Der Geheimnisverrat und das englisch-russische Marineabkommen

K

Köbis17

Gast
Vorgeschichte:

Durch die Entwicklung der führenden Nationen der wirtschaftlichen-industriellen, politisch-sozialen und militärisch-technischen Bereiche, hatten sich die Menschen auf allen Gebieten grundlegend verändert. Die politische Herrschaft der großen Nationalstaaten diente nun zunehmend zur Durchsetzung ökonomischer Interessen, wodurch machtpolitische Gegensätze im europäischen Staatensystem und schließlich Konflikte vorprogrammiert waren.

Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wird das Deutsche Reich gegründet.
Mit der „Krieg-in-sicht“ – Krise 1875 zeigen Großbritannien und vor allem Russland, dass Sie eine weitere „Demütigung“ Frankreichs nicht akzeptieren werden. Dies zeigt woher diese Grundhaltung zwischen den Nationalstaaten entspringt.

Die außenpolitische Haltung Deutschlands unter Bismarck war es, eine Gesamtsituation in Europa zu schaffen, „in welcher alle Mächte außer Frankreich unserer bedürfen und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden“.

Die Industrialisierung der Nationalstaaten wurde ab den 1880iger Jahren zunehmend am Grad des Kolonialisierungs-Erfolges gemessen. Es entstanden neue Spannungspunkte unter den Nationalstaaten in den jeweiligen Interessensgebieten, was sich allgemein auf eine erste Globalisierung außenpolitischer Probleme auswirkte, so z.B. die Samoa-Inseln.

Die deutsche Außenpolitik änderte sich ab 90iger Jahren mit dem „neuen Kurs“ unter Kaiser Wilhelm II. Durch eine Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrages mit Russland gab man die von Bismarck gewollte „Gesamtsituation“ auf und förderte so eine russisch-französische Annäherung, die 1892/94 mit der Gründung des „Zweibund“ erstarkte.
Deutschland hatte wiederum den „Zweibund“ mit Österreich-Ungarn seit 1879, wobei hier zwei Machtblöcke entstanden waren, die einen unüberwindlichen Brennpunkt vereinten. Der Balkan sowie der Zugang zum Schwarzen Meer. Dieser Südliche Weg führte direkt in die Interessensgebiete nach Asien oder Afrika (Landweg), wobei hier wiederum die Spannungen zwischen…usw.

Einzig Großbritannien unterhielt eine gewisse Neutralität, denn man konnte seine Weltpolitik auf eine starke oder besser gesagt, auf die Seemacht Nr.1, stützen. Der Naval Defence Act von 1889 und das Spencer-Programm von 1893 signalisierten eine Entschlossenheit, die weltweite maritime Vormachtstellung zu stärken.
Doch genau diese Vormachtstellung wurde mit der deutschen Flottenpolitik herausgefordert. Kaiser Wilhelm II. und der Staatssekretär des RMA Tirpitz, sahen in der Schlachtflotte als politischem Machtfaktor künftig das unverzichtbare Instrument einer Großmacht.

Die Kolonialpolitik, sowie die Flottenpolitik Deutschlands zwangen Großbritannien den alleinigen Kurs aufzugeben und näherten sich Frankreich und festigten dies mit der französisch-britischen „Entente cordiale“ 1904.

So sollte m.E. die angestrebte englisch-russische Marinekonvention ab 1912 das noch bestehende Mächtegleichgewicht gegen Deutschland zu dessen ungunsten kippen, was zwangläufig dazu führte, dass der Präventivkrieg von deutscher Seite her schon länger geplant (Schlieffen-Plan von 1892-1905) in die Tat umgesetzt werden könnte.

Frage:

Um nun tiefer in die Problematik des englisch-russischen Marineabkommens Einblick zu nehmen interessiert die Frage, inwieweit der "Geheimnisverrat" , d.h. die Tatsache, dass ein baltendeutscher Spion in der russischen Botschaft in London die deutsche Seite frühzeitig über den Beginn englisch-russischer Verhandlungen über ein Marineabkommen informiert habe, dazu beigetragen habe, die Reichsleitung zu einem vabanque-Kurs zu verleiten und war die Annährung Großbritanniens an Russland das Ergebnis der gescheiterten Verhandlungen mit der deutschen Regierung über einen Stopp des Flottenwettrüstens von 1912?
 
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Die Idee einer Marinekonvention zwischen Russland und Großbritannien hat im Zuge der Visite des französischen Ministerpräsidenten Poincáres 1912 in St.Petersburg das Licht der Welt erblickt. Poincáre schlug den russischen Außenminister Sasonov vor, er solle sich doch um eine maritime Zusammenarbeit mit Großbritannien in der Ostsee bemühen. Sasonow schlug dies dann seinen britischen Amtskollegen Grey kurze Zeit später in London vor, dieser lehnte aber jedoch ab. Er deutete aber an, dass die britische Flotte jedem helfen würde, der gegen Deutschland kämpfe. (1) Grey dürfte wohl auch u.a. abgelehnt haben, weil damals gerade Bemühungen liefen, sich mit Deutschland hinsichtlich des ruinösen Flottenrüstens zu einigen.

Nach dem Scheitern der Mission von Lord Haldane in Berlin, ist von Wilhelm die markige Aussage „Meine und des Volkes Geduld ist zu Ende“(2) bekanntgeworden . Er wies Bethmann an, ohne Rücksicht auf Großbritannien die Flottennovelle und auch die Wehrvorlage im Reichstag einzubringen. Bethmann reichte daraufhin am 05.März 1912 seinen Rücktritt ein. Als Grund gab Bethmann u.a. an, das der Kaiser Metternich angewiesen habe, in London mitzuteilen, das eine Verlegung englischer Schiffe aus dem Mittelmeer in die Nordsee als Drohung mit dem Kriege aufgefasst werden würde. In Berlin gab es also zu jenem Zeitpunkt eine handfeste Regierungskrise. Der Kaiser ließ Bethmann aber nicht gehen und ruderte hinsichtlich der Flottennovelle und der Wehrvorlage zurück.

Bethmann hat sich ein wenig Luft verschafft, um mit Großbritannien weiterzuverhandeln. Grey signalisierte Bethmann, das er ihm vertrauen würde. Von Tirpitz hatte Grey wohl eine etwas andere Meinung. Bethmann ließ Grey einen neuen Vertragsentwurf vorlegen. Man wurde sich aber nicht einig. Sir Ernst Cassel wurde von der britischen Regierung autorisiert, Ballin darüber zu informieren, das, wenn die britische Öffentlichkeit einige Monate zeit gehabt habe, sich daran (Flottennovelle) zu gewöhnen, könnten Gespräche über ein Ankommen ja wieder aufgenommen werden. (3)

1913 hat dann die deutsche Militärmission, unter den deutschen General Liman von Sanders, in Konstantinopel zwischen dem Deutschen Reich und Russland eine schwere Krise ausgelöst. Das Zarenreich war in heller Aufregung,, weil man ganz klar die Möglichkeit erkannte, dass das Deutsche Reich nun in der Lage versetzt war, die für das Zarenreich so überaus lebenswichtige Handelsroute ins Mittelmeer zu sperren.

In Russland war nun mittlerweile das Bedürfnis sehr stark ausgeprägt, ein festes Dreierbündnis, insbesondere eine festere Bindung an Großbritannien, zustande zu bekommen. Im Dezember 1913 lotete Sasonow beim britischen Botschafter in St. Petersbrug Buchanan erneut die Möglichkeit einer Marinekonvention aus. In Paris bemühte sich Iswolski erfolgreich um die Unterstützung der französischen Diplomatie für eine Bindung Großbritanniens an Russland, in Form einer Marinekonvention.

Als dann der englische König Georg im April 1914 Paris besuchte, setzten sich die Franzosen für den russischen Wunsch ein und erreichten die Zusage, Gespräche zwischen den Flottenstäben Großbritannien und Russlands zuzulassen.

Noch vor Beginn der Verhandlungen wurde die Reichsleitung durch ihren Spion Bernt von Siebert exakt ins Bild gesetzt. Das AA bediente sich Theodor Wolffs, der Chefredakteur des Berliner Tageblatts war, um die Verhandlungen über die Öffentlichkeit zu torpedieren. Die Publikation der russisch-britischen Verhandlungen sorgte für erhebliche Unruhe, auch in Großbritannien. Grey hat auf eine unmissverständliche Anfrage eines Abgeordneten des Parlaments eine sehr gewundene Antwort erteilt. Er führte u.a. aus, „es beständen keine unveröffentlichen Vereinbarungen mit anderen Staaten, die, wenn ein Krieg zwischen den europäischen Mächten ausbrechen würde, die Entscheidungsfreiheit der englischen Regierung oder des Parlaments, ob man an dem Kreige teilnehmen würde oder nicht, beeinträchtigen würde.“Des Weiteren betonte Grey, es seien auch keine solchen Verhandlungen im Gange und es sei auch nicht wahrscheinlich, dass man in irgendwelche eintreten würde. (4)

Fazit: Letzten Endes gab die Krise um die törichte Mission von Liman von Sanders am Bosporus den entscheidenen Anstoß für die fragliche Marinekonvention zwischen Großbritannien und dem Zarenreich.


(1) Grey, 25 Jahre Politik,Bd.1, S.283
(2) Tirpitz, Aufbau der deutschen Weltmacht, S.314f
(3) AA-Marinekab.XXXI C, Band 2, S.196, Ballin an Wilhelm 19.03.1912
(4) Fischer, Krieg der Illusionen, S.622f, Düsseldorf 1970
 
@Turgot, im letzten Satz nennst du die Sanders-Mission töricht. Das würde ich nicht so schwarz-weiß sehen. Der angestrebte Zugriff auf die Dardanellen und am liebsten Konstantinopel selbst war doch seit Peter dem Großen ein Hauptpunkt russischer Hegemonialpolitik und hatte seinerzeit den Krimkrieg verursacht. Bei aller "Freundschaft", Britannien hatte ein elementares Interesse, Russland nicht ins Mittelmeer zu lassen. Deshalb fielen seine Proteste eher mau aus.

Von deutscher Seite war eine Zusammenarbeit mit der Türkei (Sperrung der Dardanellen) der beste und imho einzige Weg, bei einem absehbaren Waffengang den "russischen Bären an die Kette zu legen". Um eine Bedrohung britischer Interessen im Mittleren Osten und am Suezkanal ging es primär m.E. gar nicht, auch wenn London dies unterstellte.
Oder habe ich jetzt etwas grundsätzlich falsch verstanden?
 
Auf deutscher Seite spielte auch der Gedanke eine Rolle, die Verbindung der Russen zu den Briten und Franzosen zu "lockern".
Aber Absicht der deutschen Miltärmission gemäß Wilhelm war es, die türkische Armee zu "germanisieren". Des Weiteren sollten natürlich die Tätigkeit der anderen Mächte in der Türkei genau beoachtet werden. Außerdem sollte das türkische Heer so entwicklen, das es als Gegengewicht gegen die aggressiven Absichten Russlands fungieren könne. Und natürlich sollte der deutsche Einfluß im Osmanischen Reich vorherrschend werden. (1)

Das Deutsche Reich war nicht gewillt das Osmansche Reich vom Zarenreich zerlegen zu lassen. Die Türken wollten ihre Armee, hier das Heer, modernisieren. Die Türken hatten aus diesem Grunde schon vor längere Zeit in Berlin angeklopft. Die türkische Marine wurde beispielsweise von den Briten in Form gebracht und auch von einen britischen Admiral, Admiral Limpus, kommandiert.(2) in St. Petersburg war man ganz offenkundig der Meinung, den Briten vertrauen zu können und den Deutschen nicht.

Jedenfalls war klar, das ein deutscher General, der die Position eines Generalinpekteur der osmanischen Armee und Kommandeur aller Heeresschulen und schließlich als kommandierender General das 1.Armeekorps, welches die Meerengen sicherte, in Russland ganz gewiss keine Begeisterungsstürme verursachen würde.

Bereits im Jahre 1912 hatten die Türken die Meerengen bereits einmal für ein Monat gesperrt, weil man einen italienischen Angriff befürchtete. Das hat für die Russen sogleich sehr schmezhaft wirtschaftliche Folgen gehabt.(3)

Die Russen protestierten außerordentlich heftig, die Briten und Franzosen waren im Verhältnis zurückhaltend, und dieser Vorgang artete zu einer regelrechten Krise aus. Es drohte sogar Krieg!

Großbritannien hatte nach der Erlangung der Kontrolle über Ägypten und den Suez-Kanal kein großes Interesse mehr am Osmansichen Reich. Wirtschftlich hatte man sich auch schon weitgehend zurückgezogen. Die alte Rolle, die Großbritannien hier gespielt hat, wurde quasi vom Deutschen Reich übernommen. Es war klar, das die Russen also äußerst empfindlich reagieren würden.

Bei Frankreich sah das ganz anders aus, denn sie waren einer der Kreditgeber der Türken.

(1) Fischer, Krieg der Illusionen, S.486, Düsseldorf 1970
(2) Hildebrand, Das vergangene Reich, S.297, DVA 1995
(3) Fischer, Krieg der Illusionen, S. 483, Düsseldorf 1970
 
Wie passt dies zusammen, wenn England nicht daran interessiert war, dass Rußland die Vormachtstellung um den Ein- und Ausgangsbereich des Schwarzen Meeres erhält. Dennoch ein Marinebündnis?

Wozu, wenn hätte doch nur Rußland profitieren können, da sie ja nach dem russisch-japanischen Krieg fast die gesamte Marine verloren hatten.

Oder konnte man in England so die Russen kontrollieren und wie schon nach 1856 abhalten doch die Meeresenge zu besetzen.
Oder gab es noch andere Gründe?

Dass passt doch alles nicht zusammen?
 
Siehe unten das Zitat aus obigen Beitrag:

Turgot schrieb:
Großbritannien hatte nach der Erlangung der Kontrolle über Ägypten und den Suez-Kanal kein großes Interesse mehr am Osmansichen Reich. Wirtschftlich hatte man sich auch schon weitgehend zurückgezogen. Die alte Rolle, die Großbritannien hier gespielt hat, wurde quasi vom Deutschen Reich übernommen.

Des Weiteren unterstützte im Foreign Office der Unterstaatssekretär Nichols dem Wunsch Sasonows nach einer Marinekonvention mit der Begründung, die Sorge, das Russland bei einer Zurückweisung sich veranlasst sehen könnte, doch noch auf die Seite Deutschlands zu wechslen. Dies Argument griff Grey auf, in dem er anführte, Deutschland könne es gelingen, Russland auf seine Seite zu ziehen.
Zwischen Russland und Großbritanien gab ja trotz allem immer noch gewisse Spannungsmomente in Persien. Für Russland war das Motiv relativ einfach: Es wollte eine feste Bindung, um sich Großbritanniens sicher zu sein.
 
Was blieb unter dem Strich: In Russland und Frankreich war man sich auf Grund des Abbruchs der Verhandlungen Großbritannien nicht wirklich sicher. Das hat sich dann im Verlauf der Juli-Krise ja dann auch bestätigt. In Deutschland hat Bethmanns Politik der Annäherung an Großbritannien durch das Bekanntwerden der Verhandlungen über eine Marinekonvention zwischen Großbritannien und Russland in London einen schweren Schlag erlitten. Und schließlich war auch Bethmann sein Vertrauen in Sir Edward Grey erschüttert, da dieser durch seine gewundenen Auführungen vor dem britischen Parlament die Verhandlungen mehr oder weniger geleugnet hat.
 
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