Der Wandel der SPD

Wieger

Gesperrt
Quelle: Aus der Kundgebung der SPD, angenommen auf dem Parteitag in Hannover 1946
Die deutsche Sozialdemokratie sieht ihre politische Aufgabe darin, die umstürzenden Veränderungen des gesellschaftlichen Seins, die unvermeidlich und notwendig sind, in das politische Bewußtsein der Massen zu übertragen und die Mehrheit des Volkes für dieVorstellungen und Begriffe des Sozialismus zu gewinnen.

Der Weg zu diesem Ziel kann nur eine starke und kampfbereite Demokratie sein. Es gibt nur eine Demokratie. Es gibt keine bürgerliche und keine proletarische Demokratie, ebensowenig es für die heutige Sozialdemokratie einen reformistischen oder revolutionären Sozialismus gibt. Jeder Sozialismus ist revolutionär, wenn er vorwärtsdrängend und neugestaltend ist. (...)

Es gibt keinen Sozialismus ohne Demokratie, ohne die Freiheit des Erkennens und die Freiheit der Kritik. Es gibt aber auch keinen Sozialismus ohne Menschlichkeit und ohne Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit.

Wie der Sozialismus ohne Demokratie nicht möglich ist, so ist umgekehrt eine wirkliche Demokratie im Kapitalismus in steter Gefahr. Auf Grund der besonderen geschichtlichen Gegebenheiten und Eigenarten der geistigen Entwicklung in deutschland braucht die deutsche Demokratie den Sozialismus. Die deutsche Demokratie muß sozialistisch sein oder die gegenrevolutionären Kräfte werden sie wieder zerstören.

Der Charakter der deutschen Sozialdemokratie besteht in ihrem kompromißlosen Willen zu Freiheit und Sozialismus. Die deutsche Sozialdemokratie ist stolz darauf, daß sie die einzige Partei in Deutschland war, die unter den größten Opfern für die Ideen der Demokratie, des Friedens und der Freiheit eingetreten ist. Sie ist auch heute die Partei der Demokratie und des Sozialismus in Deutschland.

Die deutsche Sozialdemokratie erhebt keinen Monopolanspruch auf die Macht. Sie lehnt jeden Rückfall in totalitäres Denken und Handeln entschlossen ab. Im Geiste dieser Grundeinstellung wird sie eine Politik der Unabhängigkeit und der Selbständigkeit gegenüber allen Kräften des In- und Auslandes treiben und ihr Verhältnis zu anderen Parteien regeln.

Die Sozialdemokratie begnügt sich nicht mit der historischen Legitimation, die in der großen Geschichte ihres Freiheitkampfes gegeben ist. Sie will ihren Anspruch als führende politische Kraft in der deutschen Politik durch ihre positiven Leistungen für Staat und Volk und durch die Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Sachlichkeit ihrer Politik immer von neuem rechtfertigen


aus: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bd.6, Berlin/DDR 1966



Wie sich Parteien entwickeln... Ich möchte hier mal die Geschichte der ersten Partei Deutschlands aufleben lassen. Gerade die umstrittene Rolle Kurt Schuhmachers (und anderen SPD-Persönlichkeiten) der vor seinem Tod sagte:
"Hinter dem Rücken der kämpfenden Sozialdemokratie sind die alten Besitz- und Machtverhältnisse« wiedererstanden. Gegen wen kämpfte also die SPD, wem diente ihr angeblicher Zweifrontenkampf, der in der Praxis ein Kampf gegen links war und dem Großkapital die Zeit verschaffte, seine angeschlagene Macht wieder zu sichern? Der Parteitag in Hannover war ein Meilenstein auf diesem Weg, auch wenn er große Erwartungen weckte"
Wahnsinnig spannend, diese Partei.
 
Die SPD hat sich 1959 gewandelt, in Bad Godesberg. Mit ihrem Klassenkampf und Verstaatlichungs Image hätte die Partei nicht bestehen können. Sie wäre gefangen gewesen in ihrem 30%-Turm, bis zu einem langsamen Tod.
Durch den Wandel von 1959 wurde die SPD für breitere Schichten wählbar und schließlich 1966 konnte sie sich erstmals in einer Bundesregierung bewähren.
Der Moderniesierungsprozess war ungemein wichtig, vor allem damit endlich das Bild von der CDU als Klassischer Regierungspartei und der SPD als Opposition.
Vor allem weil die Begriffe "Arbeiter" und "Bürgertum" im Laufe der 60er immer mehr zu historischen Begriffen wurden, dadurch dass viele Arbeiter zu materiellem Wohlstand kamen. Es entwickelte sich die moderne Arbeitnehmerschaft, die an Klassenkampf nicht mehr interessiert war, es gab jetzt zu viel zu verlieren.

Der nächste Wandlungsprozess, der bis jetzt andauert ist "New Labour" oder das deutsche Pendant die "Neue Mitte". Die deutsche SPD orientiert sich glücklicherweise nicht vollkommen an Tony Blair, dessen Labour Party inzwischen kaum noch als sozialdemokratisch zu betiteln ist, aber die SPD wandelt sich, es wird gerade ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet.
Die Prozess der Erneuerung wird wohl noch Jahre dauern.
 
Solidarnosc schrieb:
Die Prozess der Erneuerung wird wohl noch Jahre dauern.

Der Prozess der Erneurung wird nicht Jahre dauern, wenn die SPD fortbestehen will. Der Prozess der Erneuerung darf nie aufhören, sonst bleibt man im alten Denken stecken und die Welt um einen herum ist schon viel viel weiter. (ich hoffe dieser kleine politische Einwurf wird mir verziehen:still: )

In der Vergangenheit mussten sich alle Parteien Veränderungen unterwerfen, wenn die SPD nicht auch diesen Veränderungen gefolgt wäre hätte sie nicht wirklich als große Volkspartei bestehen können. Und wie Soli schon sagte: Immer mehr Arbeiter kamen in den Wirtschaftswunderjahren und danach zu materiellem Wohlstand, es etablierte sich eine sehr große, relativ finanzkräftige Mittelschicht, denen läge doch kaum etwas ferner als "richtiger" Klassenkampf oder Planwirtschaft, mit diesen damals für die BRD veralteten Modellen hätte man kaum noch jemanden zu den Wahlurnen bekommen und somit hätte man auch den Konservativeren Tür und Tor geöffnet.
 
Wieger schrieb:
Wie sich Parteien entwickeln... Ich möchte hier mal die Geschichte der ersten Partei Deutschlands aufleben lassen. Gerade die umstrittene Rolle Kurt Schuhmachers (und anderen SPD-Persönlichkeiten) der vor seinem Tod sagte:

Wahnsinnig spannend, diese Partei.


Die umstrittene Rolle Kurt Schumachers? Vielleicht aus SED Sicht.
Bei der SPD sah man die Rolle Otto Grothewohls allerdings nicht umstritten sondern schlicht negativ.

Die erste Partei Deutschand? Meinst Du damit die älteste?
Ich glaube aber, das nimmt das Zentrum für sich in Anspruch.

Grüße Repo
 
Kurt Tucholsky: "Es ist ein Unglück, daß die SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands heißt. Hieße sie seit dem August 1914 Reformistische Partei oder Partei des kleinern Übels oder Hier können Familien Kaffee kochen oder so etwas: vielen Arbeitern hätte der neue Name die Augen geöffnet, und sie wären dahingegangen, wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei. So aber macht der Laden seine schlechten Geschäfte unter einem ehemals guten Namen." :yes:
 
Saint-Just schrieb:
Kurt Tucholsky: "Es ist ein Unglück, daß die SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands heißt. Hieße sie seit dem August 1914 Reformistische Partei oder Partei des kleinern Übels oder Hier können Familien Kaffee kochen oder so etwas: vielen Arbeitern hätte der neue Name die Augen geöffnet, und sie wären dahingegangen, wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei. So aber macht der Laden seine schlechten Geschäfte unter einem ehemals guten Namen." :yes:

[Sarkasmus]
Komisch, dafür dass die SPD keine Arbeitpartei war, haben die aber erstaunlich viele Arbeiter gewählt.
Gut, dass KPD und Consorten so viel erreicht haben, vor allem weil sich diese Menschen ja auch so für ein demokratisches system eingesetzt haben. Die großen Arbeiterparteien.............
Naja wenigstens im Osten wurde damals endlich ein sozialistisches Paradies errichtet, warum gibt es das eigentlich nicht mehr???:grübel:
[/Sarkasmus]

:fs: Ich hör mal damit auf, hier soll auch noch was Konstruktives stehen.
 
Solidarnosc schrieb:
[Sarkasmus]
Komisch, dafür dass die SPD keine Arbeitpartei war, haben die aber erstaunlich viele Arbeiter gewählt.
Das Durschnittseinkommen des Grünenwähler sollübrigens über dem des DurchsschnittsFDP-Wähler liegen. Eine Partei über ihr Wählerklientel zu definieren kann also nur ergänzend zum Programm erfolgen.
Stimmt es, dass die SPD in der WR sich nach einer Weile aus der Regierung raushielt, aus Angst weiter zur Mitte zu driften und weitere Wähler an die KPD zu verlieren?
hab ich von wikipedia

Im Anhang ist noch ein Nolan chart (Modell zur Beschreibung von politischen Richtungen), auf der die Veränderung von Labour zu new labour deutlich werden. Ist zwar nicht SPD, aber ein Beispiel für die Veränderung von Sozialdemokraten. Quelle kann ich leider nicht angeben, also lieber nicht zu genau nehmen, wer weiß wie seriös der Ursprung war.
 

Anhänge

  • british parties.GIF
    british parties.GIF
    11,9 KB · Aufrufe: 338
Themistokles schrieb:
Stimmt es, dass die SPD in der WR sich nach einer Weile aus der Regierung raushielt, aus Angst weiter zur Mitte zu driften und weitere Wähler an die KPD zu verlieren?
hab ich von wikipedia

Könnte man so sagen. Faktisch war gerade in den Jahren der relativen Stabilität der WR 1924-29 die SPD nicht an der Regierung beteiligt, obwohl sie stets mehr Stimmen und Mandate auf sich vereinigte als die stärkste Partei der bürgerlichen Koalitionen aus Zentrum,DDP,DVP (ab und zu auch BVP, DNVP)
Allerdings wäre meiner Meinung nach eine Regierunsbeteiligung der SPD nicht das schlechteste gewesen immerhin hat man die Inflation auch in den Griff bekommen und hätte die einzige mehrheitfähige Arbeiterpartei damals erfolgreich wirtschaftlichen Problemen vorgebeugt, wäre in die WR evtl anders verlaufen. Denn den Revolutionscharakter und eine Menge Kredit bei den Arbeitern hat die SPD 1918 durch den Ebert-Gröner-Pakt ohnehin verloren.
volpe
 
Zurück
Oben