Der Kaiser und die falsche Kommandogewalt der Marine

Köbis17

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Immer wieder wird Kaiser Wilhelm II , zusammen mit seinem Marinearchitekt Tirpitz , als die treibenden Kräfte für den deutschen Navalismus genannt. Als 1888 Kaiser Wilhelm II zum deutschen Kaiser gekrönt wurde, befand sich die deutsche Marine in einer Talfahrt ihres technischen Zustandes. Doch dies würde sich unter Kaiser Wilhelm II bald ändern, doch entscheidend für das gelingen war die Organisation und die Führung der Marine.

Bis zur Gründung der kaiserlichen Admiralität 1872 wurde damalige preußische Marine von zwei Gewalten geführt.
So gab es das Oberkommando der Marine unter Prinz Adelbert von Preußen, dass direkt dem König unterstellt war und ein Marineministerium, dass mit dem preußischen Kriegsminister von Roon die Verwaltung führte. Zur Zusammenarbeit beider Behörden gab es einen Admiralitätsrat dessen Funktion aber nicht durchgesetzt werden konnte.

Da dem Ministerium die Verwaltung unterstand, die solche Themen der Personalpolitik bis hin zu den Marinestandorten sowie die Werften z.B. Danzig und Konstruktionsabteilungen leiteten, die Flotte aber dem Oberkommando unterstand, gab es viele Punkte in denen sich Expertenfragen und Personalgewalt in der Thematik der Marinefragen überschnitten. Die folge waren Reibereien zwischen den Behörden.

Mit der Gründung des deutschen Reiches 1871 wurde auch die kaiserliche Marine gegründet, sowie eine neue Struktur der Marinebehörden erstellt. Neue Reichsbehörde war die Kaiserliche Admiralität. Hier wurden nun die Verwaltung und das Oberkommando unter ein Dach geholt, dessen erster Admiral Albrecht von Stosch war. In diesen 10 Jahren schaffte er es, die kaiserliche Marine auf Platz 3. der Seemächte aufzubauen, da eine gemeinsame Struktur der Kommandogewalt innerhalb der Marine eine gute personelle Basis schaffte.

In den 80iger gab es nun die technischen sowie taktischen Probleme, wohin die kaiserliche Marine weiter Fahren wird. Doch diese ungewisse Zukunft gab es bei allen Marinen in diese Zeitraum.
Einzig der Aufbau von ständig besetzten Manöverflotten, war ein verdienst, dass auf die Zeit des Caprivi als Chef der Admiralität in diesen Zeitraum von 1883 bis 1888 fällt.

Als nun 1888 Kaiser Wilhelm II an die Macht kam, wurde alles wieder in seiner Struktur zergliedert, so dass das Oberkommando der Flotte direkt dem Kaiser unterstellt war. Dabei wurden die beiden weiteren Behörten des Marinekabinetts und Reichsmarineamt gebildet.

Diese Struktur führte schon früh dazu, dass das Dilemma der kaiserlichen Marine im 1. WK und die Keimzelle des politischen Umsturzes 1917/18 seinen Ursprung in gerade dieser des Kaisers Marine hat.

Durch falsche personelle Struktur wurde eine Flotte aufgebaut, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Aber was waren die Gründe, für so eine katastrophale Falsche Auslegung der Organisation der Marine?

Hatte der Kaiser schon 1888 sein politisches Grab mit dieser kaiserlichen Marine geschaufelt?
 
Als nun 1888 Kaiser Wilhelm II an die Macht kam, wurde alles wieder in seiner Struktur zergliedert, so dass das Oberkommando der Flotte direkt dem Kaiser unterstellt war. Dabei wurden die beiden weiteren Behörten des Marinekabinetts und Reichsmarineamt gebildet.
Diese Struktur führte schon früh dazu, dass das Dilemma der kaiserlichen Marine im 1. WK und die Keimzelle des politischen Umsturzes 1917/18 seinen Ursprung in gerade dieser des Kaisers Marine hat. Durch falsche personelle Struktur wurde eine Flotte aufgebaut, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Aber was waren die Gründe, für so eine katastrophale Falsche Auslegung der Organisation der Marine?

Die Frage warum unter KWII die Struktur geändert wurde, stellst du ja selbst. Hatte das vielleicht einen Hintergrund in der Trennung von ziviler (Haushalts-)Politik zu den Militärs? Sollten die Militärs nicht mehr unkontrolliert über ihre eigenen Wünsche entscheiden?

Kannst du bitte mal erläutern, in welchen Punkten sich diese Aufgliederung als negativ herausstellte? Wo entschieden Marinekabinett und Reichsmarineamt "gegeneinander" ?
 
So wie ich das Problem verstanden habe, wollte Wilhelm II. eine Organisation, die sich an der des Heeres orientierte. Das hatte den Vorteil, dass er eine Stabsstelle (Admiralstab als Pendant zum Generalstab), der nicht in einer Behörde angesiedelt war, die mit dem Reichstag zu tun hatte und damit einer (indirekten) Kontrolle oder sonstigen Art von (auch geringer) Abhängigkeit zum Reichstag stand. Mit dem Reichstag hatte somit nur der Marinestaatssekretär zu tun. Da faktisch eine Flotte nicht bestand, also erst aufgebaut werden musste, lag die Arbeit, die Verantwortung und letztlich auch die Macht beim Staatssekretär. Durch seine Budgethoheit – und die Notwendigkeit, bei den hohen Kosten alles Geld für die Schlachtflotte aufzuwenden, sollte dort ein vernünftiges Ergebnis erzielt werden – hat der Staatssekretär den Admiralstab personell klein gehalten. Die Personalangelegenheiten selbst waren Sache des Kaiser (wie bei der Armee), das wurde durch das Marinekabinett erledigt (Admiral Georg Alexander von Müller war ein Gefolgsmann von Tirpitz, er sollte sich später gegen ihn wenden). Da Marineangelegenheiten immer auch Auswirkungen auf die auswärtige Politik haben, hatte Tirpitz unter von Bülow auch einen (gewissen) außenpolitischen Einfluss.

Das alles funktionierte recht gut, es gelang ja eine sehr gute Schlachtflotte aufzubauen.

Als Bethmann Reichskanzler wurde (mit dem vom Wilhelm II. ausdrücklich formulierten Auftrag, Spannungen zwischen den Staaten abzubauen). Genau diese lobenswerte Absicht führte zu Problem. Bethmann identifizierte den Flottenbau (der über alle Reichstage hinweg eine breite parlamentarische Basis hatte) als das entscheidende Problem zwischen England und Deutschland. Das politische Konzept der Risikoflotte wurde aber zum Problem. Die diesbezüglichen Differenzen zwischen Tirpitz und Bethmann waren kleiner als allgemein angenommen. Wegen der ausbleibenden Finanzreform musste Tirpitz ohnehin beim Flottenbau maßhalten, das Angebot Bethmann’s einer Flottenreduktion war gering. Bethmann wollte eine grundsätzlich freundliche Politik gegenüber England (ohne dafür allerdings konkrete Gegenleistungen einzufordern) und eine eher unfreundliche Politik gegenüber Russland (zB Entsendung Liman von Sanders ins Osmanische Reich, unbedingte Bündnistreue zu Ö-U). Tirpitz wollte von England konkrete Gegenleistungen (am Flottenbau allerdings wollte Tirpitz festhalten) und keine Vorleistungen (Neutralitätsabkommen bzw. Schiedsgerichts-Abkommen mit Japan, das Bethmann torpedierte, um England nicht zu verärgern) und zumindest eine wohlwollende Neutralität mit Russland.

Außenpolitik und Marinepolitik lässt sich nun mal nicht trennen (siehe Zweite Marokkokrise). Aber bei den immer stärker zu Tage tretenden Differenzen zwischen Reichskanzler und Staatssekretär musste es innerhalb der Regierung zu einem Riss kommen. Was die Marine angeht, sicherte sich Bethmann seinen Einfluss bei Admiral von Müller (Marinekabinett). In der Krise und bei Kriegsbeginn erinnerte er mit Erfolg Wilhelm II. daran, dass er die Außenpolitik führte. Er vertrat die Meinung, dass England trotz des Einmarsches in Belgien neutral bleiben würde. Als England doch den Krieg erklärte, meinte er, dass dies nur gezwungenermaßen geschah und die Engländer auf die erste Gelegenheit warteten aus dem Krieg auszusteigen. Deshalb – so Bethmann’s Folgerung – dürfe man England nicht reizen (d.h. durch Zufügung herber Verluste die Volksstimmung negativ beeinflussen). Zu diesem Argument kam das weitere hinzu, nämlich die (Kampfkraft der) Flotte als Verhandlungsobjekt bei den Friedensverhandlungen mit England (das von einer Landmacht nur schwer angreifbar war) in die Waagschale zu werfen. Damit redete der Außenpolitiker Bethmann direkt in die militärischen Maßnahmen der Flotte hinein.

Bethmann’s erster Erfolg wird gerne im Operationsbefehl vom 30.07.1914 gesehen, der den Kleinkrieg anordnete. Das dürfte so nicht richtig sein. Die Marinespitze wollte die frühe Seeschlacht. Die Frage war nur, ob in den ersten Wochen (Tirpitz) oder nach Indienststellung der neuen Großkampfschiffe und Reservegeschwader (Behnke). Dann schon eher die Verschärfung des Befehls auf Nachfrage von Ingenohls am 02.10.1914, die zur wirklichen Inaktivität führte (mit dem Erfolg, dass die Navy mattgestellt wurde und auf die Fernblockade verwiesen wurde).

Es konnte niemand in der Führungsspitze des Reiches entgangen sein, dass die Spitzenorganisation der Flotte für einen Krieg ungeeignet war. Daher hat Tirpitz (sofort und mehrmals in Folge) vorgeschlagen, Admiralstab und Reichsmarineministerium zusammen zu legen. Als Leiter dieser Admiralität kam nur Tirpitz selbst in Frage (Tirpitz fand es als „peinlich“ sich selbst vorschlagen zu müssen). Wenn aber die politische Leitung gerade keine Aktivitäten der Flotte wünschte, machte diese Struktur aus ihrer Sicht keinen Sinn. Es genügte, wenn der Kaiser sie führte und der musste die Offiziere nur ruhighalten. Tirpitz Auffassung stand aber dem diametral entgegen. Er wollte die Seeschlacht, je früher, desto besser. Seine Gedanken waren nicht auf Schonung Englands (das er als Träger der Feindkollation sah), sondern auf Schädigung gerichtet. Er wollte (u.a.) die östliche Kanalsicherung angreifen (dadurch die Truppentransporte stören) und die eingreifende Navy (die in keinem Fall in voller Stärke antreten konnte) etwa zB bei Terschelling zur Schlacht stellen.

Die Meinungen konnten nicht weiter auseinander liegen. Es sind diese unterschiedlichen Auffassungen über die politischen Verhältnisse, die dazu führten, dass die Flotte faktisch ohne Führung in den Krieg ging. Bethmann musste aus seiner Sicht Tirpitz von einem maßgebenden Einfluss fernhalten. Tirpitz hätte nicht (wie Pohl und Ingenohl) gefragt, sondern gehandelt (wie Falkenhayn Hindenburg, Ludendorff). Hätte Tirpitz Erfolg gehabt, hätte er Bethmann bald kaltgestellt (ähnlich wie es später Hindenburg und Ludendorff taten).
 
@Admiral

"...(mit dem Erfolg, dass die Navy mattgestellt wurde und auf die Fernblockade verwiesen wurde)."

Entweder verstehe ich Dich hier nicht oder mir erschließt sich etwas nicht, ich meine, daß die erfolgreiche Fernblockade eine der wichtigsten strategischen Erfolge der Navy war.

M.
 
Dieser Punkt, Melchior, passt hier nicht, er wird mit den diversen konträren Auffassungen ausführlich im Weltkrieg, Gefechtskehrtwende (da passt es zwar auch nicht, aber da steht es nun mal) unter dem Ostseeprojekt von Lord Fisher diskutiert.
 
Bethmann’s erster Erfolg wird gerne im Operationsbefehl vom 30.07.1914 gesehen, der den Kleinkrieg anordnete. Das dürfte so nicht richtig sein. Die Marinespitze wollte die frühe Seeschlacht. Die Frage war nur, ob in den ersten Wochen (Tirpitz) oder nach Indienststellung der neuen Großkampfschiffe und Reservegeschwader (Behnke). Dann schon eher die Verschärfung des Befehls auf Nachfrage von Ingenohls am 02.10.1914, die zur wirklichen Inaktivität führte (mit dem Erfolg, dass die Navy mattgestellt wurde und auf die Fernblockade verwiesen wurde).

Das "Mattstellen" der Royal Navy (die so bei jeder Gelegenheit auslief, wenn die Gelegenheit bestand, die Hochseeflotte oder Teile zu stellen, wenn sie sich mal hinter dem Minenwall und Helgoland hervor wagte, und die eine Reihe offensiver Vorstöße unternahm) ist natürlich kontrafaktisch und entspricht der maritimen "Literatur" der 1920er Jahre und des Dritten Reichs. Fakt ist die wirksame Abschnürung der Nordsee durch die britische Blockade bzw. des späteren NaviCert-Systems. Fakt ist ebenso, dass die deutsche Flotte bei den diversen Beinahe- oder Zusammentreffen regelmäßig fluchtartig das Seegebiet räumte.

Zum Operationsbefehl Nr. 1 und angeblich Bethmanns "erstem Erfolg":

zur Einstimmung:
"Wenn der liebe Herrgott der Marine nicht hilft, so sieht es schlimm aus" - Tagebuch Tirpitz am 14.9.1914.
"Vor allem verbot es das Kräfteverhältnis zwischen Hochseeflotte und Grand Fleet, in gleicher Weise wie der Generalstab auf einen Krieg zu drängen" (u.a. 21 zu 13 Dreadnoughts im August 1914) - Epkenhans, S. 114.

Der Operationsbefehl Nr. 1 ist nicht von Bethmann "als Erfolg" angeordnet, sondern in der Diskussion von Tirpitz mit verantwortlichen Offizieren "seiner Umgebung" entstanden:
Tirpitz Standpunkt: "für eine möglichst baldige Schlacht, falls die englische Flotte in die Nähe von Helgoland kommt."
"Behnke mehr für Kräfteausgleich" - gemeint waren drei Monate abwarten bis zur Gefechtsfähigkeit der neuen Großkampfschiffe ("König"-Klasse) und des Reservegeschwaders (Hopman-Tagebuch 30.7.1914) Behnke: "Ich habe die Bereitstellung dieser Kräfte als unentbehrlich für die Schlacht angesehen" (Kontext: gemeint ist die "Tirpitz"-Schlachtvariante bei Helgoland!) -Epkenhans S. 116.
Der Immediatvortrag von v.Pohl entschied den Operationsbefehl in der bekannten Fassung: "Aufgrund dieses Zettels, den Exzellenz v. Pohl mit zum Immediatvortrag nahm, wurde der Operationsbefehl für den Nordseekriegsschauplatz am 1.8.1914 genehmigt".


Zu der Defensivstrategie der Marine gab es 1914 keine realistische Alternative. Man verschanzte sich hinter den Minen und mußte sich aufgrund der offensichtlichen Überlegenheit der britischen Flotte auf Vorstöße beschränken, bei denen man hoffte, Teilestreitkräfte der Royal Navy zu schlagen. Im Januar 1915 - obwohl man Glück im Unglück hatte und die Verluste begrenzt waren - ging das erstmals schief. Beim Scarborough-Vorstoß im Dezember 1914 liefen Hippers Kreuzer nachts wenige Seemeilen an den mehr als doppelt so starken britischen Streitkräften vorbei.

Epkenhans bezeichnet die Rede Ingenohls vor Mannschaften am 14.8.1914, die Briten müssten sich in der Deutschen Bucht unter für sie ungünstigen Bedingungen zur Schlacht stellen - identisch war der Ansatz von Tirpitz im Juli 1914, als "Wunschdenken in hohem Maße", "jeder Grundlage entbehrend". Epekenhans, S. 118.

Den britischen Vorstoß nach Helgoland - unter deutschen Verlusten - bezeichnet Epkenhans dann als "Desaster", "für die weitere Seekriegsführung fatal." - Verunsicherung der Führung der Marine, weitere Fesseln von KW2 als der Operationsbefehl als Eigenfesselung schon vorsah: "keine Vorstöße". Es folgte dann später wieder die "Reizstrategie".


Zum Thema:

Dazu hätte ich eine Frage an Köbis, die an Arne anschließt: welche nachteiligen Folgen sollen bei den gegebenen Kräfteverhältnissen (deutliche Unterlegenheit der Hochseeflotte 1914-1916) denn durch den Kompetenzstreit bzw. die -teilung entstanden sein?
 
Die Frage warum unter KWII die Struktur geändert wurde, stellst du ja selbst. Hatte das vielleicht einen Hintergrund in der Trennung von ziviler (Haushalts-)Politik zu den Militärs? Sollten die Militärs nicht mehr unkontrolliert über ihre eigenen Wünsche entscheiden?

Kannst du bitte mal erläutern, in welchen Punkten sich diese Aufgliederung als negativ herausstellte? Wo entschieden Marinekabinett und Reichsmarineamt "gegeneinander" ?

Dazu hätte ich eine Frage an Köbis, die an Arne anschließt: welche nachteiligen Folgen sollen bei den gegebenen Kräfteverhältnissen (deutliche Unterlegenheit der Hochseeflotte 1914-1916) denn durch den Kompetenzstreit bzw. die -teilung entstanden sein?

Die Aufgabenverteilung war das Problem. Sprichwörtlich, "viele Köche verderben den Brei".

Eine Koordinierung war nicht möglich und bürokratische Streitigkeiten sorgten für keine klare Linie. Das Oberkommando und das Reichsmarineamt kämpften um die Entscheidungspolitik zum Thema Baupolitk.

Vielleicht änderte es sich ja mit der Auflösung des Oberkommandos 1899 durch Tirpitz? Aber warum es aufgelöst wurde, kann man sich doch hier schon an drei Fingern abzählen...

Kurzum, der Kaiser wollte an der Spitze einer Flotte stehen und Tirpitz seinen Plan der Entscheidungsschlacht verwirklichen. Die Strategie wurde durch falsche Personalpolitik und Entscheidungen der Baupolitik komplett an den strategischen Möglichkeiten vorbei gebaut.

Das alles funktionierte recht gut, es gelang ja eine sehr gute Schlachtflotte aufzubauen.

Das musst Du mir näher erläutern?:S

Quantität und Qualität der Waffen ersetzen nicht den kurzen Arm, an dem man verhungert, weil man nicht zum Schlag kommt?
 
Eine Koordinierung war nicht möglich und bürokratische Streitigkeiten sorgten für keine klare Linie. Das Oberkommando und das Reichsmarineamt kämpften um die Entscheidungspolitik zum Thema Baupolitk.
Kurzum, der Kaiser wollte an der Spitze einer Flotte stehen und Tirpitz seinen Plan der Entscheidungsschlacht verwirklichen. Die Strategie wurde durch falsche Personalpolitik und Entscheidungen der Baupolitik komplett an den strategischen Möglichkeiten vorbei gebaut.

Aber worin sollen sich nun konkret die Nachteile der polykratischen Strukturen in der Marine zeigen?

Nimmt man - ungeachtet der politischen Folgen - die Bauten, so hatte Tirpitz seinen "Plan" fast erreicht: kumulative "Dreadnought/Battlecruiser" England-Deutschland; 1. Tabelle: Budgetplanung 1905/14 - 2. Tabelle: kumulierte Stapelläufe, sortiert nach britischen "Haushaltsjahren", die vom Kalenderjahr abwichen:

1905/06: 3-0 ........1-0
1906/07: 8-0 ........2:0
1907/08: 9-5 ........7-1
1908/09: 12-10 ...10-5
1909/10: 15-12 ...12-8
1910/11: 25-17 ...18-13
1911/12: 27-21 ...26-16
1912/13: 34-23 ...29-18
1913/14: 40-26 ...34-23

(Zahlen: Sumida, Tabelle 19 und 20, modifiziert unter Auslassung der 2 "Lord Nelson"-Schiffe)

Die erste Auffälligkeit liegt 1907/10 in dem Regierungswechsel in Großbritannien (->Labour). Der "Dreadnought-Sprung" von Fisher hatte allerdings einen zeitlichen Vorsprung von 18 Monaten und damit der britischen Marinerüstung Luft verschafft. Die Endphase mit der bedrohlichen Annäherung 1909/10 charakterisiert die konsequente Forcierung der britischen Bauprogramme. Hier gab es auf deutscher Seite vier Restriktionen: unterlegene Werftkapazitäten, längere Bauzeiten, geringere finanzielle Mittel, höhere Stückkosten.

Bei dieser Betrachtung kann man die Diskussionen im Reichstag völlig außer Acht lassen. 1911 war der "Wettlauf" entschieden, nachdem die britische Seite konsequent rüstungsseitig die Vorteile ausspielte. Eine sorgfältige Analyse der britischen Seite (Werftkapazitäten, finanzielle Möglichkeiten) hätte 1912 den Bankrott der Tirpitzschen Rüstungspolitik aufzeigen müssen, was sicher zB auf die Haldane-Mission Einwirkung gezeigt hätte. 1912 war das Ziel der "Risikoflotte" definitiv verfehlt, die Illusion war offengelegt.

Eine andere Frage wäre, ob der Kompetenzenwirrwarr auf die Einseitigkeit der Marinerüstung (Schwerpunkt: Schlachtschiffe/Schlachtkreuzer) nach 1906 eingewirkt hat?
 
Admiral schrieb:
Er vertrat die Meinung, dass England trotz des Einmarsches in Belgien neutral bleiben würde. Als England doch den Krieg erklärte, meinte er, dass dies nur gezwungenermaßen geschah und die Engländer auf die erste Gelegenheit warteten aus dem Krieg auszusteigen

Dieser Sachverhalt ist mir neu.

Mir ist bekannt, das Bethmann hoffte Großbritannien aus einem Krieg raushalten zu können. Woher er die Hoffnung konkret bezog, ist nicht wirklich klar, denn der deutsche Botschafter in London Fürst Lichnowsky hat ihm und das AA über die britische Haltung, nämlich das der Casus Belli bei einem Einmarsch deutscher Truppen in Belgien als gegeben betrachtet wird, nie im Unklaren gelassen.
 
Die Verwaltungsstruktur ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass ein politisches Ziel (Risikoflotte) verfolgt wurde. Im ersten Schritt ging es nur um eines, den Aufbau. Das war die Aufgabe von Tirpitz (zur Qualität der Flotte berufe ich mich auf Chester Nimitz, dem Oberbefehlshaber der US-Marine im Pazifik während des 2. Weltkriegs, der sie als beste Überwasserflotte seiner Zeit bezeichnete). Zur Umsetzung des politischen Teils war der Reichskanzler zuständig. Diesen Auszusuchen und zu ernennen war Aufgabe des Kaisers, der den Risikogedanken mittrug (wie auch Fürst Bülow, Reichkanzler von 1900 – 1909, Bethmann war Vizekanzler, Tirpitz Regierungsmitglied). Bethmann verfolgte dann als Reichskanzler eine eigene Politik gegenüber England, in seinen Erinnerungen hat er angedeutet, dass er vielleicht falsch gelegen habe; die Auffassung, dass England nach der Kriegserklärung wieder aussteigen wolle, hat Bethmann im Zusammenhang mit de Goeben geäußert, er meinte, die Engländer haben sie absichtlich entkommen lassen, um ein Ausstiegsszenario zu finden).

Die politische Vision der Risikoflotte hat Tirpitz für die Zeit nach 1909 etwa so beschrieben. Deutschland brauche flottenmächtige Verbündete oder müsse zumindest Nationen mit Flotten neutralisieren. Mit letzterem war Japan gemeint (dem er Finanzierungshilfen anbieten wollte). Ein gegenüber Deutschland neutrales Japan würde bedeuten, dass England seine Flotte nicht in der Weise wie geschehen in der Nordsee zusammenziehen kann. Das war eine politische Grundidee, das Zusammenziehen der Navy zu verhindern oder zu erschweren (die Gegenmaßnahme zu Churchills clearing the outer sea). Der zweite Punkt war Russland. Ein verbündetes oder neutrales Russland sollte Deutschland blockadefest machen. Das Angebot an Russland war Abbau der Türkeipolitik. Während Tirpitz mit Wilhelm II. bezüglich der Türkei einig war, sah Wilhelm II. das russische Problem (u.a. wegen Ö-U und panslawistischer Bestrebungen) anders.
Landmilitärisch wollte Tirpitz wollte Tirpitz den Stoß zur Kanalküste, nicht um Paris oder den französischen Festungsgürtel bei Verdun, und zwar zusammen mit der Hochseeflotte (aber nicht 1914). In Besitz der Kanalküste meinte Tirpitz England direkt angreifen zu können. Die Navy hätte sich nach Süden bewegen müssen, die Blockade hätte keine oder nur geringe Bedeutung erlangt. Das sind politische Visionen, die Wilhelm II. zumindest teilweise und zeitweise teilte. Bethmanns Außenpolitik ging in eine andere Richtung.

Tirpitz behauptet den Schlieffenplan nicht gekannt zu haben. Er war immer für die frühe Seeschlacht, gegen den Operationsbefehl erhob er Einwendungen, Pohl beklagte sich, von Tirpitz höre er immer nur den Begriff Seeschlacht, in seinen Briefen ist immer von der Seeschlacht die Rede. Die enge Blockade ist schon vor dem Krieg vom Admiralstab in einem Gutachten als unwahrscheinlich angesehen worden. Tirpitz Frage an Ingenohl „was tun sie, wenn sie nicht kommen“ ist bekannt. Ebenso die Aussagen von Jellicoe und Churchill, dass die deutsche Flotte der Navy in den ersten Wochen am gefährlichsten werden konnte. Das entsprach auch der von Nägler beschriebenen deutschen Strategie (siehe thread Strategie der kaiserlichen Marine). Eine defensive Haltung (vollkommen unstreitig), aber bereit zu überraschenden Schlägen. Die völlig defensive Haltung hat m.W. vor dem Krieg niemand vertreten. Sie hatte auch unübersehbare Nachteile (auf die Besatzung, was in Meutereien endete, das Entwickeln aus den Flussläufen war sehr schwierig, bei einem überraschenden Angriff nicht möglich, die Initiative war beim Angreifer). Die Frage war doch nur, wann (in welchem Zusammenhang) gibt es Gegenstöße (im Zusammenhang mit dem Ostasiengeschwader – so Raeder -, bei Vorstößen ins Skagerrak – so Behnke -, bei Beschießungen von Küstenplätzen – so Eckermann). Tirpitz Antwort hierauf war eindeutig: Bei Beginn des Krieges, denn da mussten Kanaltransporte durchgeführt, Truppen aus Übersee geholt, die Kriegsversorgung organisiert werden. Der Einwand, die Kanaltransporte konnten nicht angegriffen werden, ist richtig und unbestritten (darauf beziehen sich Äußerungen von Tirpitz, dass der Flotteneinsatz „am Eingang des Kanals durchaus unrichtig sei“, daraus wird der Schluss gezogen, dass überhaupt kein Einsatz gewünscht war). Aber die Kanalsicherung konnte angegriffen werden und damit indirekte Wirkungen erzielt werden (Marinearchiv Bd. 1 S. 79 ff., die zwar spektakuläre, aber materiell nicht ins Gewicht fallende Erfolg der U 9 am 22.09.1914 bewirkte erhebliche Verzögerungen bei den Transporten). Die Sicherungen waren ja nicht in Dover, sondern begannen (laut Marinearchiv Bd. 2 Karte 10) etwa bei Linie Great Yarmouth – Alkmaar (also innerhalb der Strecke zwischen „Helgoland und Themse“, in der die Schlachtflotte laut Tirpitz die größte Kraftentfaltung aufbringen sollte). Die Sicherungs- und Bedeckungsstreitkräfte sollten mit starken Kräften durch Kreuzer, Torpedoboote, U-Boote und Minenleger angegriffen werden (noch im August). Der Rückweg der Deutschen war weit geringer als gemeinhin angenommen (keineswegs von Dover, auch nicht von der flandrischen Küste). Wenn ich die Berechnungen des Admiralstabs für den geplanten Vorstoß 1918 nehme (der sollte an die flandrische Küste gehen, die Schlacht wurde dann bei Terschelling erwartet)), konnte ein Zusammenstoß mit der Navy (die in jedem Fall Schiffe für andere Zwecke abgegeben hatte) an der deutsch-holländischen Grenze, eventuell sogar noch günstiger erfolgen. Die Navy hätte bei den schweren Kämpfen in Frankreich und Belgien auf einen solchen Vorstoß reagieren müssen. Hätte der Flottenchef eine solche Lage als „günstig“ im Sinne des Operationsbefehls angesehen (seine subjektive Beurteilung wäre ausreichend gewesen), wäre die Schlacht sogar durch diesen gedeckt gewesen.

Das war die militärische Argumentation von Tirpitz (und – wie oben ausgeführt – aus Sicht von Jellicoe und Churchill die größte Gefahr für die Engländer). Diese Auffassung war auf keinen Fall mit der politischen Meinung von Bethmann zu vereinbaren. Was der Wilhelm II. wollte, ist mir nicht ganz klar. Es gab einen kaiserlichen Befehl die Truppentransporte anzugreifen (ich glaube vom 09.08.1914, da waren aber die U-Boote schon auf dem Weg nach Norden). Am 19/20.08.1914 war die Schlacht bei Gumbinnen, was wohl die allgemeine Panik in der Reichsleitung verstärkte. Ich könnte mir vorstellen, dass dies die Vorstellungen englisch-russischer Unternehmen verstärkte. Nach dem Seegefecht bei Helgoland am 28.08.1914 war die Marineführung mit den Nerven am Ende.
 
Der kaiserlicher Befehl – Störung der Truppentransporte - war vom 08.08.1914 (nicht 09.08.1914), der letzte Satz lautet, dass die Grundsätze des Operationsbefehls gelten soll (daraus schließt Otto Gross, das eine Seeschlacht vermieden werden soll). Die Sicherungsstreitkräfte am östlichen Kanalausgang waren nördlicher wie von mir angenommen. Die Bedeckungsstreitkräfte – also das Ziel eines eventuellen Angriffs - waren in der von mir angenommen Linie Great Yarmout – Alkmaar, die beiden Sicherungslinien weiter nördlich (Marinearchiv Bd. 1 – nicht Bd. 2 – Anlage 10). Das dürfte ein Marschweg von 120 Seemeilen bedeuten. Die Entfernung von Scapa Flow beträgt 475 Seemeilen, vom Firth of Fourth 425 Seemeilen, jeweils nach Helgoland. Will die Navy auf die deutsche Flotte treffen, musste sie schon in die Deutsche Bucht. Damit waren die Gedanken von Tirpitz richtig.

Im Marinearchiv Bd. 1 S. 81 Fußnote 1 ist eine Tagebucheintragung von Pohl, ich glaube vom 08.08.1914, in der er sich ausdrücklich beklagt, Tirpitz wolle immer nur die Seeschlacht (außerdem ist da der Hinweis auf die Auffassung von Bethmann, dieser rechne damit, dass England nur auf eine Gelegenheit warten, aus dem Krieg auszusteigen).

Wenn man die Möglichkeiten der Hochseeflotte unter rein militärischen Aspekten beachtet, ist ein tatsächlicher Umstand zu beachten. Die Navy wurde – schon aufgrund der laufenden Bauprogramme – immer stärker. Das bedeutet zwangsläufig, dass durch Zuwarten die militärische Situation für die Hochseeflotte ungünstiger wird. Nimmt man noch hinzu, dass mit Zeitablauf die Initiative auf die Navy übergeht, ist die absolute Untätigkeit rein militärisch schwer zu vertreten.
 
Zur Frage der Nachteiligkeit der Neuordnung der kaiserlichen Marine sind der Strukturverlauf der inneren Führung m.E. in zwei wesentliche Zeitabschnitte zur gliedern. Die 10 Jahre vor Tirpitz und die 19 Jahre mit Tirpitz.

Die Marine war immer das Stiefkind der Armee, seit 1871 und konnte auch im Verlauf des Krieges 1870/71 keinen Nennenswerten Anteil am Sieg über Frankreich leisten.

Mit der Mont´schen Denkschrift über die Reorganisationspläne Juni 1888, traf man auch genau den Nerv des neuen Herrschers. Mit der Trennung der operativen Kommandogewalt und der Verwaltung, sollte analog der Armee eine innere Struktur geschaffen werden, mit der der Kaiser selbst an die Spitze der Marine gestellt wurde.

So gab es erste Unstimmigkeiten zwischen dem Oberkommando und dem Reichsmarineamt im Bezug auf Bereiche für die Organisation, Verwaltung, Technik, Bewaffnung der Marine.

In der Taktischen Konzeptionslosigkeit der 80iger bis 90iger Jahre im Bereich des Marinewesens allgemein, tat sich ein ab 1892 neuer Chef des Stabes des Oberkommandos der Marine hervor. Tirpitz konnte hier seine gesamten Grundlagen erarbeiten, (Dienstschrift IX) mit denen er in seiner ab 1897 neuen Stellung als Staatssekretär des Reichsmarineamtes freie Bahn erhielt, da er nun nicht mehr dem Kaiser unterstellt war, sondern dem Reichskanzler.
Um die überlagernden Kompetenzen zwischen Oberkommando und Reichsmarineamt zu beseitigen, löste er am 14.03.1899 das Oberkommando kurzer Hand auf.

Die 6 neuen Immediatstellen,

Chef des Admiralstabs
Chef der Ostseestation
Chef der Nordseestation
Inspektor des Bildungswesens
Chef des I. Geschwaders
Chef des Kreuzergeschwaders,

die nun dem Kaiser direkt unterstellt waren, konnten keinen Einfluss mehr auf die weitere Gestaltung der kaiserlichen Marine nehmen.

Weiter war als Generaladjutant, der Chef des Marinekabinetts ebenfalls im persönlichen Dienst des Kaisers.
Das Marinekabinett war auch hier dem Militärkabinett nachempfunden mit der Bearbeitung der Personalien und Stellenbesetzungen der Seeoffiziere, Seekadetten, Marine- Infanterieoffiziere, Maschineningenieure, Zeug-, Feuerwerks- und Torpedooffiziere betraut.

Das RMA gliederte sich in folgende Organisationseinheiten:

Zentralabteilung
Allgemeines Marinedepartement
Werftdepartement/U-Bootamt
Konstruktionsdepartement
Verwaltungsdepartement
Waffendepartement
Nautische Abteilung
Zentralabteilung für das Schutzgebiet Kiautschou
Medizinalabteilung
Justiziariat
Nachrichtenbureau.

Sowie Reichskompetenzen für die Handelsmarine sowie auf den Gebieten des Seeverkehrs, der Nautik und des Fischereischutzes.

Dabei wurde der Kaiser in Konstruktionsfragen vom Reichmarineamt „belächelt“ und immer wieder Außenvorgehalten. Und auch in der Kommandogewalt der ab 1903 bestehenden „aktiven Schlachtflotte“ und aus Gründen der Bezeichnung (Tirpitz missfiel die aggressive Bedeutung!) im Jahr 1907 in „Hochseeflotte“ umbenannt, hatte der Kaiser keinen nennenswerten Einfluß.

Mit dieser Zersplitterung der Marineführung und ohne einen mit entsprechenden Machtmitteln ausgestatteten Oberbefehlshaber, wirkte sich dies im 1.WK für die kaiserliche Marine negativ aus. Erst mit Errichtung der Seekriegsleitung im August 1918 konnte die notwendige einheitliche Führung geschaffen werden.

Doch meine Behauptung im Eingangsthema
Hatte der Kaiser schon 1888 sein politisches Grab mit dieser kaiserlichen Marine geschaufelt?
sollte das Hauptmotiv dieser Diskussion sein.

Um diese Fragestellung einzubauen, würde ich das Ende des Kaisers voranstellen, denn die Revolution in Deutschland ging in der aktiven Art, von SEINER Marine bzw. Marinengehörigen aus. Sein Elitekorps führte die erste Verweigerung des Gehorsams mit Erfolg durch.
Dazu ist es wichtig, den inneren personellen Apparat, der nach 1888 durch Kaiser Wilhelm II geschaffen wurde, zu durchleuchten.
Das Seeoffizierskorps wurde doch gerade durch die Gewaltenteilung innerhalb der Marine in der versuchten Tradition der Armee nachzueifern, aber dennoch einer neuen Bandbreite innerhalb der Marineangehörigen aus dem Bürgertum und der Intelligenz auf eine ganz andere Basis gestellt.

Der Aufbau einer falschen Flotte durch Tirpitz, den der Kaiser Wilhelm II durch seinen Machthunger an die Spitze der Marine zu stehen, beförderte und somit seine Marinesoldaten in dem Konfliktfall durch eine falsche Flotte in allen Bereichen (falsche Taktik, falsche Zuständigkeiten usw.) keine Aufgaben übertrug, war der Grund, für den Fall des Kaisers, oder?

Quelle:
Bundesarchiv
Die deutschen Kriegsschiffe; Hildebrand, Röhr, Steinmetz; Band 1
 
Der Aufbau einer falschen Flotte durch Tirpitz, den der Kaiser Wilhelm II durch seinen Machthunger an die Spitze der Marine zu stehen, beförderte und somit seine Marinesoldaten in dem Konfliktfall durch eine falsche Flotte in allen Bereichen (falsche Taktik, falsche Zuständigkeiten usw.) keine Aufgaben übertrug, war der Grund, für den Fall des Kaisers, oder?

Den Grund für den Fall wird man doch eher im verlorenen Krieg sehen können, oder? :grübel:

Nimmt man die hervorragende Ausarbeitung "Das lange Warten- Kriegserfahrungen deutscher und britischer Seeoffiziere 1914 bis 1918" (Nicolas Wolz), ist allerdings die Kombination mit der "falschen Flotte" bzw. "Luxusflotte (Luxury Fleet: The Imperial German Navy, 1888-1918, von Holger H. Herwig) bzw. "Hoplitenflotte" (Die Ära Tirpitz Studien zur deutschen Marinepolitik 1890-1918. von Walter Hubatsch) interessant. Jede denkbare 2/3-Flotte war zum Abwarten im Weltkrieg verurteilt, weil derartige Kräfteverhältnisse auf See keinen erfolgreichen Ausgang einer Seeschlacht unter halbwegs vorsehbaren/normalen Umständen erwarten lassen.

Ich verstehe allerdings immer noch nicht, wie das mit der Ämterverteilung/Polykratie des Marinewesens unter KW-II in Zusammenhang zu bringen ist. Die (falsche) Marinerüstung war von Tirpitz forciert. Meinst Du damit, dass eine gewichtige Marineleitung (ohne Tirpitz) dieses verhindert hätte?

Der kaiserlicher Befehl – Störung der Truppentransporte - war vom 08.08.1914 (nicht 09.08.1914), der letzte Satz lautet, dass die Grundsätze des Operationsbefehls gelten soll (daraus schließt Otto Gross, das eine Seeschlacht vermieden werden soll).
Die kaiserliche Idee wurde schon am 8.12.1912 formuliert (Röhl, An der Schwelle zum Weltkrieg. Eine Dokumentation über den Kriegsrat vom 8.12.1912, in: MGM 1977, Seite 77). Wieso hat die Marine diese Vorgabe wohl nicht verfolgt, obwohl sie 20 Monate zur Vorbereitung dieses "Ereignisses" Zeit hatte? Die Kanalflottenüberlegungen nach Seemeilen (Entfernung der Grand Fleet) ist eher etwas für Marinesimulationen oder "Schiffeversenken". Die Kanalflotte besaß eine Vorhut- bzw. Aufklärungslinie, bei deren Kontakt die Transporte abgebrochen worden wären. Außer Kohlenverfeuern, Minen- und Torpedorisiken sowie 24 Stunden Zeitverlust der britischen Transporte war für Schlachtschiffe hier im besten Fall nichts zu holen. Für die Amateure Tirpitz und KW-II war das vielleicht nicht transparent.
Die "Bedeckungsstreitkräfte" waren den deutschen Kräften an Geschwindigkeit, Zahl und Stärke (bis auf den theoretischen Einsatz von 3-4 deutschen Schlachtkreuzern, die damit hohes Risiko hätten gehen müssen) weit überlegen.

Im Marinearchiv Bd. 1 S. 81 Fußnote 1 ist eine Tagebucheintragung von Pohl, ich glaube vom 08.08.1914, in der er sich ausdrücklich beklagt, Tirpitz wolle immer nur die Seeschlacht (außerdem ist da der Hinweis auf die Auffassung von Bethmann, dieser rechne damit, dass England nur auf eine Gelegenheit warten, aus dem Krieg auszusteigen).
Hättest Du den Epkenhans zur Marinepolitik 1914/15 vollständig gelesen, wäre der Punkt klar.

Das Problem war ein Mißverständnis zwischen Tirpitz und v.Pohl. Der Eine verstand den Anderen in der Weise, dass "eine Seeschlacht unter keinen Umständen zu schlagen war" bzw. gegenteilig "das die Seeschlacht unter allen Umständen zu schlagen war". Beides ist falsch (zB zu Tirpitz siehe oben die conditio sine qua non: "nahe Helgoland).

Zu Otto Groos und den frisierten Marine-Archiv-Darstellungen habe ich oben schon den Hinweis von Rahn aufgeführt. Die Darlegungen des Tirpitz-treuen Groos waren bereits den Marinehistorikern in der Marine-Rundschau 1930 so unerträglich, dass sie sich zu dem Hinweis genötigt sahen, die Bände 1 bis 5 (also einschließlich Skagerrak-Schlacht) des Marine-Archivs müßten redaktionell überarbeitet werden, da sie tendenziös abgefaßt worden seien. Solche Hinweise (Band 7 ist auch so ein Thema, diese Darstellung konnte erst nach Überarbeitung veröffentlicht werden) haben allerdings das rechte Spektrum von Autoren nicht recht in ihrer Heldenverehrung beeindrucken können.

Die "strategischen Ausführungen" im Marinearchiv verfolgen denselben Zweck wie die Dokumenten- und Memoirenbände von Tirpitz selbst, nämlich nach dem verlorenen Krieg zu zeigen
- wie er abstrakt zu gewinnen war
- wie er praktisch gewonnen hätte werden müssen und wer für die Fehlgriffe die Verantwortung trägt
- dass der Flottenbau politisch richtig und erfolgreich war.

Alle Linien führen dann wieder bei dem operativen Laien Tirpitz zusammen, dessen letztes Kommando vor dem Dreadnought-Bau 10 Jahre, eine Flottenstärke und eine ganze technische Generation zurücklag. Immerhin hat er für eine quantitativ unterlegene Hoplitenflotte gesorgt, deren "Nehmerqualitäten" bis zur "Bismarck" und "Scharnhorst" wirkten, was allerdings auch zu diesem späteren Zeitpunkt nichts genutzt hat.
 
Den Grund für den Fall wird man doch eher im verlorenen Krieg sehen können, oder?
Richtig, mit dem 1. Weltkrieg brach das Ende der Monarchie in Deutschland an.

Gerade die Gesellschaft am Vorabend des 1. WK spiegelte sich mit einer unvereinbare Mischung aus alten preußischen Traditionen und einer modernen Technik, in der personellen Struktur der Marineangehörigen wieder. Vom Admiral bis zum Matrosen.

Der Drang, die neue Marine in einer Struktur zu gliedern, die der der Armee glich und sich mit einer Eigenständigkeit als Militärorganisation innerhalb des Staates darstellte, war m.E. der Fehler in der Basis.
Dies führte in personeller Sicht dazu, dass an den Befehlsstellen bzw. im Seeoffizierskorps in einer überheblichen Weise der preußische Militarismus gelebt wurde, obwohl viele der Offiziere der Marine nicht einmal aristokratische Wurzeln hatten.
Die Gewaltenteilung innerhalb der Marine, oder noch besser auf ein Schiff runter gebrochen, sah eine strikte Klasseneinteilung vor.
Diese führte im Weltkrieg durch die nicht eingesetzte Flotte zur Rebellion innerhalb der Marine. Die Matrosen verweigerten sich, den weiterem Gehorsam. Damit war der Krieg schneller beendet bzw. die Monarchie von ihren Grundfesten gehoben. (Ich hoffe man interpretiert mir hier keine Dolchstoßlegende rein!)


Nimmt man die hervorragende Ausarbeitung "Das lange Warten- Kriegserfahrungen deutscher und britischer Seeoffiziere 1914 bis 1918" (Nicolas Wolz), ist allerdings die Kombination mit der "falschen Flotte" bzw. "Luxusflotte (Luxury Fleet: The Imperial German Navy, 1888-1918, von Holger H. Herwig) bzw. "Hoplitenflotte" (Die Ära Tirpitz Studien zur deutschen Marinepolitik 1890-1918. von Walter Hubatsch) interessant. Jede denkbare 2/3-Flotte war zum Abwarten im Weltkrieg verurteilt, weil derartige Kräfteverhältnisse auf See keinen erfolgreichen Ausgang einer Seeschlacht unter halbwegs vorsehbaren/normalen Umständen erwarten lassen.

Ich verstehe allerdings immer noch nicht, wie das mit der Ämterverteilung/Polykratie des Marinewesens unter KW-II in Zusammenhang zu bringen ist. Die (falsche) Marinerüstung war von Tirpitz forciert. Meinst Du damit, dass eine gewichtige Marineleitung (ohne Tirpitz) dieses verhindert hätte?

Die größte Kluft, die geschaffen wurde innerhalb der Marine stellte sich zwischen dem RMA und der Admiralität auch „Front“ genannt.
Nicht nur, dass man bei der taktischen Ausrichtung der neuen Marine nicht einer Meinung war, sondern daraus Resultierend auch bei den einzelnen Schiffskonstruktionen immer wieder Streitpunkte fand. Siehe z.B. die Streitigkeiten zwischen Tirpitz und Maltzahn.

Die aus der Tirpitz´schen Strategie der Entscheidungsschlacht und einer politischen Flotte, war doch letztlich der Grund, für die Untätigkeit, sowie das Kompetenzgerangel, als der Krieg begann, wer und wie man die Flotte einsetzt.

Oder ist der Zusammenhang zu weit hergeholt? Was wären Gegenargumente?
 
Nein, das ist so schon richtig, denke ich mal.
Mich wundert immer wieder, wenn ich Bücher lese, dass ein einzelner Mensch auf Grund seines Ranges, Entscheidungen treffen kann, die voraussichtlich den Untergang der Menschheit bedeuten könnten.

Exakt-
heutzutage liegt das Kommando über je 12 Interkontinental-Raketen mit
MIRV-Sprengköpfen bei einem Colonel der US-Army.....

Und bei der Reflektion des britisch-deutschen Seekrieges analysieren wir mit den Mitteln und Methoden von heute !
Natürlich sehen wir das Ganze mit anderen Ergebnissen ,als die Zeitgenossen.
Jeder von uns hätte ( angenommen er sei ein kommandogewaltiger Mensch
der damaligen Zeit ) die Vorbereitungen anders getroffen bzw. eine ganz
andere Strategie entwickelt ---oder nicht ?

Wenn man das damalige Deutsche Kaiserreich als europäische Landmacht
klassifiziert hatte , wäre die Marine wohl so ziemlich auf wirksame Küstenverteidigung beschränkt gewesen .
(Wenn man Wilhelm hätte überstimmen können;) )
Da wären Grosskampfschiffe aussen vor gewesen -
ausser Auslands-Kreuzern.
Dafür eine hochentwickelte Torpedoboots - U-Boots - und Sperr-Waffen -
Doktrin. Keine so schlechten Aussichten .......
 
Die aus der Tirpitz´schen Strategie der Entscheidungsschlacht und einer politischen Flotte, war doch letztlich der Grund, für die Untätigkeit, sowie das Kompetenzgerangel, als der Krieg begann, wer und wie man die Flotte einsetzt.Oder ist der Zusammenhang zu weit hergeholt? Was wären Gegenargumente?

Jein, würde ich sagen.

Der Einsatz der Flotte war von 1914 bis 1918 von einem sehr hohen Verlustrisiko überdeckt.

Dieses Verlustrisiko war in der quantitativ entscheidenden Überlegenheit der Royal Navy begründet. Es stand seit 1911 fest, dass diese Überlegenheit nicht zu beseitigen war:
- aufgrund der Bauzeiten
- aufgrund der finanziellen Ressourcen
- aufgrund der verfügbaren Werftkapazitäten
- aufgrund der Kräftesplitterung, die sich durch die Priorität der Landstreitmacht für den Kriegsfall "Rußland und Frankreich" ergab.

1911 war das politische Konzept der Risikoflotte faktisch und endgültig erledigt. Die Flotte stellte kein Risiko für Großbritannien dar und würde aufgrund der Baupläne weit ausgeziffert werden (der kurze Abstand 1909/10 ließ sich nämlich nicht halten, siehe oben). 1912 wurden - anläßlich der Haldane-Mission und der "Churchill-holidays" - nicht die richtigen Schlüsse gezogen, nicht einmal beim "Kriegsrat" im Dezember 1912 (Tirpitz: die Flotte [genau diese!] braucht noch 1 1/2 Jahre und den fertiggestellten Kaiser-Wilhelm-Kanal).

Im August 1914 gab es keine erfolgsversprechenden "Pläne" für den Seekrieg aufgrund der Faktenlage. Die Flucht vom Skagerrak (und die früheren diversen "Gefechtskehrtwenden") kaschierte man zum Tonnagesieg.

Wo ist da die Auswirkung eines Kompetenzenwirrwarrs zu sehen?
Ich sehe höchstens die Hypothese, dass andere Verantwortliche andere Schlüsse für den Baukrieg mit Großbritannien gezogen hätten, mindestens eine andere Flotte hätten bauen können.
 
Wo ist da die Auswirkung eines Kompetenzenwirrwarrs zu sehen?
Ich sehe höchstens die Hypothese, dass andere Verantwortliche andere Schlüsse für den Baukrieg mit Großbritannien gezogen hätten, mindestens eine andere Flotte hätten bauen können.

Zu deiner obigen Frage empfehle ich Dir mal ein wenig gute Literatur:


  • Große Kreuzer der Kaiserlichen Marine 1906 - 1918. Konstruktionen und Entwürfe im Zeichen des Tirpitz-Planes - Grießmer

  • Die Linienschiffe der Kaiserlichen Marine 1906 - 1918: Konstruktionen zwischen Rüstungskonkurrenz und Flottengesetz -Grießmer

Und wenn man sich die Handlungen der Hochseeflotte bis 1916 anschaut, vermittelt dies nun nicht gerade den Eindruck von einer klaren Line über den Einsatz. Das änderte sich erst mit Scheer und anderen Offizieren, die ja auch gerade die getrennte Komandogewalt 1918 auflösten. M.E. zu spät.
 
Zu deiner obigen Frage empfehle ich Dir mal ein wenig gute Literatur:

Wie wird dort denn die Frage beantwortet, welche Auswirkungen auf den "Typ" der Flotte zu verzeichnen waren - wobei es mit nicht um Entwurf A, B oder c4 eines Panzerkreuzers geht. Dass es um die einzelnen Entwürfe und Entwicklungen, Kaliber etc. Streitereien gab, ist klar.

Aber welche Auswirkungen hatte das auf die Kardinalfrage, siehe #16 von Treibsand?

P.S. hatten wir dieses schon:
Besteck, Eva: Die trügerische "First Line of Defence" - Zum deutsch-britischen Wettrüsten vor dem Ersten Weltkrieg, Einzelschriften zur Militärgeschichte Bd. 43, unter anderem unter Abdruck der 85-seitigen Dienstschrift IX von Tirpitz.
 
Halt stopp.

So wie ich das von Treibsand verstehe, sollte man die Dinge aus der damaligen Sicht betrachten und dann zu einer Auswertung kommen. Das bietet dann aber jede Menge grund, für Annahmen und Spekulationen.

Die Geschichte der deutschen Marine ist in der Zeit ab 1888 eng an Kaiser Wilhelm II gebunden, hinzu kommen eine Reihe Offiziere, ohne die der Kaiser garnicht die Möglichkeit gehabt hätte, hier in irgendeiner Art richtungsweisend Einzugreifen. Ohne Tirpitz wäre wohl auch keine Große Flotte möglich gewesen, schon aus politischer und parlamentarischer Sicht.

Vielleicht ist meiner Wertung von der Falschen Flotte, keine richtige Bezeichnung, da sie mehr Subjektiv ist als Objektiv. Natürlich konnte der Kaiser nicht wissen, daß er mit Tirpitz einen "Spinner" in Marinefragen an Spitze setzte. Aber vielleicht wollte dass der Kaiser sogar, um seine Schiffchen um sich zu haben.

Zumindest war das eine der ersten Anweisungen des Kaisers noch im Juni 1888 die Flotte neu zu organisieren, die Flotte war aber auch sein Untergang. Der Kreis schließt sich, oder?

Ich erwarte Gegenargumente!:red:
 
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