Der Umgang mit einem Tabu-Thema

HattoriH

Neues Mitglied
Hallo liebe Geschichtsfreunde!

Ich werde in Kürze meine Facharbeit zum Thema "Vergangenheitsbewältigung - Der Umgang mit dem Dritten Reich" verfassen. An Literatur hab ich mir, und das genügt zum diskutieren, das Buch "1945 und wir" von Norbert Frei besorgt.
Schwerpunkt der Facharbeit wird sein, den Wandel des Gesellschaft im Hinblick auf den Umgang mit diesem "Tabu-Thema" darzustellen. Wie ging man in den Jahren nach dem Krieg mit dem Thema um? Wie geht man heute damit um - die letzten Menschen, die noch "hautnah" dabei waren verschwinden...?
Um ein paar Anregungen und Stoff zu erhalten wollte ich euch mal fragen: Welche Erfahrung habt ihr mit dem Thema gemacht? Ist es sinnvoll in den Medien mit diesem Thema so freizügig umzugehen? Habt ihr vielleicht mehrere Jahrzehnte Vergangenheitsbewältigung miterlebt (da wird´s doch sicher jemand geben ;))? Schreibt einfach mal, was euch dazu einfällt, ich bin für jede Antwort dankbar!

Bis denne, Hatto
 
Zum Thema Zeitzeugen:

Die verschiedensten wissenschaftlichen Einrichtungen, die sich mit dem Thema befassen, sind sehr darum bemüht vor dem Hintegrund des Aussterbens dieser Zeitzeugen noch möglichst viele Interviews mit Zeitzeugen durchzuführen.
Wir haben hier im Forum schon viel über den Erkenntniswert von Zeitzeugen diskutiert, z.B. hier:
http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=7217&highlight=zeitzeugen

Dies nur einmal als erste Antwort...
 
Ein interessantes Thema, dass wir unter etwas anderer Problemstellung (Geschichtskontroversen in der BRD zum Dritten Reich der letzten 20 Jahre) im letzten Semester in einem Seminar thematisiert hatten.

Grundsätzlich hatte man bald nach dem Krieg (ca. bis 1960) rein geschichtswissenschaftlich schon weitreichende Erkenntnisse über die Verbrechen des Dritten Reichs und die außenpolitisch/militärischen Abläufe des Zweiten Weltkriegs. Unterschiede bestanden aber darin, welche Problematiken in der breiten Öffentlichkeit thematisiert wurden.

In den 50er/60er Jahren wurden die Verbrechen des NS weitgehend verdrängt, obwohl die gesellschaftliche Problematik immer wieder zu Tage trat - allein schon durch die vielen Prozesse gegen NS-Kriegsverbrecher. Erinnerung an das Dritte Reich - das waren damals vor allem Erinnerungen der Soldaten an den Krieg. Kriegsgeschehnisse wurden häufig in Romanen, Filmen oder dokumentarischen und hauptdokumentarischen Büchern (z.B. Paul Carells Bestseller "Unternehmen Barbarossa") verarbeitet, die oft einen glorifizierenden Charakter hatte. In dieser Zeit erschienen auch viele Memoiren der Spitzengenerale, die oftmals ebenfalls von rechtfertigendem Charakter waren. Auch die Erforschung der militärischen Ereignisse spielte damals eine viel größere Rolle als heute.

Ab Anfang der 60er Jahre nahm die Beschäftigung mit den nationalsozialistischen Verbrechen einen immer größeren Raum ein. Das lag zum Teil an zwei besonders aufsehenserregenden Prozessen, den gegen Adolf Eichmann und den Auschwitz-Prozess in Frankfurt 1965. Aber auch von der Studentenbewegung gingen starke Impulse aus, die NS-Vergangenheit wieder stärker zu thematisieren. Dabei spielte eine Rolle, das viele damalige Linke in der BRD noch immer faschistische Kräfte am Werk sahen, in Form vieler unbehelligter Ex-Funktionäre des Dritten Reichs in hohen Funktion in Politik, Verwaltung und Justiz. Die spektakulärsten dieser Personen waren wohl Bundespräsident Lübke (der als Ingenieur ein Kommando von KZ-Häftlingen beim Bau des Raketenzentrums Peenemünde dirigierte) und Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger (arbeitete in der Rundfunkabteilug des Reichsaußenministeriums).

Obwohl der Protest vieler 68er zu weit ging - die NS-Vergangenheit wurde von solchen Personen zwar verdrängt, aber der Faschismus lebte dadurch eben nicht wieder auf - endete zumindest die Zeit, in der NS-Verbrechen tot geschwiegen und davon abgesehen den Regimeopfern in keiner Weise gedacht wurde.

In den 70er/80er Jahren setzte sich in der BRD stärker die Haltung durch, dass es auch Aufgabe des Staates ist, den Opfern der NS-Verbrechen zu gedenken. In den ersten 20 - 30 Jahren nach dem Krieg spielten Gedenktage wie der am 9. November oder der 8. Mai kaum eine Rolle. In den 80er Jahren beschäftigte man sich zudem stärker mit den diversen Opfergruppen, es begann auch eine breite lokale Aufarbeitung der NS-Geschichte, die sich in unzähligen Publikationen äußert.

Gleichzeitig ist zu erwähnen, dass in der DDR von Anfang an eine andere Erinnerungskultur herrschte. Der Antifaschismus nahm hier pompöse und staatstragende Formen (mit riesigen Gedenkfeiern zum 8. Mai und großen Denkmälern wie in Buchenwald), was aber auch die Funktion hatte, von den undemokratischen Auswüchsen des eigenen Systems abzulenken.

Zu den jüngsten Entwicklungen schreibe ich auch noch was.
 
Hallo,

@ El Quijote: Danke für den Link, sehr interessant! Versuche ich auf jeden Fall auch einzubringen...

@ Ashigaru: Wow, besser geht es garnicht, danke! ;) Sehr nette Übersicht... Auch die Gegendarstellung BRD<=>DDR gefällt mir, da ich zu dem Thema auf jeden Fall auch stellung nehmen möchte... Bin gespannt, was da noch kommt...

Emefge, Hatto
 
HattoriH schrieb:
Hallo liebe Geschichtsfreunde!
Wandel des Gesellschaft im Hinblick auf den Umgang mit diesem "Tabu-Thema" darzustellen. Wie ging man in den Jahren nach dem Krieg mit dem Thema um? Wie geht man heute damit um - die letzten Menschen, die noch "hautnah" dabei waren verschwinden...?
Um ein paar Anregungen und Stoff zu erhalten wollte ich euch mal fragen: Welche Erfahrung habt ihr mit dem Thema gemacht? Ist es sinnvoll in den Medien mit diesem Thema so freizügig umzugehen? Habt ihr vielleicht mehrere Jahrzehnte Vergangenheitsbewältigung miterlebt (da wird´s doch sicher jemand geben ;))? Schreibt einfach mal, was euch dazu einfällt, ich bin für jede Antwort dankbar!
Bis denne, Hatto
Lieber Hattori,
Ich bin Jahrgang 1941 und habe 1945 die letzten auswirkungen des WKII am eigenen Körper mitbekommen. Geflohen aus Pommern mit meiner Mutter, wo mein stiefvater stationiert war. Ständig Tieffliegerangriffe, Hunger, verdreckt und verlaust bis wir in meiner Heimatstadt Kassel angekommen waren. Dort noch Bombenangriffe erlebt in den bunker geflüchtet. Unser haus blieb ganz.
Im täglichen überlebenskampf hatten wir keine zeit uns über die Sinnlosigkeit dieses Krieges oder jedes Krieges zu unterhalten.:(
In meiner Schulzeit hatte ich lehrer, die Anfangs alle ehemalige Nazis oder Offiziere waren und über ihre erlebnisse während des Krieges berichteten. Nach diesen Erlebnissen konnte man nicht verstehen, wieso wir eigentlich den Krieg verloren hatten. Wobei sich besonders ein Adeliger hervortat.
Erst in der spätzeit hatten wir die ersten demokratisch geprägten lehrer. Fast beim ende der Schulzeit wurde einmal über deutsche Verbrechen gesprochen. Der Geschichtsunterricht endete bei 1870/71.
Ergebnis: Jede Ideologie, ob rechts oder links ist abzulehnen. Nur verteidigungskriege dürften erlaubt sein, jeder Angriffskrieg gehört verboten.:rolleyes:
 
Hallo,

meines Erachtens muss jedes Nachkriegsjahrzehnt, wie oben bereits geschehen, getrennt betrachtet werden.

So dürften sich auch unterschiedliche Ansätze finden, warum gerade auf diese Weise mit der NS-Vergangenheit umgegangen wurde.

Im direkten Nachkriegsdeutschland, das weiß ich von meinen Eltern und Großeltern, war die sog. Entnazifizierung Aufgabe der Siegermächte. Insoweit hat sich innerhalb der deutschen Bevölkerung niemand groß mit diesem Thema befasst. Der Wiederaufbau stand im Vordergrund, an den "Schalthebeln der Macht" saßen die, die auch vorher, also während der NS-Zeit, sehr weit oben standen.
Eine Aufarbeitung von Kriegsverbrechen kann daher ausgeschlossen werden, man hatte entweder für sowas keine Zeit, oder aber man hätte seine eigenen Freunde, Kameraden, Parteigenossen etc. in die Pfanne hauen müssen.
Die sog. Kriegsgewinnler waren auch diejenigen, die die deutsche Bevölkerung auch nach dem Krieg mit Arbeitsplätzen versorgten. Denen an die Karre zu fahren trauten sich nicht einmal die die alles gerne am Pranger hätten sehen wollen.
Auch die Siegermächte nahmen, was die Aufarbeitung betrifft, auf die vorhandene politische Situation Rücksicht und haben den einen oder das andere einfach "übersehen".

In den Zeiten danach kam es zu einer "Jugendrevolution". Der Aufstand gegen das "Establishment" war angesagt. Und wie hätte man einen solchen "Aufstand" besser legitimieren, bzw. wie hätte man das Establishment besser treffen können, als mit den Verfehlungen der Vergangenheit. Da war es ganz klar, dass studentische Vereinigungen und die sog. Spätgeborenen, die gegen ihre "Erzieher" in Feld ziehen wollten denen die Verfehlungen und Kregsverbrechen vorwarfen.
Im Gegenzug blieb dann diesen nichts weiter übrig, als sich damit auseinander zu setzen. Ich denke man hätte es auch weiter gerne verdrängt.

Im Zuge dieser Auseinandersetzung, kam es dann zwangsläufig zu einer Aufarbeitung, die natürlich - je weiter man von den Geschehnissen wegrückte - immer klarer und deutlich (auch in der Sprache) wurde.

Meines Erachtens nach ist es allerdings auch heute noch ein Tabu-Thema. Nicht in allen Bereichen, aber dennoch traut sich keiner mit bestimmten Themen offen umzugehen.

Das ist leider so. Ich denke, das kommt daher, dass wir immer noch Väter und Großväter haben die dabei waren und darin vielleicht sogar involviert waren...in welcher Form auch immer.
Auch gibt es immer noch Überlebende des Holocausts. Auch diesen will man in keinster Form zu nahe treten.

Erst wenn es wirklich keine Überlebenden dieser Zeit mehr gibt, wird man wohl endgültig frei damit umgehen können.

Nur leider ist es dann wahrscheinlich zu spät, sollten offene Fragen zurückbleiben.
 
Erstmal möchte ich mich für die zahlreichen Antworten bedanken, die mir wirklich eine gute Basis bieten :yes:

Schwerpunkt soll der derzeitige Umbruch sein. Derzeit sterben die letzten Täter und Opfer aus, so hart das klingen mag und eine "Flut" an medialer Vergangenheitsbewältigung rollt einher. Serien über "Hitlers Helfer", "Der Untergang" oder auch Beilagen in diversen Zeitungen bringen uns das Thema gerade so nahe, wie nie zuvor. Ist das der richtige Umgang mit diesem Thema? Ich erinnere mich an die These eines Spiegel-Autoren: "Hitler wird zur Kultfigur"...
Auf der einen Seite finde ich die Aufarbeitung gut, auf der anderen Seite denke ich, dass die Geschichte um diese Zeit gradezu "abgeschlossen" wird, zumal die Zeitgenossen uns verlassen. Literarisch wird dieses Thema nie aussterben, keine Frage, aber wie wird es weitergehen? Verliert die nächste Generation die "Lust" an diesem (dunklen) Teil der Geschichte?
Freue mich auf eure Antworten!

Hatto
 
@ HattoriH: es ist meine Vermutung, dass wir uns in 20 Jahren nicht mehr so eng mit der Geschichte der NS-Zeit befassen. Schon bald nach dem Krieg wurde sehr viel zu Drittem Reich und WKII geforscht, aber ab den 70ern wurde die Forschung noch intensiviert. Durch Filme wie "Schindlers Liste", aber auch "Der Untergang", wurde im zurückliegenden Jahrzehnt bis heute ein großes Medieninteresse generiert.
Ich würde zustimmen, dass das Problem der Zeitzeugen zumindest einen Nebenfaktor darstellt. Und wer genau beobachtet, stellt fest, dass man sich in den letzten Jahren immer stärker mit der Generation derer beschäftigt, die (in der Regel) nicht mehr selbst Soldaten waren und während des Dritten Reichs aufwuchsen, sowie mit den Komplexen Vertreibung und Bombenkrieg, deren Nachwirkungen diese Generationen mit am längsten und stärksten erfahren hatte.
Ich denke, wenn meine Generation alt einmal alt geworden sein wird (die wir die Kriegserfahrungen zumindest noch aus den Geschichten der Großeltern kennen), dann spielt das 3. Reich nicht mehr eine ganz so große Rolle.

Ich denke vielleicht, dass sich Wissenschaftler in den kommenden Jahrzehnten evtl. stärker mit folgendem beschäftigen:

- Geschichte der DDR (vielleicht beginnen sich, anders als zu Zeiten der Mauer, doch mehr Bundesrepublikaner dafür zu interessieren, was "drüben"vor sich ging).

- Internationale Zeitgeschichte: Zumindest im Vergleich zu anderen Staaten war Deutschland bis in die 90er außenpolitisch relativ selbstbezogen und "isoliert". Im Zuge der Anschläge 2001 + des Irakkriegs beschäftigt man sich vielleicht stärker mit den internationalen Konflikten und ihren Ursprüngen.
 
Zuletzt bearbeitet:
HattoriH schrieb:
Verliert die nächste Generation die "Lust" an diesem (dunklen) Teil der Geschichte?

Ich denke, es wir langsam Zeit, dass wir die Lust an diesem Thema verlieren.

Dabei meine ich den Begriff "Lust" durchaus wörtlich.

Noch immer werden wir Deutsche an der damaligen Geschichte gemessen und unser Tun damit verbunden. Viele werfen unserer heutigen Generation noch immer die Taten der Vergangenheit vor.
Insofern sollte das, meines Erachtens, endlich ein Ende haben.

Ich verweise da, auch wenn es schon etwas her ist und die Protagonisten gewechselt haben, auf die Wiedervereinigung Deutschlands. Sowohl die Franzosen wie auch die Briten, vor allem die damalige Premieministerin Frau Thatcher, waren absolut gegen eine Wiedervereinigung auf Grund der deutschen Geschichte. Ein großes Deutschland bedeutete für Frau Thatcher eine große Gefahr...Kriegsgefahr.
Auch Mitterand hatte Ängste hinsichtlich der Wiedervereinigung, aus ähnlichen Gründen.

Ich denke es wird Zeit, dass in diesem Zusammenhang auf die neuen Umstände eingegangen wird, soll heißen, dass man unsere Generation nicht mehr verantwortlich machen darf.

Aber klar sollte auch sein, dass ein solches Kapitel der Geschichte niemals in Vergessenheit geraten wird und auch nicht darf.
Die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland ist viel zu "weltbewegend", als dass das Thema außen vor bleiben könnte.
Die Verknüpfungen der heutigen Geschichte mit der damaligen Zeit sind so vielfältig, als dass so etwas geschehen könnte.

Insofern sollte auch die stets beschworene "Gefahr von Rechts" nicht unterschätzt werden. Solange unsere Geschichte nicht in Vergessenheit gerät, solange haben wir die Möglichkeit eine solche Gefahr zu bannen.

Die Frage die sich jedoch dabei stellt ist, ob man diese bannen möchte. Denn das kann nur geschehen, wenn man sich mit seiner Geschichte auseinandersetzt.

Und jetzt kommt man zu vielfältigen Problemen die da mit reinspielen.

(s. auch Thread "Der Wert von Kultur") -> Bildung ist ein absolutes Muss, wenn man sich mit Geschichte auseinandersetzen will. Daher sollte Bildung auch für alle gegeben sein. Das Problem ist nur, wie auch die neueste Pisa-Studie zeigt, dass dem nicht so ist. Je ärmer eine Familie in Deutschland, desto weniger Chancen hat diese auf Bildung. Da zeigt sich die Gefahr, dass gerade in sozial schwachen Familien das Bewusstsein für das Thema wohl im Laufe der Zeit wegfallen wird.
Sollte jetzt die sozial Kluft größer werden, so wird die Diskrepanz zwischen Wissen und Nichtwissen größer werden. Sollten dabei auch die sozialen Probleme größer werden, dann läuft man tatsächlich Gefahr, dass die "Lust" an diesem Thema verloren geht...und zwar mit voller Absicht.

Natürlich werden die Medien immer wieder auf die Geschichte hinweisen und uns unsere (dunkle) Vergangenheit aufzeigen...nur, wenn keiner mehr hinschaut...

Ich denke, das wird das Problem dabei sein.
 
Ashigaru schrieb:
Zu den jüngsten Entwicklungen schreibe ich auch noch was.

Ich sehe einen grundlegenden gesellschaftlichen Paradigmenwechsel mit dem Ende der Bonner Republik und der DDR. Mit der Wiedervereinigung kommt verstärkt die Rolle der Deutschen als Opfer des Weltkriegs in den Mittelpunkt. Gerade Literatur hat hier enorm Vorschub "geleistet" (Grass, aber v.a. Friedrich ("Der Brand") und erst recht Walsers unsäglicher Begriff der "Auschwitzkeule")


Wellington schrieb:
Ich denke, es wir langsam Zeit, dass wir die Lust an diesem Thema verlieren.

Wenn gleichzeitig die Apologeten des Ewiggestrigen auch die Lust an der Lust verlieren soll mir das recht sein.

Wellington schrieb:
Natürlich werden die Medien immer wieder auf die Geschichte hinweisen und uns unsere (dunkle) Vergangenheit aufzeigen...nur, wenn keiner mehr hinschaut...

Nun gut....wer aber die Geschichte nicht kennt, wird die Gegenwart nie verstehen....


Nur mal so nebenbei:

heinz schrieb:
jeder Angriffskrieg gehört verboten

Angriffskriege sind verboten! Selbst die Vorbereitung eines Angriffskriegs ist anzeigepflichtig, d.h. derjenige, der nicht anzeigt, macht sich strafbar. Und? Wer hat nun die Bundesregierung damals angezeigt als der Krieg gegen Jugoslawien losging?
 
@ Wellington, man merkt, daß du geschrieben hast, was dir so durch den Kopf ging, von der Leber weg, immer ergänzt um das was dir wichtig oder unverzichtbar schien, dadurch wird der lange engagierte Beitrag leider etwas strukturlos.

Zum Thema: Ich bin über die Fragestellung eigentlich schon verwirrt. Warum ist das Dritte Reich ein Tabu-Thema? Wenn etwas Tabu ist, spricht man nicht drüber, davon kann doch wohl wirklich keine Rede sein.

Interessant scheint mir der Aspekt mit der aussterbenden Erlebnisgeneration zu sein. Zum Vergleich ziehe ich mal "meine" Kolonialgeschichte heran. Es gibt eine sehr lange Diskussionsaufnahme aus 1964(?) zur Sendung "Heia-Safari" vom WDR (u.a. von R. Giordano) in der die kritische Darstellung diskutiert wurde. Die Folgediskussion ist erheblich länger, als die eigentliche Sendung!
Damals lebten noch viele Menschen, die die Kolonialzeit miterlebt hatten und stritten sich mit den Redakteuren in einer Art und Weise, die heute undenkbar ist. Die Leute konnten viele Falschdarstellungen aus eigenem Erleben korrigieren, bzw. entkräften. Die Fernsehmacher konnten sich nur auf Niederschriften berufen.

Ich stelle mir vor, daß es mit dem Wegsterben der Weltkriegsgeneration ganz ähnlich sein wird. Wie schon einmal an anderer Stelle geschrieben, befürchte ich, daß sich das Bild unserer Großeltern für unsere Enkel immer weiter "verfinstern" wird. Extrem gesagt: Jeder kleine Wehrmachtssoldat wird einmal zum Massenmörder.
 
@Wellington
Ich kann nur folgendes dazu Berichten, aus meiner eigenen Erfahrung.

Das Thema Nationalsozialismus wurde bei mir bis zur Vergasung ;) :rolleyes: :autsch: :oops: in der 10. Klasse Realschule durchgekaut, kam wieder in 12/13 exzessiv und da hatte ich schon keine Lust mehr, mich mit dem Thema nochmals auseinanderzusetzen, das bemerkte man auch an meinen Klausurergebnissen. Ich hatte einfach die Schnauze voll. Damals zu Realschulzeiten kam Knopp gerade auf, da war das noch interessant, doch wenn ich jetzt in ein Büchergeschäft gehe und sehe, dass dort fast nur noch Knopp liegt, der gerade sein 356. Buch geschrieben hat, das selbe Filmaterial in div. Dokus immer wieder, sogar mit den Kommentaren, verwendet wird, würde ich mal gerne wissen, ob man noch heute mit dem 3.Reich Geld machen kann, ob man damit auch z u den Kriegsprofiteuren gehört.

Wenn man immer den selben Inhalt nahezu gebetsmühlenartig immer wieder wiederholt, dann stumpft das eher ab als für die "Sache Information/Mahnung" dienlich zu sein. Meiner Meinung nach hat das weniger mit Bildung zu tun, sondern ganz einfach mit Spam. Knopp als bekanntester Vertreter der NS-Aufarbeitung ist meiner Meinung nach ein Spammer, der immer und immer wieder meinen Fernseher vollspammt.

Sogar meine Geschichtslehrerin bekam in der Oberstufe bei diesem Thema eine chronische Unlust, Zitat "Es steht auf dem Lehrplan also müssen wir es machen"
 
Arne schrieb:
Ich stelle mir vor, daß es mit dem Wegsterben der Weltkriegsgeneration ganz ähnlich sein wird. Wie schon einmal an anderer Stelle geschrieben, befürchte ich, daß sich das Bild unserer Großeltern für unsere Enkel immer weiter "verfinstern" wird. Extrem gesagt: Jeder kleine Wehrmachtssoldat wird einmal zum Massenmörder.

Wir als Nachkriegsgeneration sollten versuchen das Dritte Reich objektiv aufzuarbeiten, dass heisst für mich. Man muss darüber sprechen, schreiben und/oder Filme zeigen. Wir sollten Urteilen aber nicht verurteilen und versuchen zu verstehen, wenn es auch manchmal nicht einfach ist, vor allem wenn man sich mit dem Holocaust beschäftigt. Aber wenn wir ein Tabu daraus machen und es aus dem Gedächtnis streichen, was wird dann?

Es ist ja schon erschreckend, dass es genügend Auschwitzleugner der zweiten Nachkriegsgeneration gibt. Darum sollte ein Neuzeitler daran arbeiten, dass wir immer daran erinnert werden, wie tief Menschen sinken können.
 
Arne schrieb:
Ich stelle mir vor, daß es mit dem Wegsterben der Weltkriegsgeneration ganz ähnlich sein wird. Wie schon einmal an anderer Stelle geschrieben, befürchte ich, daß sich das Bild unserer Großeltern für unsere Enkel immer weiter "verfinstern" wird. Extrem gesagt: Jeder kleine Wehrmachtssoldat wird einmal zum Massenmörder.
Solange sich die Menschen daran erinnern, Filme wie etwa "Die Brücke" auch im Unterricht zu zeigen (ich zwingen wenn ich Gelegenheit habe immer Schüler dazu :D ) wird das garantiert nicht geschehen.

Problem ist dabei aber wirklich der zunehmende Grad an Mißbildung oder fehlender Bildung.
Vielfach bekommen Schüler nicht die Gelegenheit jedes Mittel zu nutzen, um dies zu erfahren, das aber nicht erst mit dem "Aussterben".
Momentan sorgen macht mir allerdings die zunehmende Geldmeierei auch mit solch für die Bildung wichtigen Dingen wie Bildern von Ausstellungsstücken (nicht jeder hat Gelegenheit nach Ausschwitz zu fahren) oder Filmen (wie gesagt, die Brücke vermittelt einen ennormen Eindruck).

Durch den Mangel an Bildung, den ich nicht mit einem Tabu sondern einem Gesellschaftsfehler gleichsetzen kann, laufen wir Gefahr, zu glorifizieren oder über einen Kamm zu scheren, gleich in welche Richtung nun genau.
 
ursi schrieb:
Aber wenn wir ein Tabu daraus machen und es aus dem Gedächtnis streichen, was wird dann?

Es kam mir gerade, als ich diesen Satz las, ein Gedanke - gerade auch in Bezug auf den Beitrag von Seres.

Die Tatsache, dass frühere Generationen, auch vielleicht auf Grund ihrer Schuld nicht darüber sprachen und Themen wie Holocaust und Massenmorde schlicht nicht aufarbeiteten, sondern lieber verdänten, haben den Eindruck enstehen lassen, dass es sich um ein Tabu-Thema handelt.

Aber ein Tabu reizt. Der alte Gedanke, verbiete einem Kind etwas zu tun und es wird genau dies tun.

Dies war m.E. auch ein Grund, warum gerade in den 70igern eine solche Aufarbeitungswelle zustande kam. Es wurde von den Vätern und Politikern tabuisiert und die revoltierende Jugend reizte dieses Thema somit umso mehr.

Wenn nun aber der "Reiz" (Bitte entschuldigt dieses Wort) genommen wird, weil es totdiskutiert und bis zum Erbrechen durchgekaut wird, läuft man dann nicht eher Gefahr, dass sich Ignoranz und der Wille zum Vergessen/Verdrängen breit macht.

Wenn aber von Zeit zu Zeit immer wieer auf ein solches Thema Bezug genommen wird oder mit aktuellen Themen in Beziehung gesetzt wird, kann man dann nicht viel eher das Interesse wachhalten, respektive das Vergessen verhindern?

Dabei ist Tabu in diesem Zsammenhang natürlich nicht die korrekte Wortwahl, aber es war als Wort sozusagen der "Stein des Anstosses".

Ich denke man sollte - und gerade die heutige Generation - das Thema nicht tabuisieren, dafür gibt es aus unserer Sicht keinen Grund, aber man sollte es auch nicht über Gebühr strapazieren.

Eine gesunde Auseinandersetzung in richtigem Maß wird die Erinnerung wach halten und wird m.E. auch den "Reiz" dieses Themas nicht untergehen lassen.

@ Arne:
Du hast ja Recht, aber so schreibe ich ab und zu/manchmal/immer mal wieder eben. Sorry dafür.
 
Ich will nur mal kurz einen etwas anderen Gedanken zum Thema "Aufarbeitung" einbringen. Es stellt sich für die Frühzeit ja zwangsläufig die Frage warum der Großteil der Zeitzeugen niemals von den Greueln gewußt haben will.
Pauschal kann man das sicherlich einfach mit Verdrängung erklären. Leider wird viel zu wenig darauf eingegangen, inwiefern die alliierten Sieger aber dabei eine gewisse Rolle gespielt haben.
Beispielsweise im Haus der deutschen Geschichte in Bonn sind die Zeugnisse zu besichtigen. Dort finden sich Flublätter und Plakate der "Siegermächte", die auf eine sehr offene Weise die Grausamkeiten der NS-Zeit offen gelegt haben und dies immer mit der Schuldfrage verbanden.
Wenn ich mich mit meiner Großelterngeneration darüber unterhalten habe, bekam ich schnell den Eindruck, daß vor allem dieses "mit der Nase draufstoßen" bei vielen ein solch schockierendes Erlebnis war, so dass es eigentlich natürlich erscheint, daß daraus eine massive Blockadehaltung entstanden ist. Meine These ist, daß es ohne diese "Zaunpfahlwinkaktionen" nicht zu dieser versteiften Verdrängung der Kriegsgenerationen gekommen wäre. Wobei ich nicht behaupten will, daß es keine Verdrängung gegeben hätte. Vielleicht hätte aber schon früher ein Selbstreinigungsprozeß beginnen können.
 
Marbod schrieb:
Meine These ist, daß es ohne diese "Zaunpfahlwinkaktionen" nicht zu dieser versteiften Verdrängung der Kriegsgenerationen gekommen wäre. Wobei ich nicht behaupten will, daß es keine Verdrängung gegeben hätte. Vielleicht hätte aber schon früher ein Selbstreinigungsprozeß beginnen können.

Mag sein...aber ich glaube einfach auch, dass die schiere Dimension des Verbrechens ausgereicht hat, damit ein guter Teil unserer Großelterngeneration blockiert hat. Wer mag schon mit einem (Massen-)Mörder verheiratet sein oder mit ihm gemeinsam Bier trinken?
 
Also man muss die Verarbeitung des Dritten Reiches esteinmal in BRD und DDR unterscheiden.

BRD:
In den 50er und frühen 60er Jahren wurde das Thema weitgehend verdrängt, ehemalige Nazis konnten wieder Karriere machen. Man war auch froh, überhaupt den Krieg überlebt zu haben und wollte jetzt endlich Ruhe. In die Zeit des Wirtschaftwunders passt eine öffneltiche Diskussion wohl auch nicht rein.

Die kam erst in den späten 60er Jahren, vor allem seitens der studentischen Jugend, die gerade begann, die gesamte Gesellschaft zu hinterfragen. Und eines darf man nicht vergessen: Der amerikanische Fernsehfilm "Holocaust" die Geschichte der jüdischen Familie Weiß, die Opfer des Nazis wird und die der Familie Dorf, die zu Tätern werden.
Die ARD weigerte sich, den Fünfteiler auszustrahlen, also lief er in den Dritten, das war so 1970. Nach den Filmen gab es dramatische Szenen in der Telefonzentrale des WDR:
Die Telefonistinnen wurden zu Seelsorgerinnnen, tausende riefen an, beteuerten nichts gewusst zu haben oder gestanden Mitschuld. Einige Neo-Nazis versuchten durch Anschläge aud Anlagen die Austrahlung zu verhindern, aber schließlich hat dieser Film das ganz Land aufgerüttelt.

Danach begann wirklich die Auseinandersetzung mit der dunklen Vergangenheit einiger Personen und des ganzen Landes.

In der DDR war die Vergangheit immer da, nur so wie es die Partei haben wollte: In den Gedenkstätten wurde vor allem der kommunistischen Opfer gedacht, Ernst Thälmann wurde praktisch ein Nationalheld. Bereits in den 50er Jahren machte sich in der Führung der SED wieder Antisemitismus bemerkbar, denn es galt ja auch das "jüdische Kapital" zubekämpfen.......
 
Leopold Bloom schrieb:
Mag sein...aber ich glaube einfach auch, dass die schiere Dimension des Verbrechens ausgereicht hat, damit ein guter Teil unserer Großelterngeneration blockiert hat. Wer mag schon mit einem (Massen-)Mörder verheiratet sein oder mit ihm gemeinsam Bier trinken?

Das ist absolut klar. Nur meinte ich den kollektiven Schuldvorwurf, der durch die Flugblätter publiziert wurde. Wenn man morgens in seinem Briefkasten einen Flugzettel findet mit der Abbildung eines Leichenberges und dem Lettern "DU BIST SCHULD", dann ist das schon etwas anderes, oder?
 
HattoriH schrieb:
Erstmal möchte ich mich für die zahlreichen Antworten bedanken, die mir wirklich eine gute Basis bieten :yes:
Auf der einen Seite finde ich die Aufarbeitung gut, auf der anderen Seite denke ich, dass die Geschichte um diese Zeit gradezu "abgeschlossen" wird, zumal die Zeitgenossen uns verlassen. Literarisch wird dieses Thema nie aussterben, keine Frage, aber wie wird es weitergehen? Verliert die nächste Generation die "Lust" an diesem (dunklen) Teil der Geschichte?
Freue mich auf eure Antworten!
Hatto

Lieber Hatto,
wir müssen uns der Geschichte stellen, ob es uns passt oder nicht. Wenn wir versuchen diesen Teil der deutschen Geschichte zu verdrängen, werden wir ihn eines Tages wieder unvorbereitet treffen.:rolleyes: Bestes Beispiel dafür ist Japan, dass es bis heute noch nicht geschafft hat, sich mit seinen chinesischen und Koreanischen Nachbarn auszusöhnen.
 
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