Der Reichskolonialbund

Arne

Premiummitglied
Da jetzt zweimal innerhalb kürzester Zeit Fragen dazu kamen, hier eine alte Ausarbeitung zum Thema von mir.


Geschichte des Reichskolonialbundes

Die Zeit nach dem Versailler Vertrag, vom Verlust der Kolonien 1919 bis zur Auflösung des Reichskolonialbundes im Jahr 1943 war geprägt vom Bemühen der verschiedensten kolonialpolitischen Organisationen, die „Koloniale Frage“ offen zu halten. Die deutsche Öffentlichkeit sollte sich nicht damit abfinden, daß die Kolonien für immer verloren waren und den Wunsch nach einer Rückgabe „der geraubten, deutschen Gebiete“ behalten. Es wurden nicht nur vielfältige Schrift- und Bildmedien verausgabt, sondern auch zahllose Vorträge und Ausstellungen abgehalten. Immer mit dem Ziel, das Interesse und Wissen um die verlorenen Kolonien wach zu halten.
Trotzdem sackten die Mitgliederzahlen der noch vor dem ersten Weltkrieg starken Verbände rapide herab. Den Organisationen rieselte der Sand aus ihren Fundamenten...

Einen kurzen, letzten Aufschwung erlebte die kolonialpolitische Agitation und Propaganda nach dem Zusammenschluß der Kolonialverbände zum Reichskolonialbund im „Dritten Reich“, unter anderem weil sie sich anfangs der Unterstützung staatlicher Stellen gewiß sein konnten und größere Finanzmittel bereitgestellt wurden.

Über die tatsächlichen Beweggründe beim Ablauf des Zusammenschlusses, bzw. der Gleichschaltung nach 1933 herrschen unterschiedliche Sichtweisen. Meistens wird die Gründung des Reichskolonialbundes als aufgezwungene Gleichschaltung der Kolonialverbände durch die Nationalsozialisten gesehen. Vergleichbar mit ähnlichen Vorgängen bei Gruppierungen für dies und jenes, von Lehrern-, Studenten-, Fahrlehrer-, Bauernvereinen etc. zu reichsweiten Verbänden, die vom Regime leichter zu kontrollieren waren.
Andererseits ist es nachweisbar, daß es bereits seit 1923 Bestrebungen gab die Kräfte der kolonialen Verbände zu bündeln und somit zu stärken. Ein Ergebnis dieser Bemühungen war 1925 die Gründung der „Kolonialen Reichsarbeitsgemeinschaft“ (KORAG). Über diverse Zwischenschritte kam es dann 1933 zur Gründung des Reichskolonialbundes. In der Literatur finden sich übrigens zwei verschiedene Gründungsjahre. Des Rätsels Lösung ist, daß es eigentlich zwei gab:
Der „neue Reichskolonialbund“ wurde am 12.5.1936 gegründet. Es gab allerdings bereits seit dem 10.06.1933 einen Vorläufer gleichen Namens. „Zunächst wurde im Jahr 1933 der Ring, der die kolonialen Verbände seit 1922 vereinigte, fester geschmiedet, indem sich die Verbände im Reichskolonialbund unter Führung der Deutschen Kolonialgesellschaft und unter dem Gouverneur i.R. Dr. Schnee enger zusammenschlossen. Im Juni 1936 fand dann die völlige Verschmelzung der kolonialen Verbände im neuen Reichskolonialbund unter Führung des Reichsstatthalters Ritter von Epp, des Leiters des Kolonialpolitischen Amtes der Reichsleitung der NSDAP, statt.“ („Das Buch der Deutschen Kolonien“ Hrsg. Dr. Schnee, Leipzig 1937).
Ein Beleg gegen die „Gleichschaltung von oben“ ist die Tatsache, daß der eben gegründete neue Reichskolonialbund (RKB) ohne Anordnung oder Befragung der NSDAP, mit der Betonung der Eigenständig, zustande gekommen war, ist, daß er schon zwei Monate später durch einen Erlaß des damaligen `Stellvertreters des Führers`, Rudolf Hess, wieder aufgelöst wurde. Erst nach schwierigen und langwierigen Verhandlungen ist dieser Auflösungserlaß im Oktober 1936 wieder zurückgezogen worden.

Erklärungstext zum Bildanhang schrieb:
"Wappenförmiger Aufnäher in den Farben der Petersflagge, die in der Zeit zwischen den Weltkriegen als vereinigendes Symbol aller Kolonialorganisationen galt. Nach der Gründung des Reichskolonialbundes wurde das Abzeichen weiter toleriert. Die Verbände der Kolonialjugend, die in die Hitlerjugend eingegliedert wurden, durften es zusätzlich zu den Insignien der HJ tragen.
Erklärungstext zum Bildanhang schrieb:
Die Erwachsenen in Uniform trugen es am Ärmel, zusätzlich zur Hakenkreuzarmbinde. Das eigentliche Symbol des (neuen) Reichskolonialbundes vereinigte dann beide Symbole zur Petersflagge mit dem Hakenkreuz in der Mitte.
Das Wappenförmige Abzeichen mit Hakenkreuz wurde aber wohl nur an der zivilen Kleidung getragen. Fahnen sind in dieser Form übrigens auch nicht üblich gewesen. Auf zeitgenössischen Fotos von Aufmärschen sind meist Hakenkreuzflagge und Petersflagge (ohne Hakenkreuz) nebeneinander zu sehen. Eigentlich ist nur ein Bild von einer Massenveranstaltung bekannt, bei der ein dekorativer Wandbehang in Form einer großen Petersflagge mit Hakenkreuz zu sehen ist. "


Sicher war der Reichskolonialbund Teil des „Puzzles Drittes Reich“. Die Organisation tat sich aber nie als große Stütze des Systems hervor und warb auch nicht für die Partei. Sie hatte vielmehr unter vielen Einschränkungen ihrer Arbeit zu leiden. Wohl auch, weil die vordringlichen Interessen der Reichs- und Parteiführung bei näherem Hinsehen ganz offensichtlich nicht in Afrika und den Kolonien lagen, sondern im kontinentalen Imperialismus.

Die Amtsträger des RKB waren nach einer Erhebung 1942 gerade mal zu 60% in der NSDAP. Ein für damalige Verhältnisse verblüffendes Ergebnis. Die Zahlen innerhalb der Mitglieder sind leider nicht übermittelt, dürften aber noch erheblich niedriger sein. Nicht nur, daß ein Großteil der Kolonialrevisionisten Sympathisanten des Kaiserreiches und der Monarchie waren, es spielte auch ein weiteres Phänomen eine Rolle.
1933-45 gehörte es, besonders in bürgerlichen Kreisen, einfach zum guten Ton Mitglied einer Organisation zu sein und dessen Mitgliedsabzeichen mit Hakenkreuz am Anzugrevers zu tragen. Gesellschaftliche Anerkennung und Aufstieg schien ohne dieses Attribut kaum möglich. Die Mitgliedschaft im Reichskolonialbund bot diese Möglichkeit auch ohne Parteimitglied zu sein. In Erzählungen nach 1945 hieß es gelegentlich „Wenn man schon irgendwo Mitglied werden mußte, dann dort wo man seine Ruhe vor den Nazis hatte.“

Nach jahrelanger Duldung wurde der Reichskolonialbund 1943 auf Weisung von Martin Bormann praktisch aufgelöst und das Vermögen auf die NSDAP übertragen, also faktisch beschlagnahmt.

Im „Gesetz zur Entnazifizierung und Befreiung vom Militarismus“ vom 5.3.1946 wird festgestellt, daß der Reichskolonialbund weder eine Gründung der Partei noch eine Parteiorganisation und auch nicht ein der Partei angeschlossener Verband war.



Leider liegt kaum Literatur mit einer umfassenden Aufarbeitung der Geschichte des Reichskolonialbundes vor.
Zwei der wenigen Arbeiten sind:
1) „Der Reichskolonialbund – Wiedergabe der Jünemannschen `Rechtfertigungen`“
von H. Jünemann und H. Mietz im Mitteilungsblatt des Traditionsverbandes Nr.83 (Jubiläumsausgabe, 100 Jahre Traditionsverband, 1998)
2) „Der Reichskolonialbund“ Schriften der Hochschule für Politik, „“ Der organisatorische Aufbau des Dritten Reiches, Heft 30 Dr. Hanswerner Nachrodt, Berlin 1939.
Umfangreiche Informationen über Vorgeschichte der Gründung, innere Organisation, Schriften, Schulungstätigkeiten und Zielsetzung aus zeitgenössischer Sicht.


PS: Beim Nescape-Browser ist das Layout grauenhaft. Kein Zeilenumbruch? Wenn das ein Mod ändern kann, wäre es schön. Danke.
 

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Arne schrieb:
Im „Gesetz zur Entnazifizierung und Befreiung vom Militarismus“ vom 5.3.1946 wird festgestellt, daß der Reichskolonialbund weder eine Gründung der Partei noch eine Parteiorganisation und auch nicht ein der Partei angeschlossener Verband war.

Gleichwohl galten nach demselben Gesetz alle Amtsträger des RKB als "schwer belastet".


Arne schrieb:
In Erzählungen nach 1945 hieß es gelegentlich „Wenn man schon irgendwo Mitglied werden mußte, dann dort wo man seine Ruhe vor den Nazis hatte.“

Ob man in einer Organisation, deren Amtsträger zu 60% ausgewiesene Nazis waren, "seine Ruhe vor den Nazis hatte", möchte ich doch sehr bezweifeln.
Daß dergleichen nach 1945 erzählt wurde, wundert mich allerdings nicht.
 
hyokkose schrieb:
Ob man in einer Organisation, deren Amtsträger zu 60% ausgewiesene Nazis waren, "seine Ruhe vor den Nazis hatte", möchte ich doch sehr bezweifeln.
Daß dergleichen nach 1945 erzählt wurde, wundert mich allerdings nicht.

Natürlich sind das rein subjektive Äusserungen ehemaliger Mitglieder. Da sind wir uns einig.

Wenn du zutreffend sagst, daß dieser Teil der Amtsträger ausgewiesene Nazis waren, so ist das dem wörtlichen Sinn nach natürlich richtig. Ich würde aber die reine Mitgliedschaft in einer staatstragenden Partei noch nicht als "völlige Überzeugungtat" sehen.
In allen totalitären Staaten mit Einparteiendiktatur haben viele Bürger die Parteimitgliedschaft beantragt. Aus den unterschiedlichsten und teils auch den niedersten Beweggründen....
 
Arne schrieb:
Natürlich sind das rein subjektive Äusserungen ehemaliger Mitglieder. Da sind wir uns einig.

Wenn du zutreffend sagst, daß dieser Teil der Amtsträger ausgewiesene Nazis waren, so ist das dem wörtlichen Sinn nach natürlich richtig. Ich würde aber die reine Mitgliedschaft in einer staatstragenden Partei noch nicht als "völlige Überzeugungtat" sehen.
In allen totalitären Staaten mit Einparteiendiktatur haben viele Bürger die Parteimitgliedschaft beantragt. Aus den unterschiedlichsten und teils auch den niedersten Beweggründen....

Mit "seine Ruhe vor den Nazis" ist mE gemeint, dass in den 30ern auf Personen des öffentl. Lebens, soweit sie vorher in keiner Partei waren, massiv Druck ausgeübt wurde und sie zum Partei-Eintritt gedrängt wurde. Diesem Druck konnte man anscheinend tatsächlich weitgehend entkommen, indem man in eine "harmlose" Organisation wie z. b. den NSKK eintrat. Evt. ist der Reichskolonialbund ähnlich einzustufen.

Grüße
Repo
 
Und natürlich gab es auch viele, die Parteimitglieder wurden, "um Ruhe vor den Nazis zu haben"... (Oder: "Mein Gott, was bedeutet schon ein Parteibuch, wenn ich dafür meinen Beamtenberuf weiter ausüben kann...?")
Im Grunde die zu allen Zeiten vorherrschende Maxime: "Das Leben ist hart. Schau erst mal, daß du 'nen ordentlichen Job hast, über den Rest kannst du später nachdenken."
 
Hinweis für Forschende

Zum Verbleib des Archives des RKB liegen leider keine Informationen vor. Es muß daher von einem Kriegsverlust ausgegangen werden - es ist verschollen. Daher gibt es leider wenig Material über die innere Verwaltung, Aufgabenverteilung, Besprechungen etc.

Allerdings befinden sich im Bundesarchiv Berlin korrespondierende Überlieferungen, v. a. Reichskolonialamt, Deutsche Kolonialgesellschaft, Kolonialpolitisches Amt der NSDAP, Kolonialwirtschaftliches Komitee, Publikationstelle Berlin-Dahlem sowie Reichspropagandaleiter der NSDAP, die dort gemäß den Benutzungsvorschriften eingesehen werden können.

http://www.barch.bund.de/
 
Hallo Arne,

ich habe in anderer Sache die Geschichte eines Bürgermeisters nachgelesen (Siehe unter Globke) der wegen der Judenverfolgung zurückgetreten ist, er hat sich erfolgreich geweigert in die Partei einzutreten, ist aber 1937 in den Reichskolonialbund eingetreten.
Deine Einschätzung des Reichskolonialbundes dürfte also zutreffen.

Grüße Repo
 
Repo schrieb:
ich habe in anderer Sache die Geschichte eines Bürgermeisters nachgelesen (Siehe unter Globke) der wegen der Judenverfolgung zurückgetreten ist, er hat sich erfolgreich geweigert in die Partei einzutreten, ist aber 1937 in den Reichskolonialbund eingetreten.
Deine Einschätzung des Reichskolonialbundes dürfte also zutreffen.

Freut mich zu lesen. Ich wäre allerdings vorsichtig, den Reichskolonialbund grundsätzlich als "Auffangbecken" oder "Zufluchtsorganisation" für nichtüberzeugte Deutsche einzuschätzen, die ein Organisationsabzeichen mit Hakenkreuz brauchten. Das mag für einen Teil der Mitglieder zutreffen, aber nicht generell.
 
Zuletzt bearbeitet:
Gleichwohl galten nach demselben Gesetz alle Amtsträger des RKB als "schwer belastet".

Ist zwar schon lange her, aber da ich grad mal wieder am Thema dran bin und das Gesetz vorliegen habe, hier eine Richtigstellung.

Nicht alle Amtsträger galten laut diesem Gesetz als "Schwer belastet". Im Teil „Andere Naziorganisationen“ wird ausgeführt: Amtsträger im RKB, die gleichzeitig leitende Beamte im Kolonialpolitischen Amt der NSDAP waren, gelten aufgrund dieser Tätigkeit als „Hauptschuldige“(Klasse I), Amtsträger des RKB, die nach 1.1.1935 Amtsträger wurden, gelten als „belastet“ (Klasse II). Alle anderen Tätigkeiten oder Mitgliedschaften sind irrelevant.

Quelle: „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus mit den Ausführungsbestimmungen und Formularen“ Erich Schullze im amtl.Auftrag, Biederstein-Verlag München, 1947.
 
5 Jahre nachdem ich im Ursprungsbeitrag aus einem noch älteren Text zitiert habe, möchte ich auf eine Aktualisierung aufmerksam machen. Da ich mich in den letzten Monaten intensiv mit dem Thema beschäftigte und wesentliche, neue Erkenntnisse erlangt habe, erscheint mir der alte Text zwar nicht als grundsätzlich falsch, aber zumindest als ziemlich oberflächlich.:rotwerd:

In einem Punkt ist eine Revidierung fällig. Man muß im Falle des RKB von einer "verzögerten Gleichschaltung" sprechen. Die erste Gründung 1933 mag freiwillig erfolgt sein, die spätere Umgestaltung 1936 erfolgte aber auf drängende Intervention der NSDAP.

Wen die Zusammenhänge, Hintergründe und das Schicksal der Kolonialverbände im Dritten Reich oder auch ein Einblick in die "Kolonialpolitik" Hitlers interessiert, mag hier den neuen Artikel nachlesen:

Das größte Projekt des Reichskolonialbundes: Die Kolonialausstellung Dresden 1939

PS: Verlinkung mit dem Mod-Team im Vorfeld abgestimmt.
 
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