Die germanische Thingordnung - War sie demokratisch?

Skald

Mitglied
Eigentlich steht meine Frage schon in der Themenüberschrift. Ich habe bereits vor längerer Zeit im Thread germanische Mythologie einen kleinen Disput geführt, ob die germanische Gesellschaft durch das Thing demokratisch organisiert war. Daraufhin gab es verschiedenen Gegendarstellungen. Leider brach die Diskussion ab, und die Suche ergab keinen anderen Strang zu diesem Thema. Deswegen würde ich hier gerne das germanische Thing nochmal anhand von Quellen und Forschung ergründen und am Ende eine Antwort auf die Frage finden.

Ich mache einen Anfang:

Tacitus beschreibt das Thing und einige andere Quellen erwähnen es. Es gründet sich nicht ursprünglich auf der isländischen Siedlergemeinschaft die sich aber wahrscheinlich eher an den alten Sitten orientierte als das schon monarchische Norwegen. In der Ethnologie wurde das auch "geordneter Anarchismus" genannt (Uwe Wesel, Mythos Matriarchat), weil es hier grundsätzliche Parallelen bei Stammesverwandschaftsorganisationen gibt. Eine "Volks"-versammlung in der ein "Ding" verhandelt wurde, entspricht ziemlich genau den Zusammenkünften von Sippen in einem Stammesverbund, den Henry Morgan als erster beschrieb. und die Menschen zu Tacitus Zeit waren unzweifelhaft in Sippen und Stämmen organisiert. (sagt auch Caesar). Wenn ich mich richtig erinnere hat Tacitus die Rolle der Priester, Häuptlinge und Heerführer beschrieben. Danach hatte der Häuptling kein Stimmrecht, der Priester war lediglich ordnende Instanz und der Heerführer hatte ohnehin nur im Krieg was zu sagen. Der Bezug zum isländischen Thing ist nicht zu übersehen, auch wenn es dort eine Art parlamentaricher Demokratie war.

Besten Gruß!

Skald
 
Was fehlt eigentlich?
Ich habe in "Vergleich der Demokratie zwischen Antike und Wikingern" #15, #16, #19 und #24 dazu schon einiges gesagt. Was noch?

Von Island bis Tacitus ( = Kontinent) - alles in einem Atemzug = ein Topf. Gleiche Begriffe müssen nicht gleiche Regeln der Entscheidungsfindung und der Beteiligungsrechte beinhalten. Die Thingordnung Islands kam aus Norwegen, das damals keineswegs "monarchisch" war, und wurde angepasst.

Den Begriff "Demokratie" sollte man vermeiden - er ist anachronistisch. Es gab in beiden Ländern keinen definierten Demos.
 
Leider habe ich die bisherigen Diskussionen zu "Demokratie" nicht verfolgen können.
Begrifflich scheint mir die Anbindung an in der Polis mit Eigentum an Boden entstandenen Bürgern, welche "stimmberechtigt" waren - im Gegensatz zu den Nichtbesitzenden richtig. In Germanien sollte noch Stammesrecht gelten - wo es den Begriff/Kathegorie Eigentum noch nicht gibt. Die waffenfähigen Männer hatten wohl Mitspracherecht bei den Stamm betreffende Entscheidungen. Die ist aber klar zu unterscheiden von einer Gesellschaftsformation mit anderer ökonomischer Struktur, die auf den Wirtschaften mit Grundeigentum beruht. Stammesrecht und feudale Prinzipien gelten hier nicht mehr.
 
Leider habe ich die bisherigen Diskussionen zu "Demokratie" nicht verfolgen können.
Wieso nicht? Sind doch alle frei zugänglich im Forum
Begrifflich scheint mir die Anbindung an in der Polis mit Eigentum an Boden entstandenen Bürgern, welche "stimmberechtigt" waren - im Gegensatz zu den Nichtbesitzenden richtig. In Germanien sollte noch Stammesrecht gelten - wo es den Begriff/Kathegorie Eigentum noch nicht gibt. Die waffenfähigen Männer hatten wohl Mitspracherecht bei den Stamm betreffende Entscheidungen. Die ist aber klar zu unterscheiden von einer Gesellschaftsformation mit anderer ökonomischer Struktur, die auf den Wirtschaften mit Grundeigentum beruht. Stammesrecht und feudale Prinzipien gelten hier nicht mehr.
Auch in der griechischen Polis war es nicht einfach der Bodenbesitz, der einen zum Bürger machte, sondern auch der daraus abgeleitete Waffenbesitz (beide Male könnte hier auch Eigentum stehen, klingt aber blöd).
Feudal kommt übrigens erst deutlich (übliche Chronologie) oder ein wenig (fragwürdige Chronologie) später, wieso Du dies hier erwähnst, verstehe ich daher nicht.
 
Die Frage die bei mir immer auftaucht ist ob Eigentum und oder Besitz wehrfähig machte und somit auch Mitspracheberechtigt
Ist leider aus den mir bekannten Quellen nicht zu erschließen, da der Unterschied schon immer lax gehandhabt wurde, aber spätestens mit der Verleihung von Boden rechtlich sehr bedeutsam wird.
 

Zu dem Feudalwesen, finde ich dies auch erst in einer späteren Phase, jedenfalls wen ich diesen als planvoll strukturiertes Herrschaftssystem ansehe, wie es im Frühmittelalter anfing. Allerdings gehe ich davon aus, dass dies schon eher auf Sippen oder Dorfebene bestand.
Quasi entwickelt es sich im Zuge der Entstehung der Großstämme.
Es bläht von der Kleinstruktur zum Feudalwesen auf. ?!?!
Aus Edlen wird der Adel….
 
Also die Norweger kannten in der frühesten Zeit, die historisch fassbar ist, Grundeigentum (das meinte wohl Brahmenauer). Es wurden Höfe ge- und verkauft. Auf "fremder" Weide sein Vieh weiden zu lassen, konnte zu bewaffneten Konflikten führen.
Wieweit Eigentum zur Thingfähigkeit nötig war, lässt sich wohl nicht ermitteln. Es kann sich auch um eine zufällige Parallelität handeln, weil die Autorität in der Regel über die Herrschaft über einen bestimmten geografischen Raum mit Hintersassen und "belehnten" Gefolgsleuten erworben wurde.
Es waren ungeschriebene Regeln, die vollständig verinnerlicht waren. Ich erinnere mich an keine Quelle, in der jemand, der zur Thingversammlung kam, von dieser wegen Fehlens der materiellen Voraussetzungen ausgeschlossen worden wäre.
 

Die Frage wäre auch nach der Funktion der Teilnehmer.
Die Teilnahme an der Veranstaltung berechtigt nicht unbedingt zur Teilnahme einer Abstimmung, ob dies auch in einer Auszählung von Stimmen in Verbindung gebracht werden kann ist dann eine weitere Frage…
Das Laden von Gästen, z.B. Abgesandten wäre ein solcher Fall (Markloher Thing Lebuins „Besuch“)

Demokratisch gewählt wurde auch König Otto, später der Große, von den Fürsten, bis hin zum letzten Kaiser galt dies System. Trotzdem regierten Dynastien.
Also ein Demokratiebegriff, den wir heute nicht mehr als solchen bezeichnen würden.
 
Die Teilnahme an der Veranstaltung berechtigt nicht unbedingt zur Teilnahme einer Abstimmung,
Die Frage ist, ob es überhaupt Abstimmungen im heutigen Sinne gab.
D.h. mit Auszählung und Ergebnis "71:69 bei einer Enthaltung angenommen".
Meine Vermutung ist eher, daß man diskutiert hat, bis ein weitreichender Konsens erreicht wurde, der dann durch Akklamation bekräftigt wurde.

Demokratisch gewählt wurde auch König Otto, später der Große, von den Fürsten, bis hin zum letzten Kaiser galt dies System. Trotzdem regierten Dynastien.
Das war in der Tat ein anderer Demokratiebegriff.

Bei einer germanischen Königswahl ging es nicht darum, sich völlig frei Schnauze einen Kandidaten auszusuchen.
Sondern die Vorstellung war, daß es eigentlich nur eine Möglichkeit geben konnte - und die mußte man gemeinsam finden und bestätigen.

Wenn im Normalfall der alte König einen ältesten Sohn hatte, der erwachsen und körperlich und geistig amtsfähig war - dann war völlig klar, daß nur der als Träger des Königsheils für die Nachfolge in Frage kam. Die "Wahl" war dann reine Formsache.
Und die Wahl bestand dann auch nur aus der Akklamation: Schilderhebung und allgemeine Zustimmung (z. B. durch Klopfen mit den Speeren auf den eigenen Schild).
Das Volk nahm also den neuen König zur Kenntnis und bestätigte ihn.

Und später (als nicht das komplette Volk anwesend sein konnte), übernahmen die Fürsten und anderen Adligen diese Bestätigung in Stellvertretung. Aber auch sie hatten kein freies Wahlrecht, sondern bestätigten von der Idee her nur, wer der offenkundige Nachfolger sein mußte.

Problematisch war natürlich, wenn kein augenfälliger Nachfolgekandidat da war. Wenn also ein Bruder des alten Königs gegen einen minderjährigen Sohn stand, oder gegen einen Bastard.

Dann wurde eben auch nicht ausgezählt, sondern entweder es kam im Laufe der Verhandlungen zu einer Einigung - oder jeder Kandidat ließ sich von seinen Anhängern "wählen", d.h. per Akklamation bestätigen.

Erst als der Kreis der Teilnahmeberechtigten mit den Kurfürsten klar definiert wurde, konnte es auch eine Abstimmung mit Auszählung geben.
 

Beliebt war nach der Wahl ab auf das Pferd und durch die Gegend ziehen, von den nicht anwesenden Fürsten die Bestätigung einzuholen oder entsprechend Überzeugungsarbeit zu leisten, durchaus aus auch mit Gewalt. Die Erste Phase einer Königsherrschaft ist meist durch „Bürgerkriege“ gekennzeichnet, wo man versuchte die Wahl bei unwilligen durchzusetzen.
Bei Otto spielt noch die Ausrufung als Kaiser auf dem Lechfeld eine Rolle, wo man interpretiert, das hier die germanische Variante durchscheint…die Form halber römisch nachgeholt wird.
 
Beliebt war nach der Wahl ab auf das Pferd und durch die Gegend ziehen, von den nicht anwesenden Fürsten die Bestätigung einzuholen oder entsprechend Überzeugungsarbeit zu leisten, ...
Durchaus.
Es war in unklaren Ausgangslagen ja durchaus üblich, der Wahl fern zu bleiben, um damit an das Ergebnis nicht gebunden zu sein.

Die Erste Phase einer Königsherrschaft ist meist durch „Bürgerkriege“ gekennzeichnet
Nur bei strittigen Nachfolgen - die Regel war das nicht.

Bei Otto spielt noch die Ausrufung als Kaiser auf dem Lechfeld eine Rolle ...
Das war etwas anderes. Otto wurde nach römischer Tradition zum Imperator ausgerufen, dem alten Ehrentitel eines Schlachtensiegers.

Das hatte weder etwas mit der germanischen Königswahl (die hatte er längst hinter sich) zu tun noch mit der Kaiserkrönung später.
 
Da bleibt ja die Frage, was dem Demokratie ist. Eine Demokratie im heutigen Sinne war es sicherlich nicht. Ein Vergleich mit der attischen Demokratie oder römischen Republik wäre ja näher liegender.
Was solche Strukturen bei den Germanen betrifft, so fällt auf, dass es große Unterschiede und viele Fragezeichen gibt. Offenbar gab es in einigen Stämme Könige, in manchen gleich mehrere. Andere hingegen hatten keine Könige.
Von den kaiserzeitlichen Stämme ohne Könige wissen wir, am meisten über die Cherusker. Beherrscht wurde der Stamm aber bekannterweise von einer Königsfamilie stirps regia. Aus ihr stammten die Führer/Fürsten principes der Cherusker. Pikanterweise waren sie miteinander verwandt und heiraten bevorzugt chattische Edelfrauen. Das klingt schon sehr nach einem erbliche Adel. Die Frage ist aber, was bleibt von einer Militär-Demokratie, wie es die marxistische Forschung nannte, wenn die Stammesoberhäupter, Priester und Heerführer alle aus der gleichen Sippe stammten? Tatsächlich ist dies aber keine Widerspruch, nimmt man als Vergleich die antiken "Demokratien" und Republiken. Auch dort gab es eine Art Adel, deren Vorschläge eine Volksversammlung abnicken dürfte.
Auf jeden Fall muss man die Labilität dieser Herrschaften berücksichtigen. So setzten die Cherusker nach den bürgerkriegsähnlichen Zuständen im 1. Jahrhundert wieder einen König ein. Von Batavern wird hingegen berichtet sie hätten früher einmal Könige gehabt. Alles fließt.
Die Frage ist dann eben, was es mit einem fehlenden Grundeigentum gemeint ist, wie es Caesar beschreibt. Der von ihm beschriebene Felderwechsel, könnte sich genauso gut auf die Fruchtfolge beziehen. Genausogut könnte die Verteilung von Land auf feudalen Charakter haben. Auffällig ist jedoch, dass Tacitus schreibt, die Sklaven würden Abgaben "wie Pächter" abgaben zahlen.
 
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