Der Nationalsozialismus - eine Jugendbewegung?

Wieso kranken? Die von mir verwendete Studie unterscheidet sehr wohl zwischen Mitgliedschaften (aus denen sich eben unmittelbar auch der "Führungswechsel" rekrutierte - wobei man noch zwischen den Eintrittsphasen 1925-30 und 1931-33 unterschieden wird) und Wählerschaften.


Und krankt halt doch, Deine Studie.:p

Die Wähler, schön, ab Frühsommer 33 gab es keine Wähler mehr.
 
Zur Einordnung der Nazis als Jugendbewegung halte ich es auch für interessant, ob die rechte Jugendbewegung dabei in Opposition zu ihrer Elterngeneration stand oder nicht.

Schließlich ist dies ein wesentliches Merkmal der (ganz anders beschaffenen) 68-Jugendbewegung. Hier war es klar : 23 Jahre nach dem Krieg wollte die heranwachsende "neue" Generation etwas grundsätzlich anderes als ihre Eltern und machte dies auch so deutlich.

Auch die "neue" Generation nach dem 1. WK kämpfte gegen etwas, aber kämpfte man gegen eine abzulehnende Werteordnung der Elterngeneration ?

Ich vermag das nicht so einzuordnen. Ich habe eher den Eindruck, dass die jungen braunen "Revoluzzer" ihre Eltern rechts überholen wollten, also sich eher in dieselbe Richtung ausrichteten, nur eben hundertfünfzig-prozentig.


Der ideologische Unterbau der "braunen Revoluzzer" war ganz sicher rückwärtsgewandt und richtete sich gegen Errungenschaften der Aufklärung, gegen die der Französischen- und schließlich auch gegen die der Industriellen- und der sexuellen Revolution und der Emanzipation.
Himmler, der germanische Wehrbauern- Phantasien pflegte, äußerte ja in seiner Posener Rede von 1943 allen Ernstes, dass die Flächenbombardements der alliierten auch ein Gutes hätten, da so mehr Leute aufs Land ziehen würden.

Goebbels rühmte sich gerne der Radikalität der NS- Bewegung, die alle Brücken hinter sich abgebrochen hätte, der das Radikalste gerade radikal genug sei. Die Nazibewegung war total antidemokratisch, doch hatte sie plebiszitäre Merkmale. Die NS- Diktatur legte Frauen auf die Rolle von Kirche, Küche, Kinderzimmer fest, doch es konnten Frauen wie Hanna Reitsch, Elly Beinhorn Karriere machen, und als Fliegerinnen sogar zur Heldin avancieren, ganz zu schweigen davon, dass schließlich Flakhelferinnen rekrutiert wurden, während Hitler in einer Rede einst äußerte, dass die Frauenrolle die sei, Wunden des Mannes verbinden.

Die NS Bewegung verabscheute Josephine Baker, die "Vernegerung" und pornographische, entartete Kunst, verschärfte den § 175, ging aber in ihrem eigenen Körperkult weit über das hinaus, was die wilhelminische Zeit sich vorzustellen wagte. Jugendliche Rebellion und Abenteuerlust wurden im NS- Staat funktionalisiert, das was andere Jugendorganisationen attraktiv machte wurde kopiert, die Organisationen selbst verboten oder aufgesogen und gleichgeschaltet.

Zugleich eröffneten sich jungen Akademikern eine Fülle von Möglichkeiten, Ämter und Posten in einer Reihe von Parteiorganisationen zu besetzen, die mit staatlichen verflochten wurden. Dann darf man auch nicht vergessen, dass sich im Kulturbereich, im Bereich der Geisteswissenschaften, in der Medizin und Jurisprudenz ganz neue Perspektiven boten, schon allein deshalb, weil fast alle erstklassigen Autoren, Maler, Komponisten, regisseure etc., etc in die äußere und innere Emmigration gedrängt, verhaftet oder mit Berufsverboten ausgeschaltet wurden.

Als HJ Funktionär, über den Studentenbund und andere Institutionen boten sich ungeahnte Möglichkeiten, schon mit sehr jungen JahrenÄmter und Posten zu besetzen, vor allem aber in einem kleinen Bereich selbst ein kleiner Führer zu werden, der anderen irgend etwas befehlen konnte. So ein Typ brauchte dann auch einen Führerschein, den er in Organisationen wie der Motor HJ oder im NSKK sogar gratis machen konnte.
 
Der ideologische Unterbau der "braunen Revoluzzer" war ganz sicher rückwärtsgewandt und richtete sich gegen Errungenschaften der Aufklärung, ...
Kann man also sagen, dass diese neue Generation gegen ihre Eltern(generation) nicht "besonders frech", sondern eher "besonders brav" sein wollte ?
 
Und krankt halt doch, Deine Studie.:p
Die Wähler, schön, ab Frühsommer 33 gab es keine Wähler mehr.

Erst lesen, dann urteilen.

Interessant für die Abschichtungen sind nämlich die Lippe-Wahl sowie die Reichstagswahl 1933. Bekanntlich gab es dort noch "Wähler".

Speziell zu Lippe:
Hüls, Hans, Wähler und Wählerverhalten in Lippe während der Weimarer Republik, Sonderveröffentlichungen Lippische Geschichte. Dort auch die sozioökonomischen Abschichten sowohl der Partei-Kandidaten, der Grundgesamtheit und des Wählerverhalten. Oder hier:
http://www.geschichtsforum.de/f66/wahlkampf-1933-lippe-19163/


Ich habe mir mal die NSDAP-Kandidaten für Lippe, Jan1933 angesehen. Diese Listung steht stark in Kontrast zu SPD/KPD mit Bezug zu Arbeitern und Gewerkschaftern sowie sonstigen Funktionären. In Lippe traten für die NSDAP an:
Wedderwille, Malermeister
Helms, Landwirt
Klöpper, Vorarbeiter
Dr. Krappe, Regierungsrat, Finanzamtsvorsteher Lemgo
Sauer, Gastwirt
Siegmund, Verwalter
Wedderwille, Kreissekretär
Herrich, Zigeleiingenieur
Prüßner, Kaufmann
Amelung, Angestellter
Stockebrand, Landwirt
Steinecke, Hauptmann a.D. und Kunstmaler
Störteknuel, Bäckermeister
Spelge, Landbankrat
Naudorf, Arbeiter
Caesar, Kaufmann
Fasse, Landwirt
Taufall, Schneidermeister
Barkey, Maurer
Pälicke, Friseurmeister
Schaksmeier, Landwirt
Ehren, Orthopädist
Hillbrinck, Tischler
Diekmann, Zimmermeister
 
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Der Aspekt "Studenten und NSDAP" ist mE noch nicht in der richtigen Tiefe angesprochen worden...
Ich kann da noch mit Michael Grütter [1] dienen, der die Erkenntnisse von Kater u. a. mit eigenen Daten ergänzt hat.

1931 gewann der NSDStB bei den ASTA-Wahlen die Mehrheit bei den Studentenvertretungen.
Die relative Mehrheit: 44,6 % bei den Universitäten, 43,0 % bei den TU. Diese Daten sind mit erheblichen Problemen behaftet. Beispiele: In 12 von 33 U+TU wurde 1931 gar nicht bzw. nicht in Listen gewählt; die Wahlen wurde z.T. von republikanischen, kommunistischen und auch katholischen Gruppen boykottiert; Wahlbündnisse mit anderen konservativen Gruppen lassen sich nicht genau zurechnen. [2]

Nach Schätzungen (Kater: The Nazi-Party) waren 1930 die Hälfte aller Studenten NSDAP-Anhänger.
Das ist dann plausibel, wenn man die Gruppe der Sympathisanten einbezieht. "Von den auf anderen Listen gewählten Verbindungs- und Freistudenten muß man eine ganze Anzahl den Nationalsozialisten zuzählen, die ihrer ganzen Einstellung nach faschistisch denken." [3]

Die Mitgliederzahlen repräsentieren dieses Gewicht an Symphatisanten an den Universitäten nicht in angemessener Weise: 1930 kann man im Zellkern von etwa 8.300 Studenten als NSDAP-Parteimitglieder ausgehen (von etwa 360.000 Mitgliedern in Deutschland).
Ist hier tatsächlich die NSDAP-Mitgliedsdatei ausgewertet worden?

Was die Mitgliederzahl des NSDStB betrifft, so liegt sie deutlich darunter. Nach Schätzung sollen es im Sommer 1931 erst 2.500 Mitglieder gewesen sein. Anfang Januar 1933 waren es 8.750 - davon aber 2.500 Fachschüler sowie 750 (in einer besonderen Sektion zusammengefasste) Frauen sowie ein erheblicher Anteil von Mitgliedern aus Österreich und dem Sudetengebiet. Schätzungsergebnis: Anfang 1933 waren an den deutschen Hochschulen 4.827 männliche NSDStB-Mitglieder immatrikuliert, was 4,8 % aller männlichen Studierenden ausmachte. [4]

Die Frage, ob der NSDStB in bestimmten Disziplinen über- oder unterrepräsentiert war, lässt sich sich kaum beantworten - mit einer Ausnahme: evangelische Theologen, von denen berichtet wurde, dass vor allem an norddeutschen Universitäten etwa 90 % "mit dem Parteiabzeichen der Nationalsozialisten im Kolleg erscheinen." [5]


[1] Studenten im Dritten Reich. Paderborn 1995
[2] S. 496, 54 f.
[3] S. 56 (Zitat Kurt Hirche)
[4] S. 51 f.
[5] S. 53 (Zitat Martin Rade)
 
Ich kann da noch mit Michael Grütter [1] dienen, der die Erkenntnisse von Kater u. a. mit eigenen Daten ergänzt hat.
Danke für den Hinweis, kannte ich nicht :winke:

Die relative Mehrheit: 44,6 % bei den Universitäten, 43,0 % bei den TU.
Die Mehrheiten werden bei Manstein behauptet, aber das kann bei ihm auch so interpretiert werden, dass auch Bündnisse dabei waren.

Das ist dann plausibel, wenn man die Gruppe der Sympathisanten einbezieht. "Von den auf anderen Listen gewählten Verbindungs- und Freistudenten muß man eine ganze Anzahl den Nationalsozialisten zuzählen, die ihrer ganzen Einstellung nach faschistisch denken."
Richtiger Hinweis: Bezug waren die Symphatisanten.



Ist hier tatsächlich die NSDAP-Mitgliedsdatei ausgewertet worden?
Die Studien von Kater, Studentkowski, Tyrell, Madden und co. greifen auf die Mitgliedslisten zurück, die in US-Archiven (NARA etc.) verfügbar sind. Sie unterscheiden sich - wenn ich das richtig verstehe - in Stichprobenumfängen bzw. in "Korrekturen" der Mitgliedbestände nach Auswahlzielen (einige Bewegungen sind nur schätzweise greifbar, da die Listenfortschreibungen zB durch Austritte Fehler aufweisen.

Nebenbei, ohne an den Studien und ihren zT auch abweichenden Zahlen kratzen zu wollen:
Parallel-Mitgliedschaften in NSDAP und NSDStB würde ich für die damaligen Studenten auch unter Kostenaspekten sehen. Von daher würde ich Zahl 8.300 nicht verwerfen, nur weil weniger im NSDStB engagiert waren.

Ich gebe mal die Zahlen 1930 kumuliert wieder (wie gesagt, mit kleineren Fortschreibungsproblemen, Basis Mitgliedslisten), da vielleicht die sozioökonomische Struktur den einen oder anderen interessiert. Zahlen leicht von mir gerundet:

Kaufleute 85.000 (Selbständige 37.000, Leiter 4.000, Angestellte 44.000)
Landwirte 54.000 (Selbständig 37.000, Leiter 3.000, Gehilfen 14.000)
Handwerker 110.000 (Meister 23.000, Leiter 4.000, Gesellen 83.000)
Beamte 19.500 (Mittlere 17.000, Höhere 1000, Pensionäre 1.500)
Hauswirtschaft 8.500 (Ehefrauen 5.500, Töchter 800, Hausangestellte 2.200)
Techniker 15.000 (Unternehmer 5.700, Ingenieure 5.900, tech. Assistenten 3.400)
Akademiker 12.700 (Ärzte 3.100, Studenten 8.300, Offiziere 1.300)
ohne 22.500 (Angabe fehlt 17.600, berufslos 2.800, Rentner 2.100)
Arbeiter 30.700 Künstler 3.100, Kraftfahrer 4.800 Gastwirte 3.900, Seeleute 700 Pfarrer 200

Summe ca. 386.000, davon Deutsches Reich 360.338, davon männlich Deutsche 340.946, weiblich Deutsche 19.392 (Differenz bezieht sich auf Angaben männl./weibl. zu Österreich in den den Listen)
 
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1. Und noch eine Strukturanalyse der Preussischen Oberpräsidenten 1933-1945, darunter einige von der "Generation 1900", natürlich nicht repräsentativ für die Leitungsschichten im Dritten Reich:

Bracht, Fritz *1899, Zentrum 1926, NSDAP 1927, Maschinenschlosser
Brückner, Helmuth, *???, NSDAP 1925, Berufssoldat, Schriftleiter
Forster, Albert, *1902, NSDAP 1925, Bankbeamter
Gerland, Karl, *1905, NSDAP 1929, Ingenieur
Hanke, Karl, *1903, NSDAP 1928, Müller/Gewerbelehrer
Koch, Erich, *1896, NSDAP 1925, Eisenbahnbeamter
Kube, Wilhelm Paul Richard, *1887, DNVP 1920, NSDAP 1928, Publizist
Lauterbacher, Hartmann, *1909, NSDAP 1927, Drogist
Lohse, Hinrich, *1896, NSDAP 1925, kaufm. Angestellter
Lünick, Ferdinand Frhr. von, *1888, DNVP ???, NSDAP 1933, Jurist(Gutsbesitzer
Lünick, Hermann Frhr. von, *1893, DNVP ???, NSDAP 1933, Gutsbesitzer
Lutze, Viktor, *1890, NSDAP 1925, Kaufmann
Melcher, Kurt, *1881, DNVP ???, Polizeipräs. Essen
Meier, Alfred, *1891, NSDAP 1928, Zechenbeamter
Prinz von Hessen, Philipp, *1896, NSDAP 1930, Architekt
Schwede-Coburg, Franz, *1888, NSDAP 1925, Berufssoldat/Schlosser
Sprenger, Jakob, *1884, NSDAP 1925, Beamter
Stürtz, Emil, *1892, NSDAP 1925, Seemann/Kraftfahrer
Terboven, Josef, *1898, NSDAP 1925, Bankkaufmann
Ulrich, Kurt Albert Paul von, *1876, DNVP ???, NSDAP 1925, Berufsoffizier/Bankbevollmächtigter
Wagner, Josef, *1899, NSDAP 1925, Lehrer

Angaben nach Schwabe, Die preußischen Oberpräsidenten 1815-1945


2. späteres Reichssicherhauptamt, biographisches zu den Leitungsstellen:
- 1/3 in 1933 noch im Studium oder Referendariat, betr. Jahrgänge 1906-1910
- Kaum Arbeitslose 1933 (eine Ausnahme wird namentlich erwähnt)
- die eine Hälfte Übernahmen aus der Polizei 1933 etc.,
- die andere Hälfte "alte Kämpfer" mit Parteieintritten vor 1932.

3. Justiz
Bemerkenswert ist hier der Kern der "nationalsozialistischen Kampfzelle" unter den Hochschullehrern, sowie spätere Kieler Schule. Dem Kern gehörten 1933 verhältnismäßig wenige ältere Rechtslehrer, dagegen überwiegend jüngere Privatdozenten im Alter 30 bis 33 Jahre (*1900 bis +1903), da meist und sehr schnell 1933/35 Professoren wurden (Weinkauff, Die deutsche Justiz im Nationalsozialismus I). Zum Beispiel:
Höhn, Reinhard *1904
Henken, Heinrich *1903
Dahm, Georg, *1904
Schaffstein, Friedrich *1905
Forsthoff, Ernst, *1902
Larenz, Karl *1903 (1)
Lange, Heinrich *1900
Sieber, Wolfgang *1905
Huber, Ernst Rudolf *1903
Wieacker, Franz *1908
Ritterbusch, Paul *1900


(1) siehe
Karl Larenz ? Wikipedia
 
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Aus den vielen wichtigen Beiträgen greife ich diese heraus:

(a) Eine Jugend-, eine soziale, eine christliche oder irgendeine andere Bewegung ist ... vor allem definiert durch: gemeinsame Überzeugungen, Werte Einstellungen, durch Verhaltensstile, Kommunikation etc., und durch einen Habitus. (#28)

(b) Die relative Jugendlichkeit der NS-bewegung war sicherlich hilfreich für die politische Arbeit und den Straßenkampf und ist auch eine Erklärung für die Durchsetzungsfähigkeit der NS-Bewegung. (#28)

(c) Der Nationalsozialismus war eine Bewegung, die, insbesondere nach der Machtergreifung, noch nicht arrivierten Jungakademikern eine Aufstiegschance bot und deshalb für diese attraktiv war. (#19)


zu a) Wenn man mal die Attribuierung von "Jugend" aus den einzelnen Beiträgen zusammenstellt: sie ist abenteuerlustig, antiaufklärerisch, antikapitalistisch, antisexuell, bildungsfern, gewaltbereit, ideologisch anfällig, kämpferisch, oppositionell (gegen Eltern), radikal, skrupellos.

Die Frage ist nun, inwieweit Teile dieses Inventars tatsächlich jugendtypisch und/oder NS-typisch sind. Für "abenteuerlustig" kann man sicher "jugendtypisch" sagen, für "antisexuell" vielleicht weniger.

Interessant der Hinweis, die "Jungen" hätten den "Weltkrieg im Kindesalter erlebt" (25) bzw. - meine Ergänzung - eben vom Hörensagen. Eine "Gnade der späten Geburt", welche die Gewaltbereitschaft förderte oder hemmte?

zu b) Die "Jugendlichkeit" der Bewegung war bewusst geplant, worauf jeder Historiker hingewiesen hat. So fasst z. B. Hans-Ulrich Thamer zusammen [1]: "Wer die Jugend hat, versicherten die Nationalsozialisten, hat die Zukunft. ... Ihre Propaganda gab sich als Sprachrohr der jungen Generation und der Jugendlichkeit, in deren Namen sie dem Weimarer Establishment den Kampf ansagten. 'Macht Platz, ihr Alten!', mit dieser Parole hatte Gregor Strasser das Wesen des Konfliktes auf eine griffige Formel gebracht..."

Das traf sich nicht zuletzt mit Hitlers Vision einer "Neuzüchtung" des Menschen, mit der er "die Tausende von Jahren der menschlichen Domestikation" ausmerzen wollten, d.h. das, was wir unter Zivilisation/Zivilisiertheit verstehen.

Dass davon eine Faszination ausging, wurde selbst von völlig unverdächtigen Zeitzeugen wie den Geschwistern Scholl empfunden: "Wir wurden ernst genommen, in einer merkwürdigen Weise ernst genommen, und das gab uns besonderen Auftrieb." ]2]

zu c) Die Aufstiegschancen wurden dadurch geschaffen, dass zum einen bestehende Organisationen bzw. Arbeitsplätze "gesäubert" wurden, zuerst von Juden und Kommunisten, dann von Sozialdemokraten und anderen, die als politische Feinde betrachtet wurden, und dass zum anderen neue geschaffen wurden, z.B. durch parteieigene Organisationen, durch Beschäftigungsprogramme und (ab 1935) durch die Wiederaufrüstung.

So weit so schlecht. Wenn Aly freilich schreibt: "Im Jahr 1933 ergriffen Studenten und frischgebackene Hochschulabsolventen die Macht" [2], so ist genauer zu untersuchen, was "die Macht" bedeutet. "Teilhabe an der Macht" wäre sicher adäquater - aber wieweit ging die? Wurden ab 1933 alle denkbaren Schlüsselpositionen mit möglichst jungen Personen besetzt - in Anwendung einer Art von umgekehrtem Anciennitätsprinzip?

Sicher nicht. Der vor 1933 bewusst ausgerufene "Generationenkrieg (wurde) nach der Machtergreifung abgeblasen" [4]: Hitler wusste, dass Jugendlichkeit allein nicht den tatsächlichen politischen Erfolg gewährleisten konnte und dass er dafür einen Großteil der (ohnehin konservativen und sich auch andienenden) vorhandenen, älteren Funktionselite nicht entbehren konnte. Erstes Zeichen dafür war Hitlers Erklärung vom Juli 1933, dass die Revolution beendet wäre.

Das galt selbst für den schon erwähnten studentisch-akademischen Bereich. Wie Grüttner [5] zeigt, trat alsbald auch hier "eine Phase der Disziplinierung" ein, in welcher z.B. der Einfluss des NSDStB stagnierte und sogar zurückging. Attacken auf "verkalkte Professoren", wie sie in der Zeit vor und nach der Machtergreifung gang und gäbe waren, wurden seltener. In späteren Jahren wendete sich das Blatt zum Teil dann nochmal.


[1] Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945. Berlin 1986, S. 400
[2] zitiert aaO, S. 405
[3] Hitlers Volksstaat, S. 14
[4] Thamer, S. 400
[5] S. 81 ff.
 
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Kann man also sagen, dass diese neue Generation gegen ihre Eltern(generation) nicht "besonders frech", sondern eher "besonders brav" sein wollte ?


Eher nicht. Die Nazis waren ja stolz darauf, radikal zu sein und betonten die Absage an die Konservativen, nach dem Motto, Platz da, ihr Alten, ihr habt ausgedient!"

Die natürliche Rebellion gegen Elternhaus und Schule wurde durchaus geschickt von der HJ instrumentalisiert, was vielen Lehrern nicht passte, selbst wenn sie stramme Nazis waren. Durch ihre Jugendorganisationen erreichten die Nazis, dass Eltern ihre Erziehungsgewalt teilweise abgeben mussten. Wenn die Eltern linientreu waren, überspielte man allerdings gerne Generationskonflikte mit der Illusion der "Volksgemeinschaft".
 
Die relative Mehrheit: 44,6 % bei den Universitäten, 43,0 % bei den TU. Diese Daten sind mit erheblichen Problemen behaftet. Beispiele: In 12 von 33 U+TU wurde 1931 gar nicht bzw. nicht in Listen gewählt; die Wahlen wurde z.T. von republikanischen, kommunistischen und auch katholischen Gruppen boykottiert; Wahlbündnisse mit anderen konservativen Gruppen lassen sich nicht genau zurechnen.

Ich habe mir Grüttner nun dazu angeschaut, und würde Folgendes ergänzen:

1. Der NSDStB ging einige Bündnisse ein (meist mit Waffenstudenten oder Stahlhlem). Grüttner bemerkt aber zu den Auswirkungen auf den Stimmenanteil: "Diese Ungenauigkeit läßt sich nicht vermeiden, sollte aber auch nicht überbewertet werden."

2. Die Wahlbeteiligungen an den Universitäten lagen 1931 höher (77,4%) als bei den ASTA-Wahlen 1928-1930 (63,5 - 68,1%), die den Aufsteig des NSDStB zeigen.

3. Katers Behauptung, bei den Studentenwahlen haben über die Hälfte der Gesamtstudentenschaft für NSDStB gestimmt, weist er zutreffend zurück. Allerdings ist die These von der erlangten ASTA-Mehrheiten vor der Machtübernahme im Reich (inkl. der oben genannten Bewertungsungenauigkeit) zutreffend, wie eben Grüttners Tabelle S. 496 belegt:
Berlin 65,4% (1932)
Breslau 77,8% (1931)
Erlangen 63,8% (1931)
Freiburg 50,5% (1932)
Gießen 55,5% (1931)
Göttingen 54,5% (1931)
Greifswald 60,3% (1931)
Halle 49,3% (1931)
Jena 62,2% (1931)
Köln 47,8% (1932)
Königsberg 52,3% (1931)
Leipzig 54,6% (1932)
Marburg 50,2% (1931)
Rostock 52,1% (1931)
dazu einige Ergebnisse im um die 40% (Hamburg, München, Tübingen, Würzburg sowie verschiedenen TUs). Auffällig war die Schwäche an den Universitäten mit größerer katholischer Studentenschaft, sowie die aus der Studentenstruktur erklärten schäwcheren Ergebnise der TUs im 40%-Bereich. Zwischen 1928 und 1932 war der NSDStB jedenfalls stets erfolgreicher an den Unis als relativ die NSDAP in den Reichstagswahlen. Zum Teil wirkten die Behinderungen der Wahlen an den Universitäten eben auch gegen den NSDStB.

Den Schluß bei Grüttner, S. 54, mit 43,2% seien die Universitäten bei der Machtübernahme im Reich "keine Hochburgen des Nationalsozialismus mehr", kann ich so nicht nachvollziehen (es wird allerdings richtig festgestellt, die Ergebnisse lägen unter den Reichstagswahlen NSDAP März 1933). Richtig sind regionale Einbrüche bei den Ergebnissen, deren Ursachen sich mir allerdings nicht recht erschließen (zumal ab S. 62 die Studenten als "Motor der Gleichschaltung" beschrieben werden).

Beschrieben werden die Aktionen gegen Professoren, wobei der Übertritt "Hunderter von Professoren" nach den Märzwahlen 1933 dem eben auch zT zuvorkam (das sollte bei der folgenden Parteiräson beachtet werden, die zunächst darauf abstellte, die Unterstützung des konservativen Lagers nach der Machtübernahme nicht durch Randale zu gefährden - Grüttner zieht hier sogar auf S. 83 den Vergleich mit der Zügelnahme der SA, gegen "willkürlichen Aktivismus" und laut Grüttner "entfesselte Studenten" und "Phase der Narrenfreiheit").

Die Betrachtung der Abgänge an den Universitäten:
Bezüglich der Übernahme der Akademiker ist als Einzel-Aspekt die Justiz interessant. Angestrebt war die Durchsetzung des Apparates mit Parteiangehörigen, sowie der Austausch des Establishments, also die Auffüllung mit parteitreuem Nachwuchs. Das scheiterte zT an geringen Zugangszahlen, was den angestrebten Austausch erheblich erschwerte und im gewöhnlichen Verlauf eine lange Zeitachse erfordert hätte.

Auch hier arrangierte sich das System zunächst (1933/34) mit den konservativen (und älteren) Eliten, da die Machtsicherung anders nicht machbar erschien. Plakativ sind jedoch die Bemühungen um die "Nachrücker" und den Ersatz der Abschiebungen bzw. Absetzungen im Justizapparat, wenn zB Notenvoraussetzungen abgesenkt wurden, sofern die schlechteren Noten durch Parteizugehörigkeit vor 1933 kompensiert werden konnten. Das nur als Abriß, detaillierter
Lothar Gruchmann: Justiz im Dritten Reich 1933-1940 - Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, 2002 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 28).
 
Eher nicht. Die Nazis waren ja stolz darauf, radikal zu sein und betonten die Absage an die Konservativen, nach dem Motto, Platz da, ihr Alten, ihr habt ausgedient!"

Ein Beispiel, das die klare Abgrenzung der Generation der Frontkämpfer indiziert.

Im Jahr 1923 schied Ernst Jünger aus der RW aus und zog sich aus dem Freikorps Roßbach zurück, da ihm die "Landsknechtsnaturen" wenig zusagten.

Dieser Vorgang verunsicherte Teile der Freikorpsbewegung, die Jünger eine führende Position in der neuen Armee zugestehen wollten.

In diesem Sinne schrieb Kurt Hesse: "Wer es bewußt in sich trägt, daß wir Jungen eine eigene Generation sind, empfindet einen jeden Verlust in den Reihen der Kämpfer als doppelt schwer:" (H. Schwilk: Ernst Jünger. S. 261)

Diese Wahrnehmung von "Innen" und "Außen" war vermutlich kennzeichnend für die Frontsoldaten, die durch das "Stahlgewitter" gegangen und ein Ansatzpunkt für die Abgrenzung der "national" bzw. "revisionistisch" ausgerichteten politischen Akteure.
 
Zuletzt bearbeitet:
zum Thema "Jugend im 3. Reich":

aktuell gibt es in der Uni-Bibliothek der Stadt Eichstätt eine Ausstellung mit dem Thema "Spiel mit dem Reich": die Ausstellung soll zeigen, wie das Nazi-Regime die Forderung des Führers umsetzte, der eine Jugend forderte, in der "das Schwache weggehämmert werden" sollte, und intellektuelle Erziehung als lästig galt.

Gefährliche Spiele
 
Nachträge:

Jodda-Flintrop: "Wir sollten intelligente Mütter werden" - Nationalpolitische Erziehungsanstalten für Mädchen 1938/1939 - 1945, Diss. Düsseldorf 2010
"Wir sollten intelligente Mtter werden" - Nationalpolitische Erziehungsanstalten fr Mdchen 1938/1939 - 1945
7 MB.

Bennecke, Jakob: Sozialisation während der NS-Zeit: Eine systematisierende Analyse gesellschaftlicher und politischer Bedingungen, sowie deren biographischer Bedeutung,
Diss. Augsburg 2010
http://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/volltexte/2011/1722/


In den umfangreichen Untersuchungen sind auch Ausführungen zur "Generation 1900" enthalten.

Siehe auch:
http://www.geschichtsforum.de/603915-post30.html
 
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