Die Bosnische Annexionskrise von 1908/09

Als also die Schwierigkeiten bezüglich Bulgarien und dem Osmanischen Reich beigelegt waren, stand Serbien auf der Tagesordnung.
Entscheidend war hier, das Iswolsky weigerte auf Belgrad, in welcher Form auch immer, einzuwirken.
Wie schon oben berichtet, hat Berlin dies durchaus in Wien zur Zufriedenheit der Briten getan.
Die Krise, die schon fast erledigt war, wurde wieder akut.
 
Die Entwicklung, die die Krise nunmehr nahm, ist schon sehr eigenartig.
Serbien war nicht einmal Signatarmacht des Berliner Vertrages, hatte hier weder was zu beanstanden noch beanspruchen. Österreich-Ungarn hatte kein serbisches Territorium annektiert. Und trotzdem verlangte das kleine Serbien mit russische Unterstützung von der Großmacht Österreich-Ungarn territoriale Kompensation.
Für damalige Verhältnisse eine Unverfrorenheit. Großbritannien und Frankreich verlangten nun, das Deutschland wieder in Wien tätig würde, damit Serbien wenigstens wirtschaftliche Kompensationen von Wien erhält. Das ist eigentlich kaum zu glauben. Nur wenn diese Zusage vorliegt, wollen sie in Belgrad dahingehend wirken, das es auf seine territorialen Forderungen fallen lässt.

Als der französische Botschafter in Belgrad durchblicken ließ, das er geneigt sei, gegenüber Pasic und Co. entsprechende Vorstellungen zu erheben, "flippte" Iswolsky in Petersburg aus, sprach vom Bruch des Bündnisses usw.
Das ist nur schwer zu begreifen.
Und noch schwerer ist zu begreifen, das so ein Diplomat dann später Botschafter in Paris wurde.
 
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Schließlich gab Iswolsky Belgrad Ende Februar 1909 den Rat auf territoriale Kompensation zu verzichten.
Aber Großbritannien und Russland wollten Österreich-Ungarn nicht zulassen, das dieses die wirtschaftlichen Konzessionen mit Serbien aushandelte. Dies sollte durch Vermittlung der Mächte geschehen.
 
Noch wenige Wort zum Abschluß:

Die angeblich Kriegsdrohung Bülows, wurde vom Adressaten Iswolsky nicht als solche empfunden. Iswolsky sprach in diesem Zusammenhang von einem "diplomatischen Ultimatum." Dies teilte Sir Arthur Nicolson seinem Chef Grey unter dem Datum des 23.März 1909 mit. (Britische Dokumente, Band 5.2, Nr.753). Das daraus in Nachhinein eine angebliche Kriegsdrohung gemacht wurde, ist nicht wirklich überraschend. Passend dazu auch, das Grey bei Gelegenheit das gleiche Vorgehen, mit fast den gleichen Worten, wählte. Sehr komisch, das da so überhaupt gar kein Aufhebens drum gemacht wurde.

Es ließe sich noch so einiges zu dieser dramatischen Krise erzählen, aber es ist , so scheint es mir, wohl so, das es doch fast niemanden interessiert.
 
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Es ließe sich noch so einiges zu dieser dramatischen Krise erzählen, aber es ist , so scheint es mir, wohl so, das es doch fast niemanden interessiert.
...meine Wenigkeit kannst du unter "fast niemand" einordnen und ich würde gern mehr erfahren; mangels Kenntnis von dieser Krise kann ich aber kaum mitreden und beherzige darum den Settenbrini-Rat sich (d.h. mich) eher rezeptiv zu verhalten.
 
@dekumatland war so freundlich Interesse an meinen Ausführungen zu bekunden. Das freut mich. Deshalb dann noch ein paar Zeilen zur Endphase der Krise, wo "nur" noch die serbische Frage erhebliche Schwierigkeiten bereitete.

Die Endphase der Krise gestaltete sich auch vor allem deshalb so schwierig, weil die Briten, die kein Bündnis mit Russland oder Serbien unterhielten, sich russischer als die Russen verhielten.

Der Zar wollte per se nichts von Bülows Forderung hören, die Serben doch bitte an die kurze Leine zu nehmen. Im Gegenteil, er versicherte den serbischen Ministerpräsidenten Pasic , das er nicht gewillt sei die Annexion der beiden Provinzen durch Wien zu dulden. Das war genau das Stichwort, welches Pasic zu Beginn der Krise zu hören wünschte.

Serbien mobilisierte, im gleichen Atemzug mit seinem internationalen Geschrei, seine Reservisten und verlegte dann seine Truppen an die Grenze zu Österreich.

Österreich-Ungarn reagierte entsprechend und verstärkte seine Truppen an der Grenze beträchtlich.

In Galizien standen sich dann später diverse Truppen der Russen und der Monarchie gegenüber.

Serbien sah seine eigenen Wunschträume durch die Annexion der beiden Provinzen durch Österreich-Ungarn geplatzt. Ansprüche, gar rechtliche, hatte es nicht zu stellen. Es war keine Signatarmacht des Berliner Vertrages, noch wurde serbisches Territorium annektiert. Trotzdem wurde ordentlich Lärm gemacht, gezündelt und Unruhe verbreitet.

Wien hatte sich zwischenzeitlich mit Konstantinopel verglichen; ebenso Sofia mit Konstantinopel. Damit war der eigentlich der unmittelbare Anlass der Krise beseitigt. Aber nicht für Serbien und Montenegro. Die sollten für ihren “Krawall” noch entlohnt werden.

Österreich-Ungarn verlangte, sichtbar gereizt, nunmehr von Serbien, das es an der Grenze “abrüste” und schriftlich unmissverständlich zum Ausdruck bringt, das es die Annexion akzeptiere, dies auch künftig tun werde und eine freundschaftliche Politik gegenüber der Monarchie fahre.

Belgrad wollte aber erst nach der Anerkennung der Annexion durch die Großmächte diese selbst anerkennen.

Hierbei erfuhr Belgrad die nachdrückliche Unterstützung Petersburgs und mittelbar die Londons.

London war partout nicht willens, obwohl es eine, ganz im Sinne von London, Einigung zwischen Wien und Konstantinopel erzielt worden war, diese anzuerkennen, sondern verlangte, dass erst das serbische Problem vorher gelöst werden muss. Die Krise köchelte nun schon bald 7 Monate vor sich hin

Das muss man sich jetzt einmal genau überlegen. Serbien war ein Kleinstaat, dem es gefiel, mit russischer Rückendeckung, absurde Ansprüche, für die es überhaupt gar keine Rechtsgrundlage gab, zu formulieren und somit eine Großmacht massiv herauszufordern. Es gab eigentlich gar kein serbische Problem; es wurde durch Belgrad mit Unterstützung von Petersburg und nicht zuletzt London erst geschaffen.

In dieser Situation verloren Bülow und Aehrenthal schließlich die Geduld. Aehrenthal machte gegenüber Grey massiven Druck, in dem er ausführte, die offene Frage sei eine Angelegenheit zwischen der Monarchie und Serbien. Wien könnte sich entschließen selbstständig gegen Serbien vorzugehen. Das war wohl eher eine Kriegsdrohung als die Ausführung von Bülow.

Iswolsky wich dessen diplomatischen Druck. Die Briten aber noch nicht. Im Foreign Office war sehr verärgert über Iswolsky.

Die Briten trugen durch ihre unnachgiebige Unterstützung der Russen und somit eben auch der Serben, ja sie weigerten sich entsprechend Druck auf Belgrad auszuüben, zu den verschärften Spannungen bei und standen damit auch im Gegensatz zu Frankreich.

Der deutsche Militärattaché Kageneck meldete, das Aehrenthal und der Kriegsminister ihre bisherigen Bedenken gegen einen Krieg hätten fallen lassen. Den Angriff beabsichtigte Aehrenthal aber nicht. Vielmehr rechnete er damit, das Belgrad die Nerven verlor.

Am Abend des 28.März riet Grey schließlich Serbien einzulenken, aber erst nachdem auf der Ebene der Großmächte die Entscheidungen zugunsten Wiens ausgefallen waren.

Die Parallelen mit der Julikrise sind nicht zu übersehen.
 
Hier noch eine Anekdote vom damaligen Geschäftsträger der deutsche Botschaft in Paris.

Iswolsky war gerade in Paris angekommen und hatte den Geschäftsträger der russischen Botschaft zur deutschen Botschaft geschickt. Freiherr von der Lancken Wakenitz möge doch bitte so schnell wie möglich in die russische Botschaft kommen, um den russischen Außenminister zu treffen. Es sei sehr wichtig.

Als die Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht waren, legte Iswolsky los. "Aehrenthal sei ein Verbrecher, wenn man ihm gewähren ließe, würde er ganz Europa in Brand stecken. Man solle ihn (Iswolsky) allein mit Aehrenthal abrechnen lassen. Er werde Aehrenthal unschädlich machen. iswolsky forderte, das Deutschland sein Bündnis mit Österreich-Ungarn auflöst, da es uns ja nicht nütze und nur Unglück bringe. Iswolsky schlug allen Ernstes vor, Deutschland sollte sein Verbündeten im Stich lassen und dafür würde Russland Beistand gegen einen militärischen Frankreichs gewähren."

Ob Iswolsky eigentlich gemerkt hatte, was er da so von sich gegeben hatte?

Nachzulesen in dem Erinungen von Oskar Freiherr von der Lancken Wakenitz.
 
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