Die praktische Arbeit eines Historikers

D

Dönerschmeckt

Gast
Hallo,

mich würde die praktische Arbeit eines Historikers an einem bestimmten wissenschaftlichen Thema interessieren. Undzwar habe ich in einem Vortrag von Christopher Clark gehört das das Thema "Julikrise" mehr als 20.000 Artikel und Bücher umfasst.
Ich frage mich wie ein Historiker dies methodisch erfasst, ausarbeitet, jedes Dokument rekapituliert etc.? Wie sieht das praktisch aus? Welche Hilfsmethoden verwenden Historiker? Notieren sie in Excel-Tabellen welches Dokument wo, wann von wem wie interpretiert wurde? etc.

MfG
 
Mommsen soll mal gesagt haben, es gehöre zum Beruf des Historikers, so zu tun, als ob man etwas weiß. Er bezog sich darauf, dass man sich nicht in jedem Bereich auskennen kann. Aber seit damals hat sich die Produktion wissenschaftlicher Literatur vervielfacht und es gibt Themen, zu denen man nicht mehr alles lesen kann. Ein Problem, mit dem sich jeder Student ab dem 1. Semester konfrontiert sieht. Bei modernen Themen kommt hinzu, dass es eine riesige Menge an Quellen geben kann. Aber hier geht es um Sekundärliteratur.

Zunächst ist die Frage, wo Titel überhaupt zu finden sind.Neben der Suche in Bibliothekskatalogen (Ich kenne da noch Karteikästen, aber automatisiert geht da schon Einiges mehr.) sind da Bibliographien und Übersichtswerke zu nennen.

Bibliographien stellen die Schriften zu einem bestimmten Thema zusammen. Sie sind entweder abgeschlossen und geben den Stand zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder. Oder sie werden fortgeführt. Um aktuell zu sein, muß man noch die Angaben in den entsprechenden wissenschaftlichen Zeitschriften berücksichtigen. Das Bücherverzeichnis zur deutschen Geschichte von Wilhelm Baumgart dürften die meisten hiesigen Historiker im Regal stehen haben, die als Taschenbuch mit knapp unter 300 Seiten eher über die Mittel zum Zugang Auskunft gibt, als den Zugang selbst zu ermöglichen. Darin stößt man z.B. auf die Jahresberichte zur deutschen Geschichte und die Historische Bibliographie.

Sehr hilfreich, gerade um sich erstmal einzulesen, ohne gleich erschlagen zu werden, sind Übersichtsdarstellungen (die Autokorrektur wollte Übersichtsdärme...) und Einführungen, gerade wenn sie einen Forschungsüberblick bieten. Berühmt für seinen Forschungsüberblick ist z.B. die Römische Geschichte von Heuss. Es gibt auch Bücher, die eine Aufbereitung des Themas für Studenten mit einer Auswahlbibliographie verbinden. Zu Deinem Thema vielleicht Peter und Schröder, Einführung in das Studium der Zeitgeschichte, Paderborn, München, Wien, Zürich 1994. Ich würde mich nicht wundern, wenn es eine neue Auflagen gibt. Aber bei dem Thema stehe ich nicht so drin. Darin gibt es auch ein Kapitel 'Wege zur zeitgeschichtlichen Literatur'. Natürlich gibt es auch dicke Wälzer nur mit Anmerkungen, aber ohne Literaturliste. Gerade Clarks Sleepwalkers gehören dazu.

Aber das führt zu dem Hinweis, dass vieles nur durch die Angaben in den Fußnoten der Literatur selbst, also beim inhaltlichen Einarbeiten zu finden ist.

Wie nun erfassen? Ich habe ja noch mit Karteikästen gearbeitet und muss sagen, dass das zu bestimmten Zwecken seine Berechtigung noch nicht ganz verloren hat. Excel, selbstgeschriebene Programme, die Zweckentfremdung von Programmen für Notizen waren das nächste, was viele nutzten. Excel und Datenbanken sind heute noch aktuell, aber es gibt auch spezielle Programme zur Erfassung von Literatur und Einzellösungen. Die Wahl hängt von Zweck und persönlicher Vorliebe ab. Es wird auch an weit mächtigeren Programmen gearbeitet. Aber das ist Zukunftsmusik.

Wichtig ist immer noch, einen Großteil der Literatur im Kopf zu haben. Das kann bisher kein Rechner ersetzen. Bei wichtiger, immer wieder zitierter Literatur gelingt das automatisch. Anderes muss man sich mit den üblichen Hilfsmitteln wie Lernkartei oder Mnemotechnik merken.

Und wenn es um die inhaltliche Einarbeitung geht, wird man sich mit Handbüchern wie den Sleepwalkers von Clark oder Einführungen oder einem Forschungsüberblick einen Überblick verschaffen, um dann mehr spezialisierte Werke oder Autoren mit anderer Meinung zu lesen.

Bei beiden Fragen gibt es unterschiedliche Ansichten, wie systematisch vorgegangen werden soll. Da stehen vor allem das Einlesen mit der Anleitung durch Interessen und Fragen, also problemorintiertes Vorgehen sowie systematische Recherche, also die eher quantitative Erfassung nebeneinander. Allerdings wird der eine nicht ohne das andere auskommen.
 
Hallo,

mich würde die praktische Arbeit eines Historikers an einem bestimmten wissenschaftlichen Thema interessieren. Undzwar habe ich in einem Vortrag von Christopher Clark gehört das das Thema "Julikrise" mehr als 20.000 Artikel und Bücher umfasst.
Ich frage mich wie ein Historiker dies methodisch erfasst, ausarbeitet, jedes Dokument rekapituliert etc.? Wie sieht das praktisch aus? Welche Hilfsmethoden verwenden Historiker? Notieren sie in Excel-Tabellen welches Dokument wo, wann von wem wie interpretiert wurde? etc.

MfG

Die praktische Arbeit von Historikern ist wohl so unterschiedlich wie jede Arbeit von Menschen. Jeder hat so seine Methodik wie er an ein Thema herangeht. Hilffsmittel gibt es viele, diese wurden dir ja schon aufgeführt.

Ein wenig aus der Schule geplaudert. Ich arbeite mit Exzerpte, Karteikarten, Excel und mit einer Literaturdatenbank wo man so gut wie alles reinstellen kann, von PDF über Excel, eigenen Notizen. Natürlich fehlt auch das ganz einfache Notizbuch nicht in der Sammlung.

Wenn man sich mit einem Thema intensiv befasst, dann weiss man auch bald mal wer was dazu veröffentlicht hat. Dann heisst es eben auch ad fontes und sich dann selber eine Bild und Meinung zu machen.
 
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