Der Weg Italiens in den Krieg und darüber hinaus

Solwac

Aktives Mitglied
Im Strang über die Bündniskonstellationen wurde es ja angesprochen: Innerhalb eines Jahres wechselte Italien vom Dreibund in das Lager der Entente (Vertrag von London, Kriegseintritt 23.5.1915). Diese Entwicklung vollzog sich in einem in zwei Lager zerrissenen Land, welches eigentlich auch nicht den nötigen Rüstungsstand hatte. Dazu kam der Unterschied zwischen Nord- und Süditalien, der viele Süditaliener an der Alpenfront desertieren ließ.

Nach dem (nur durch massive alliierte Hilfe) gewonnenen Krieg konnte Italien aber nicht alle versprochenen Gebiete einheimsen und fühlte sich verraten. Mit dem Marsch auf Rom durch Mussolini war Italien dann endgültig in der Zeit zwischen den Kriegen angekommen...
 
Im Prinzip begann sich Italien ja schon im Jahre 1902 mittels des Barrère-Prinetti Abkommen aus dem Dreibund langsam zu verabschieden. Dieses Abkommen wurde 5 Monaten nach mühsamer Verlängerung des Dreibundes mit Frankreich abgeschlossen. Italienische Ziele im Mittelmeer waren eben nicht gegen Frankreich und schon gar nicht ohne Großbritannien nicht zu erreichen. Des Weiteren ist der sich verschärfende Interessengegensatz zu Österreich-Ungarn hinsichtlich des Balkans erwähnenswert. Sowohl das Deutsche Reich als auch Österreich-Ungarn sahen Italien als unzuverlässigen Verbündeten an.
 
Sowohl das Deutsche Reich als auch Österreich-Ungarn sahen Italien als unzuverlässigen Verbündeten an.

In besonderer Weise läßt sich das auch an den jahresbezogenen Mobilmachungsplänen, bzw. den Schlieffen-/Moltke-Plänen zeigen. Die Kriegsszenarien "West" bezogen ursprünglich noch die Teilnahme von 5-6 italienischen Korps an der deutschen Südfront ein.

1909/12 verschwand das aus den Planungen. Schlieffens letzte Vermerke schon lange nach seiner Ablösung (1912?), sowie Moltkes Aktenvermerk zur strategischen Lage vom Dezember 1912 stufen Italien als unsicheren Partner ein, und verzichten auf die Berücksichtigung italienischer Truppen in einem Krieg des Deutschen Reiches mit Frankreich (sozusagen gegen die "Papier"-Bündnislage).

Das ist hier im Forum mal in Zusammenhang mit der Schliefenplan-Diskussion angesprochen worden.
 
Wie sahen eigentlich Italiens Falken die eigene militärische Lage? Waren die Defizite in Ausbildung und Ausrüstung ausreichend bekannt und wie wurde die Moral eingeschätzt (nicht zuletzt der Gegensatz zwischen den verschiedenen Regionen)?
 
Wie sahen eigentlich Italiens Falken die eigene militärische Lage? Waren die Defizite in Ausbildung und Ausrüstung ausreichend bekannt und wie wurde die Moral eingeschätzt (nicht zuletzt der Gegensatz zwischen den verschiedenen Regionen)?

Da schaue ich mal nach.

Möglicherweise wurde aber auch auf die erhebliche Bindung der Mittelmächte geschielt, so dass das eine Rolle gespielt habe könnte.
 
Interessant ist der maritime Aspekt, weil die geographische Lage die Möglichkeit ergab, die k.u.k Marine leicht in der Adria festzusetzen.
 
Interessant ist der maritime Aspekt, weil die geographische Lage die Möglichkeit ergab, die k.u.k Marine leicht in der Adria festzusetzen.


Ja, und deshalb ist es schon recht eigenartig, das der Generalstabschef Österreich-Unganrs Conrad, er faselte ja gerne von einem Präventivkrieg gegen Italien, die k.u.k. Marine anscheinend so rein gar nicht in seinen Überlegungen einbezogen hat, denn diese war eigentlich auf die Existenz des Dreibundes ausgerichtet gewesen. Die Kriegsmarine Österreich-Ungarns war, genauso wie die Italiens, gegen Frankreich aufgebaut worden.
 
[...]Die Kriegsmarine Österreich-Ungarns war, genauso wie die Italiens, gegen Frankreich aufgebaut worden.

Gegen Frankreich? Das glaube ich nicht.
Soweit ich weiß, war die Marine nie als selbständige Waffengattung in Österreich aufgebaut, sondern war dem Heer unterstellt. Hinzukam, daß die finanziellen Mittel für die Marine immer wieder gekürzt oder vom Parlament blockiert wurden.
Letztlich gab es nur einen Gegner der k.u.k. Marine, die italienische Marine und auf diese waren die österreichischen Panzerschiffe ausgerichtet. Genau dieser Umstand macht mir eigentlich den Dreibund unlogisch. Vielleicht resultierte diese Verbindung auch aus der Niederlage Österreichs 1866 gegen Preußen und da nützte der Seesieg vor Lissa nix.
 
Interessant ist der maritime Aspekt, weil die geographische Lage die Möglichkeit ergab, die k.u.k Marine leicht in der Adria festzusetzen.
Ich weiß nicht, ob das wirklich so entscheidend war. Die Otranto-Sperre war im Zweifelsfall dann doch nicht so gut wie gedacht (vgl. Schlacht von Otranto 1917) und die ÖU-Flotte konnte im Mittelmeer eh nicht richtig entfaltet werden. Umgekehrt lagen auch die Schlachtschiffe der Regia Marina überwiegend im Hafen und hatten dabei größere Verluste.

Die wichtigsten Einsätze dürften die Evakuierung der serbischen Armee und die Verstärkung Albaniens gewesen sein.

In dem Zusammenhang stellt sich mir die Frage ob Italien nicht zu viel Aufwand in die Flotte steckte und das Heer darunter zu leiden hatte.
 
Wie sahen eigentlich Italiens Falken die eigene militärische Lage? Waren die Defizite in Ausbildung und Ausrüstung ausreichend bekannt und wie wurde die Moral eingeschätzt (nicht zuletzt der Gegensatz zwischen den verschiedenen Regionen)?

Es ist natürlich schwierig nach so langer Zeit und allem was danach erfolgte, die Propaganda von den realen Einschätzungen zu trennen, ich denke jedoch, dass nach dem relativ leichten Sieg der italienischen Streitkräfte gegen die Türken 1912 mit der Anexion Lybiens und des Dodekanes, das Land sich selbst und seine Kräfte weit überschätzte. Es gab in der Folge nach diesem Krieg eine nationalistische und militaristische Propagandawelle, die bestimmt auf die Überlegungen zum Kriegseintritt Einfluss hatte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die italienische Armee verhielt sich bereits während der Cyrenaika- und Tripolitanien-Kampagne sehr vorsichtig, obwohl bis zu 100.000 Mann dafür bereitgestellt wurden. Der Vormarsch erfolgte vorsichtig, obwohl man (nur) 25.000 Mann auf osmanischer Seite gegenüber stand. Die Vorsicht wird sich darauf begründet haben, dass man 1896 bei Adowa/Äthiopien gegen Menelik II. eine Pleite erlebt hatte.

Auf der Seite der Kriegsgegner war die eigene Einschätzung der Armee sehr schlecht: Vetternwirtschaft, mangelnde Kampfkraft, etc. waren gängige Bedenken. Politische und militärische Entscheidungskreise waren überwiegend getrennt. Auf der Seite der Befürworter wurde nicht berücksichtigt, dass rd. ein Fünftel der Friedensstärke in Nordafrika gebunden waren, mit einer überproportionalen Menge an Material, der modernen Artillerie etc.

Analysen vom März 1914 ergaben Fehlstellen von 27.000 Offizieren, und 200.000 Uniformen für den Mob.-fall. Volles sonstiges Equipment war lediglich für 730.000 Mann der Mob.-stärke von 1.260.000 Mann verfügbar (Bericht an Ministerpräsident Salandra vom Juni 1914). Der Ernst der Lage für den Kriegsfall ergab sich daraus mittelbar, direkte und klare Informationen an die politischen Entscheidungskreise unterblieben. Der Generalstab führte hier in gewisser Weise ein Eigenleben, kannte die Probleme und träumte andererseits realitätsfern vom "Marsch auf Wien" (Cadorna).

An den Problemen der Armee änderte sich nichts Prinzipielles bis zum Kriegseintritt. Im Juni 1915 war Italien lediglich in der Lage, 35 bis 36 Divisionen mit 400.000 Mann an die österreichische Grenze zu bringen. Bis zum Ende des Jahres scheiterten 4 italienische Offensiven.

Gooch schlussfolgert:

"Cadornas amazing strategic vision of a march on Vienna, and his complete disregard of the realities of trench warfare, were the product of a unique personality in a position of unquestioned and unquestionable authority .... The Italian General Staff, unlike its German counterpart, was a small bureaucratic secretariat whose skills and training were narrowly functional..."

Hamilton/Herwig, Decisions for War 1914-1917, Kapitel "Italy".
 
Es ist natürlich schwierig nach so langer Zeit und allem was danach erfolgte, die Propaganda von den realen Einschätzungen zu trennen, ich denke jedoch, dass nach dem relativ leichten Sieg der italienischen Streitkräfte gegen die Türken 1912 mit der Anexion Lybiens und des Dodekanes, das Land sich selbst und seine Kräfte weit überschätzte. Es gab in der Folge nach diesem Krieg eine nationalistische und militaristische Propagandawelle, die bestimmt auf die Überlegungen zum Kriegseintritt Einfluss hatte.
Bereits 1912 wurden doch aber schon die Mängel in der Truppe mehr als deutlich. Die osmanischen Truppen konnten zwar schnell besiegt werden, doch lag dies eher an deren Schwäche. Italien musste die Besatzungstruppen auf 100000 erhöhen und hielt dennoch erst einen schmalen Streifen an der Küste.
 
Offenbar wurde das aber weiten Kreisen in der Politik, auch Befürwortern des Kriegseintritts auf Seiten der Entente, nicht deutlich.

Ganz interessant ist eine ökonomische Studie unter Mitwirkung von Harrison, ein Abschnitt aus dem Band zu den WW-I-Economics, betreffend Italien:

http://www2.warwick.ac.uk/fac/soc/economics/staff/academic/harrison/public/ww1italy2005.pdf

Nicht explizit behandelt wird dabei das finanzielle Desaster aus den nordafrikanischen Abenteuern Italiens, das (ausgabenseitig fokussiert) zugleich eine Erklärung für die militärische Schwäche 1915 bietet. Dies analysiert zB Gooch, in: War Planning 1914 (Hamilton/Herwig). Gooch hat auch einiges im Sammelwerk "Military Effectiveness", Band I (1914-18), Italy, dargestellt. Interessante Aspekte:
- die Mobilmachung im August 1914 war katastrophal in der Ausführung, brachte einige personelle Konsequenzen, aber wurde kaum als Warnung verstanden
- es mangelte an der ausreichenden Ausstattung an leichten Waffen
- bei Kriegsbeginn besaß man lediglich 112 schwere Geschütze, später (1917) wurde das auf knapp 2800 Stück im Kaliber 75mm aufwärts gebracht.
- bei Kriegsbeginn lieferte die Industrie für die Artillerie eine Tagesproduktion von rd. 14000 Schuss, später ca. 50.000 - viel zu gering für die materielle Ausstattung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Interessant ist auch die Haltung von Franz Conrad von Hötzendorf, der in den Jahren vor dem Weltkrieg schon immer wieder präventives Vorgehen gegen Italien und Serbien (jeweils abwechselnd) gefordert hat. Hintergrund war die militärische Schwäche der beiden Länder, die aber nicht automatisch für die Zukunft gelten müsste. [Geschichte des Österreichischen Generalstabes, S.462 - verfügbar als Vorschau bei Google Books]
 
Conrads Haltung war in Italien aufmerksam beobachtet worden, und verursachte wohl auch einige Kopfschmerzen.

Essentiell für Cadornas Planungen waren die imaginären alliierten Armeen (inkl. Rumänien und erwarteten Entente-Kräfte über Saloniki), die über den Balkan auf Wien marschieren sollten, während die Russische Armee von Osten vorrücken sollte.

Im Zeitpunkt des Kriegseintritts war das obsolet, aber das störte Cadorna offenbar nicht wesentlich. Die Berichte des italienischen Militärattachés aus Berlin hatten zudem Falkenhayns Visionen über den Kriegsverlauf 1915/16 und die Abnutzung bis zum Zusammenbruch transportiert.

Der oben schon mehrfach erwähnte Gooch hat auch das Kapitel "Italy before 1915 - The Quandary of the Vulnerable" verfasst, in: Ernest May, Knowing One's Enemies, Intelligence Assessment before the two World Wars.
 
silesia schrieb:
Essentiell für Cadornas Planungen waren die imaginären alliierten Armeen (inkl. Rumänien und erwarteten Entente-Kräfte über Saloniki), die über den Balkan auf Wien marschieren sollten, während die Russische Armee von Osten vorrücken sollte.

Wann hat denn Cadorna mit diesen Kräften gerechnet? Zu Beginn des Weltkrieges wollte Cadorna gegen Frankreich mobil machen und der Kriegsverlauf des Jahres 1915 müsste eigentlich ernüchternd gewirkt haben. Nicht umsonst ist Rumänien 1915 nicht in dem Krieg eingetreten, da man sich in Bukarest wohl noch nicht sicher war, zu wessen Gunsten sich das Kriegsglück neigen würde. Nur eines wusste man bestimmt: Man wollte bei ggf. anstehenden Auflösung der Doppelmonarchie dabeisein will heissen nicht zu spät in dem Krieg eintreten.
 
Cadorna wollte noch kurz vor dem 30.7.1914 die 3. italienische Armee vorbereiten und an den Rhein zur deutschen Unterstützung schicken.

Der Grund ist simpel: die "Brandwand" zwischen italienischer Politik (mit inzwischen erfolgter Kehrtwende) und italienischer Armee, die über diese seit 2 Jahren anstehenden Konsequenzen nicht offiziell unterrichtet war.

Cadorna hatte daher erstmal zu lernen, und das wurde ihm am 30.7.1914 auch schriftlich mitgeteilt, dass es keinen "Bündnisfall" mit den Mittelmächten geben werde.

Bei den weiteren Schritten und der Teilmobilmachung wurde die italienische Neutralität nach aussen klargestellt, was nun wieder in Berlin (Pseudo?)Empörung auslöste. Cadorna stellte nun mit 180°-Wende Überlegungen an, wie man am Zusammenbruch Ö-U partizipieren könne. Einen Kriegseintritt vor 1915 stand er ablehnend gegenüber, weil die italienische Armee nicht für einen Winterfeldzug gerüstet sei, und offensiv werden müsse, wofür der Winter ohnehin schlecht geeignet sei.

Die "Visionen" über das Eingreifen der Entente sind dann in Italien direkt durch Grey befördert worden, der dieses Eingreifen und damit das "Aufrollen der Westfront" ankündigte, und den Zusammenbruch der Mittelmächte prognostizierte.

Du betonst völlig zu Recht, dass diese aufgestellten Konditionen von Cadorna für den Fall des Kriegseintritts im Zeitpunkt desselben nicht mehr gegeben waren. Das hielt ihn aber nicht zurück.
 
Fazit: Die italienische Armee war eigentlich gar nicht für den ersten Weltkrieg gerüstet. Und es gab es auch noch andere Defizite, als die materiellen. Und die regierung wurde ja auch vom italienischen Militärattche Oberstleutnant Luigi Bongiovanni vor der militärischen Leistungsfähigkeit der Mittelmächte eindringlich gewarnt. Aber nein, Salandra und Sonnino wollten die "unerlösten" iredenten Territorien "heimholen".
 
Eigentlich war das eine nationale Katastrophe, massenhafte menschliche und materielle Opfer, mit bedeutungslosen (und problematischen) territorialen "Gewinne".

Ein von nationalistischen Kreisen betriebener Kriegseintritt nach einem gewissenlosen Geschachere um versprochene Kriegsziele, ebenso bedenkenlos wie diejenigen vom Juli 1914, die den Krieg lostraten.
 
Zurück
Oben