Die Königsgräber von Ur

Babylonia

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Gab es Menschenopfer in Mesopotamien?



In den mesopotamischen Keilschrifttexten finden sich keine Hinweise auf einen Jenseitsglauben der in diesem Raum beheimateten Völker. Archäologische Funde belegen jedoch das offensichtliche Vorhandensein von Totenkult und Begräbnissitten. Die Ausgrabungen belegen, dass die Sumerer ihre Toten, mit allen erforderlichen Grabbeigaben ausgestattet, unter dem Fußboden des Hauses bestatteten und sie mit Nahrung versorgten.

Es gab aber auch Friedhöfe.

Besonders interessante Erkenntnisse über Totenkult und Begräbnissitten der Sumerer im 3. vorchristlichen Jahrtausend offenbarten sich einem britisch- amerikanischen Team unter Leitung des Engländers Sir Leonard Woolley (1880- 1960) in den Jahren 1922 bis 1934 bei Grabungen in Ur (Tell-el Mugejjir/ Irak, 20km südwestlich von Nasirija).

Die Entdeckung und Freilegung, nicht nur der berühmten Zikkurrat des Mondgottes Nanna, sondern auch des Königsfriedhofs von Ur, war eine Sensation. Woolley brachte 2000 Gräber, darunter 16 Königsgräber zutage und eine Fülle an besonders wertvollen Zeugnissen frühsumerischer Kultur - die Grabbeigaben sind Meisterstücke des damaligen Handwerks. Die in einem der Gräber gefundene „Standarte von Ur“, (heute in London zu sehen), gibt uns Aufschluss über Kleidung, Haltung, Fahrzeuge und Kultgebräuche im damaligen Ur.

Die „Königsgräber von Ur“ (Mitte des 3. Jahrtausends v. Ch.) sind Monumentalbauten mit gewölbten, aus Steinen und Ziegeln gebaute Grabkammern und Grüfte, zu denen Rampen führten. Drei davon konnten anhand dort vorgefundener Rollsiegel als Ruhestätten der Könige Maskalamdug und Akalamdug sowie der Königin Schubad (Puabi) identifiziert werden. Die Anzahl der in diesen Begräbnisstätten vorgefundenen Skelette von Bediensteten liefert in mehreren Fällen Hinweise darauf, dass mit hochrangigen Toten auch deren Gefolgsleute in den Tod gegangen sind. Waren es Menschenopfer?

Im Winter 1927/28 machte Woolley eine seltsame Entdeckung. Auf einer von Ziegelwänden begrenzten Rampe die in die Tiefe führte, fand er fünf dicht nebeneinander liegende, festlich gekleidete Männerleichen, die außer Tonbechern und Kupferdolchen nichts bei sich hatten, was auf die übliche Bestattung schließen ließ. Die weitere Grabung legte auf dieser Rampe eine zweite Gruppe von Toten frei - zehn prunkvoll gekleidete Frauenskelette in zwei Reihen - auch sie ohne die üblichen Grabbeigaben. Eine der Frauen lag auf einer mit Gold und Lapislazuli reich verzierten Harfe. In unmittelbarer Nähe dieser Leichen kam ein prächtig geschmückter Wagen zum Vorschein, daneben die Gebeine der Kutscher und die Knochen der Zugtiere. Auch kostbare Grabbeigaben aus Gold, Silber, Kupfer, Marmor, Edelsteinen und Obsidian gehörten zur Ausstattung dieser Gruft. In der Mitte standen, auf Lehmziegeln gebettet, Reste einer leeren Holztruhe, deren Öffnung den Blick in die etwa zehn Meter tiefer liegende Grabkammer freigab. Dort war eine zweite Rampe sowie eine weitere Grabkammer angelegt. Der Anblick festlich geschmückter Toter und zweier Ochsenfuhrwerke wiederholte sich Woolley auch auf dieser Rampe. Die Wagen waren mit Waffen, Werkzeugen und verschieden Gefäßen aus Stein und Metall beladen. Auf einer hölzernen Bahre in der Mitte der zweiten Grabkammer lag der Leichnam der reich mit Perlen und Gold geschmückten Königin Schubad (Puabi). Am Kopf- und Fußende der Bahre fand man je ein Frauenskelett. Der gesamte Raum war mit kostbaren, meisterhaft gefertigten Dingen gefüllt, „die nur mit den viel jüngeren Schätzen aus dem Grab Tut- ench Amuns im mittelägyptischen Theben zu vergleichen sind“ (H. Uhlig). Darunter fanden die Ausgräber eine weitere Kammer mit einer Rampe und darauf, wie auf den beiden anderen Rampen, zwei Wagen, die Gebeine von Hofdamen, Kriegern und Kutschern, sowie die Knochen der Tiere. Wahrscheinlich war es die Grabkammer des heute namenlosen Gemahls der Königin.

Woolley legte in diesem Königsgrab die Überreste von 92 Personen frei. Offensichtlich war der gesamte Hofstaat des Königspaares mit begraben worden. Da kleine Trinkbecher bei den Skeletten gefunden wurden und dazu ein Kupferkessel, liegt die Vermutung nahe, dass alle Gift genommen haben und ohne Todeskampf, wie Schlafende in sich zusammen gesunken sind. Musikinstrumente und festliche Kleidung deuten auf eine Totenfeier hin, die nicht Abschied, sondern ein fröhlicher Übergang mit ihren vergöttlichten Königen in die Unsterblichkeit war. Das würde die These von Menschenopfern in Mesopotamien widerlegen, so Woolley vorsichtig.



Quellen:



-G. Hierzenberger, „Der Glaube in den alten Kulturen. Ägypter, Mesopotamier, Indoeuropäer, Altamerikaner“, Topos plus Vlg. Kevelaer, 2003

-H. Uhlig, „Die Sumerer. Ein Volk am Anfang der Geschichte“, Bastei Lübbe, 3. Aufl. 2002

A. Caubert, P.Pouyssegur, „Der Alte Orient von 12000 bis 300 v. Christus“, Komet, Frechen, 2001
 
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