächelt
dass sie vormals, ehedem belächelt wurde, wusste ich nicht - - aber besucht habe ich sie mehrfach und das war jedesmal klasse (ich kenne die Gegend recht gut) und folglich kenne ich auch alle Sumelocenna-Sachen etc

was die spöttische Beinote der Reaktionen auf die Kusterdinger Römergroßstadt betrifft, so resultieren die aus den maßlosen Übertreibungen besonders des zweiten pdf-Textes (Großstadt größer als Trier (sic!), zwei Amphitheater etc etc und alles ohne einen einzigen römischen Ziegel, ohne ein einziges kleines Stückchen römisches Mauerfundament, aber garniert mit großen Worten) - ich finde das nicht unfair.
 
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Sarkasmus, Ironie oder Häme finde ich ggü. dem Autor ungerecht - immerhin lebt Geschichte auch von solchen Menschen, auch wenn sie sich am Ende vielleicht irren sollten.

Es geht hier nicht um Funde/Befunde, die möglicherweise römisch sein könnten, und wo vermutet wird, dass da ein Römerlager, Vicus oder Villa Rustica gewesen sein könnte, sondern der Autor behauptet, dass an einem Ort eine römische Großstadt (!) gewesen sein soll. ohne dass irgendwelche Belege, Funde oder Befunde dafür präsentiert werden.

Das entspringt alles der Phantasie des Autoren. Für mich ist die Arbeit nichts als heiße Luft, vollkommen spekulativ.
 
dass sie vormals, ehedem belächelt wurde, wusste ich nicht - - aber besucht habe ich sie mehrfach und das war jedesmal klasse (ich kenne die Gegend recht gut) und folglich kenne ich auch alle Sumelocenna-Sachen etc

Ja am Anfang hatten "sie" recht große Schwierigkeiten a) der Finanzierung (was soll man da schon groß finden) und b) bis mal endlich auch das Landesdenkmalamt in die Pötte gekommen ist entsprechende Ressourcen in die Ausgrabung zu stecken (ebenso, da wird nicht viel zu finden sein).

Und jetzt klopfen sich "die Oberen" alle auf die Schulter, weil die Amtsträger schon immer wussten was da am Ende tolles raus kommt (und immer noch entdeckt wird) - und niemand will jetzt mehr "Bremse" früher gewesen sein. Wie Du weißt - ist ja inzwischen eine sehr große Attraktion. Zwar noch nicht ganz so wie das Kastell in Aalen - aber im Sommer dennoch, gerade bei den Veranstaltungen, extrem gut besucht.

Durfte mal als Laie bei einer Ausgrabungsphase mitmachen.
Na ja - als HiWi ohne Rechte - hat aber dennoch Spaß gemacht.


Was Kusterdingen angeht - schon möglich das auf der Neckarlinie da noch was unentdecktes ist. Zwischen Rottenburg (Sumelocenna) und Köngen (Grinario) ist bisher m.W. nur leerer Raum und das auf einer wichtigen Verbindungslinie. Kann mir schon Vorstellen, dass dazwischen noch eine größere Siedlung existierte.

Aber wie geschrieben - habe die zwei PDF nur überflogen. Ich wohne hier im Dreieck Tübingen / Rottenburg / Schönbuch ... und natürlich saugt man da jede römische Entdeckung (oder Vermutung, oder Spekulation) mit Begeisterung sofort auf ;)
 
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