Der nationalkonservative Widerstand - Täter und Attentäter?

Silesia: Natürlich gibt es auch "Sicherungsvermerke". Ein Aktenvermerk kann die Funktion haben, sich abzusichern und nach dem Bundesbeamtengesetz ist man sogar verpflichtet, seine abweichende Meinung darzulegen.
Für die historische Forschung sind solche schriftlichen Dokumente auch nicht unproblematisch. Manchmal habe ich den Eindruck, dass schriftlichen Quellen ein objektiver Wert beigemessen wird, während Zeitzeugen als rein subjektiv eingeordnet werden.

Ich meinte eigentlich weniger die absichernden Vermerke, als vielmehr belastende Abzeichnungen, aus denen ex post Wissen geschlossen wird.

Ein Beispiel, dokumentiert bei Hesse, Der Sowjetrussische Partisanenkrieg 1941-1944 im Spiegel deutscher Kampfanweisungen und Befehle, Studien und Dokumente Band 9, eidesstattliche Erklärung Hans Röttiger, Stabchef der 4. Armee, Dolument PS 3713, im gleichen Sinne General Heusinger, Ia der Operationsabteilung des OKH, PS 3717:
"... ich bin erst jetzt [8.12.1945] zu der Erkenntnis gekommen, dass schärfste Durchführung des Bandenkampfs von höchster Stelle bezweckt war, rücksichtslos Juden ... auszurotten mit Hilfe des Heeres".

Natürlich ist auch diese Aussage kritisch zu analysieren, und man kann sie in den Kontext "Reinwaschen" stellen. Dafür wäre erforderlich, die Glaubwürdigkeit weiter zu untersuchen. Hierbei sind eben die Tätigkeitsfelder, der laufende Beschäftigung und die Wahrnehmung des Partisanenkrieges in den Stäben von Bedeutung.


Nehmen wir einen weiteren Fall der Heeresgruppe Mitte im Dunstkreis von Tresckow, das Unternehmen "Kottbus" 1943, von dem man mit Sicherheit Kennntis unterstellen kann. Die Partisanenbekämpfung war 1943 in den Zuständigkeitsbereich der SS übergegangen, und die fütterte beteiligte Bereiche u.a. mit Informationen über "die fanatische Teilnahme der Bevölkerung an den Kämpfen, [um] die Ausschaltung aller menschlichen Rücksichten zu rechtfertigen, die begangenen Grausamkeiten zu rechtfertigen. ... Die stets erneute Verminung der rückwärtigen Verbindungsstraßen führte zu der Maßnahme, Scharen von Einwohnern über die verminten Straßen und Wege zu treiben, wobei nach groben Schätzungen 2000 bis 3000 Landeseinwohner 'in die Luft gegangen' sind." (Hesse) Die Berichterstattung über solche Details ging indes an RFSS Himmler persönlich, Sondermeldung über Großunternehmung "Kottbus" (IMT, NO 2608).

Was würde man nun (fiktiv!) mit einem anderweitigen Vermerk/Lagebericht/Erfolgsmeldung bzgl. der angegriffenen "Partisanenrepublik" am Palik-See, geschätzte Partisanenstärke rd. 16.000 Mann, anfangen, auf dem Tresckows Abzeichnung zu finden wäre (Ia der Heeresgruppe Mitte bis Juli 1943 mit Ablösung durch Oberst Gröben), mit dem Kommentar "notwendig, erfolgreich"? Wie würde der Historiker ein Dokument werten, nach dem Tresckow als Ia mit der Planung eines solchen Unternehmens befaßt war, es befürwortet hätte oder seine Durchführung angeregt hätte, etwa aus Sicht der Operationsführung HG Mitte. Dort standen im Frühjahr 1943 den geschätzten rd. 100.000 Partisanen im Hinterland etwa 50.000 deutsche und verbündete Sicherungstruppen gegenüber, dazu rd. 86.000 Mann bewaffneten Bahnpersonals (davon 65.000 einheimische Kräfte), die aus Sicht des Führung Mitte nicht mehr in der Lage waren, den planmäßigen Bahnbetrieb zur Versorgung aufrecht zu erhalten. Bei etwa 1000 Sprengstoffanschlägen pro Monat ergaben sich im Tagesdurchschnitt Juni 1943 etwa 24 Unterbrechungen des Schienennetzes hinter der Heeresgruppe Mitte, im Juli etwa 36 im Tagesdurchschnitt.

Damit zurück zu Röttiger, um dessen Aussage über den Horizont zu werten. Was interessierte wohl abseits der Indoktrination über den Vernichtungskrieg den mit den Operationen an der Front vorwärts Beschäftigten, der mit krisenhaften Entwicklungen einige km bis einige Hundert km weiter östlich befaßt war?

Um in der Problematik zu schwenken, und die Komplexität aufzuzeigen: Angricks Studie zur Heeresgruppe Süd 1941/43 belegt klar, dass Wissen und Zusammenarbeit der Einsatzgruppen und ihrer Mordaktionen mit den Wehrmachtsstäben vorhanden war. Hier kann man man dann nach dem Grad der Zusammenarbeit teilweise personell differenzieren, bis hin zur erwiesenen Mittäterschaft durch Hilfeleistung und Unterstützung (siehe zB Manstein und der Rückraum des AOK 11 auf der Krim 1941/42).

Andere wie Tresckow haben im Verlauf der Monate eben eine andere Entwicklung genommen. Was besagen im Verlauf dieser persönlichen Entwicklung die "abgezeichneten Vermerke"?
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - H-Soz-u-Kult / Zeitschriften
 
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