Wir haben uns die letzten drei Abende auf dem ZDF Der Palast angesehen. Klarerweise eine stark bearbeitete Adaption von Kästners Das doppelte Lottchen. Zwei Zwillinge, die nichts voneinander wissen, laufen sich über den Weg und begehen einen Rollentausch.
Unterschiede zu Kästner:
Schwächen
Weitgehend folgte auch dieser Dreizeiler Erzählstrategien, die man aus tausenden Filmen kennt. Als Vater und Mutter sich nach 28 Jahren gegenüberstanden sag ich zu meiner Frau:“Gleich bekommt er ne Ohrfeige.“ Gut die kam etwas anders, als ich erwartet hatte, aber sie kam. „Und jetzt wird er umarmt“. Und so erwartbar wie das Ende war, kam das auch.
Wo ich mit einem anderen Ende gerechnet hatte, war das Überleben der Mutter. Der Zuschauer wusste, dass sie Physikerin war. Bereits im ersten Teil greift sie sich an den Bauch. Dramaturgie-Regel: Wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, dann wird es im dritten Akt abgefeuert. Im zweiten Teil hat sie Magenblutungen. DDR-Physikerin mit Magenblutungen, da kann der erfahrene Fernsehzuschauer doch Uran und Krebs diagnostizieren. Außerdem steht der Mauerfall vor der Tür und der Vater ist verheiratet, obwohl er nie aufgehört hat, die Mutter seiner Kinder zu lieben. Entgegen der geschürten Erwartung stirbt die Mutter nicht, es stellt sich am Ende heraus, dass sie es nur zur Werkleiterin einer Glühbirnenfabrik gebracht hat, und daher fällt dann auch das Uran als Grund für Krebs weg. Am Ende sitzen Tochter, Vater und beide Mütter vereint im Theater, um der Zwillingsschwester beim Auftritt zuzusehen. Hier wurde ein roter Faden der Story nicht konsequent zu Ende erzählt. Oder anders gewendet: Drehbuchautor und Regisseur ist es gelungen, den Zuschauer hinters Licht zu führen. Aber nun ist das hier kein Krimi oder Thriller, wo das zum guten Ton gehört, falsche Erwartungen zu schüren. Außerdem war das Ende zu schmonzettenhaft. Dass die Mutter nicht starb, ein Konflikt Vater - Mutter - Stiefmutter wurde nicht erzählt, machte es noch schmonzettenhafter. Mein Eindruck: Man hat in letzter Minute das Drehbuch umgeschrieben, damit es ein Happy End gebe, welches ungetrübt vom Tod der Mutter wäre.
Der Dreiteiler endete zwar gewissermaßen mit dem Mauerfall, es spitzte sich gewissermaßen auf den Mauerfall hin zu, aber komischerweise wurden die politischen Ereignisse zwischen September und November 1989 fast ausgeklammert. Nur dass der Parteivertreter im Theater von den Mitarbeitern in der Kantine stehen gelassen wurde, was im Kontext mit den Ausreisen über Ungarn und Tschechien stand (wie aus einem Dialog zu entnehmen war). Zuvor war die Rede vom brutalen Vorgehen der VoPo gegenüber Demonstranten. Aber das war‘s auch.
Ganz nett anzuschauen, aber dafür, dass es seit Wochen beworben wurde zu seicht. Konflikte (auch z.B. wie der Großvater väterlicherseits zu Reichtum gekommen ist) wurden angeschnitten, die DDR fast verharmlost, von historischen Tiefgang kann eigentlich keine Rede sein.
Unterschiede zu Kästner:
- Die jungen Frauen sind bereits erwachsen.
- Die beiden leben nicht in Wien und München, sondern in Ost-Berlin und Bamberg, also in West- und Ostdeutschland
- Die Frauen wechseln ihre Rollen mehrfach.
- Die Stiefmutter ist bereits seit 27 Jahren die Stiefmutter, und es gibt auch kein Ansinnen, die Stiefmutter zu verhindern und die Eltern wieder zu verkuppeln.
Schwächen
- Beide Schwestern kommen innerhalb Sekunden darauf, dass sie Zwillinge sein müssen. Sofort hat man schwesterliche Gefühle füreinander. Nun gut, das sagt man Zwillingen ja nach, ob das stimmt, entzieht sich meiner Kenntnis.
- Den Schwestern gelingt problemlos der Rollentausch, obwohl die eine sich eigentlich im Westen, die andere im Osten nicht zu bewegen weiß.
- Auch dialektale oder zumindest regiolektale Unterschiede gibt es zwischen beiden nicht. Die eine berlinert nicht, die andere zeigt in ihrem Idiom keine Spur vom Fränkischen.
- Die Stasi taucht quasi nicht auf, erst im dritten Teil, als dramatisch-kathartisches Element. Ja, einmal wird einer der Schwestern das harte Grenzregime vor Augen geführt, als sie einer Leibesvisitation unterzogen wird, aber die Leute im Dreiteiler verhalten sich alle so, als habe es die Stasi und ihre IMs nicht gegeben. Gut, einmal bedeutet ein Parteifunktionär dem Theaterintendanten, dass man Dinge besser nicht in dessen Büro besprechen sollte, aber ansonsten gehen doch alle recht freizügig um, Vorsicht waltet nicht.
- Im dritten Teil gegen Ende kommt die ostdeutsche Zwillingsschwester wegen angeblicher Republikflucht ins Stasigefängnis, ihr westdeutscher Großvater hängt sich ans Telefon und kurze Zeit später kann ihr Vater, der es in den letzten 28 Jahren vermieden hat, in die DDR zurückzukehren, aus Angst, dort für die Entführung seiner Tochter zur Verantwortung gezogen zu werden, sie aus dem Gefängnis abholen. Das halte ich schon für very unlikely. Zu erwarten wäre wohl eher, dass sie ohne weitere Erklärung zur Grenze bugsiert worden wäre und dort dann auf ihren Vater getroffen sei. Stattdessen genießen die beiden sogar die Freiheit, zum Elternhaus der Mutter in Ost-Berlin zu fahren.
- Zwei homosexuelle Beziehungen unter den Theaterleuten wurden so gezeigt, wie man sie heute erwarten würde, aber nicht in den 1980er Jahren in der DDR. Juristisch gesehen war die DDR Homosexuellen gegenüber fortschrittlicher als die Bundesrepublik, aber auch wenn es lange dauerte bis der § 175 abgeschafft wurde (1994) war doch die Rechtspraxis schon seit den 1970ern lascher geworden. In diesem Zusammenhang auch ein sprachlicher Anachronismus.
- Ich glaube auch weitere sprachliche Anachronismen gesehen zu haben, kann mich aber im einzelnen nicht mehr erinnern.
Weitgehend folgte auch dieser Dreizeiler Erzählstrategien, die man aus tausenden Filmen kennt. Als Vater und Mutter sich nach 28 Jahren gegenüberstanden sag ich zu meiner Frau:“Gleich bekommt er ne Ohrfeige.“ Gut die kam etwas anders, als ich erwartet hatte, aber sie kam. „Und jetzt wird er umarmt“. Und so erwartbar wie das Ende war, kam das auch.
Wo ich mit einem anderen Ende gerechnet hatte, war das Überleben der Mutter. Der Zuschauer wusste, dass sie Physikerin war. Bereits im ersten Teil greift sie sich an den Bauch. Dramaturgie-Regel: Wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, dann wird es im dritten Akt abgefeuert. Im zweiten Teil hat sie Magenblutungen. DDR-Physikerin mit Magenblutungen, da kann der erfahrene Fernsehzuschauer doch Uran und Krebs diagnostizieren. Außerdem steht der Mauerfall vor der Tür und der Vater ist verheiratet, obwohl er nie aufgehört hat, die Mutter seiner Kinder zu lieben. Entgegen der geschürten Erwartung stirbt die Mutter nicht, es stellt sich am Ende heraus, dass sie es nur zur Werkleiterin einer Glühbirnenfabrik gebracht hat, und daher fällt dann auch das Uran als Grund für Krebs weg. Am Ende sitzen Tochter, Vater und beide Mütter vereint im Theater, um der Zwillingsschwester beim Auftritt zuzusehen. Hier wurde ein roter Faden der Story nicht konsequent zu Ende erzählt. Oder anders gewendet: Drehbuchautor und Regisseur ist es gelungen, den Zuschauer hinters Licht zu führen. Aber nun ist das hier kein Krimi oder Thriller, wo das zum guten Ton gehört, falsche Erwartungen zu schüren. Außerdem war das Ende zu schmonzettenhaft. Dass die Mutter nicht starb, ein Konflikt Vater - Mutter - Stiefmutter wurde nicht erzählt, machte es noch schmonzettenhafter. Mein Eindruck: Man hat in letzter Minute das Drehbuch umgeschrieben, damit es ein Happy End gebe, welches ungetrübt vom Tod der Mutter wäre.
Der Dreiteiler endete zwar gewissermaßen mit dem Mauerfall, es spitzte sich gewissermaßen auf den Mauerfall hin zu, aber komischerweise wurden die politischen Ereignisse zwischen September und November 1989 fast ausgeklammert. Nur dass der Parteivertreter im Theater von den Mitarbeitern in der Kantine stehen gelassen wurde, was im Kontext mit den Ausreisen über Ungarn und Tschechien stand (wie aus einem Dialog zu entnehmen war). Zuvor war die Rede vom brutalen Vorgehen der VoPo gegenüber Demonstranten. Aber das war‘s auch.
Ganz nett anzuschauen, aber dafür, dass es seit Wochen beworben wurde zu seicht. Konflikte (auch z.B. wie der Großvater väterlicherseits zu Reichtum gekommen ist) wurden angeschnitten, die DDR fast verharmlost, von historischen Tiefgang kann eigentlich keine Rede sein.