Die Gründe des Wahnsinns römischer Kaiser

max.schmidt

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Hallo.
Wie kam es überhaupt dazu, dass so mancher Kaiser "wahnsinnig", verrückt wurde?
Bei Caligula weiß ich, dass er durch eine Krankheit verrückt wurde. Zudem hat er erfahren bzw. erlebt, wie sein Vorgänger Tiberius seine Verwandtschaft ausgelöscht hat.
Welche Gründe gibt es aber noch, dass man so tief abdriftet?
 
Zunächst einmal muss man auf der einen Seite festhalten, dass der "Caesarenwahn" eine Erfindung Tacitus' ist. Sprich: Wir sollten mit kritischer Vorsicht zur Kenntnis nehmen, dass einige Mitglieder des julisch-claudischen Kaiserhauses womöglich psychisch krank waren. Wenn dies der Fall war, können wir uns ansehen, was Psychiater oder Neurologen heute zum Thema des genetischen Wahnsinns sagen.
Was sich durch die Geschichte zieht, von Dionysos von Syrakus bis hin zu Stalin (es wird auch frühere und spätere Bsp. gegeben haben, die ich jetzt aber im Einzelnen nicht kenne), das ist das paradoxe Wechselspiel von Paranoia, entsprechender Herrschaftssicherungsmaßnahmen und Tyrannenmord. Sprich: Jemand der an der Macht ist, insbesondere in vordemokratischen Sytemen, muss immer damit rechnen, dass jemand anderes seine Macht usurpieren will. Das können bei dynastischen Systemen in der Erbfolge übergangene Geschwister oder auch außerdynastische Usurpatoren sein, auch Leute, zu denen eine Vertrauensverhältnis besteht. Je größer die Paranoia (berechtigt oder unberechtigt), desto grausamer im Regelfall die Vorbeugungsmaßnahmen (Repression) gegen als potentielle Feinde ausgemachte Personen. Je grausamer die Repression gegen die potentiellen Feinde, desto notwendiger und drängender der Tyrannenmord.
 
Hallo.
Wie kam es überhaupt dazu, dass so mancher Kaiser "wahnsinnig", verrückt wurde?
Bei Caligula weiß ich, dass er durch eine Krankheit verrückt wurde. Zudem hat er erfahren bzw. erlebt, wie sein Vorgänger Tiberius seine Verwandtschaft ausgelöscht hat.
Welche Gründe gibt es aber noch, dass man so tief abdriftet?

Anders gesehen:
Wie wäre es mit folgender Erklärung: Erfindung von Historiographen, Biographen oder anderen Personen, die entschieden, welches Bild von gewissen Kaisern der Nachwelt übermittelt werden sollten.:still:=)
 
Anders gesehen:
Wie wäre es mit folgender Erklärung: Erfindung von Historiographen, Biographen oder anderen Personen, die entschieden, welches Bild von gewissen Kaisern der Nachwelt übermittelt werden sollten.:still:=)

Was ja auch gerade bei Caligula der Fall war, als 1894 Ludwig Quidde ein entsprechendes Buch über Caligua herausbrachte - Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn:

GHDI - Document

Das Buch hat sehr lange das Bild Caligulas als wahnsinnigem Kaiser geprägt. Eine veränderte Sicht darauf hier: Aloys Winterling: Caligula. Eine Biographie. Beck, München 2003,

Ähnlichkeiten zwischen Caligula und Wilhelm II. waren bei Quidde nicht zufällig, sondern beabsichtigt und so eindeutig erkennbar, dass Ludwig Quidde später wegen Majestätsbeleidigung verhaftet wurde und seine akademische Laufbahn offenbar am Ende war.
 
Aus einem Interview der FAZ, geführt von deren Englandkorrespondentin Gina Thomas, mit der britischen Althistorikerin Mary Beard:

Es scheint eine Art Revisionismus zu geben. Zum Beispiel in Bezug auf Nero.

Nero war bestimmt nicht so übel, wie er oft dargestellt worden ist. Es gibt unter Gelehrten eine lange Tradition, die etwa so funktioniert: Caligula ist als großer Bösewicht in die Geschichte eingegangen, ich werde nachweisen, dass es sich hier um ein Missverständnis handelt. Man kann dasselbe mit Nero oder Domitian machen. Diskussionen über Hintergründe des Ansehens einzelner Kaiser sind meiner Ansicht nach fruchtlos. Mich interessiert, wie der Ruf entstanden ist und wie wir damit umgegangen sind. Die Grundregel lautet: Wenn Kaiser ermordet werden – lassen wir Julius Cäsar beiseite, weil er ein Fall für sich ist –, werden sie schlecht benotet.

Und warum?

Es ist folgerichtig zu behaupten, dass schlechte Kaiser einem Attentat zum Opfer fallen, weil sie schlecht waren. Man kann aber genauso gut argumentieren, dass jeder ermordete Kaiser von seinem Nachfolger schlecht gemacht werden muss, um die Tat zu legitimieren. So kommt es, dass Kaiser wegen ihrer Ermordung genauso schlecht bewertet werden wie Kaiser, die ermordet wurden, weil sie schlecht waren.
Mary Beard im Gespräch: Nero war besser als sein Ruf
(Die Überschrift hat mit dem Inhalt des Interviews relativ wenig zu tun, wenn man 1/6 des Interviews sich überhaupt mit Nero befasst.)

Ich musste bei dem Interview an @Ravenik denken, der ja oft ein gewisses Unbehagen äußert, weil Historiker oft das Gegenteil zu schreiben scheinen, von dem, was die antiken Quellenn überliefert, welches Mary Beard ganz nett in Worte kleidet:

Es gibt unter Gelehrten eine lange Tradition, die etwa so funktioniert: Caligula ist als großer Bösewicht in die Geschichte eingegangen, ich werde nachweisen, dass es sich hier um ein Missverständnis handelt.
Für diesen Thread finde ich dagegen diese Passage wichtig:

Die Grundregel lautet: Wenn Kaiser ermordet werden [...] werden sie schlecht benotet. [...] Es ist folgerichtig zu behaupten, dass schlechte Kaiser einem Attentat zum Opfer fallen, weil sie schlecht waren. Man kann aber genauso gut argumentieren, dass jeder ermordete Kaiser von seinem Nachfolger schlecht gemacht werden muss, um die Tat zu legitimieren. So kommt es, dass Kaiser wegen ihrer Ermordung genauso schlecht bewertet werden wie Kaiser, die ermordet wurden, weil sie schlecht waren.​
 
Die nicht ermordeten Kaiser werden posthum mal verteufelt - Tiberius - mal glorifiziert - Mark Aurel. Liegt da nun auch eine Regel vor?
 
Das die Geschichtsschreibung dazu verdächtig ist, ist jetzt nichts Neues. Dazu kommt die Angewohnheit antiker Geschichtsschreiber, Nachrichten weitgehend kritiklos zu übernehmen.

Für jeden, der sich mit der Geschichtsschreibung der Zeit beschäftigt hat, ist das doch altbekannt. Zu Kaisern, die in -äh- Ungnade endeten, wie Caligula und Nero, wurde die tagespolitische Kritik, bzw. Propaganda der Nachfolgeregierung in die Geschichtsschreibung übernommen. Das ist doch alles schon seit Jahrzehnten untersucht und allenfalls für das weitere Publikum eine Neuigkeit, das mit Infotainement-Mythen wie Caesarenwahn, wahnsinnigem Nero und dem debilen Claudius gefüttert wird.

Die Begründung Beards nach der Erfolgsethik mag interessant und modern klingen, ist aber unnötig und ignoriert etwas die Forschungsgeschichte. Wenn sie es tatsächlich ganz als eigene Erkenntnis ausgibt, stellt sich die Frage, ob ein Plagiat vorliegt. Ich gehe aber davon aus, dass nur die FAZ diesen Eindruck erweckt.

(Zum Funktionieren der Geschichtsschreibung etwa Dieter Flach, Einführung in die römische Geschichtsschreibung, in jüngeren Auflagen auch Römische Geschichtsschreibung.)
 
Die römische Aristokratie war wohl sicherlich erleichtert Nero weg war. Sie lebten in einem Klima der Angst, des Misstrauens, jeder Einladung, insbesondere die zum kaiserlichen Hofe sah man mit Misstrauen und Angst. Ich weiß nicht wie hoch der Blutzoll in der römischen Aristokratie unter Nero war, aber sicher nicht gering.
 
Es hat sicher viel mit dem Urteil der Geschichtsschreiber zu tun, wie ein Kaiser später wegkam. Trotzdem sehe ich schon auch eine Grundlage solcher Entwicklungen eines Machthabers, die darüber hinausgeht: sein Einstiegsalter nämlich. Caligula, Nero, Domitian, Commodus, Elagabal waren noch relativ jung, als sie an die Macht kamen (Elagabal erst 14), der einzige mir bekannte junge Kaiser, der nicht "ausgeflippt" ist, war Severus Alexander, weil die Mutter die Zügel geführt hat.
Macht, vor allem uneingeschränkte, ändert Menschen. Vor kurzem habe ich einen Beitrag über Thomas Middelhoff gehört, in den 90er Jahren Topmanager bei Bertelsmann. O-Ton:
Also, die Möglichkeit sich zu präsentieren, Menschen zu begeistern, Menschen mitzunehmen und dann das Gefühl zu haben: Mensch, Du hast jetzt auf diese Weise 130.000 Mitarbeiter in Bewegung gesetzt. Das ist schon ein großartiges Gefühl und von dem will man dann natürlich immer ein bisschen mehr.
...
Ich glaube, wenn man nicht unglaublich geerdet ist, fast schon unmenschlich geerdet ist, entwickelt sich dieses „Davon hätte ich gerne mehr“. Da bin ich ein typisches Beispiel für – im Schlechten – dass ich von allem immer mehr wollte.
2014 wurde Middelhoff wegen Untreue und Steuerhinterziehung verhaftet. Er ist zwar nicht "verrückt" geworden, aber kriminell, was ihm zuvor unmöglich erschienen war.
Zurück zu den Kaisern. Diese Wirkung von Macht, dass jeder beliebige Mensch - selbst hohe Würdenträger - zum Sklaven werden, wird, vermute ich, junge (d.h. nicht gefestigte) Menschen stärker beeinflussen als ältere, so dass sich schließlich die Meinung herausbildet, alles tun und lassen zu können, was einem beliebt. Caligula hat das ja in zynischer Weise schön vorgeführt.
 
Caligula war bei Herrschaftsantritt 35, Domitian 30, Commodus 19. Nero war 16, aber die ersten Jahre regierte er angeleitet von seiner Mutter, Seneca und Burrus. Und auch Tiberius soll ja noch vom Wege abgekommen sein. Er wurde mit Mitte 50 Kaiser. Damit entfällt das Alter als Erklärung für den legendenhaften Cäsarenwahn.

Die Beurteilung hängt meist eher von der Nähe zum Senat ab. Nicht umsonst reden wir von senatorischer Geschichtsschreibung. Doch war diese auch nur im Rahmen des jeweils Erlaubten frei.

Es sind schon viele Herrscher - bis ins 20. Jahrhundert - zu Tyrannen geworden, um ihre Visionen durchzusetzen, wenn sie merkten, wie stark Interessengruppen gegen das Gemeinwohl arbeiteten. Bei zumindest einigen Kaisern ist das Phänomen natürlich auch zu erkennen. Wir haben es jedoch großteils mit einem durch die Geschichtsschreibung entstandenes Phänomen zu tun. Und damit ist jeder Kaiser, auch die 'Guten', einzeln zu beurteilen, denn für diese gilt die Gestaltung des Erinnerns ja auch.

Und die Privatpropaganda von Herrn Middelhoff ersehe ich nicht als relevant, auch wenn Machttrunkenheit natürlich ebenfalls vorkommen kann. Aber wieder nur als Einzelerklärung.

Ludwig XIV. kam ebenfalls jung auf den Thron und entwickelte eine gewaltige Extravaganz. Doch in seinem Fall haben wir genug Quellen, um zu sehen, dass dahinter Herrschaftsmethode und Ideologie stecken. Es gab keine Senatoren, die ihn stürzten und sein Gedächtnis verunglimpften, sondern bewundernde Fürsten in ganz Europa.
 
Was man bei den julisch-claudischen Kaisern vielleicht nicht außer Acht lassen darf, ist die Tatsache, dass das Kaisertum noch neu war. Es gab noch viele Zeitzeugen der auslaufenden Republik (gerade den Senatoren stieß das neue Machtgefüge schwer auf, weshalb sie sicher voreingenommen waren, was die Qualität der Kaiser angeht)
 
Es muss nicht gleich die komplette damnatio memoriae sein, Tiberius - nicht ermordet - etwa war posthum negativ beleumundet.
Aber dumme Frage meinerseits, da uns heute die komplette Liste der römischen Kaiser bekannt ist: welchen Kaiser hatte denn die damnatio memoriae ereilt?
 
Sehr bezeichnend ist doch der Fall des Commodus, der anscheinend beim Volk sehr beliebt, beim Senat um so mehr verhasst war. Er fiel der damnatio memoriae anheim, aber Septimus Severus ließ in rehabilitieren und vergöttlichen.

Natürlich war das Eigennutz, um sich selbst in die Tradition der antoninischen Dynastie zu stellen, andererseits hätte er kaum von einem wahnsinnigen Deppen und Monster abstammen wollen, er hätte sich nur lächerlich gemacht.

Auffällig auch, dass von Caesarenwahn praktisch nur im Spannungsfeld zwischen römischem Imperator und römischem Senat die Rede ist. Offensichtlich waren andere Dynastien und Diktatoren dagegen immun.
 
Aber dumme Frage meinerseits, da uns heute die komplette Liste der römischen Kaiser bekannt ist:
Ist sie das? Es gibt Kaiser, die so kurz nur regierten, dass sie uns kaum bekannt sind, von einem - Silbannacus - wissen wir nur durch zwei Münzen. Die erste, in den 1930ern gefundene Münze wurde als moderner Fake diskutiert, bis vor einigen Jahren bei archäologischen Grabungen in Frankreich ein zweites Exemplar gefunden wurde, welches die Echtheit des ersten Exemplars bestätigte. Mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit kann man diesen Kaiser als Offizier identifizieren. Er wird teilweise als Usurpator, teilweise als legitimer Kaiser gesehen. Wir wissen praktisch nicht mehr von ihm, als dass er (mindestens 2 ;) ) Münzen emittiert hat.

welchen Kaiser hatte denn die damnatio memoriae ereilt?
Alle die Kaiser, deren Namen und Gesichter von ihren Nachfolgern (etc.) aus Inschriften und von Statuen oder Gemälden entfernt wurde. Geta wurde nach seiner Ermordung durch seinen Bruder aus Inschriften und sogar aus Familienporträts entfernt; Caracalla unterminierte damit auch die Dynastiepolitik seines Vaters.

Wikipedia:

Der römische Senat ließ auf diese Weise unter anderem die Kaiser Caligula, Nero, Domitian, Commodus, Geta sowie Elagabal und Maximinus Thrax bestrafen (Caligula laut Cassius Dionur de facto, da Kaiser Claudius eine regelrechte damnatio seines Neffen verhinderte). Überliefert ist der Wortlaut eines (allerdings vermutlich fiktiven) Damnationsbeschlusses in der Vita Commodi der Historia Augusta (20, 4–5), und Spuren der damnatio gegen Geta haben sich auf einem Papyrus (BGU 2056) erhalten.[2] Über Alexander Severus und Gordian III.wurde zwar offiziell keine damnatio verhängt, doch gibt es dennoch Inschriften und Bildnisse, die entsprechend bearbeitet worden sind.​
 
Gibt es einen natürlich verstorbenen Kaiser, der der damnatio memoriae anheimgefallen ist?

Hadrian hatte in seinen letzten Lebensjahren wohl eine Art Fronde unter dem Senat ausgemacht und einige Senatoren hinrichten lassen. Er hatte sich damit im Senat sehr unbeliebt gemacht, und nach seinem Tod wurde der Wunsch laut, über ihn die Damnatio memoriae zu verhängen- so als ob er vom Schlage Neros und Caligulas gewesen sei. Das verhinderte aber Antoninus Pius, und es fiel Hadrian eben nicht der Damnatio memoria.

Tatsächlich wüsste ich keinen einzigen unter den Caesaren nennen, der eines natürlichen Todes starb und der Damnatio memoriae anheim fiel.

Hadrian verstarb eines natürlichen Todes, er wäre aber nur beinahe anheim gefallen.

Alfred Heuss, Römische Geschichte 8. Auflage S. 349:

"Gegen Ende seiner regierung verfiel Hadrian in eine schwere Krankheit, die ihn auch geistig umdüstert zu haben scheint. Er überblickte jedenfalls die Dinge nicht mehr, zumal es wegen der Nachfolge noch zu Unstimmigkeiten kam. ...Man atmete erleichtert auf, und im Senat wurde der Wunsch laut, über ihn die damnatio memoriae zu verhängen, nicht anders, als ob er vomm Schlage Domitians gewesen wäre."
 
"Gegen Ende seiner regierung verfiel Hadrian in eine schwere Krankheit, die ihn auch geistig umdüstert zu haben scheint. Er überblickte jedenfalls die Dinge nicht mehr, zumal es wegen der Nachfolge noch zu Unstimmigkeiten kam. ...Man atmete erleichtert auf, und im Senat wurde der Wunsch laut, über ihn die damnatio memoriae zu verhängen, nicht anders, als ob er vomm Schlage Domitians gewesen wäre."

Hier wird die senatorische Sichtweise unkritisch wiederholt.
Erdreistete sich Hadrian doch, Kontakt mit mit Freigelassenen, einfachen Bürgern und Rittern zu haben. Aus Sicht der elitären Senatoren ganz klar ein Zeichen von Wahnsinn.
 
Hier wird die senatorische Sichtweise unkritisch wiederholt.
Erdreistete sich Hadrian doch, Kontakt mit mit Freigelassenen, einfachen Bürgern und Rittern zu haben. Aus Sicht der elitären Senatoren ganz klar ein Zeichen von Wahnsinn.

Der zitierte Abschnitt stammt aus der Römischen Geschichte von Alfred Heuss 8. Auflage. Heuss war Präsident des althistorischen Seminars der Georg August Universität Göttingen. Seine Römische Geschichte ist ein Standard-Werk der Forschung, ist ungezählte Male neu aufgelegt worden, die 8. Auflage wurde von einem Heuss Schüler, von Jochen Bleicken herausgegeben.

Nun kann man natürlich Heuss unterstellen, unkritisch einer senatorischen Sichtweise aufzusitzen-man kann es aber auch lassen. Bei der geplanten Damnatio memoriae Hadrians durch den Senat spielte seine (homoerotische) Beziehung zu Antinous oder seine Förderung des Ordo Equester aber gar keine Rolle. Hintergrund war, dass Hadrian in seinen letzten Lebensjahren mehrere Mitglieder des Senats hatte exekutieren lassen, bei denen er eine Art Fronde witterte, denen man aber wirklich staatsfeindliche Aktivitäten nicht nachweisen konnte, die keine Verschwörung begangen hatten.

Zu den Opfern Hadrians gehörte auch Apollodorus von Damaskus, der berühmteste Architekt seiner Zeit, der während der Dakerkriege eine Brücke über die Donau baute und das Trajanforum. Er wurde 130 nach Chr. exekutiert. So berichtet jedenfalls Cassius Dio. In der neueren Forschung wurde Apollodorus Exekution angezweifelt. Cassius Dio benutzte eine verlorene Quelle, die Hadrian als Tyrannen beschrieb.

Die schriftlichen Quellen zur Zeit Hadrians sind dürftig. Der Kaiser litt jedenfalls in seinen letzten Lebensjahren an "Wassersucht", vermutlich ein Krebsleiden. Dass seine Krankheit Einfluss auf sein Urteilsvermögen hatte, muss jedenfalls keine Erfindung senatorischer Geschichtsschreibung sein. Hintergrund des Antrags auf damnatio memoriae war jedenfalls nicht, dass Hadrians Privatleben oder sein Umgang, sondern weil er sich "erdreistet" hat, Mitglieder des Senats hinzurichten, bei denen er eine "Fronde" vermutete, an deren wirklich staatsfeindliche Motiven aber anscheinend erhebliche Zweifel bestanden.

Das und nichts anderes schreibt auch Heuss.
 
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